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Eine neue Sicht auf die Weimarer Republik?

Die erste deutsche Republik ist aktuell in den Medien wieder überall präsent. Vor allem liegt das wohl daran, dass sie vor gut 100 Jahren, am 9. November 1918 proklamiert wurde und ihre Verfassung am 14. August 1919 in Kraft trat.

Doch auch inhaltlich erlebt sie gerade wieder eine Renaissance. Nachdem die Weimarer Zeit lange vorrangig als Vorgeschichte des Nationalsozialismus begriffen wurde, wird sie heute in gleichem Maße als Vorgeschichte unserer heutigen Demokratie betrachtet – trotz aller Ambivalenzen und ihres Scheiterns. In den großen Reden des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum 9. November und in vielen publizistischen Beiträgen erscheinen Revolution und Republik mittlerweile als wichtige Phasen der deutschen Demokratiegeschichte. Sie wird als eigenständige Epoche gesehen, die einen Platz in der deutschen Erinnerungskultur haben sollte.

Zugleich aber gibt es auch eine in gewisser Weise gegenläufige Tendenz, die angesichts der populistischen Bewegungen in vielen Ländern und der vermeintlichen Krise der liberalen Demokratie eine Beschäftigung mit der Zwischenkriegszeit empfiehlt, in der zunächst zwar fast überall die parlamentarischen Demokratien siegten, in den Folgejahren die meisten von ihnen aber scheiterten und durch autoritäre oder totalitäre Systeme ersetzt wurden; das schlimmste zweifellos die Nazi-Diktatur in Deutschland.

Eine Fülle von Büchern ist anlässlich des Jubiläums publiziert worden, die die Revolution und Verfassungsgebung in einem eher positiven Licht erscheinen lassen. Die Schwierigkeiten oder Fehler werden dabei nicht verheimlicht, doch werden auch die Leistungen betont; nicht zuletzt findet das Bestreben Friedrich Eberts, die Revolution möglichst rasch in parlamentarische Bahnen zu lenken, durchaus Verständnis. Generell finden Leistungen der Weimarer Republik durchaus Anerkennung, etwa im Hinblick auf den Ausbau des Sozialstaats.

Hier soll es um zwei Publikationen gehen, die einen biografischen Ansatz verfolgen: Rosa Luxemburg. Ein Leben des Historikers Ernst Piper und Der tragische Kanzler. Hermann Müller und die SPD in der Weimarer Republik des Politikwissenschaftlers Peter Reichel. Während Rosa Luxemburg geradezu ein Mythos ist, ist Hermann Müller, zweimal Kurzzeit-Reichskanzler und SPD-Parteivorsitzender einer breiteren Öffentlichkeit fast unbekannt. Seine Thematisierung legt die Frage nahe, inwieweit auch die Rolle der Parteien und des politischen Betriebs hier neu gesehen werden.

Rosa Luxemburg

Rosa Luxemburg ist immer wieder – während des Ost-West-Gegensatzes auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs – Gegenstand wissenschaftlicher wie politischer Diskussionen gewesen, aber auch eine Gestalt linker Erinnerungskultur. Der Historiker Ernst Piper hat nun eine neue Biografie geliefert, die viele Forschungsergebnisse integriert und weiterführt. Er setzt dabei neue Akzente, indem er die jüdisch-großbürgerliche Herkunft betont, Luxemburgs schwieriges Verhältnis zu Polen (das zur Spaltung der polnischen Arbeiterbewegung beitrug) analysiert, die Bedeutung der Züricher Studienzeit behandelt, in der sie Leo Jogiches, den wichtigsten Mann in ihrem Leben, kennenlernt und ihre besondere Rolle in der deutschen Sozialdemokratie ebenso herausarbeitet wie ihre Radikalisierung durch die Russische Revolution 1905 und durch den Ersten Weltkrieg, während dem sie mehrere Jahre im Gefängnis saß. Piper stellt eingehend die Person Rosa Luxemburg dar, ihr Verhältnis zu Männern, doch auch die Theoretikerin wie die Politikerin – beides in souveräner Weise. Eine offene Frage bleibt letztlich auch für Piper Luxemburgs Verhalten 1918/19, ihr Kampf mit dem Spartakusbund und dann mit der KPD gegen die Einberufung der Nationalversammlung und die parlamentarische Demokratie, obgleich die Arbeiter- und Soldatenräte mit großer Mehrheit diese beschlossen hatten, die ungeheure Schärfe ihrer Agitation gegen Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, doch dann auch gegenüber der USPD (so wurde Hugo Haase von Luxemburg als »Kuppler der Gegenrevolution« attackiert). Gefangen in ihrem Revolutionsglauben, der sie eben doch mit Lenin verband, wenn sie auch anders als dieser an die Spontaneität der Massen glaubte und einen anderen Parteibegriff vertrat, landete sie 1918/19 in einer politischen Sackgasse, die gerade nicht zur Demokratie führte. Gern zitieren wir ihr »Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden«, doch stand diese Formel sicherlich nicht stellvertretend für ihr politisches Ziel. Sie lehnte zwar den Terror als Mittel der Politik ab, hatte aber keine Einwände gegen die Anwendung von Gewalt im revolutionären Prozess, im Gegenteil: Sie hielt sie für unbedingt erforderlich. Sie wurde – überspitzt formuliert – Opfer ihres eigenen Revolutionsbegriffs. Dies ändert nichts daran, dass ihr Tod und der Karl Liebknechts nur als Morde bezeichnet werden können, für den Freikorpsleute verantwortlich waren. Trotz unverkennbarer Sympathie für die Protagonistin ist Ernst Pipers Buch ein wesentlicher Beitrag zur Historisierung von Rosa Luxemburg.

Hermann Müller

Zu Recht widmet Peter Reichel dem bedeutenden Sozialdemokraten Hermann Müller eine Monografie. Müller war neben dem schon 1925 während seiner Amtszeit als Reichspräsident verstorbenen Friedrich Ebert wohl die wichtigste Führungsfigur der SPD in der Zeit der Weimarer Republik – auch er starb schon früh, 1931, bald nach dem Ende seiner Amtszeit als Kanzler der Großen Koalition im Alter von knapp 54 Jahren. Reichel skizziert zwar die Herkunft und den Aufstieg Müllers, auch seine Rolle in der Internationale und sein gutes Verhältnis zu den französischen Sozialisten vor dem Ersten Weltkrieg, ist aber vor allem an Müller in der Epoche der Weimarer Republik interessiert. Er beleuchtet dessen Rolle bei der Behandlung der wichtigsten Zeitfragen, auch sein Verhältnis zu den anderen Parteien, zu aktuellen oder denkbaren Koalitionsbildungen, vor allem aber zu den verschiedenen Handlungsebenen, Strömungen und Akteuren der Sozialdemokratie und ihrer Umfelder. Reichel stellt dar, was Weimar eben auch war: ein mühsames Ringen um gemeinsames Regierungshandeln in Parteien, die ihr Eigeninteresse nicht selten höher gewichteten als das Gemeinwohl und sich angesichts ihrer ideologischen Positionen überaus schwer taten, Kompromisse zu finden.

Besonders beschäftigt sich Reichels Studie mit der Willensbildung innerhalb der Sozialdemokratie: zwischen rechtem und linkem Flügel, bei der Überwindung der Parteispaltung nach dem Wiederanschluss der USPD, zwischen Regierungsmitgliedern und Fraktion, zwischen diesen und der Partei, zwischen Reichspräsident Ebert und der übrigen SPD, zwischen den Sozialdemokraten auf Reichsebene und in Preußen usw. Näher thematisiert wird insbesondere die Frage der Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie und der Koalitionsbildungen. Es bestätigt sich dabei Klaus Schönhovens Diktum, dass die SPD, auch wenn sie Regierungspartei war, gleichzeitig Oppositionspartei blieb. Und in der Opposition wurde die SPD zum Regieren benötigt. Ohne die Tolerierung durch sie funktionierten die Bürgerblockkabinette des Zentrumspolitikers Wilhelm Marx und des parteilosen Hans Luther nicht, zumindest bei den außenpolitischen Fragen wurde die SPD benötigt.

Reichel vermisst bei der SPD eine klare Strategie. Sozialdemokratische Politik bestand auf der Ebene des Reiches im Taktieren, auch Hermann Müller beteiligte sich teilweise daran, obgleich er viele Fragen klarer sah als andere. Doch wurde er eben als Reichskanzler der Großen Koalition auch ein Opfer der verschiedenen Strömungen in Fraktion und Partei. Insbesondere das Zerbrechen der Großen Koalition an zuletzt geringfügigen Unterschieden in der Frage der Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung hält Reichel für den historischen Moment gänzlich unangemessen. Rückblickend wirft der Wissenschaftler den Sozialdemokraten Kompromissunfähigkeit vor, die zur Diskreditierung des parlamentarischen Systems beigetragen habe.

Teilweise isoliert Reichel die Sozialdemokratie zu stark und kommt deshalb zu etwas einseitigen Urteilen. Ohne die SPD wäre die Republik nicht entstanden. Und Bedingung für eine Koalition war für die SPD stets die Verfassungstreue der Partner. Die Fragen des Sozialstaats und seiner Finanzierung, bei denen die in der Großen Koalition benötigte DVP scharfe Gegenpositionen vertrat, waren für die SPD – zumal angesichts der permanenten Kritik von Links, die auch eine stärkere Annäherung an ein Volksparteikonzept blockierte – von erheblicher Bedeutung. Und doch trug das Ende der Großen Koalition historisch zur Erleichterung der Etablierung von Präsidialkabinetten bei, die – unabhängig vom Verhalten der SPD – von wichtigen Kräften in der Umgebung des Reichspräsidenten angestrebt wurden.

Zu Recht arbeitet Reichel die Leistungen von Müller als Außenpolitiker heraus. In seiner Zeit als Außenminister setzte er sich nachdrücklich für eine Verständigungspolitik mit den Nachbarn ein, konzeptionell bereitete er die stresemannsche Politik vor, die er in verschiedenen Funktionen, vor allem auch als Kanzler, mitgetragen hat.

Das Buch von Reichel ist sicherlich mit dem Blick auf die Gegenwart geschrieben. In der Tat enthalten Publikationen über die Weimarer Zeit ein gewisses Anregungspotenzial für die heutige Zeit, obgleich jede historische Konstellation eine besondere ist. »Bonn ist nicht Weimar« stellte schon in den 50er Jahren Fritz René Allemann fest und auch die Berliner Republik ist keine Wiederkehr der Weimarer Republik. Dennoch lohnt es sich zu fragen, inwieweit es im Vielparteiensystem, das ohne Kompromisse nicht funktionieren kann, inzwischen Taktierereien der Parteien gibt, die die Wählerinnen und Wähler nur bedingt nachvollziehen können.

Ernst Piper: Rosa Luxemburg. Ein Leben. Karl Blessing, München 2018, 832 S., 32 €. – Peter Reichel: Der tragische Kanzler. Hermann Müller und die SPD in der Weimarer Republik. dtv Verlagsgesellschaft, München 2018, 464 S., 29 €.

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