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Entlassung der Ampelregierung, 07.11.2024 ©

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Nach der Ampel ist vor der Wahl – ein politisches Sittenbild und mehr Endspiel in Berlin

Was nun noch passieren wird bis zur Neuwahl? Zunächst mal steht im Raum, ob die Menschen im Land sich nachhaltig anstecken lassen von der Abschätzigkeit gegenüber der Bundesregierung, wie sie Opposition und manche Medien täglich streuen. Wenn ein negatives Grundgefühl sich durchsetzt, fällt Friedrich Merz die Kanzlerschaft in den Schoß. Es brauchen dann aus Unionssicht konkrete politische Inhalte öffentlich kaum mehr besprochen zu werden. Andererseits: Wird nun endlich der Blick wieder frei auf die reale Politik? Zum Beispiel: Was halten die Menschen wirklich von den Sozialkürzungsprogrammen von FDP und Unionsparteien, die im Wahlkampf natürlich umgedeutet werden zu Leistungsförderung und Wachstumsimpulsen?

Manchmal hilft bei der politischen Wahrheitsfindung der Blick auf das Meinungsklima. Nach der nächsten Wahl wird es angesichts der Zersplitterung der Parlamente eine Regierung der politischen Mitte geben müssen, gebildet von zwei oder drei Parteien. Die wenigen tatsächlich denkbaren Mehrheitskonstellationen, geschuldet dem Aufstieg der Populisten, machen die Mobilisierung im Winterwahlkampf nicht gerade leichter. Die Kontroversen zwischen den demokratischen Alternativen sind machtpolitisch nicht unterlegt wie früher, als sich das Entweder-oder in künftigen Regierungsalterativen abbilden ließ.

»Die gesellschaftliche Mitte muss jetzt streiten und zugleich gemeinsam handeln können.«

Die gesellschaftliche Mitte muss jetzt streiten und zugleich gemeinsam handeln können. Das ist eine sehr grundlegende Verschiebung gegenüber früheren Wahlkämpfen. Eine, mit der sich vielfach auch Motivationsfragen stellen. Mit der wichtig wird, wer als stärkste Kraft die Regierung anführt. Dieser Teil des Berliner Endspiels ist zumindest noch nicht abschließend entschieden, das konkrete Nachdenken über die Wahlalternative beginnt ja jetzt erst und auch auf die Proportionen untereinander kommt es an.

Durchwachsene Bilanz

Bei den politischen Inhalten waren die Ampeljahre durchwachsen. Außenpolitisch hat die Regierung dem massiven Drängen aus der Ukraine und Osteuropa und Teilen des eigenen Lagers widerstanden, sich an die Spitze der Gegeneskalation gegen Russland zu setzen. Das finden viele falsch und viele richtig. Der Kanzler reklamiert nicht zu Unrecht das Wort Besonnenheit für sich. Immerhin hat er damit das eigene Land noch einigermaßen zusammengehalten. Genau wie beim Thema Nahost, beim Umgang mit China oder auch USA: Deutschland war nirgendwo Scharfmacher. Auch das finden viele richtig und manche falsch. Des Kanzlers Nichtverhältnis zu Frankreich war problematisch und hat gemeinsame Impulse der EU manchmal erschwert. Doch meistens ist in Brüssel sowieso nicht mehr erreichbar als förmlicher Zusammenhalt auf der Basis von ganz großen und damit farblosen Kompromissen.

In der Gesellschaftspolitik hat die Ampel manches voranbringen können, weil nur hier Grüne und FDP ihre Gemeinsamkeiten haben. Randthemen wie die Cannabis-Legalisierung und die sexuelle Selbstbestimmung bleiben Aufreger in Teilen der Mehrheitsgesellschaft, wahlpolitisch damit herausfordernd auch für die SPD. Aber welche Koalition sonst sollte da endlich für Modernisierung sorgen? Fatal besonders hier, wie wenig die Regierung in der Lage war, in die Gesellschaft hinein attraktiv und glaubhaft ihr Verständnis von Modernität zu verkörpern. Erkennbar zuletzt gerade in den USA, wie schwer es dem progressiven Spektrum fallen kann, mobilisierungsfähig zu bleiben angesichts der vielen inneren kulturellen Differenzen.

Das Schicksal der zentralen sozialpolitischen Themen ist aus früheren Koalitionen bekannt: umgesetzt, abgehakt, für selbstverständlich gehalten – während vieles blockiert blieb durch die FDP. Dass es dem neoliberalen Gegenlager wieder einmal gelang, aus der Kritik des nicht optimal austarierten Bürgergelds heraus eine Neiddebatte gegen Transferempfänger zu machen, bleibt fatal. Und die Grünen haben mit dem Verwaltungsmonstrum Kindergrundsicherung dem sozialpolitischen Gegendiskurs gegen die Ampel Nahrung gegeben.

Es bleibt als zentraler Kipppunkt das Zusammenfallen des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts mit dem Scheitern des grün geprägten Heizungsgesetzes. Daraus entstehen zwei - historisch nicht ganz unbekannte - Kernfragen für die Zukunft. Erstens: Ist die linke Hälfte des politischen Spektrums jemals in der Lage, ohne Zusatzeinnahmen oder Zusatzschulden große Reformen durchzusetzen, notfalls durch Kürzungen anderswo? Zweitens: Ist sie zusätzlich in der Lage, tiefreichende Transformationen (jetzt bei Wirtschaft und Energieversorgung vor allem) im Konsens mit der Bevölkerung voranzutreiben, wenn von rechts her ständig massiv dagegen polemisiert wird?

»Die Unionsparteien waren im Anpassungskurs nach rechts kaum als konstruktive gesellschaftliche Partner erkennbar.«

Der Fortschrittsbegriff der Koalition war zu ungeklärt, der Reformansatz zu staatsfixiert, letztlich auf demokratisch verordnete Ge- und Verbote ausgerichtet. Nicht unwichtig war für das Scheitern in diesem Punkt, dass die Unionsparteien nach Angela Merkel die Rolle rückwärts vollzogen und im Anpassungskurs nach rechts mit Fredrich Merz kaum mehr als konstruktive gesellschaftliche Partner erkennbar waren – mit erheblicher Auswirkung auf die öffentliche Wahrnehmung der Regierung. Merz wollte wieder dieselbe Kampfaufstellung wie in den rot-grünen Jahren Gerhard Schröders. Diesmal aber, daran war die FDP-Konfliktstrategie schuld, mit einer in sich nie konsistenten Bundesregierung.

Im Ergebnis ist das Parteiensystem selbst in die Transformation gerutscht. Die Ränder wachsen, das schrumpfende konstruktive Zentrum ist aufeinander angewiesen und will das (aus jahrzehntelang gewohnten Selbstschutzgründen) nicht gerne wahrhaben. Dass Demokratie am Ende doch eine große Kompromissmaschine bleibt, wird zu sehr als Belastung erlebt. Dass angesichts des Mitgliederschwunds der Parteien neue Formen der Vertiefung der Demokratie in der politischen Mitte dringend nötig sind, dass dort Menschen mit Erfahrung und Kompetenz stärker einbezogen werden müssten, um die Akzeptanz zu stärken, ist noch gar nicht richtig angekommen. Schwächer werdende Parteien müssen auch am Demokratiemodell arbeiten, das bundespolitisch ungeeignete Modell ausgeloster Bürgerräte war nur Pausenfüller.

Dass Deutschland zum Ende der Ampeljahre nach innen schwächelt, während weltweit Stürme toben, ist als Bild durchaus passend. Aber die ganze Wahrheit ist da weit komplexer, als es die Interessenverbände der Wirtschaft – als Walkampfmunition für Friedrich Merz – ständig herausschreien. Da hält, leider bis in die Ex-Ampel hinein, plattes Wachstumsdenken wieder Einzug, das die Fakten einer schrumpfenden Gesellschaft in einer ökologisch ramponieren Welt ignoriert. Da wird ausschließlich der Abschwung eines ins Wanken geratenen exportorientierten Wirtschaftsmodells bejammert und in altem Denken bei der sozialpartnerschaftlichen Gegenseite die Schuld gesucht. So ernst zum Beispiel die Krise der Autoindustrie ist: Rein gar nichts wäre gewonnen, nur entsprechend neoliberaler Glaubenssätze kurzfristig Kosten zu senken, ohne Strukturen und Konzepte zu ändern.

»Die Auseinandersetzung mit den rechten Wirklichkeitsverweigerern innerhalb und außerhalb des demokratischen Spektrums müssen sehr grundsätzlich geführt werden.«

Im zweiten Teil des Berliner Endspiels gilt nun nach dem Ausscheiden der FDP: Wirkliche Zukunftsideen müssen, beginnend bei der Wirtschaft, neues Denken umfassen. Exportstrategie und Lieferketten anders ausrichten, die neue Multipolarität der Welt als positive Chance annehmen, Sicherheit umfassender verstehen als militärisch, Wachsen und Schrumpfen in einer kleiner werdenden Gesellschaft klug austarieren, Zusammenhalt durch mehr Bürgerbeteiligung stärken – gegen die Polarisierer aus allen Richtungen: Entlang solcher Grundlinien müsste die Auseinandersetzung mit den rechten Wirklichkeitsverweigerern innerhalb und außerhalb des demokratischen Spektrums sehr grundsätzlich geführt werden. Welche Kompromisse dann je nach Wahlergebnis später auch immer nötig sein werden.

Verführungskraft negativer Narrative

Die Welt wird nie wieder so sein, wie sie war: Selbst das ist zunächst nur eine Floskel, die immer irgendwie stimmt. Wenn man die – meist berechtigten – Forderungen zu den verschiedenen Politikfeldern addiert, müsste der Bundesetat glatt verdoppelt werden. Aber Politik ist und bleibt Priorisierung. Die Pflicht dazu ist unangenehm, doch sie ist der Kern der Aufgabe. Am Scheitern von Kamala Harris lässt sich ablesen, was passieren kann, wenn eigenes Profil aus machtkluger Rücksicht auf auseinanderstrebende Interessen verwischt wird. Am Sieg von Donald Trump zeigt sich gerade deshalb umso einschlägiger die Verführungskraft negativer Narrative. Und es erweist sich, wie umfassend die Herausforderung werden wird – bis hin zum US-Staatsumbau im Interesse von High-tech-Milliardären, die mit ihren Digital- und KI-Produkten janusköpfig die Verwaltung prägen werden. Nichts davon wird an Europa vorbeiziehen.

»Im allseitigen Multi-Krisen-Geschnatter dringt am ehesten durch, wer glaubhaft für positive Veränderung steht.«

Das Dilemma des heterogenen linksliberalen Spektrums ist nicht auflösbar. Die strategische Abwägung für ein deutliches eigenes Profil ist aber auch nicht wegzuschieben, in jedem Wahlkampf stellt sie sich aufs Neue. Nach dem Ende der Ampel muss da der Blick vom Klein-Klein in Berlin weggehen. Im allseitigen Multi-Krisen-Geschnatter dringt am ehesten durch, wer nach vorne schaut und glaubhaft für positive Veränderung steht. Das ist nur an der Oberfläche ein Vorteil der bisherigen Opposition. Schaut man genauer hin, dann geht es den Menschen immer um eine Mischung aus Sicherheitsbedürfnis und Verände­rungswunsch. Das ist dann der Punkt, an dem auch amtierende Regierungen ohne Parlamentsmehrheit zeigen können, dass sie verstanden haben.

Wer nur auf Weiter-so setzt, wird in solchen Zeiten Wahlen verlieren. Das gilt für alle in der demokratischen Mitte, deshalb auch für den Polarisierer Merz, der sich zuletzt prompt staatsmännisch zurückgehalten hat und ausschließlich auf Anti-Ampel-Stimmungen setzt. Genau da aber liegt die Chance, die wenigen Wochen bis zur Neuwahl zur Auseinandersetzung über Ideen zu nutzen. Das progressive, an sozialem Ausgleich orientierte politische Spektrum ist gefordert, der konservativen Wende rückwärts jetzt schlüssige, die Gesellschaft zusammenführende Politikkonzepte entgegenzusetzen, in denen die Lehren aus den Ampeljahren sichtbar werden.

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