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Streit um das Parité-Gesetz in Brandenburg Eine vielbeachtete Geburt

Im § 16 der Hausordnung des Brandenburger Landtags ist genau geregelt, wem es gestattet ist, »Beifall, Missfallen oder sonstige politische Meinungen zu bekunden«: ausschließlich den Redeberechtigten, nicht jedoch den Zuschauenden auf der Tribüne. Am 31. Januar 2019 aber, kurz nach 14 Uhr, konnte so manche/r den Jubel über diese langersehnte und bis zum letzten Moment ungewisse Geburt nicht zurückhalten – und wurde selbst vom strengen Ordnungspersonal nicht zurückgehalten: Das Parité-Gesetz war in trockenen Tüchern!

Die Spielregeln des Landtags wurden in diesem Fall nur für einen kurzen Moment gebrochen, die bisher geltenden Spielregeln bei der Aufstellung der Wahllisten für Landtagswahlen in Brandenburg hoffentlich für immer. Denn es sind diese Spielregeln der innerparteilichen Auswahl von Kandidat/innen, die durch Parité-Gesetze wie das brandenburgische zugunsten gleicher innerparteilicher Nominierungschancen von Kandidatinnen geändert werden sollen. Das Für und Wider eines solchen Gesetzes wird seit der Brandenburger Entscheidung einmal mehr heftig diskutiert.

Parität in Parlamenten mit bisherigen Maßnahmen nicht erreichbar

Die politikwissenschaftliche Genderforschung untersucht seit Ende der 80er Jahre die Unterrepräsentanz von Frauen in Politik und Parlamenten. Die Bilanz: Freiwillige Selbstverpflichtungen haben auch in der Politik versagt. Um Parität in der Politik zu erreichen, müssen neue Wege eingeschlagen werden, beispielsweise gesetzliche Vorgaben für die Aufstellung von Kandidaturen seitens der Parteien. Das Parité-Gesetz reagiert auf bundesweite Missstände, die im Folgenden jeweils mit Zahlen aus Brandenburg illustriert werden:

Es gibt keinen systematischen Aufwärtstrend bei der Frauenrepräsentanz in Parlamenten: Nicht nur aktuell sind Parlamentarierinnen mit einem Anteil von 38,6 % im brandenburgischen Landtag unterrepräsentiert, seit 1990 schwankt dieser Wert zwischen 20,5 und 44,3 %. Das deckt sich mit dem bundesweiten Befund, dass nach einem Aufwärtstrend in den 80er Jahren die Frauenanteile seit Anfang der 90er Jahre im Durchschnitt stagnieren, unsystematisch mal nach oben gehen, dann wieder fallen und bei den letzten Landtags- wie Bundestagswahlen durchweg wieder gesunken sind. Warum hält die Unterrepräsentanz von Frauen an? Warum bilden sich die zum Teil positiven Angleichungen der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern nicht in einer gestiegenen Frauenrepräsentanz in den Parlamenten ab?

Die innerparteiliche Nominierung ist das entscheidende »Nadelöhr« für Frauen: Die Weichen für die anhaltende Unterrepräsentanz von Parlamentarierinnen im Landtag von Brandenburg werden bereits mit dem geringeren Anteil an nominierten Kandidatinnen gestellt. Die Spannbreite liegt hier im Durchschnitt aller Wahlen über alle Parteien zwischen 25,5 und 29,9 %, bei der letzten Landtagswahl lag der Kandidatinnenanteil bei 27,9 %. An diesem Nadelöhr der innerparteilichen Nominierung setzen die Regelungen aller angedachten Parité-Gesetze an, denn es lässt sich zunehmend empirisch nachweisen: Egal wie viele Frauen zur Verfügung stehen und ihren Hut in den »Nominierungsring« werfen – Bewerberinnen haben vergleichsweise schlechtere Chancen als Bewerber, nominiert zu werden.

Bei Wahlkreisdirektkandidaturen ist das Nadelöhr der Nominierung nochmal enger als bei den Wahllisten: Bewerberinnen um Kandidaturen haben schlechtere Chancen, auf (aussichtsreiche) Wahllistenplätze zu kommen und vergleichsweise noch schlechtere Chancen, als Wahlkreisdirektkandidatin nominiert zu werden. Die Unterrepräsentanz von Frauen auf den Wahllisten fällt zwischen den Parteien unterschiedlich aus, hier wirken innerparteiliche Frauen- bzw. Geschlechterquoten. Sie beziehen sich jedoch lediglich auf die Wahllisten. Für die Aufstellung von Wahlkreisdirektkandidat/innen haben alle Parteien, auch die mit verbindlichen Frauen- bzw. Geschlechterquoten (Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD) dieselbe Ausgangslage fehlender parteiinterner Regularien. Die bestehenden innerparteilichen Frauen- und Geschlechterquoten sind also in keiner Partei ausreichend. Gerade gesetzliche Vorgaben für die paritätische Aufstellung von Wahlkreisdirektkandidaturen versprechen deshalb einen im Vergleich zu den Wahllisten noch höheren Wirkungsgrad für das politische Ziel der Geschlechterparität. Auf diesem Auge ist das Parité-Gesetz Brandenburgs jedoch blind, da es bislang lediglich die paritätische Besetzung der Wahllisten vorschreibt.

»Nicht die Frauen müssen sich ändern, sondern die Spielregeln«, so ließe sich mit den Worten von Iris Bohnet, einer Harvard-Professorin für Verhaltensökonomie, die politische Debatte zusammenfassen. Damit sich die Spielregeln der innerparteilichen Aufstellung von Kandidat/innen ändern, braucht es kurzfristig gesetzliche Vorgaben, die mittel- und langfristig hoffentlich eine paritätische politische Kultur anstoßen, die auch ohne Parité-Gesetz auskommt.

Aus politischer Sicht verkörpert ein Parité-Gesetz genau die Nachbesserung des vor 100 Jahren eingeführten Wahlrechts für Frauen, die es für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung in der Politik braucht. Damals ging es um den grundsätzlichen Zugang zu Parlamenten für Frauen; heute geht es um ihre gleichberechtigte Repräsentanz. Dafür stellen rechtliche Vorgaben wie die des verabschiedeten Parité-Gesetzes genau die richtigen Weichen.

Verfassungsrechtliche Unzulässigkeit ungeklärt und ungeprüft

Strotzen auch Medien, Gutachten und Stellungnahmen nur so vor verfassungsrechtlichen Bewertungen, so steht die Prüfung seitens einer formal dazu befugten juristischen Instanz, nämlich einem Verfassungsgericht, noch aus. Auch diese Prüfung ist durch die Verabschiedung des brandenburgischen Gesetzes nun möglich, denn im Fall einer Klage würde der bislang noch nicht existente notwendige Rechtsfall vorliegen. Ohne eine solche Prüfung durch ein Verfassungsgericht bleiben die öffentlich geäußerten verfassungsrechtlichen Bewertungen interessengeleitete Spekulationen einer wissenschaftlichen Fachcommunity, die hinsichtlich ihrer Geschlechterverhältnisse ein Abbild der Parlamente ist: Überrepräsentanz von Männern, Unterrepräsentanz von Frauen. Inwiefern das für die Bewertung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Parité-Gesetzes – wohlgemerkt eines Instrumentes, welches die Männerdominanz der Politik tatsächlich durchbrechen könnte – von Belang sein könnte, bleibt auffällig unbeachtet.

Das Herzstück der verfassungsrechtlichen Prüfung des Parité-Gesetzes besteht in der Abwägung zwischen der verfassungsgemäßen Zuständigkeit des Staates für »die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern« durch »die Beseitigung bestehender Nachteile« (Grundgesetz Art. 3 Abs. 2) einerseits und für den Schutz von Parteienfreiheit (GG Art. 21), Wahlfreiheit (GG Art. 28, 38) und Demokratieprinzip (GG Art. 79) andererseits.

Die Abwägung besteht im Kern in der Antwort auf folgende Frage: Sind die Eingriffe in die Parteienfreiheit, Wahlfreiheit und das Demokratieprinzip, die die Regelungen des Parité-Gesetzes möglicherweise mit sich bringen, durch den staatlichen Gleichstellungsauftrag legitimierbar bzw. zu rechtfertigen oder nicht? Sind die Eingriffe angesichts dieses Gleichstellungsauftrags verhältnismäßig (also verfassungsgemäß) oder unverhältnismäßig (also verfassungswidrig)?

Viel hängt folglich an der verfassungsrechtlichen Interpretation von Art. 3 Abs. 2, insbesondere hinsichtlich seiner Stärke gegenüber anderen Verfassungsgrundsätzen. Durch die verfassungsgerichtliche Prüfung würde auch die notwendige Klärung herbeigeführt, ob die Stärke von Art. 3 Abs. 2 in seiner gegenwärtigen Formulierung ein Parité-Gesetz legitimiert oder ob die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Parité-Regelungen nur durch wirkmächtigere Formulierungen dieses Artikels herbeizuführen ist. Wo ein politischer Wille seitens der Parlamente für Parität in ihren eigenen Reihen ist, da wird sich auch ein rechtlicher Weg bahnen lassen: wenn nicht mit der jetzigen Verfassung, dann mit einer geänderten.

Bewertungen – von »Totgeburt« bis »Erfolgsgeschichte«

Die Erläuterungen zur politischen und rechtlichen Debatte machen hoffentlich nachvollziehbarer, warum die öffentlichen Bewertungen des Parité-Gesetzes so unterschiedlich ausfallen und auf welchen Argumenten diese jeweils basieren. Eine »Totgeburt« ist das Gesetz für all jene, die aus ihrer Sicht die Prüfung des Parité-Gesetzes seitens eines Verfassungsgerichts gar nicht abwarten müssen, um sich bereits jetzt ganz sicher zu sein, dass das Gesetz nur verfassungswidrig sein kann. Ob sich diese Behauptung aus juristischer Fachkenntnis bzw. Überzeugung speist oder eher interessengeleitet als Totschlagargument dienen soll, sei dahingestellt.

Den Charakter einer »Missgeburt« hat das Gesetz für diejenigen, die es schlicht »hässlich« finden, weil Parität in der Politik für sie kein wünschenswerter Zustand ist oder aber weil sie meinen, dass es dafür keine gesetzlichen Vorgaben bräuchte, sondern es sich schon »von allein« erledigen wird.

Als »Etappensieg« feiern das Gesetz wiederum diejenigen, die darin einen Durchbruch und Paradigmenwechsel für die Suche nach wirksamen Lösungen für das Problem der hartnäckigen Männerdominanz in der Politik sehen. Das Gesetz reagiert auf die Erkenntnis, dass nur gesetzliche Vorgaben eine Lösung dieses Missstandes herbeiführen können. Jedoch sind weitere Etappen zu erkämpfen: zum einen die Ergänzung des Parité-Gesetzes um die Regulierung auch der Wahlkreisdirektkandidaturen, damit Parität tatsächlich erreicht wird; zum anderen die Ausweitung gesetzlicher Regelungen auch auf die Kommunal- und Bundesebene. Die den Etappensieg nun feiern, hoffen und erwarten aber vor allem auch spürbare mittel- und langfristige Wirkungen des Parité-Gesetzes: einen Wandel der politischen Kultur und endlich parlamentarische Mehrheiten für Frauen- und Gleichstellungspolitik.

Eine »Erfolgsgeschichte« ist das Gesetz schließlich für jene, die endlich nachhaltige Konzepte für die Überwindung der hartnäckigen Männerdominanz in der Politik sehen wollen. Selbst wenn das Gesetz wegen der fehlenden Regulierung der Wahlkreisdirektkandidaturen für echte Parität im Brandenburger Landtag noch nicht ausreichen wird und auch das Ergebnis der verfassungsgerichtlichen Prüfung noch ungewiss ist, das Parité-Gesetz hat eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst, die erfolgversprechende Bedeutung für das Voranbringen des Anliegens der Geschlechterparität in den Parlamenten entfalten kann.

Neben der bestechend vielversprechenden Lösung für das Problem der Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten, die ein Parité-Gesetz beinhaltet, ist es auch auf einer weiteren Ebene ein Schlüssel für die Demokratisierung der Demokratie: Die Entscheidung für oder gegen gesetzliche Parité-Regelungen berührt in besonderem Maße die Glaubwürdigkeit von Politiker/innen. Wie sehr sind auch die Gesetzgebenden in ihren eigenen Reihen bereit, sich selbstkritisch und konsequent der Modernisierung der Gesellschaft und der Geschlechterverhältnisse zu stellen? Die Rolle der Parteien ist hierbei eine interessante: Einerseits könnte man meinen, dass sie als Mikrokosmen der Gesellschaft gesamtgesellschaftliche Geschlechterverhältnisse nur in begrenztem Maße »überholen« bzw. kompensieren können (z. B. Geschlechterrollen oder Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit von politischem Engagement mit Fürsorge- und Erwerbsarbeit). Andererseits sind es gerade die Akteur/innen des politischen Raums – also Parteien, Parlamente, teilweise auch die Verwaltungen –, die den Anspruch haben sollten, genau diese gesamtgesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse zu beeinflussen und zu verändern.

Wer, wenn nicht die Parteien, sollte als Vorbild agieren, also bewusst und öffentlichkeitswirksam gegenwärtige Geschlechterverhältnisse aushebeln? Gesetzliche Paritätsregelungen sind die beste Gelegenheit, dies zu tun, auch um damit nicht zuletzt Vertrauen in die Demokratie und in die Parteiendemokratie zurückzugewinnen.

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