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Wasserstoff – alternativer Energieträger zwischen Klimaschutz und Geopolitik Ein wichtiger Teil der Lösung

Der 24. Februar 2022 stellte mit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht nur unter sicherheitspolitischer Perspektive eine Zäsur für Europa dar. Er führte vielen europäischen Ländern gleichzeitig schmerzlich die Folgen einer großen Energieimportabhängigkeit von einem einzelnen Lieferland vor Augen. Zudem wurde deutlich, dass das energiepolitische Zieldreieck aus Energieversorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Bezahlbarkeit aus der Balance geraten war. Während in den letzten Jahren vor allem Fragen der klimaneutralen Transformation die Energiedebatte in Deutschland dominierten, führten geopolitische Konflikte sowie die gestiegenen Energiepreise auf den internationalen Märkten jüngst zu einer Neubewertung der Versorgungssicherheit und der Verbraucherpreise für Energie.

Die Folgen des Krieges waren in den vergangenen Monaten in Form rasant gestiegener Preise für Energierohstoffe und Inflationsraten im zweistelligen Bereich weltweit spürbar. Die Produktion und Nutzung von Wasserstoff (H2) – insbesondere von erneuerbarem Wasserstoff – wurde in diesem Kontext von Regierungen als Chance erkannt, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu reduzieren, den nationalen Energiemix zu diversifizieren und die Versorgungssicherheit zu erhöhen.

Wasserstoff lässt sich durch Elektrolyseverfahren herstellen, bei denen Wasser mittels Elektrizität in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Obwohl es auf globaler Ebene keine einheitliche Definition für erneuerbaren – oder grünen – Wasserstoff gibt, wird darunter allgemein Wasserstoff verstanden, der mithilfe Erneuerbarer Energien (vor allem Wind- und Solarenergie) hergestellt wurde.

Wasserstoff lässt sich in einer Vielzahl von Bereichen einsetzen, sowohl als Energieträger als auch als Brenn- und Kraftstoff. Mithilfe von grünem Wasserstoff lassen sich etwa emissionsintensive Verfahren und Anwendungen innerhalb der Industrie dekarbonisieren sowie fossile Treibstoffe im Verkehr ersetzen. Er ermöglicht aufgrund seiner chemischen Eigenschaften zudem die Speicherung von Strom in großen Mengen und kann damit Flexibilitätsdienstleistungen im Stromsystem erbringen.

Bereits lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich Wasserstoff zum bedeutenden Thema auf der globalen Energieagenda entwickelt. Neben einer Defossilisierung von Industrie, Verkehr und (mitunter) Wärmemarkt wird er von vielen Ländern als Chance für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und die Schaffung von Arbeitsplätzen durch den Aufbau einer eigenen Wasserstoffwirtschaft betrachtet. Bereits Ende 2020 hatten einer Erhebung des Weltenergierat Deutschland zufolge 14 Länder weltweit eine nationale Wasserstoffstrategie veröffentlicht – darunter viele europäische Länder wie Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Norwegen und Spanien, aber auch Australien, Japan, Kanada und Südkorea.

Seitdem ist diese Zahl auf etwa 30 gestiegen (Stand März 2023). Mittelfristig (bis etwa 2030) setzen viele Staaten weltweit auf die Produktion und Nutzung verschiedener Wasserstoffarten. Neben grünem Wasserstoff sollen etwa auch fossiler (grauer) sowie blauer Wasserstoff, der auf Basis fossiler Ausgangsstoffe unter Abscheidung und Speicherung des entstehenden CO2 generiert wurde, eine Rolle spielen. Langfristig setzt der Großteil der Regierungen weltweit jedoch auf erneuerbaren Wasserstoff – nicht zuletzt, um nationale Treibhausgasreduktionsziele zu erreichen.

REPowerEU und Importabhängigkeit der EU

Vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Kriegs hat der Ausbau einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft in Europa an Dringlichkeit gewonnen. Mit dem REPowerEU-Paket legte die Europäische Kommission im 1. Halbjahr 2022 einen Plan zur Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Energieimporten vor. Eine wichtige Rolle kommt dabei auch Wasserstoff zu. So sieht der Plan vor, bis 2030 zehn Millionen Tonnen erneuerbaren Wasserstoff in der EU zu produzieren sowie weitere zehn Millionen Tonnen zu importieren, um fossiles Erdgas, Kohle und Erdöl in schwer zu dekarbonisierenden Industrien und Verkehrssektoren zu ersetzen. Die EU-Kommission hat im Februar 2023 zudem zwei delegierte Rechtsakte zur Definition und Produktion von erneuerbarem Wasserstoff sowie zur Berechnung von dessen Lebenszyklusemissionen vorgelegt.

Bereits im Juli 2020 hatte die Europäische Union (EU) eine eigene »Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa« veröffentlicht. Im Fokus dabei: Die Minderung von Treibhausgasemissionen, die Diversifizierung der Energieversorgung, die verbesserte Integration Erneuerbarer Energien sowie Wirtschaftswachstum. Deutschland hatte seine nationale Wasserstoffstrategie bereits einen Monat vorher verabschiedet. Beide Strategien konzentrieren sich vor allem auf die Anwendung von Wasserstoff in der Industrie und im Verkehrssektor (insbesondere den Schwerlastverkehr) als zwei schwer zu dekarbonisierende Bereiche sowie langfristig auf den Einsatz von erneuerbarem Wasserstoff.

Wasserstoffimporte und -partnerschaften

Laut einer europäischen Studie des Weltenergierates von 2021 könnte der Gesamtbedarf an Wasserstoff und wasserstoffbasierten Brennstoffen (Derivaten) in der EU von aktuell rund zehn Millionen Tonnen bis 2050 auf bis zu 60 Millionen Tonnen steigen. Nicht jedes EU-Land wird seine Nachfrage nach grünem Wasserstoff durch die eigenen Erzeugungskapazitäten decken können. Die Studie schätzt, dass der Anteil der EU-eigenen Produktion am Verbrauch von Wasserstoff und Derivaten im Jahr 2050 bei etwa 50 Prozent liegen wird. Das bedeutet, dass die EU bis zur Jahrhundertmitte rund 30 Millionen Tonnen Wasserstoff und entsprechende Derivate pro Jahr importieren muss. Der Aufbau strategischer Beziehungen zu potenziellen Exporteuren ist deshalb zentral für die Erhöhung des (grünen) Wasserstoffanteils im europäischen Energiemix.

Da Deutschland bis auf Weiteres, unter anderem aufgrund begrenzter Erneuerbaren-Potenziale, nicht genügend eigene Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff haben wird, setzte die nationale Wasserstoffstrategie bereits früh auf Importe und die Etablierung von Partnerschaften. Neben einer Überarbeitung der nationalen Strategie ist für 2023 eine eigene Importstrategie der Bundesregierung in Planung. Das ist wenig verwunderlich, denn internationale Wasserstoffpartnerschaften bieten die Chance, Technologien gemeinsam zu entwickeln, Wertschöpfungsketten aufzubauen, die Investitionskosten für den Aufbau der Produktions- und Transportinfrastrukturen zu teilen sowie, nicht zuletzt, Handelsbeziehungen zu etablieren. Die Zahl bilateraler und regionaler Wasserstoffpartnerschaften wächst global deshalb seit einigen Jahren stetig.

Neue Abhängigkeiten vermeiden

Bei der Diskussion um den Aufbau von Partnerschaften schwingt auf Abnehmerseite die Befürchtung mit, sich in neue Abhängigkeiten begeben zu können. Dahinter steht im Kern die Furcht, dass die Abhängigkeit von konventionellen Energien wie Erdgas und Russland als Lieferland durch Abhängigkeiten von anderen Akteuren im Wasserstoffbereich abgelöst wird. Übersehen wird dabei oft, dass der Weltmarkt für erneuerbare Gase wie Wasserstoff sich vom traditionellen Markt für Erdgas unterscheidet. Denn in der Theorie ist jedes Land in der Lage, mithilfe erneuerbarer Energieträger auch erneuerbare Gase herzustellen. Mit erneuerbarem Strom lassen sich weltweit perspektivisch strombasierte Gase wie Wasserstoff herstellen. Während fossile Energieträger global ungleich verteilt sind, weisen erneuerbare Energiequellen eine global gleichmäßigere Verteilung der Ressourcen auf, was Möglichkeiten für eine gerechtere Energieversorgung eröffnet. Je nach Technologie und Standort ist jedoch die Ausbeute an Erneuerbarer Energie unterschiedlich hoch.

Auf Lieferantenseite wird wiederum beobachtet, ob sich hinter dem Run auf Wasserstoff nicht auch eine neue Form eines ressourcenpolitischen Extraktivismus verbirgt.

Insgesamt erscheint die Produktion von grünem Wasserstoff vor allem in Regionen sinnvoll, die über ein sehr großes Erneuerbaren-Potenzial verfügen. Gleichzeitig ist eine Diversifizierung der Partnerländer auch mit Blick auf Wasserstoffimporte angebracht. Deutschland ist bereits bilaterale Partnerschaften mit einer Vielzahl von potenziellen Produzentenländern weltweit eingegangen, darunter mit Chile, Kanada, Marokko, Namibia, Norwegen und Saudi-Arabien.

Für das Importieren von Wasserstoff in die EU und nach Deutschland sind umfangreiche Investitionen in die Produktions- und Transportinfrastruktur erforderlich – unter anderem für den Aufbau von Wasserstoffproduktionsanlagen, Wind- und Photovoltaik-Anlagen, Pipelines, Hafenterminals und den Bau von Transportschiffen. Die europäische Weltenergierat-Studie schätzt den Gesamtinvestitionsbedarf der Partnerländer für den Wasserstoffexport in die EU bis 2050 auf rund 760 Milliarden Euro.

Internationale Partnerschaften bieten sowohl für Import- als auch Exportländer handfeste Vorteile. Während sie der einen Seite Zugang zu knappen erneuerbaren Gasen ermöglichen, eröffnen sie der anderen Seite wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten durch Investitionen in den Aufbau einer nationalen Wasserstoffindustrie, neue Geschäftsmodelle, eine Diversifizierung der Energieträger und eine Dekarbonisierung der Wirtschaft. Auch die Investitionskosten und -risiken lassen sich teilen. Wichtig dabei ist jedoch jeweils: Eine Partnerschaft auf Augenhöhe.

Bei vielen potenziellen Exportländern mit einem großen Erneuerbaren- und Wasserstoffpotenzial handelt es sich um Länder des Globalen Südens, die häufig durch starke soziale Ungleichheiten, einen fossil geprägten Energiemix und politische Instabilität geprägt sind. Mit Blick auf das Schließen von Partnerschaften empfiehlt sich daher ein ganzheitlicher Ansatz, der die individuellen Gegebenheiten vor Ort mit einbezieht. Dazu gehören: Der nationale Energiemix, der Zugang der Bevölkerung zu Energie (insbesondere zu Strom und nachhaltiger Energie zum Kochen), die vorhandene Infrastruktur für die Erzeugung, den Transport sowie gegebenenfalls die Speicherung und Weiternutzung von Strom, die lokalen Wasservorkommen sowie soziale Aspekte, wie die Einbindung der lokalen Bevölkerung in Energieprojekte.

Aus klima- und sozialpolitischer Sicht erscheint es – je nach Ausgangslage des jeweiligen Produzentenlandes – sinnvoll, Erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff zunächst zur Deckung des lokalen Energiebedarfs einzusetzen, um die heimische Wirtschaft zu dekarbonisieren und den Zugang zu sauberer Energie zu verbessern, bevor diese exportiert wird. Das bedeutet jedoch auch, dass der Wasserstoff dann erst später für die Importländer zur Verfügung stehen könnte. Mit Blick auf Deutschland und die EU macht es daher Sinn, neben den Wasserstoffimporten auch auf den Aufbau einer eigenen Wasserstoffwirtschaft zu setzen sowie eigene Erzeugungskapazitäten aufzubauen und zu nutzen.

Erneuerbarer Wasserstoff hat als alternativer Energieträger das Potenzial, zu einer klimaneutralen, diversifizierten und sicheren Energieversorgung beizutragen. Die globale Produktion erneuerbaren Wasserstoffs ist mengentechnisch derzeit aber noch sehr überschaubar und aufgrund der hohen Investitionskosten vergleichsweise teuer. Es deutet sich jedoch ein beschleunigter Markthochlauf mit entsprechender Mengenskalierung an, wodurch die Produktions- und Nutzungskosten perspektivisch sinken. Allgemein sollte Wasserstoff aufgrund der Herausforderungen im Zusammenhang der Wasserstoffgenerierung und -nutzung idealerweise als Teil der Gesamtenergiestrategie eines Landes betrachtet werden. Als eine Lösung neben anderen, etwa neben der Steigerung der Energieeffizienz, der Reduktion des Energieverbrauchs und einer Erhöhung des Anteils Erneuerbarer Energien am Endenergie- sowie Stromverbrauch.

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