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Das Verhältnis der EU zu Afrika und die Herausforderungen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft Eine strategische Partnerschaft ist gefragt

Die europäisch-afrikanischen Beziehungen befinden sich vor gravierenden Herausforderungen. Die Bundesregierung kann die Ratspräsidentschaft 2020 nutzen, um die bisherige paternalistische Kooperation in eine strategische Partnerschaft zu verwandeln. Dafür müssen jedoch grundlegende Weichen gestellt werden.

Bereits in den Römischen Verträgen von 1958 wurden die Grundlagen für die postkolonialen Beziehungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Afrika festgelegt. Die späteren Abkommen von Yaoundé, Lomé und schließlich Cotonou zwischen der EU und der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen (AKP) Staaten begründeten die Bildung gemeinsam besetzter Institutionen und die Einrichtung von Brüsseler Büros für die afrikanischen Staaten und bereiteten den Boden für die Herausbildung einer großen Lobbyszene von Verbänden, Thinktanks, Beratern und Nichtregierungsorganisationen. Doch im Grunde dümpelt das Kooperationsprojekt seit einigen Jahren vor sich hin. Dies hat vor allem damit zu tun, dass die Handelsvereinbarungen noch nicht verlässlich geregelt sind und die bisher eingesetzten, alten Instrumente zur afrikanischen Krise beigetragen haben. So wurden über Jahrzehnte Ausgleichsmechanismen beim Preisverfall landwirtschaftlicher und mineralischer Rohstoffe (STABEX, SYSMIN) vereinbart, wodurch sich die meisten afrikanischen Länder in eine Rohstofffalle manövrierten. Industrialisierung blieb weitgehend aus. Eine gemeinsame Industrieagenda fehlt bis heute. Vernachlässigt wurde auch der Infrastrukturausbau. Hier gab es in den letzten Jahrzehnten viele Versäumnisse auf Seiten der afrikanischen Regierungen, aber auch die EU und die Weltbank haben im Rahmen ihrer Entwicklungskooperation zu wenig in die Infrastruktur investiert. Die chinesischen Aktivitäten beim Ausbau von Häfen, Straßen und anderer Infrastruktur verdeutlichen dies eindringlich. Die Handelsbeziehungen sind zwar eng verknüpft, aber weiterhin extrem asymmetrisch: Knapp 30 % aller afrikanischen Exporte gehen in die EU, während Afrika für die EU als Absatzmarkt fast ohne Bedeutung ist. Der Anteil an den Importen aus Europa stagniert je nach afrikanischer Region bei rund 0,5 %. Zudem ist die Struktur der Aus- und Einfuhren ungleich: Afrika exportiert meist unverarbeitete Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte, während die EU nach Afrika vor allem Kapital- und Konsumgüter ausführt.

Erst mit dem Cotonou-Abkommen aus dem Jahr 2000 begann allmählich ein Wandel in den EU-Afrika-Beziehungen, der vier Hauptgründe hatte: So wurde China aufgrund seines strategischen Agierens zu einem Hauptwettbewerber für die EU im Handel und bei den Investitionen. China ist mittlerweile für ca. ein Viertel der nach Afrika fließenden Neuinvestitionen verantwortlich (Deutschland nicht einmal für 2 %). Der zweite Grund bestand darin, dass viele afrikanische Länder seit ca. 15 Jahren ein relativ hohes Wirtschaftswachstum verzeichnen. Drittens nahmen Migrationen aufgrund von Krisen und Konflikten zu. Viertens zeigen zahlreiche neue afrikanische Initiativen, wie der Plan 2063 der Afrikanischen Union oder die im Jahr 2019 beschlossene African Continental Free Trade Area (AfCFTA), dass die afrikanischen Staaten zunehmend strategisch agieren.

Angesichts der großen Herausforderungen auf dem afrikanischen Kontinent stellt sich die Frage, wie eine zukünftige Partnerschaft ausgestaltet werden sollte, und wie diese zu Wachstum und Strukturwandel, industrieller und landwirtschaftlicher Entwicklung, wirtschaftlicher Diversifizierung, Schaffung von Arbeitsplätzen und Reduktion von Armut beitragen kann. Die Bundesregierung hat mit neuen Plänen gewichtige Vorstöße unternommen, die zeigen, wie stark der Wunsch nach einer »neuen« Partnerschaft mit Afrika ist. So wurden seit 2017 der Marshallplan mit Afrika (MPA) und der Entwicklungsinvestitionsfonds beschlossen und der von der Bundesregierung initiierte Compact with Africa (CWA) der G20-Länder aufgelegt.

Die Vorschläge des MPA verbinden öffentliche und private Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Konzepten. Ziel ist eine nachhaltige Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent im Sinne der von der UN verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals). Grundlegend beansprucht der Marshallplan, zentrifugale Entwicklungen und die weitere Marginalisierung des afrikanischen Kontinents einzudämmen. Die Strategie setzt auf Inklusion. Allerdings wird der Plan nicht durch eine Politik des fairen Handels unterstützt. Die Maßnahmen des Entwicklungsinvestitionsfonds wollen deutsche Investitionen und die Kooperation deutscher mit afrikanischen Unternehmen fördern.

Der CWA der G20 hat eine entgegengesetzte Agenda und ist im Kern eine Strategie des big push (also der Verbindung von kräftigen Investitionsimpulsen bei gleichzeitigem massiven Kapitaleinsatz in allen Wirtschaftssektoren), der Strukturanpassung und Stabilisierung. Der CWA wird inzwischen vom Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der International Finance Corporation gesteuert. Der CWA will durch Großinvestitionen in die Infrastruktur und Verbesserung des wirtschaftlichen Umfeldes für Unternehmen höhere Auslandsdirektinvestitionen hervorrufen und so schließlich Wirtschaftswachstum befördern. Die Auswertung der Daten aus dem CWA-Monitoring-Bericht zeigt, dass im Rahmen der CWA-Aktivitäten nur sehr wenige Jobs geschaffen werden, weil alle Auslandsdirektinvestitionen kapitalintensiv sind und die meisten Großinvestitionen fast keine Verknüpfungen zur lokalen Industrie aufweisen. Es besteht die Gefahr, dass der CWA durch seine Fokussierung auf Großprojekte sogar ein jobless growth befördert, von denen eher ausländisches Kapital als afrikanisches Unternehmertum und Farmen profitieren.

Europäische Afrikapolitik im Modus der Neujustierung

Gegenwärtig verhandelt die EU mit den AKP-Staaten über ein Nachfolgeabkommen des Cotonou-Abkommens. Zudem wird weiterhin beraten, wie sich die Handelskooperation ausgestaltet. Das Cotonou-Abkommen war das letzte Abkommen, das noch vom Geist kolonialer Verpflichtungen der EU oder ihrer Mitgliedstaaten geprägt war. Dagegen wird das Folgeabkommen stärker von wirtschaftlichen Interessen bestimmt sein. Die AKP-Staaten betonen in ihrem Mandat vor allem Industrieentwicklung, Beschäftigung und Investitionen für höhere lokale Wertschöpfung. Im Handelsbereich steht die Frage im Vordergrund, welche Instrumente dazu taugen, den Nutzen der bestehenden Handelsregeln für die afrikanischen Staaten zu mehren.

Europa benötigt den Mut zu einer substanziell neuen Afrikapolitik. Im September 2018 hatte der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, die Bereitschaft der EU erklärt, mit Gesamtafrika in Handelsverhandlungen einzutreten, wenn die AfCFTA wirksam wird. Während die Generaldirektion für Entwicklung (DEVCO) Ideen für eine »Partnerschaft für Afrika« formulierte, sprach sich der Auswärtige Dienst der EU sogar für eine strategische Beziehung aus. Tatsächlich spricht einiges für eine grundlegende Neukonzeption. Bausteine für eine solche neue »strategische Partnerschaft« leiten sich aus den EU-Interessen (geringere Migrationsbewegungen, Marktstellung auf dem Kontinent, geostrategische Interessen) und den afrikanischen Herausforderungen ab. Um eine Neuorientierung zu ermöglichen, ist es nicht nur erforderlich, das Cotonou-Abkommen zu evaluieren, sondern auch Schlüsse aus den Erfahrungen mit externer Intervention (Weltbank, IWF-Konditionalitäten, Chinas Allianzen) zu ziehen:

Eine europäische Afrikapolitik sollte überprüfen, inwieweit die Kooperation mit der mächtigen und erfahrenen Weltbankgruppe neu zu justieren ist, da der CWA Großinvestitionen in den Mittelpunkt seiner Agenda stellt und damit afrikanische Strategien des Beschäftigungswachstums eher konterkariert als unterstützt. Ein stärkeres europäisches Engagement in der Weltbankgruppe wäre erforderlich, um schädliche Wirkungen auszuschließen. Diese Option ist angesichts der Machtfülle der Weltbankgruppe eher schwierig, aber nicht aussichtslos. Die zweite Möglichkeit wäre, mit anderen bereitwilligen Partnern aus Europa eine eigene Agenda zu verfolgen. Diese wäre auf jeden Fall zielführender, um inklusives Wachstum besonders zu begünstigen und die Kooperation europäischer Unternehmen mit afrikanischen Unternehmen durch Anreizsysteme zu vertiefen, beispielsweise durch die Ermöglichung von Verknüpfungen in Wertschöpfungsketten und Unterstützung von Industrieclustern. Als sinnvoll kann sich zudem die fokussierte Unterstützung mittelgroßer Unternehmen als eine Brücke zwischen europäischen und afrikanischen Unternehmen erweisen (u. a. durch Berufsbildungsmaßnahmen).

Notwendig wäre es zudem eine öffentliche Beratung für eine neue europäische Handels- und Landwirtschaftspolitik anzustoßen, die die wichtigsten afrikanischen und europäischen Akteure einbezieht. Diese Aufgabe stellt sich umso dringender, als die Verhandlungen zum Post-Coto­nou-Abkommen spätestens 2020 abgeschlossen sein sollen. Die europäische Agrarwirtschaft ist durch ihre extrem hohe Produktivität und Milliarden an Fördermitteln der afrikanischen Landwirtschaft in jeder Hinsicht überlegen, so dass afrikanische Bauern und Fischer von fairen Handelsbedingungen weit entfernt sind. Vor allem behindern nicht-tarifäre Handelshemmnisse und hohe Handels- und Transportkosten ihre Agrarexporte. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der mangelnden Unterstützung des ländlichen Raums durch die afrikanischen Regierungen. Daher ist es erforderlich, dass Handels- und Landwirtschaftsfragen in den kommenden EU-Afrika-Verhandlungen zusammen beraten werden, um die afrikanische Landwirtschaft nicht weiter zu benachteiligen.

Notwendig ist ferner eine proaktive Politik zur wirtschaftlichen und sozialen Transformation. Produktivere Arbeitsplätze für die schnell wachsende Bevölkerung in Afrika zu kreieren, ist von zentraler Bedeutung. Investitionen in städtischen Agglomerationen können ein wichtiger Treiber des Strukturwandels sein. In städtischen Zentren und in Sektoren, die in globale und regionale Wertschöpfungsketten integriert sind (Automobilproduktion, Lebensmittelproduktion, Informations- und Kommunikationstechnologiesektor, Gartenbau, Textilien, etc.) lassen sich Technologietransfers und Ausbreitungseffekte erzeugen. Viele afrikanische Länder treiben den Strukturwandel mit Industriekonzepten voran. Politiken, die die Komplementarität zwischen Infrastrukturentwicklung, Auslands- und Inlandsinvestitionen vertiefen, sollten gefördert werden, um inklusives Wachstum zu gewährleisten.

Des Weiteren sollten Landwirtschaft und Klein- und Mittelunternehmen (KMU) im Mittelpunkt einer strategischen Kooperation stehen, denn hier werden Millionen Jobs der Zukunft zu schaffen sein. Gerade die Modernisierung der Landwirtschaft kann beschäftigungsintensives Wachstum induzieren. Der Abbau von Markteintrittsbarrieren für KMU kann das Wirtschaftswachstum stimulieren und damit Beschäftigung und Einkommen erhöhen.

Immer noch herrscht Beharrungsvermögen, Paternalismus und ein Hang zum Samaritertum im europäischen Afrikaengagement vor. Es ist angeraten, sich angesichts der Herausforderungen neu aufzustellen. Europas Afrikaaktivitäten bedürfen dringend eines europäischen Mentalitätswandels. Es gilt zum einen die europäischen Interessen eindeutiger zu definieren. Zum anderen benötigt die europäische Afrikapolitik vor allem einen Paradigmenwechsel, der anerkennt, dass Entwicklung nur von innen kommen kann. Das heißt, die afrikanischen Länder entscheiden über ihren Weg. Je schneller die europäischen Akteure dies verstehen, umso besser ist es für eine zukünftige Kooperation mit einem selbstbewussten Afrika. Die Bundesregierung sollte die EU-Präsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 nutzen, um die Weichen für eine strategische Kooperation gemeinsam mit den afrikanischen und den EU-Staaten zu stellen.

(Im November erscheint die von Robert Kappel und Helmut Reisen für die Friedrich-Ebert-Stiftung verfasste Studie »G20 Compact with Africa: The Audacity of Hope«.)

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