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Die Universität Greifswald und ihr Namenspatron Ein Ernstes Problem

Im Januar dieses Jahres beschloss der Senat der Universität Greifswald mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit, den Namen »Ernst Moritz Arndt« abzulegen. So hieß die Hochschule seit 1933, veranlasst von Hermann Göring, und 1954 in der DDR bewusst wieder eingeführt. Seit 1990 war mehrmals, vor allem von studentischer Seite, eine Änderung gefordert worden. Bereits 2010 hatte es eine Abstimmung gegeben, in der 22 Senatoren für die Beibehaltung und nur 14 für die Abschaffung des Beinamens votiert hatten. Doch auch nach der neuerlichen Abstimmung wird die Universität (vorerst) weiterhin den Namen des umstrittenen Schriftstellers behalten, denn das zuständige Schweriner Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat aufgrund formaler Mängel seine Zustimmung für eine Umbenennung verweigert. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus.

Das Ergebnis von 2010 ließ die Arndt-Gegner nicht ruhen. Schließlich beugte sich die Mehrheit offenbar dem Argument, das Festhalten am alten Namenspatron würde die Anwerbung ausländischer Studierender und Wissenschaftler erschweren, vielleicht war man die endlose Diskussion auch einfach leid. Erwartungsgemäß stellten sich die Hochschulministerin Birgit Hesse (SPD), die SPD-Landtagsfraktion und der hochschulpolitische Sprecher des Landesvorstands der Partei DIE LINKE (»wichtiges Zeichen für eine weltoffene und tolerante Hochschule« gerade »in Zeiten eines wiedererstarkten Nationalismus«) hinter den Beschluss des Greifswalder Universitätssenats, während Sprecher der CDU- und der AfD-Fraktion mit den Hinweisen, die Greifswalder hätten sich längst mit dem Namen identifiziert und die Änderung würde hohe Kosten verursachen, Kritik äußerten.

Umbenennungen, insbesondere von Straßen und Plätzen, sind in Deutschland en vogue. Es gibt zweifellos Fälle, wo das angebracht ist. Man sollte sich allerdings vor einem puristischen Säuberungswahn hüten, der heutige Auffassungen von liberaler Demokratie und universellen Menschenrechten zum Maßstab machte. Es bliebe nämlich wenig übrig, nicht nur hierzulande. Sinnvoller erschiene es mir in den meisten Fällen, einen Kontrapunkt zu setzen, sodass – als fiktives Beispiel – eine nach Admiral Alfred von Tirpitz, dem Protagonisten des deutschen Schlachtflottenbaus vor 1914, benannte Straße mit einem Reichpietsch- und Köbis-Platz (bezogen auf die beiden nach einer friedlichen »Meuterei« auf Schiffen der Hochseeflotte im Sommer 1917 erschossenen Matrosen) ergänzt würde.

Was hat es nun mit Ernst Moritz Arndt (1769–1860) auf sich? Wenn man manche Texte des wortgewaltigen Historikers, Philologen, vergleichenden Kulturwissenschaftlers, Dichters und Publizisten so liest, als wäre der Autor unser Zeitgenosse, dann stoßen einem in der Tat manche Formulierungen auf; sie wirken befremdlich, gelegentlich haarsträubend, insbesondere in pauschalen Ausfällen gegen das »Franzosentum«. Es gilt aber, im Gegenteil, alle Äußerungen in ihrem historischen Zusammenhang zu »verstehen« und zu interpretieren, bevor man sie bewertet (was bei Personen aus länger zurückliegenden Epochen den meisten Menschen einleuchten wird, etwa bei Martin Luther, dessen vermeintlicher Thesenanschlag vor 500 Jahren von der Evangelischen Kirche aktuell groß gefeiert wird).

Die Arndt-Zitate, die heute am meisten verstören, stammen in der Regel aus den während der antinapoleonischen Befreiungskriege (1812–1815) verfassten, teilweise in Zehntausender-Auflagen verbreiteten Agitationsschriften, in denen der Verfasser zur Erhebung gegen den »Despoten« Napoleon samt seiner Grande Armée und zu dessen endgültiger Niederwerfung aufrief. Und er predigte zeitweilig den »Volkshass« der Deutschen als psychologischen Damm gegen neue Expansionsbestrebungen aus dem Westen. Auch eine, allerdings vorwiegend kulturelle, nicht rassenideologisch verfestigte und deshalb nicht im späteren Verständnis »antisemitisch« zu nennende Tendenz ist zu konstatieren. Ferner enthält die Weltsicht des Pommern, wie man das bei etlichen Vertretern europäischer und amerikanischer Emanzipationsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts findet, einzelne antimoderne, bei ihm in mancher Hinsicht auch aufklärungskritische Elemente.

Gleichzeitig drücken gerade die populären Schriften der Jahre 1812 und 1813 (als Preußen die Seiten wechselte und zur Haupttriebkraft des deutschen Unabhängigkeitskriegs wurde) die weitestgehenden Anklagen gegen die mit Frankreich verbündeten territorialstaatlichen Fürsten aus, deren Herrschaftsanspruch radikal infrage gestellt wird. Was Arndt propagierte, war das Gegenteil der monarchischen »Legitimität«, wie sie 1814/15 der auf dem Wiener Kongress gestifteten Neuordnung Europas als eines der verbindlichen Prinzipien zugrunde gelegt wurde. Deshalb galt Arndt in höfischen und aristokratischen Kreisen als »Jakobiner« und wurde im Zuge der reaktionären Wende der preußischen Politik und der beginnenden »Demagogen«-Verfolgung 1820 von seiner Professur an der neu gegründeten Bonner Universität suspendiert. Erst 1840 wurde er von König Friedrich Wilhelm IV. rehabilitiert.

Gewiss war Ernst Moritz Arndt ein »Nationalist«, aber Nationalismus war zu seiner Zeit geistig und gesellschaftspolitisch anders konnotiert als rund 100 Jahre später. Das napoleonische Frankreich war, trotz der direkten und indirekten Beförderung von einzelstaatlichen Reformen durch eine Art »Revolution von außen«, spätestens ab 1806 eine halb Europa unterdrückende und wirtschaftlich ausbeutende Macht, die die Mitglieder des Rheinbundes west- und süddeutscher Fürstentümer zu Vasallen und Lieferanten von Soldaten für die Kriege des französischen Kaisers machte. Die nationalpatriotischen Zirkelbildungen der Jahre ab 1808 und der Befreiungskrieg 1813/14 waren insofern zweifellos eine Reaktion auf die Französische Revolution in Gestalt ihres Erben Napoleon, aber eine Reaktion im dialektischen Sinn: Nur indem die deutschen Staaten, namentlich Preußen, in wesentlichen Teilbereichen vom revolutionären Frankreich »lernten«, waren sie mit Aussicht auf Erfolg überhaupt imstande, den Kampf aufzunehmen; in einem konventionellen Krieg, der aber im Norden Deutschlands durchaus Züge einer Volkserhebung trug. Und indem ein minoritäres, aber wachsendes Segment des deutschen Bildungsbürgertums den Gedankengängen der frühen nationalen Ideologen folgte – neben Arndt vor allem der Philosoph Johann Gottlieb Fichte und der »Turnvater« Friedrich Ludwig Jahn –, in meist noch vage gedachten Formen die staatliche Einigung Deutschlands in Angriff zu nehmen, erwuchs dem bis dahin nur als Kulturnation des Intelligenzbürgertums existierenden gemeindeutschen Sprach- und Kommunikationsraum eine über die nostalgische Erinnerung an das untergegangene Heilige Römische Reich Deutscher Nation hinausweisende Perspektive.

Nicht nur aus emotionalem Überschwang wurde dem Abgeordneten Ernst Moritz Arndt von der frisch gewählten Deutschen Nationalversammlung am 19. Mai 1848 einstimmig und enthusiastisch der Dank der Gesamtnation für sein Schaffen und insbesondere für sein Lied »Was ist des Deutschen Vaterland?« von 1813 ausgesprochen, das die Angehörigen der verschiedenen deutschen Regionen im stets gleichen Refrain mahnte: »Das ganze Deutschland soll es sein!«

Wenn Arndt »das Volk« verherrlichte, dann waren damit nicht nur die Deutschen als Ethnie, sondern auch als Demos gegenüber dem alten Untertanenverband gemeint und nicht selten speziell die einfachen Menschen – Bauern, Klein- und Mittelbürger – gegenüber den Mächtigen und Reichen. Er sprach sich früh gegen die noch nicht überwundene persönliche Unfreiheit der Landbevölkerung aus, wollte Duodez-Absolutismus, Feudalismus, »Erstarrung und Leerheit« in den öffentlichen Zuständen überwinden, befürwortete Meinungs- bzw. Pressefreiheit und eine konstitutionelle Monarchie mit einer Volksvertretung.

Arndt war im Übrigen kein engstirniger und engherziger Provinzler. Er kannte – neben Schweden, zu dem seine Geburtsinsel Rügen bis 1815 gehörte, und Russland – die Donaumonarchie, Italien und Frankreich mit Paris von ausgiebigen Reisen. Keiner der um 1800 »erwachenden« Nationen Europas sprach er ihre Existenzberechtigung ab, und in allen fand er Erfreuliches und Bewunderungswürdiges. An »den Franzosen« störten ihn besonders deren Gefühl der Überlegenheit und der vermeintliche Anspruch auf eine hegemoniale Rolle, sei es durch Identifikation der Zivilisation und der universellen Grundsätze von Freiheit und Humanität mit den nationalen Interessen Frankreichs. Die Lektüre des vierbändigen Hauptwerks Geist der Zeit (1806–1818) zeigt Arndt mit einem viel weiteren Horizont und erheblich differenzierter als es den Vereinfachungen und Verzeichnungen seiner missverstehenden rechtsnationalistischen bzw. nationalsozialistischen Bewunderer in früheren Zeiten wie seiner missverstehenden heutigen Gegner entspricht.

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