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Kanzlerkandidat und Bundespräsident geben der SPD Auftrieb Endlich wieder Neugierde

Martin Schulz als Kanzlerkandidat und Parteichef, Frank-Walter Steinmeier als Staatsoberhaupt: Man muss die beiden zentralen Personalentscheidungen dieses Jahresbeginns zusammen betrachten, um zu erkennen, wie viel sich für die SPD gerade verändert. Die wichtigste Botschaft dabei ist: Relevanz statt Peripherie. Da ist eine neue Spannung entstanden, die Neugierde nach sich zieht. So etwas gibt’s nicht häufig. Die Spannung kommt daher, dass tatsächlich wieder wichtig wird, für was die SPD steht.

Angela Merkel, so viel ist sicher, gilt im Wahlvolk 2017 bestenfalls noch als kleineres Übel. Die Menschen spüren, dass die Kanzlerin an Kraft verliert. Die Stimmung zeigt eigentlich, dass langsam mal ein Wechsel angebracht wäre. In der Union sind dafür weit und breit keine Bewerbungen erkennbar und für 2017 käme ein unionsinterner Wechsel sowieso zu spät. Schon das interne Präsidenten-Casting hatte ja deutlich gezeigt, wie ausgelaugt die CDU inzwischen ist.

Nun präsentierte sich bisher aber auch die SPD nicht gerade wie ein großes Reservoir an künftigen Führungsfiguren. Obwohl sie neun von 16 Länderchefs stellt und viele Bürgermeister großer Städte, halten sich deren Karriereambitionen sehr in Grenzen. Die Bundespolitik ist machtpolitisch komplex geworden und ohne klare Mehrheitsperspektiven – das verspricht wenig Erfolgserlebnisse. Vor allem schien es bislang fast unumkehrbar, dass sich die SPD von der zentralen Führungsrolle im Bund immer weiter entfernt. Dies war eine manchmal unausgesprochene, aber emotional umso wirkungsvollere Realität.

Plötzlich aber stellt die SPD einen soliden und beliebten Bundespräsidenten – und tritt mit einem Kanzlerkandidaten an, der sehr clever und mit vertrauenerweckendem Blick den verbreiteten Wunsch der Mehrheitsgesellschaft nach behutsamer Erneuerung verkörpert. Von diesem (Zwischen-)Ergebnis her betrachtet, das damit so etwas darstellt wie das positive Erbe der Ära Sigmar Gabriel in der Parteiführung: Eine bessere Aufstellung konnte sich die im Medienbetrieb immer so gerne generell abgetane SPD kaum wünschen. Denn plötzlich steht sie mit ihrem Führungspersonal im Zentrum aller Aufmerksamkeit. Zwei Personen, von denen jede für sich populär ist und die sich sehr unterscheiden.

Martin Schulz bleibt, gerade weil er in Berlin nie verankert war, aus Bevölkerungssicht erst mal der europäische Klartextredner, der unbefangen ausspricht, was ist. Ein Engagierter von halb-außen mit softpopulistischem Einschlag, der sich nun müht, den Menschen das Gefühl zu geben, dass er ihre Probleme kennt. Einer, der aber auch die Augenhöhe mit all den Regierungschefs aus Brüssel schon mitbringt. Das macht einen eminenten Unterschied zu früheren Kanzlerkandidaten, die aus der zweiten Reihe des Berliner Regierungsapparats heraus kamen.

Selbst wenn die Populisten von rechts und links kräftig versuchen werden, ihn dem alten Establishment zuzuordnen: Für Berlin bleibt Schulz zunächst der Neue. Mit dem Ziel, stärkste politische Kraft zu werden, hat er all die umfragegläubigen Kaffeesatzleser überrumpelt. Und damit der SPD viel Selbstsuggestion ermöglicht. So etwas funktioniert normalerweise nur für besondere Momente. Aber der zähe Nebel des Pessimismus ist erst einmal weggeblasen.

Frank-Walter Steinmeier steht als neuer Bundespräsident nicht mehr in der parteipolitischen Arena, aber genau das macht nun auch für ihn die Chance des Neuen aus. Er muss nicht sagen, dass er Sozialdemokrat ist, alle wissen es. Wenn es ihm schnell gelingt, zum verlässlichen Verkörperer des gesellschaftlich-demokratischen Grundkonsenses zu werden, wird daraus geradezu unvermeidbar eine unterschwellige zweite Botschaft. Dann steht er dafür, dass diese neu angegriffene Demokratie wahrlich nicht zuerst oder gar alleine von den Konservativen repräsentiert und verteidigt wird. Sondern dass die Sozialdemokratie gerade in dieser historischen Situation wieder ins Zentrum rückt. Dass ihm die Kanzlerin aus eigener Schwäche den Weg zur Präsidentenwahl frei machen musste, war rückblickend weit mehr als nur eine wichtige personelle Einzelentscheidung in einer akuten Zwickmühle. Es war storyprägend für das Wahljahr.

Steinmeier hat nun eine geradezu historische Aufgabe. An ihm, dem bedächtigen Sozialdemokraten, ist es, in Zeiten allseitiger Bedrohungen und innenpolitischer Verwerfungen für das brüchig gewordene Ganze zu werben. Er hat Pflicht und Chance, diesem Ganzen Seele zu geben, was schon Joachim Gauck – wenn auch mit eher abnehmender Kraft und sehr von außen kommend – versuchte. Als Bezugs- und möglichst als Identifikationsfigur über dem Tagesgeschäft. Staatsrettung im besten Sinne: Es ist in dieser Zeit eine Präsidentenrolle, die – wenn es gut geht – für die Mehrheitsgesellschaft, die ihre eigenen Gemeinsamkeiten viel zu selten fühlt, immer wieder Identität und Kraft stiftet.

Wenn man Schulz und Steinmeier in diesen grundverschiedenen neuen Führungsrollen betrachtet, wird aber auch deutlich, vor welchen Herausforderungen die SPD jetzt steht. Schulz muss angreifen, während Sigmar Gabriel als Außenminister der Kanzlerin seine Loyalität versprechen muss. Steinmeier muss dringend das Gemeinsame ins Zentrum stellen. Schulz muss unbedingt glaubhaft machen, dass er etwas anders machen würde als die Kanzlerin .

Jedenfalls reicht Schulz nicht die Botschaft, dass er frischer und zupackender regieren würde als Angela Merkel. Und gerade er war immer ein zentraler Teil des undurchsichtigen Brüsseler Teile-und-herrsche-Prinzips. Die Munitionssucher auf der konservativen Seite sind längst unterwegs, ihn mit den eigenen Händeln von gestern zu konfrontieren und den neuen Nimbus zu zerstören. Ein anderer Politikstil und neue inhaltliche Impulse? Genau das ist trotzdem die Aufgabe. Schulz wird den Spagat aushalten müssen.

Denn es geht erstmals seit Jahrzehnten auch wieder ums Ganze. Der Erfolg der Rechtspopulisten stellt alles neu infrage, was gesichert schien: westliche Werte, innere Liberalität, Internationalisierung, Zivilität. Noch gibt es in Westeuropa bei rein inhaltlicher Betrachtung keine demokratischen Mehrheiten für diesen Rechtspopulismus, doch wenn Anlässe zur Protestwahl hinzukommen, wird es eng, zumal wo es populismusanfällige Mehrheits- oder Direktwahlsysteme gibt.

Inhaltlich muss die SPD, wenn sie von Führungsanspruch reden will, Antworten auf die mit neuer Radikalität gestellten Fragen anbieten, die über Merkels Führungspraxis hinaus reichen: Ideen zur Stabilisierung EU-Europas und der außenpolitischen Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen im Süden und im Osten, konsequentere Optimierung der Sicherheitspraxis im Inland – die Kritik am föderalen Behördendschungel ist ja nicht aus der Luft gegriffen –, glaubhafte Schritte gegen das soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft – das sie unter Gerhard Schröder sträflich unterschätzte –, von der Steuerpolitik über gebührenfreie Bildung bis zur Absicherung gegen Armut. Nicht im Programm alleine, sondern in der Tagespraxis. Mag es in der alten großen Koalition ruhig knirschen.

Die emotionale Seite des Politischen

Soziale Sicherheit und Sicherheit vor Gewalt: Das sind die beiden Großthemen, über die sich die Auseinandersetzung abspielen wird. Natürliche Heimspiele für die Volksparteien gibt es da nicht mehr. Aber wenn es um Sicherheit geht, ist die Erfolgswährung Vertrauen. Und da geht es längst um die Grundprinzipien der Demokratie, nicht mehr alleine um klassische Sachprogrammatik. Um Bürgerversicherung etwa oder um Vorratsdatenspeicherung – Einzelfragen sind nur noch Katalysatoren für Teilgesellschaften. Über allem stehen die großen Fragen der Identität und der Identifikationsfähigkeit. Des Vertrauens in den Staat an sich, der so viel an Handlungsfähigkeit und oft auch Handlungsbereitschaft verloren hat.

Die Identitätsfragen: Heimat und Vertrautheit etwa, im Gegensatz zu Fremdheitsgefühl und Einsamkeit. Übersichtlichkeit und Zutrauen – statt Anonymität und Angst. Selten war deutlicher, wie dominant diese emotionale Seite des Politischen werden kann. Wie wichtig es ist, dass demokratische Führungsfiguren diese Emotionalität ausstrahlen können. Wenn nun von einer neuen sozialdemokratischen Erzählung die Rede ist, die auf die Waage gebracht werden müsse, dann stimmt das. Aber es ist nicht die Zeit der rationalen, trockenen Kopfmenschen. Gerade Demokraten müssen emotional wieder anschlussfähiger werden. Gegen all die Angstmacher, Nationalisten und Hetzer. Wenn beim Kandidaten Schulz eine neue Strategie deutlich wird, dann diese.

Schließlich ist die Alternative Merkel-Schulz ja noch einmal eine, bei der sich (hoffentlich nicht letztmalig) Menschen gegenüberstehen, die beide zweifelsfrei für das Zentrum der Gesellschaft antreten. In vielen Nachbarländern sehen die Alternativen schon ganz anders aus. Mit Donald Trump in den USA wird der Welt in zerstörerischer Konsequenz vorgeführt, wie schnell der Werteverfall da ist, wenn der rechte Populismus erst die Führungsrolle hat. Und was dann alles mitgerissen wird, wenn erst eine Mehrheit den radikalen Wechsel will, weil sie dem bedächtigen Wechsel nicht mehr vertraut.

Letzten Endes geht es um die Frage, ob die SPD im Duell der Staatstragenden noch für eine politische Wende stehen kann, die reale Hoffnungen auslöst. Oder ob es ihren Spitzenleuten, ein wenig wie 1998 nach vier Legislaturperioden Helmut Kohl, wieder eher um die Botschaft geht, dass das Land auf seinem im Prinzip richtigen Weg nur mal wieder eine andere, kräftigere Führung bräuchte. Alternative zwei hat damals bis zum Wahltag funktioniert, viel länger nicht. Und die Zeiten haben sich seitdem sehr geändert.

 

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