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© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Deutschland muss die Ukraine weiter auch militärisch unterstützen Einen russischen Diktatfrieden verhindern

Russlands brutaler Angriff auf die Ukraine vor gut einem Jahr markierte den Beginn einer grundlegend neuen Realität: die Rückkehr des Imperialismus nach Europa. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete den Überfall bereits drei Tage nach Kriegsbeginn zu Recht als Zeitenwende. Dieser Krieg bringt unsägliches Leid über die Menschen in der Ukraine. Abertausende Soldatinnen und Soldaten auf beiden Seiten sowie ukrainische Zivilistinnen und Zivilisten haben bereits ihr Leben verloren; viele weitere wurden verwundet oder sind traumatisiert. Wohnhäuser, Schulen und Kliniken sind durch russische Artillerie, Raketen und Bomben in Schutt und Asche gelegt worden. Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer mussten aus ihrer Heimat fliehen und haben in anderen europäischen Ländern Zuflucht gefunden; eine Million von ihnen in Deutschland.

Doch die Auswirkungen des Krieges reichen weit über die Ukraine hinaus. Putin hat die internationale Friedensarchitektur zerstört, die über Jahrzehnte errichtet worden war. Russland hat sich über die elementarsten in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Grundprinzipien des Völkerrechts hinweggesetzt: den Verzicht auf die Anwendung von Gewalt als Mittel internationaler Politik sowie die Verpflichtung zur Achtung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Unversehrtheit aller Staaten. Dem Versuch, Grenzen gewaltsam zu verschieben und die Welt erneut in Blöcke und Einflusssphären zu spalten, müssen wir daher entschieden entgegentreten.

Deutschland als einer der Hauptgaranten für die Sicherheit in Europa kommt dabei die wesentliche Aufgabe zu, Verantwortung zu übernehmen, indem wir in unsere Streitkräfte investieren, unsere militärische Präsenz an der NATO-Ostflanke erhöhen und die ukrainischen Streitkräfte ausbilden und ausrüsten. Unsere Partner und Verbündeten erwarten von uns, dass wir die Führungsrolle, die uns als wirtschafts- und einwohnerstärkste Nation in der EU zwangsläufig zukommt, auch konsequent wahrnehmen. Nur aus einem starken Europa heraus können wir uns global für unsere Werte und Interessen einsetzen. Daher ist es in unserem ureigensten Interesse, eine Führungsrolle bei der Stärkung Europas als attraktives Zentrum einzunehmen.

Die Zeitenwende hat uns außerdem dazu veranlasst, einen seit Jahrzehnten bestehenden, fest etablierten Grundsatz deutscher Politik in Bezug auf Rüstungsexporte zu überdenken. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte Deutschlands liefern wir heute Waffen in einem Krieg zwischen zwei Staaten. Dazu gehören Artillerie- und Luftabwehrsysteme, Panzerabwehrwaffen, gepanzerte Truppentransporter, Flugabwehrkanonen und Raketen sowie Radarsysteme zur Artillerieortung und, ja, auch Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 und 2. Außerdem werden im Rahmen einer EU-Mission bis zu 30.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten ausgebildet.

Ohne die westliche militärische Unterstützung gäbe es heute wohl keine unabhängige Ukraine mehr. Putin hat dem Land mehrfach die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit abgesprochen. Da aus seiner Sicht der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts darstellte, hat er sich zum Ziel gesetzt, ein neues Imperium unter russischer Führung zu errichten. Ganz offensichtlich hat er sich dabei verkalkuliert. Kein einziger Nachbarstaat – mit Ausnahme von Belarus unter seinem Diktator Lukaschenko – ist bereit, sich dem Moskauer Diktat zu beugen.

Verhandlungen, die diesen Namen verdienen, können nur dann zum Erfolg führen, wenn beide Seiten auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Einen russischen Diktatfrieden darf und wird es nicht geben. Die russische Seite wird nur bereit sein, sich auf ernsthafte Verhandlungen einzulassen, wenn die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur die Frühjahrsoffensive 2023 zurückzuschlagen und sich den russischen Expansionsbestrebungen weiter in den Weg zu stellen, sondern darüber hinaus kontinuierlich Druck auf die russischen Streitkräfte auszuüben und sie vom ukrainischen Territorium zurückzudrängen. Dazu müssen wir sie durch Lieferungen von Munition und schweren Waffen unterstützen, damit sie sich so gegen die russische Übermacht behaupten und Putin zu ernsthaften Verhandlungen zwingen kann.

Noch ist nicht absehbar, wann solche Verhandlungen beginnen können. Putin hat sein politisches Überleben an die von ihm feierlich verkündeten Annexionen ukrainischer Gebiete geknüpft. Weitreichende Zugeständnisse würde er politisch vermutlich nicht überleben. Nahezu wöchentlich verkündet die russische Führung, der Ukraine seien die Bedingungen für die Beendigung des Krieges – Demilitarisierung und Denazifizierung – gut bekannt. Eine (Teil-)Rückgabe annektierter Gebiete komme überhaupt nicht infrage. Auf der anderen Seite wird auch die Ukraine nicht bereit sein, größere Gebietskonzessionen zu machen. Dafür ist sie militärisch zu erfolgreich und die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung unterstützt den Kurs des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, der bislang den vollständigen Rückzug russischer Truppen von ukrainischem Territorium als Vorbedingung für Verhandlungen nennt. Es dürfte also ein langer und komplizierter Weg hin zu einem Verhandlungsprozess werden.

Dass Vereinbarungen zwischen den Kriegsparteien grundsätzlich möglich sind, zeigt das Getreideabkommen oder regelmäßige Verständigungen über einen Gefangenenaustausch. Solche kleinen diplomatischen Schritte können der Ausgangspunkt für weitere vertrauensbildende Maßnahmen sein, die letztendlich in konkreten Verhandlungen münden können.

Gerechtere Globalisierung

Deutschland profitiert maßgeblich von einer regelbasierten internationalen Ordnung und einer globalisierten und vernetzten Welt. Deshalb ist es genauso wichtig, dass wir mit den Ländern des Globalen Südens in einen intensiveren Austausch als bislang treten. Unser Interesse muss es aber auch sein, diese Globalisierung gerechter, nachhaltiger und sozialer zu gestalten. Dabei dürfen wir nicht der Versuchung erliegen, die Welt erneut in Blöcke einzuteilen. Wir müssen in einer multipolaren Welt Dialog und Kooperation auch außerhalb der »demokratischen Komfortzone« praktizieren.

Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA verweist zu Recht auf die Notwendigkeit, auch mit Ländern zusammenzuarbeiten, die demokratische Institutionen zwar selbst nicht installiert haben, aber dennoch auf ein regelbasiertes internationales System angewiesen sind und ein solches auch unterstützen. Auch mit diesen Ländern werden wir zusammenarbeiten müssen, um eine Weltordnung zu verteidigen und aufrechtzuerhalten, in der Macht an Regeln gebunden ist und in der revisionistischen Handlungen wie Russlands Angriffskrieg die Stirn geboten wird.

Darüber hinaus müssen wir das System der internationalen Strafgerichtsbarkeit stärken und damit das Völkerrecht weiterentwickeln. Jeder, der sich eines Kriegsverbrechens schuldig macht, soll befürchten müssen, hierfür auch belangt zu werden. Die Frage, auf welcher Grundlage ein solches Gericht tätig werden kann, wird in der internationalen Gemeinschaft gerade intensiv debattiert. Es besteht ein breiter Konsens, dass es Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen in Zukunft nicht mehr geben darf.

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