Menü

Ein Dichter aus Czernowitz

Zum 100. Geburtstag von Paul Celan

1968, im Jahr der Revolte, schrieb Paul Celan: »Ich hoffe, nicht nur im Zusammenhang mit der Bundesrepublik und Deutschland, immer noch auf Änderung, Wandlung. Ersatzsysteme werden sie nicht herbeiführen, und die Revolution – die soziale und zugleich antiautoritäre – ist nur von ihr her denkbar.« Zwei Jahre später nahm sich der in Paris lebende Lyriker aus der Bukowina in der Seine das Leben. Am 23. November wäre er 100 Jahre alt geworden.

Der aus einer deutschsprachigen jüdischen Familie im rumänischen Czernowitz stammende Dichter, dessen Angehörige im Ghetto und KZ ermordet worden waren, war 1947 über Bukarest und Wien nach Frankreich geflohen. In Österreich hatte er Ingeborg Bachmann kennengelernt und sich in sie verliebt. Aber wie viele, die das Ghetto oder die Todeslager überlebt hatten, blieb auch Celan (ursprünglich Paul Antschel) ein Gezeichneter. Doch er war ehrgeizig, studierte in Paris, heiratete in eine großbürgerliche Familie ein, erhielt die französische Staatsbürgerschaft und nahm zugleich am literarischen Leben der Bundesrepublik teil.

Im Mai 1952 nahm Celan auf Einladung von Hans Werner Richter an der Frühjahrstagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee teil. Die dort versammelten Autoren konnten indes mit seiner lyrischen Sprache wenig anfangen. Den meisten von ihnen, die aus dem Krieg zurückgekehrt waren und programmatisch jeder Art von »Kalligraphie« abgeschworen hatten, war sein Rezitationsstil zu pathetisch. Hans Werner Richter urteilte, Celan »habe in einem Singsang vorgelesen wie in der Synagoge«. Sogar der Satz »Der liest ja wie Goebbels« soll nach dem Zeugnis von Walter Jens gefallen sein. Dabei war es ausgerechnet der »Gruppenvater« Richter gewesen, der sich für die Lesung des jungen Dichters eingesetzt hatte. Auch Ingeborg Bachmann, die in Niendorf zugegen war, hatte nicht eingegriffen.

In seinem neuen Buch Todesfuge – Biographie eines Gedichts hat Thomas Sparr ausführlich dargelegt, wie tief sich Celan verletzt fühlte. Der 31‑Jährige schrieb später an einen Freund: »Ich war dort oben beleidigt worden (…) Und so etwas muß ich erleben (...) nach der Lesung der Todesfuge.« Und dennoch: Das Desaster an der Ostsee war nicht der Ausdruck eines neuen Antisemitismus, eher sprach daraus ein Mangel an Feinfühligkeit und historischer Sensibilität. Der Golem Tod, der Meister aus Deutschland, wie Celan ihn nannte, ließ für den Dichter einen naiven und unmittelbaren Gebrauch der »Mördersprache« nicht mehr zu. In seiner ersten, rumänischen Fassung hieß das Gedicht noch »Todestango« und erinnerte an das Lagerorchester von Janowska bei Lemberg, das zum »Todestango« aufspielte, während Häftlinge ihre Gräber aushoben.

Celan und Heidegger

In Deutschland wurden Celans Gedichte oft als »kryptisch« oder »hermetisch« bezeichnet. Als er 1960 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, bezog er sich in seiner Dankesrede ausdrücklich auf Büchners Reflexion über Substanz und Funktion der Kunst: »Das Gedicht behauptet sich am Rande seiner selbst; es ruft und holt sich, um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schon-nicht-mehr in sein Immer-noch-zurück.« Es war seine bis dato wichtigste poetologische Äußerung. Nirgendwo sonst hat Celan genauer, unverstellter und ausführlicher sein ästhetisches Selbstverständnis dargelegt. Dass seine Todesfuge über den Massenmord an den Juden bereits in den späten 50er Jahren zum Unterrichtskanon an den Schulen gehörte, hat Celan für viele zum poetischen Kronzeugen der Shoah gemacht. Nur die wenigsten wussten, dass die »Todesfuge« von der Trauer um seine Eltern zeugte. Der Schluss des Gedichts – »der Tod ist ein Meister aus Deutschland« entsprang aber auch der Einsicht in das endgültige Zerbrechen einer deutsch-jüdischen Symbiose. Daran vermochten auch die drei geheimnisvoll beschwiegenen Treffen Celans mit Martin Heidegger Ende Juli 1967 in Freiburg nichts zu ändern.

Celan hatte das Werk Heideggers intensiv studiert und wusste um dessen zeitweises Sympathisieren mit dem Nationalsozialismus und seinen Antisemitismus. In dem Gedicht Largo spricht er von dem »heidegängerisch Nahen«. Schon 1957 wollte er Heidegger sein Gedicht Schlieren schicken, das dann später in dem Lyrikband Sprachgitter erschien. Es handelt von einem Auge, dessen Verwundung die Welt erschließt und die Erinnerung festhält, die Erinnerung an eine Wunde, die einer Verbindung im Wege steht. Gemeint war damit offenkundig Heideggers Schweigen zu Auschwitz. Andererseits hatte sich Heidegger schon relativ früh in den 50er Jahren mit Celans Werk vertraut gemacht: »Ich kenne alles von ihm, weiß auch von der schweren Krise, aus der er sich selbst herausgeholt hat, soweit dies ein Mensch vermag (…) Es wäre heilsam, Paul Celan auch den Schwarzwald zu zeigen.« Man stand im Briefwechsel. Nach ihrem letzten Treffen sagte Heidegger: »Celan ist krank – heillos.« Dem Philosophen von Todtnauberg war durchaus bekannt, dass sich der Dichter wiederholt in psychiatrischer Behandlung befand und sich sogar von Frau und Kind getrennt hatte.

Wie aber konnte einer wie er mit dieser trostlosen Lebensgeschichte zu einem der bedeutendsten Lyriker deutscher Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg werden? Celan hat seine eigene Stimme über Georg Trakl und Rainer Maria Rilke gefunden. Seine Prosa ist nicht weniger subtil als seine Dichtung. Er war ein Meister des Abgründigen und brachte es immer wieder fertig, mit seiner Sprachkunst auszudrücken, was nicht gesagt, sondern nur angedeutet werden kann. Der Umgang mit den bereits arrivierten westdeutschen Autoren war für ihn mehr als schwierig. Er hatte ein feines Gespür für Verletzungen und Zweideutigkeiten, fühlte sich oft zurückgesetzt und ausgeschlossen von den »Linksnibelungen«. Klaus Reichert, der als Lektor bei Suhrkamp mit Celan in engem Kontakt stand, hat ihn allerdings auch anders erlebt: In seinen Erinnerungen schreibt er: »Paul Celan war sehr liebenswürdig und von einer geradezu habsburgischen Höflichkeit.«

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben