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Frauenwahlrecht damals und heute Eine (un)endliche Geschichte?

Seit hundert Jahren können Frauen wählen und gewählt werden – die Einführung des Frauenwahlrechts war ein Meilenstein in der Geschichte der Demokratie Deutschlands und Grundlage für die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Wie konnte dieser Durchbruch damals gelingen? Und was bedeutet dieses Jubiläum für die Frauenbewegung und die Gleichberechtigung heute?

»Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen kann.« Mit diesen Worten eröffnete die Sozialdemokratin Marie Juchacz am 19. Februar 1919 ihre Rede in der Weimarer Nationalversammlung und stellte im weiteren Verlauf fest: »Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.«

Der Weg dorthin war lang. Das Frauenstimmrecht wurde von Akteurinnen verschiedener Flügel der Frauenbewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts erkämpft. Im Jahr 1902 wurde dann der erste Frauenstimmrechtsverein im deutschen Kaiserreich gegründet. Nach der Verabschiedung eines reichseinheitlichen, öffentlichen Vereinsrechtes im Jahr 1908, in dem es auch Frauen zugestanden wurde, Vereine zu gründen, wurde die Frage des Frauenwahlrechts erneut virulent.

Zwar war sich die bürgerliche Frauenbewegung – bekannte Vertreterinnen waren u. a. Anita Augspurg und Helene Lange – darüber einig, dass das Stimmrecht anzustreben sei. Jedoch herrschte Uneinigkeit darüber, wie es durchzusetzen und auszugestalten sei. Sollte es erkämpft werden? Und wenn ja, mit oder ohne Männer? Oder sollten es sich die Frauen durch konstruktive Mitarbeit auf kommunaler Ebene »verdienen«? Über diesen Fragen zerbrach die bürgerliche Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg in drei unterschiedliche bürgerliche Frauenstimmrechtsvereine.

Die sozialistischen Frauen um Clara Zetkin argumentierten, dass in einer klassenlosen Gesellschaft die Geschlechter ohnehin völlig gleichberechtigt wären und forderten geschlossen das allgemeine Frauenwahlrecht. Im März 1911 führten die Sozialistinnen den Internationalen Frauentag als Kampftag für das Frauenstimmrecht ein und nutzten diesen für ihre Stimmrechtspropaganda.

Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs schlossen sich auch die bürgerlichen Frauenstimmrechtsvereine im Jahr 1917 wieder zum »Deutschen Verband für Frauenstimmrecht« zusammen. Es folgten erstmalig gemeinsame Aktionen von bürgerlichen und sozialistischen Aktivistinnen – insbesondere, weil deutlich geworden war, dass der deutsche Kaiser zwar eine Wahlrechtsreform anstrebte, die Frauenforderungen aber ignorierte. Ziel war es, dass das Frauenwahlrecht selbstverständlich bei einer Neuerung mitgedacht würde. Die Wegbereiterinnen des Stimmrechts luden zu Versammlungen ein, schrieben Petitionen an den Reichstag und veröffentlichten Flugblätter. Noch im Mai 1918 lehnte das Preußische Abgeordnetenhaus das gleiche Wahlrecht für alle preußischen Bürger – auch das der Frauen – ab. Nachdem sich im Sommer 1918 der militärische Zusammenbruch abgezeichnet hatte, rief Philipp Scheidemann am 9. November die Weimarer Republik aus.

Drei Tage später, am 12. November, wurde dann endlich die rechtliche Grundlage für das Frauenwahlrecht geschaffen. Im Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk heißt es: »Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.« Am 30. November 1918 trat das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft. Und am 19. Januar 1919 fand die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung statt – erstmalig unter Beteiligung von Frauen als Wählerinnen und Gewählte. Über 80 % der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab. Es kandidierten 300 Frauen. Von den insgesamt 423 Abgeordneten zogen 37 Frauen in die Nationalversammlung ein – ein Anteil von 8,7 %.

Frauenanteile in der Politik heute

Der Frauenanteil von 8,7 % wurde erst bei der Wahl des Deutschen Bundestages im Jahre 1987 deutlich überschritten. Und wo stehen wir heute, 100 Jahre später, bezüglich der Umsetzung des passiven Frauenwahlrechts und bezüglich der Frauenanteile unter den Gewählten?

In keinem Parlament Deutschlands sind Frauen seit 1919 gleichberechtigt vertreten gewesen. Die kommunale Ebene, wo im Übrigen viele politische Karrieren ihren Anfang nehmen, ist mit durchschnittlich etwa einem Viertel Mandatsträgerinnen in den kommunalen Vertretungen sowie mit rund einem Zehntel (Ober-)Bürgermeisterinnen und Landrätinnen am rückständigsten. In den Landtagen ist durchschnittlich etwa ein Drittel der Mandate in Frauenhand, allerdings mit großen regionalen Unterschieden: Im frauenreichsten Landesparlament von Thüringen sind es 41 %, im frauenärmsten von Baden-Württemberg etwa 25 %. Aktuell gibt es zwei Ministerpräsidentinnen; insgesamt hatte Deutschland bislang sechs.

Den höchsten Frauenanteil hatte der Deutsche Bundestag mit 37 % in der letzten Legislaturperiode. Im aktuellen 19. Bundestag fiel der durchschnittliche Anteil auf 30,7 %, wenngleich mit erheblichen Unterschieden zwischen den Fraktionen (zwischen 11 % bei der AfD und 58 % bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Dieser Rückschritt setzt den Trend sinkender Frauenanteile fort, der bereits bei den letzten Landtagswahlen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, im Saarland und in Sachsen-Anhalt zu beobachten war.

Wie in der Frauen- und Gleichstellungspolitik insgesamt, so auch spezifisch bezüglich der Frauenrepräsentanz in der Politik, lässt sich also festhalten, dass Fortschritte keineswegs selbstverständlich, eine Stagnation und sogar Rückschritte aber nicht auszuschließen sind. Gleichberechtigung in der Politik erledigt sich also nicht von allein und Abwarten ist keine geeignete Option hinsichtlich einer Parität in der Politik.

Es ist kein Entweder-oder, es ist ein Sowohl-als-auch – so lautet das Fazit nach 20 Jahren parteiübergreifender Forschung und Beratung zur Frage, wie sich die Frauenanteile in Politik und Parlamenten steigern lassen. Es bedarf vieler verschiedener Maßnahmen, damit Frauen und Männer in ihrer Vielfalt endlich paritätisch und damit entsprechend ihres Bevölkerungsanteils in politischen Funktionen, Mandaten und Ämtern repräsentiert sind.

Maßnahmen der Befähigung von Frauen (z. B. Mentoring-Programme) sind zwar notwendig, aber nicht ausreichend. Sie können durch gezielte Information, Bestärkung und Vernetzung nur den Pool an Frauen vergrößern, die für politische Funktionen, Mandate und Ämter zur Verfügung stehen.

Wir machen es uns jedoch zu einfach, wenn wir sagen: Frauen sind unterrepräsentiert, weil sie sich nicht politisch engagieren wollen, z. B. aufgrund der Unvereinbarkeit von politischem Ehrenamt bzw. Hauptamt mit Fürsorge, oder weil sie sich politisches Engagement nicht zutrauen, z. B. weil das politische Selbstbild fehlt. Dafür gibt es zu viele Geschichten über Erfahrungen von politisch ambitionierten wie fähigen Frauen, die aber ausgebremst wurden.

Auch die Erkenntnisse aktueller politikwissenschaftlicher Genderforschung verdichten sich dahingehend, dass nicht der politische Einstieg, sondern der politische Aufstieg von Frauen der Knackpunkt ist. Und dass dieser maßgeblich von den Binnenstrukturen und -kulturen der Parteien bzw. Wählergemeinschaften abhängt – und eben auch daran scheitert. Es ist die hier übliche politische Kultur, die maßgeblich steuert, ob Frauen es überhaupt schaffen, für Wahllisten bzw. für Direktmandate nominiert zu werden, also die innerparteiliche Personalauswahl erfolgreich zu durchlaufen. Der wichtige und dringende Handlungsbedarf, der bisherige Empowerment-Maßnahmen für Frauen in Zukunft ergänzen sollte, heißt daher »Kulturwandel«, damit nicht nur Frauen, sondern auch andere unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen endlich in die Politik einsteigen und in politische Funktionen, Mandate und Ämter aufsteigen.

Was kann diesen Kulturwandel im politischen Raum nun beschleunigen bzw. überhaupt in Gang setzen? Parteien und Parlamente erwecken nicht wirklich den Eindruck, als würden sie freiwillig die notwendigen Modernisierungsprozesse durchlaufen, für die viele gute Gründe auf der Hand liegen: Zum einen lebt das Prinzip der repräsentativen Demokratie davon, dass alle Bevölkerungsgruppen da angemessen vertreten sind, wo über sie entschieden wird: also in der Politik und den Parlamenten. Zum anderen wissen wir aus der Forschung, dass sehr homogene Gremien bzw. Gruppen, die sich also aus sehr ähnlichen Menschen zusammensetzen, nicht die besten Entscheidungen treffen. Weil bestimmte Lebensrealitäten einfach gar nicht berücksichtigt werden und man sich möglicherweise zu schnell einig ist. Werden also die bislang zahlenmäßig männerdominierten Parlamente zukünftig paritätisch besetzt, so werden sich sicherlich die politischen Entscheidungen verbessern. Frauen sind zwar nicht »bessere Politikerinnen«, aber geschlechtergemischte Teams versprechen bessere Ergebnisse.

Mit einer stärkeren »Frauenpower« können auch politische Themen, die eher die Lebensrealitäten von Frauen betreffen, einfacher auf die politische Agenda gesetzt werden. Frauen- und gleichstellungspolitische Fortschritte werden durchsetzbarer, weil fraktionsübergreifende Politikerinnenbündnisse möglich sind.

Parität als Ziel – Paritätsgesetz als Weg

Das Anliegen der paritätischen Besetzung von Entscheidungs- und Führungspositionen allein dem Goodwill der zuständigen Akteur/innen zu überlassen, funktioniert nicht – so die zentrale Erkenntnis, die zur staatlichen Regulierung von Wissenschaft und Verwaltung durch Gleichstellungsgesetze und 2015 zu gesetzlichen Vorgaben für die Besetzung von Aufsichtsräten der Privatwirtschaft führte.

Warum also nicht auch die Parteien mit einem Paritätsgesetz zu einer geschlechtergerechten Aufstellung ihrer Wahllisten bzw. Direktkandidaturen verpflichten? Warum nicht bei der angedachten Reform des Wahlrechts für den Deutschen Bundestag auch Regelungen einführen, die dem im Artikel 3 des Grundgesetzes formulierten Auftrag des Staates Rechnung tragen, die »tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern« zu fördern und »auf die Beseitigung bestehender Nachteile« hinzuwirken? Denn so viel steht fest: Ohne Paritätsgesetz keine Parität in der Politik und somit auch keine repräsentative Demokratie.

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