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Ein neues Jahrhundert Sozialer Demokratie – Ökonomie und Ökologie

Als Diskussionsforum haben wir in der Januar/Februar-Ausgabe mit einer kritischen Bestandsaufnahme zur Lage der SPD begonnen, die wir hier fortsetzen. Den Auftakt der Rubrik bildet jeweils ein Beitrag, der zu einem bestimmten Themenfeld Vorschläge dazu entfaltet, welches die großen Ziele einer Sozialen Demokratie im 21. Jahrhundert sein sollten und worin die kleinen Schritte bestehen können, um davon so viel wie möglich in der überschaubaren Zukunft zu erreichen. In dieser Nummer widmen wir uns der Verbindung von Ökonomie und Ökologie.

Soziale Demokratie ist das historische Projekt des gesellschaftlichen Fortschritts. Ihr Ziel ist die Emanzipation des Menschen. Aufklärung und Vernunft wurden zu den wichtigsten Prinzipien, um der Wirklichkeit Sinn, Struktur und Ordnung zu geben. Zum Unterbau des Fortschrittsprozesses wurde die wissenschaftlich-technische und ökonomische Entwicklung, entsprechend ging es im Wesentlichen um die Förderung der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung. Die europäische Moderne stieg zum Weltmodell auf, insbesondere durch die epochalen Errungenschaften der Französischen Revolution, die großen Menschenrechtsbewegungen, die Entfaltung der Demokratie und schließlich des Sozialstaats.

Obwohl es in der Ideengeschichte der Moderne auch eine kritische Sicht auf den Fortschrittsgedanken gab, wurde vor allem im 20. Jahrhundert die einseitige Orientierung auf Wirtschaftswachstum und technischen Fortschritt zu einer selbstgewiss demonstrierten Weltanschauung, ohne Rücksicht auf die Begrenzung des Planeten. Bis heute werden die vier Hauptsätze der Thermodynamik (der Wärmelehre) ignoriert. Die Natur wird nicht als Mitwelt verstanden, sondern als zubereitete, isolierte und selektive Ressource, als gefügiger oder ästhetischer Gegenstand des menschlichen Lebens.

Tatsächlich aber gerät die Idee des Fortschritts mit der radikalen Entgrenzung von Zeit und Raum an ihre Grenzen. Im endlichen System Erde werden planetare Grenzen überschritten, die für das Leben der Menschen essenziell sind. Das Ergebnis ist eindeutig: Wenn sich nicht grundsätzlich etwas ändert, ist die Menschheit im Begriff, die ökologischen Grenzen unseres Planeten zu überschreiten. Doch das Problem ist, dass wir die Tragweite der heutigen Transformation wahrscheinlich erst in einigen Jahrzehnten begreifen werden. Drei Gründe sind dafür entscheidend:

Erstens: Zwischen der Verursachung z. B. des anthropogenen Klimawandels und den Auswirkungen liegt eine Zeitverzögerung von mindesten vier Jahrzehnten. Die Folgen für die Zukunft sind dann bereits nicht mehr zu verhindern.

Zweitens: Die Folgen sind auf tragisch ungerechte Weise auf die unterschiedlichen Regionen und sozialen Schichten verteilt, wobei vor allem die Ärmsten besonders stark betroffen sind, obwohl sie am wenigsten dazu beitragen.

Drittens: Das Streben der Regierungen ist in erster Linie auf kurzfristige Interessen und auf höheres Wachstum ausgerichtet. Dadurch verharren sie im Bestehenden, statt die Zukunft sozial und ökologisch zu gestalten.

Die Erde steuert auf einen verhängnisvollen Zeitpunkt zu, der schon dann eintreten kann, wenn das Zusammenspiel von Klimaänderungen, Öl- und Wasserknappheit, nachholender Industrialisierung und weiteren 1,5 Milliarden Menschen Synergien erzeugt, deren negative Folgen jenseits unserer Vorstellungskraft liegen.

In der Nachkriegszeit konnte der Wohlfahrtsstaat die sozialen Folgen der »Entbettung« der Ökonomie aus gesellschaftlichen Bindungen in Grenzen halten, doch in der neoliberalen Phase wurden die Konsequenzen aus der Verschwendung natürlicher Ressourcen und der Überlastung ökologischer Systeme lange Zeit nicht gesehen, verdrängt oder die Erkenntnisse blieben folgenlos. Aber es geht nicht allein um die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die soziale Umwelt und die natürliche Umwelt verschlechtern sich gemeinsam, und wir werden die Umweltzerstörung nicht angehen können, wenn wir nicht gleichzeitig auf die sozialen Zusammenhänge achten.

Die große Herausforderung heißt daher, den Kapitalismus national, europäisch und global, sozial und ökologisch zu bändigen. Das erfordert Antworten, die Deutschland nicht allein geben kann, aber bei denen unser Land und die Europäische Union eine wichtige Rolle einnehmen können.

Die ökologischen Krisen der Gegenwart – Klimawandel, Überlastung der Ökosysteme, Rohstoffknappheit und Ausrottung der natürlichen Arten – erfordern eine generationsübergreifende Gerechtigkeit. Soziale Demokratie verlangt eine sozialökologische Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, eine nachhaltige Ökonomie, die nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen schützt, sondern auch den sozialen Zusammenhalt bewahrt und mehr Demokratie verwirklicht. Dafür muss die Ökonomie in dauerhafte gesellschaftliche Bindungen »eingebettet« werden. Für eine solche sozialökologische Wende sind zehn Wegmarken zentral:

Erstens: Die Jahrhundertidee der Nachhaltigkeit muss als regulatives Prinzip der sozialökologischen Gestaltung konkretisiert werden.

Zweitens: Wir brauchen ein Naturverständnis, das die Natur nicht nur als Umwelt sondern als natürliche Mitwelt begreift.

Drittens: Die ökonomischen Grundlagen der Gestaltung sind die drei I’s: Investitionen, Innovationen und Infrastruktur. Sie gehören zusammen, um den Prozess der Erneuerung einzuleiten.

Viertens: Eine Ressourcen- und Energieeffizienzrevolution ist die Brückentechnologie in die Solar- und Kreislaufwirtschaft. Wir brauchen nicht nur 100 % erneuerbare Energien, sondern auch die 2.000-Watt-Gesellschaft (durchschnittlicher Energiebedarf pro Kopf und Jahr weltweit nicht höher als 2.000 Watt), um zu einer drastischen Reduktion des Energie- und Rohstoffverbrauchs zu kommen.

Fünftens: Wir wollen einen kulturellen Wandel einleiten, der neue Formen von Demokratie, Wohlstand und Lebensqualität begründet. Dazu zählen auch mehr Zeitwohlstand und ein qualitatives Indikatorensystem.

Sechstens: Wir brauchen Verteilungsgerechtigkeit, gute Arbeit und armutsfeste Sozialsysteme, die nicht von hohem Wachstum abhängig sind.

Siebentens: Notwendig ist eine ökologische Finanzreform mit einer schrittweisen Verlagerung von der Arbeitsproduktivität zur Ressourcenproduktivität.

Achtens: Die sozialökologische Gestaltung der Transformation braucht eine Ausweitung von Demokratie, Mitbestimmung und Teilhabe vor allem in der Wirtschaft, um die Kreativität und Mitverantwortung der Menschen zu fördern.

Neuntens: Wir wollen die öffentlichen Güter und den Rechtsstaat stärken, auch durch den Ausbau von Kultur- und Bildungsangeboten sowie der sozialen Sicherungssysteme.

Zehntens: Die Europäische Union muss zur Union der Nachhaltigkeit werden, damit Europa in der Globalisierung eine gestaltende Rolle spielt und das Erbe der europäischen Moderne bewahren kann.

Einige Bereiche haben eine besondere strategische Bedeutung für die sozial-ökologische Gestaltung der Transformation: die nachhaltige Stadt, der Klimaschutz, eine Verkehrswende und eine bäuerliche Landwirtschaft für eine gesunde Ernährung. Die zentrale Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, diesen Umbau sozial gerecht und solidarisch zu organisieren. Sonst kann er auch nicht zum Erfolg führen.

Städte, von denen in der Geschichte der republikanische Geist ausging, müssen als Gegengewicht zur Globalisierung auch heute mehr an Freiheit, Gleichheit und Solidarität verwirklichen. Die Zukunft wird ein Jahrhundert der Städte werden, denn Mitte des neuen Jahrhunderts werden rund 6,5 Milliarden Menschen in Metropolen leben. Die Gestaltung der Städte wird über den sozialökologischen Umbau entscheiden.

Klimaschutz: Die Begrenzung der globalen Erderwärmung unter zwei Grad Celsius wird nur möglich, wenn es schnell zu einer »Dekarbonisierung« kommt. Kohlendioxid ist das Treibhausgas, das am weitaus stärksten zum anthropogenen Klimawandel beiträgt.

Verkehrswende: Durch einen Ausbau der öffentlichen Verkehrssysteme, die Zurückdrängung der autogerechten Stadt und eine gerechte Besteuerung der Verkehrsmittel.

Raus aus den Agrarfabriken hin zu einer bäuerlichen Landwirtschaft durch eine naturnahe Bewirtschaftung und die Ausrichtung auf biologisch wertvolle Lebensmittel. Das muss verbunden sein mit einer Verbesserung der sozialen Lage der Landarbeiter.

(Thomas Meyer, Gesine Schwan, Dierk Hirschel, Christian Krell, Henning Meyer, Wolfgang Merkel, Hans Misselwitz, Michael Müller, Wolfgang Schroeder / SPD-Grundwertekommission)

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