In den griechischen Stadtstaaten war es die Agora, der zentrale Marktplatz, der entscheidend war. Hier trafen sich die wichtigen Männer der Polis und erklärten ihre Position. In den Stadtstaaten, in denen Vorformen von Demokratien bestanden, warben sie um Mehrheiten.
Die Französische Revolution hätte es so wahrscheinlich nie gegeben, wenn es nicht einen revolutionären Medienbruch gegeben hätte. Am Vorabend der Revolution gab es unzählige Druckerzeugnisse: Zeitungen, Karikaturen, Schmähschriften. All das verbreitete sich in Windeseile und im letzten Winkel des Landes war klar: Es muss sich etwas ändern.
2008 gewann ein junger, einigermaßen unbekannter Senator aus Illinois die Vorwahlen zur US-amerikanischen Präsidentschaft. Sein Sieg war knapp. Aber dass Barak Obama sich überhaupt gegen die im Parteiestablishment bestens vernetzte Hillary Clinton durchsetzen konnte, damit hatten die wenigsten gerechnet. Seine Werkzeuge: ein beeindruckendes rhetorisches Talent. Und eine gekonnte Digitalstrategie, mit der Unterstützer mobilisiert und Schwankende gewonnen werden konnten.
»Politik ist Kommunikation. Kommunikation ist Politik.«
Es ist eine Binse: Politik ist Kommunikation. Kommunikation ist Politik. Politik als das Aushandeln unterschiedlicher Positionen ist nicht möglich, ohne dass wir miteinander reden. Unterschiedliche Interessen und Motive müssen zunächst bekannt sein, dann zueinander in Bezug gesetzt werden und gegeneinander abgewogen werden. Vielleicht gelingen Kompromisse, vielleicht muss man sich für eine Alternative entscheiden. Aber klar ist: Es geht nicht, ohne miteinander zu reden.
Richtig ist aber auch: Politik ist weit mehr als Kommunikation. Sie muss – fast immer unter Knappheitsbedingungen – die Verteilung von Ressourcen klären. Das Lamento um die Kommunikation der Ampel ist daher falsch und richtig zugleich. Es ist falsch, weil die Bilanz der Ampel bis dato alles andere als schlecht ist. Die Reallöhne sind gestiegen, auch dank des Mindestlohns. Die Energiepreise sind stabil, trotz aller Krisen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt richtig voran. Gesellschaftspolitisch hat sich einiges bewegt.
»80 Prozent sind unzufrieden mit der Ampelkoalition. «
Und das wird sogar in der Bevölkerung anerkannt: 79 Prozent bewerten die Erhöhung des Mindestlohns positiv, 75 Prozent heißen das Deutschlandticket gut, und immerhin noch 57 Prozent finden die Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien gelungen. Die Lage sei besser als die Stimmung – so die Analyse mancher Beteiligter in der Bundesregierung. Richtig ist aber auch, dass die Zustimmung zur Regierung und zu den beteiligten Parteien immer neue Tiefstwerte erreicht. 80 Prozent sind momentan unzufrieden mit der Ampelkoalition. Da kann es für die SPD nur ein schwacher Trost sein, dass sie bei Abfrage der einzelnen Regierungsparteien noch am besten abschneidet.
Der kommunikative Transmissionsriemen, mit dem sich die politischen Erfolge und Zukunftsbilder auch in Zustimmung übersetzen lassen könnten, scheint abgerissen zu sein. Es gelingt weder Anerkennung für geleistete Arbeit zu erreichen, noch Vertrauen für die Gestaltung künftiger Herausforderungen zu gewinnen.
Was schief läuft
Einer der kommunikativen Tiefpunkte aus den Reihen der Ampel war die Rede Christian Lindners vor den protestierenden Bauern im Januar 2024. Um die kommunikative Malaise der Ampel zu verstehen, lohnt es sich, die Rede nochmals in den Blick zu nehmen, auch wenn es weh tut.
Als der FDP-Vorsitzende vor die wütenden Bauern trat, konnte man Erstaunliches lernen. Der Finanzminister, der im Vorjahr mit seiner glamourösen Hochzeit auf Sylt Schlagzeilen gemacht hatte, beschrieb sich als derjenige, der im Pferdestall seiner Frau ausmistet und entsprechend wisse, wie hart die Arbeit der Landwirte sei. Aristoteles beschreibt in seinen Ausführungen zur Rhetorik übrigens die Glaubwürdigkeit des Redners (Ethos) als eines der wichtigsten Mittel, um zu überzeugen.
Neben einer Verantwortungsverschiebung (schuld an Umweltschutzauflagen für Landwirte seien »Politologen und Juristen«, nicht etwa der Klimawandel, erklärte der Politologe Lindner) und klassischer Abwertungsrhetorik (etwa den Asylsuchenden und Arbeitslosen gegenüber) war das Bemerkenswerteste, dass sich Lindner als schärfster Kritiker der Regierung und als ihr Verteidiger zugleich zeigte. Die »überzogenen Umweltstandards« seiner eigenen Regierung wurden kritisiert, die von der gleichen Regierung beabsichtigten Einsparungen beim Agrardiesel verteidigt.
Wichtig ist dabei zu erinnern, dass diese Rede an einem kalten Januartag nur zwei Wochen nach einem Mitgliederbegehren in der FDP stattfand. Mit knapper Mehrheit hatten sich die Mitglieder von Lindners Partei dafür ausgesprochen, in der Regierung zu bleiben. Vieles spricht dafür, dass Lindner bei seiner Rede nicht nur die Bauern vor Augen, sondern auch seine gespaltene Partei im Hinterkopf hatte. Er schien jedenfalls sichtlich bemüht, sowohl die Kritiker der Regierung zu adressieren, als auch als führender Minister dieser Regierung für dieselbe zu sprechen. Beides gleichzeitig allerdings ist schwierig.
Ein anderer, der auch mal Parteivorsitzender war, hat es in einer Krise seiner Partei auf den Punkt gebracht: In der Politik gehe es darum, so Sigmar Gabriel, zugleich zu sammeln und zu führen. Es geht also darum, einerseits eine Vorstellung davon zu haben, wo man hinwill. Die Leitlinien der eigenen Politik, die Idee davon, was erreicht werden soll, müssen klar sein. Führung gehört zur Politik dazu. Zugleich entsteht diese Idee nicht im luftleeren Raum, sondern im Austausch mit anderen, nicht zuletzt einer breiteren Öffentlichkeit. Gemeinsam beraten, werben, Unterstützung mobilisieren, andere überzeugen, all das gehört zum Sammeln dazu.
»Ein bisschen drinnen und ein bisschen draußen, funktioniert nicht. Ein bisschen ideenlose Anbiederung wie bei der FDP überzeugt nicht.«
Vieles spricht dafür, dass diese Rede Linderns einen anderen Effekt gehabt hätte, wenn er mit Leidenschaft eine klare Position vertreten hätte. Wenn Lindner begründet hätte, wo die FDP in Deutschland hinwill, wie ein moderner Liberalismus über die Schuldengrenze hinaus aussieht und warum es wichtig ist, dass die FDP gerade Teil dieser Regierung ist. Wenn klar würde, warum es gut ist, dass die FDP ihre Idee in einer gemeinsamen Regierung einbringt, könnte Lindner glaubwürdig Unterstützung mobilisieren. Ein bisschen drinnen und ein bisschen draußen sein, funktioniert aber nicht. Ein bisschen ideenlose Anbiederung überzeugt nicht.
Und die SPD?
Was bedeutet das für die anderen Ampelparteien, allen voran die SPD? Ihr muss der Spagat gelingen, sich als tragende Kraft dieser Regierung und gleichzeitig als eigenständige Partei mit einer fest umrissenen Zukunftsidee zu profilieren, die über die Koalition hinausreicht. Als Kanzlerpartei muss sie maßgeblich daran arbeiten, die Problemlösungsfähigkeit der Regierung – soweit es in ihrer Macht steht – zu gewährleisten und immer wieder zur Schau zu stellen. Politische Unterstützung gibt es nicht für Streit. Zugleich muss sie im öffentlichen Raum auch mit einer eigenen, originär sozialdemokratischen Problemlösungskompetenz sichtbar sein.
Die allfällige Forderung, dass der Kanzler nur öfter in einer Talkshow auftreten müsse, ist angesichts dieser komplexen Aufgabe haarsträubend unterkomplex. Es wird auf ein gut koordiniertes Agieren ankommen. Nicht nur der Kanzler, auch die Minister und zentrale Köpfe der Partei sind dabei gefordert, die SPD zugleich als Möglichmacher der Koalition und als eigenständigen Akteur zu profilieren.
»Der digitale Strukturwandel hat neue Kommunikationsarenen geschaffen, in denen andere Regeln gelten als bisher.«
Die Aufgabe ist allerdings noch viel größer. Die Orte und Logiken der politischen Kommunikation haben sich in den vergangenen Jahren radikal verändert, von der griechischen Agora bis hinein ins digitale Universum. Der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit hat neue Kommunikationsarenen geschaffen, in denen andere Regeln gelten als bisher. In der digitalen und privatwirtschaftlich verfassten Aufmerksamkeitsökonomie zählt nicht das bessere Argument oder der überzeugendere Kopf. Dieser Wettbewerb wird befeuert von wirkmächtigen Akteuren, die eine ganz andere Agenda verfolgen als die Sozialdemokratie, zu deren politischer DNA die Kompromissorientierung gehört. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke belohnen die griffigste Parole, die drastischste Zuspitzung und die gewaltigste Emotion.
Die SPD hat sich in dieser Landschaft in Stellung gebracht und einzelne Achtungserfolge errungen. Im Europawahlkampf lagen die TikTok-Interaktionen der wichtigsten SPD-Politiker:innen immerhin auf Platz drei, hinter FDP und AfD, vor den Grünen, CDU/CSU und der Linkspartei. Sie zielt aber in ihrer Kommunikation – wie die anderen demokratischen Parteien – sehr auf die rationale Abwägung von Sachargumenten. Hier gilt es, lebens- und alltagsweltliche Bezüge herzustellen und zu personalisieren, ohne dass daraus eine Entsachlichung wird. Es ist eine Gratwanderung: nah bei den Menschen, ohne sich anzubiedern; klar und verständlich in der Sprache, ohne zu vereinfachen; optimistisch und zupackend, ohne naiv zu wirken.
Und mit welchen Themen?
Wichtig ist das Verständnis dafür, dass der kommunikative Raum alles andere als eine statische Struktur ist. Themen können gesetzt, Mehrheiten verändert und Unterstützung gewonnen werden.
Wie wäre es, wenn die SPD sich in den nächsten Monaten als die Partei profilierte, die mit Gerechtigkeit mehr Bildung schaffen will? Als Partei, die im Streit um die Finanzierung des Gemeinwesens nicht nur im Camp für oder gegen Schulden in Erscheinung tritt, sondern mit einem Steuerkonzept, das viele entlastet und die sehr Reichen etwas mehr in Verantwortung bringt. Wie wäre es, wenn sich die SPD in den nächsten Monaten als die politische Kraft profilierte, die diese Mittel investiert in eine gute Bildungspolitik, die kein Kind zurücklässt. Ein Deutschlandpakt Bildung, der jedem, wirklich jedem Kind die Chancen gibt, die es verdient.
All das hat die SPD auf ihrem Parteitag im Dezember 2023 beschlossen. Es wird Zeit, das auch zu kommunizieren.
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