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Die deutsche Blockade Europas durchbrechen Ein neues Europa

»America first« spaltet die Welt. Die Antwort darauf soll ein starkes Europa sein. Doch es wird nicht dieses Europa sein, sondern es wird ein neues Europa werden müssen. Ein solches neues Europa wird es nur mit neuen Mehrheiten geben. Doch den Parteien links der Mitte fehlt der Wille zur Macht. Das ist besonders bitter in dem Land, auf das es besonders ankommt: in Deutschland.

Kennen Sie Mariano Rajoy? Der Ministerpräsident von Spanien betreibt eine konsequente Austeritätspolitik. Kritik dagegen begegnet er mit der Einschränkung der Demonstrations- und Pressefreiheit. Die Funktionäre seiner Partido Popular fahren zu Dutzenden in den Knast ein, weil sie durch und durch korrupt sind. Mariano Rajoy hat keine Mehrheit im spanischen Parlament. Es gab sogar eine Mehrheit gegen ihn, hätten sich die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) und die linkspopulistische PODEMOS einigen können. Doch beide wollten lieber das Spiel »Wer ist die stärkere linke Partei?« weiterspielen. Und deshalb regiert nun die Rechte.

Gibt es das nur in Spanien? Nun ja – in Portugal haben die Kommunisten im letzten Moment die Kurve bekommen und stützen nun eine linke Minderheitsregierung. Aber auch die Ära Silvio Berlusconi konnte in Italien nur deshalb in die Verlängerung gehen, weil sich die linke Mehrheit zerlegt hatte.

Das gibt es nicht in Deutschland? Doch. Die klammheimliche Freude über die verlorene Landtagswahl im Saarland strahlte doch Sozialdemokraten wie der Linkspartei aus allen Knopflöchern: »Gott sei Dank müssen wir nicht regieren.« Dummerweise regiert daher nun aber Annegret Kramp-Karrenbauer weiter. »Gott sei Dank ist das Saarland kein Modell für den Bund« – diese Freude einte Sahra Wagenknecht und Thomas Oppermann mit manchen Grünen. Die eine, weil sie dann nicht gezwungen ist zu regieren, den anderen, weil er lieber in die Ampel will, die dritten, weil sie Schwarz-Grün gut finden. Dummerweise regiert dann Angela Merkel auch die nächsten vier Jahre weiter. Das ist schlecht für Europa. Es untergräbt die Möglichkeiten für Mehrheiten links der Mitte in anderen europäischen Ländern. Wie viele von Deutschland aufgenötigte Sparpakete soll die Regierung von Alexis Tsipras noch überstehen?

Doch ein Europa, in dem jeder Fünfte unter 25 ohne Arbeit ist, wird nicht zusammenzuhalten sein. Ein Europa, das für das Militär heute schon dreimal so viel ausgibt wie Russland, aber lieber weiter aufrüstet, anstatt in einen Green New Deal zu investieren, untergräbt den eigenen Zusammenhalt. Ein Europa, das von Klimaschutz redet, die damit verbundene industrielle Revolution aber blockiert, wird auch wirtschaftlich hinter Ländern wie China oder Indien zurückfallen. Und ein Europa, das Donald Trump für die Mauer kritisiert, aber dafür Tausende im Mittelmeer ertrinken lässt, wird als Schutzgemeinschaft gegen die Globalisierung nicht glaubwürdiger.

Angesichts dieser Herausforderungen ist es ebenso bequem wie unpolitisch, sich unter den Parteien der linken Mitte gegenseitig vorzuhalten, man sei nicht sozial genug, unökologisch, ein Sicherheitsrisiko, antieuropäisch. Denn im Ergebnis bleibt es bei einer Mehrheit gegen die Bürgerversicherung, ohne Kohleausstieg, mit 30 Milliarden Euro für Aufrüstung und Austerität für Europa. Die wirkliche Hürde für eine Mehrheit links der Mitte sind nicht die vorhandenen, realen Differenzen zwischen der SPD, den GRÜNEN und der Partei DIE LINKE. Sondern es ist eine Gemeinsamkeit, die sie von den Parteien zur Rechten unterscheidet: der bloß schwach ausgeprägte Wille zur Macht.

Glaubt die Rechte, es sei von Gott gewollt, dass sie regiert, dann teilt die Linke diesen Glauben zu oft und meint, es sei der Wille des Herrn, dass sie bloß opponiert. Glauben aber heißt nicht wissen – wusste schon Karl Marx. In Wahrheit liegen die beiden politischen Lager in Deutschland sehr eng beieinander. Und es gibt Chancen für die eine wie die andere Seite. Das wird nicht dadurch falsch, dass sich die Mehrheit rechts der Mitte seit der letzten Bundestagswahl eher gestärkt sieht. 2013 hatte die Rechte nur deshalb keine Mehrheit im Bundestag, weil AfD und FDP an der 5 % Hürde scheiterten und so fast 10 % der Stimmen außen vor blieben. Seitdem konnte bei keiner Landtagswahl eine rot-grüne Mehrheit verteidigt werden. Deshalb gibt es jetzt bunte lagerübergreifende Mehrheiten, von Grün-Schwarz über Kenia bis Jamaika und der Ampel. Allerdings gelang es in Thüringen wie in Berlin rot-grün-rote Mehrheiten zu erreichen. Inzwischen prognostizieren Umfragen sogar eine Rückkehr zu Schwarz-Gelb – trotz einer AfD im Bundestag! Die Selbstgewissheit der Rechten darf die linke Mitte nicht erschrecken. Die Wahl ist offen. 50 Tage vor der Wahl in Großbritannien war sich Theresa May sicher, 20 Punkte vor Labour zu landen, aber am Tag der Wahl waren es nur noch gut zwei. Und 40 Stunden vor der US-Präsidentenwahl glaubten alle, Hillary Clinton würde gewinnen – am Ende hatte sie zwar über 3 Millionen Stimmen mehr, aber die entscheidenden Staaten verloren.

Aber bisher ist es weder der SPD, noch den GRÜNEN, noch der Linkspartei gelungen, eine gesellschaftliche Stimmung für einen Wechsel zu erzeugen und einen Machtanspruch gegenüber der Union zu erheben. Das hat etwas mit der Mutlosigkeit bei der politischen Zuspitzung zu tun. Das vor einigen Jahren noch undenkbare Wegducken vor polarisiertem Streiten über die Frage, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen, das Streben in eine ominöse Wohlfühlzone namens »gesellschaftliche Mitte« – all das hat die Unterscheidbarkeit von Politikentwürfen und politischen Parteien auf ein Minimum schrumpfen lassen. Dabei sind doch aber eben diese Streits um das Gestalten von Gesellschaft die Orientierungspunkte für die Menschen, die in der sich so rasant verändernden Welt Objekte dieses Wandels sind. Was passiert, wenn diese Orientierungspunkte nur noch als unscharfe, im Kern nicht unterscheidbare Wortwolken daher wabern, lässt sich im Erstarken nationalistischer Kräfte und Gruppierungen in den Demokratien sogenannter westlicher Prägung beobachten – von Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński bis hin zu Donald Trump.

Die erstarkenden nationalistischen Stimmungen bedrohen die Demokratie. Sie bedrohen ein vereintes Europa, ein sozialeres Amerika, sie bedrohen die offenen Gesellschaften, in denen wir noch leben. Sie wollen die gesellschaftliche Modernisierung der letzten Jahrzehnte komplett zurückdrehen. Europa war und ist das Gegenmodell zu »Nation first«. Europa aber ist geschwächt. Der größte Feind Europas ist der Nationalismus. Nationalismus ist eben kein Privileg der Rechtspopulisten, der Wilders, Le Pens und Petrys. Das können Konservative auch: David Camerons Nationalismus etwa hat in den Brexit geführt. Thomas de Maizière fordert in der Bild am Sonntag wieder eine »Deutsche Leitkultur«. Oder nehmen wir Wolfgang Schäuble. Der Brexit hatte einen Vorläufer. Der erste Versuch nämlich, ein Stück europäische Integration zurückzudrehen, war sein und Angela Merkels Versuch, Griechenland aus dem Euro zu mobben.

Dieses Europa wird scheitern, wenn es nicht seine Grundversprechen wiederherstellt: Frieden, Demokratie und Wohlstand. Das Versprechen auf Teilhabe am Wohlstand ist unter die Räder gekommen. Konservative und wirtschaftsliberale Mehrheiten in Parlament, Rat und Verwaltung haben den Binnenmarkt als Instrument zur Deregulierung genutzt. Ihr Neoliberalismus ist die Mutter des Populismus. Deshalb bedarf es eines neuen Europas. Das gibt es mit einem Green New Deal mit massiven Investitionen, in das Klima und die Infrastruktur in Europa.

Allen Beteuerungen des deutsch-französischen Motors zum Trotz: Wer darauf hofft, dass Emmanuel Macron Europa stärkt, der darf nicht selbst eine nationalistische Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben. Der darf Europa keine Austerität, keine Sparpolitik aufzwingen. Rechte Mehrheiten in Deutschland blockieren ein neues Europa. Das neue Europa wird von Merkel und Schäuble blockiert. Und mit Schwarz-Gelb wird sich hieran auch nichts ändern. Rot-Grün-Rot hat bisher nicht die Kraft entfaltet, die deutsche Blockade Europas zu durchbrechen. Ob dies mit lagerübergreifenden Koalitionen gelingt – daran lassen vier Jahre Schwarz-Rot zweifeln.

 

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