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picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Die Nachwirkungen der CORRECTIV-Recherche über das rechte Geheimtreffen in Potsdam Enorme Wucht

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Das Jahr 2024 begann mit einer gesellschaftlichen Wucht, die nicht nur das Rechercheteam von CORRECTIV überwältigt hat. In Deutschland setzten Millionen Menschen über Monate ein Zeichen für Demokratie und gegen Rechtsex­tremismus. Anlass war die Veröffentlichung Geheimplan gegen Deutschland, eine Recherche über das Treffen von Rechtsradikalen, hochrangigen AfD-Politikern und Geldgebern nahe Potsdam.

Reaktionen auf die Recherche kamen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Unternehmerinnen und Unternehmer veröffentlichten gemeinsam Anzeigen für eine starke Demokratie. Es gab Äußerungen von Richtervereinigungen, Sportlern oder dem Bundeskanzler. Vor allem aber demonstrierten Menschen über Wochen in großen und kleinen Städten, mal mehrere Hunderttausend, mal wenige Hunderte in Orten, die lange keine Demonstration auf ihren Marktplätzen gesehen hatten. Über 1.000 Versammlungen mit insgesamt rund 3,5 Millionen Menschen wurden deutschlandweit gezählt. Immer ging es um die klare Abgrenzung zum Rechtsextremismus. Alle weiteren Reaktionen und Wirkungen folgten sicherlich auch aufgrund dieser enormen Wucht.

Die politische Debatte über die Abgrenzung zur AfD sowie über ein mögliches Verbot hat sich seitdem deutlich verschärft. Die Gegenreaktionen waren teils heftig, teils waren es erfolglose Versuche, die Recherche vor Gericht anzugreifen. Dennoch verfingen in rechten und rechtsradikalen Echokammern haltlose Narrative, die CORRECTIV unterstellten, im Auftrag der Regierung oder des Verfassungsschutzes zu arbeiten oder wahlweise einfach Lügen zu verbreiten.

Politische Wirkung

Vor der Veröffentlichung gingen wir fest davon aus, dass die Recherche eine politische Wirkung haben würde. Allein die Tatsache, dass hohe Funktionsträger der AfD zusammen mit dem Rechtsradikalen Martin Sellner einen »Masterplan« diskutierten, konnte für die AfD nicht folgenlos bleiben. Ebenso die Mitwirkung des Unternehmers Hans-Christian Limmer, der zu dem Zeitpunkt Gesellschafter der Burgerkette »Hans im Glück« sowie der regionalen Kette »Pottsalat« war. Überraschend war es daher nicht, dass die AfD-Chefin Alice Weidel einige Tage nach Bekanntwerden des Treffens ihren engen Mitarbeiter Roland Hartwig entließ, der auf dem Treffen einen eigenen Beitrag lieferte und sich auch von den Thesen Sellners beeindruckt zeigte. Überraschend war auch nicht, dass die Essensketten nichts mehr mit ihrem Gesellschafter Limmer zu tun haben wollten, der an der ersten Einladung zu dem Treffen beteiligt gewesen war.

In der Geschichte der Bundesrepublik hatte es aufgrund der Veröffentlichung einer journalistischen Recherche allerdings noch nie derartige Reaktionen gegeben, wie sie nach dem 10. Januar folgten. Das hat die Redaktion aber auch die Gesellschaft insgesamt überrascht.

»Strategien aus dem politischen Vorfeld wurden in die AfD hineingetragen.«

Es war nicht neu, dass der bekannte Rechtsradikale Martin Sellner und das vorpolitische Umfeld der AfD begonnen hatten, die Thesen zur Verdrängung von Millionen von Menschen, darunter auch »nicht-assimilierten« Staatsbürgern, zu testen. Neu war auch nicht, dass es in der AfD glühende Unterstützer dieser Ideen gibt. Auf dem Treffen in dem Landhotel nahe Potsdam bündelte sich, was als Gefahr für die offene Gesellschaft dieses Landes erkennbar wurde: Ideologie, Politik und mögliche Geldgeber kamen zusammen und sprachen offensiv über einen »Masterplan«. Und das in einer Zeit, in der die AfD eine echte Machtoption in einigen Bundesländern hat. Für den »Masterplan« wurden Strategien aus dem politischen Vorfeld in die AfD hineingetragen.

Die Veröffentlichung war dabei offenbar ein Auslöser, in weiten Teilen der Bevölkerung war der Unmut groß angesichts der Erfolge einer immer radikaler werdenden Partei. Das Treffen zeigte, wie real die Perspektive war, dass die AfD rechtsradikale Pläne, die in Vorfeldorganisationen geschmiedet werden, umsetzen könnte. Der Fraktionsvorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt sprach davon, es solle »für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein«, in diesem Bundesland zu leben. Und AfD-Mann Roland Hartwig signalisierte, er könne Ideen aus dem Treffen in den Bundesvorstand tragen.

Die Gegenreaktionen der Teilnehmenden, aus der AfD und den umgebenden Netzwerken waren von Nervosität geprägt. Störte die Recherche gerade den Aufbau einer politischen Strategie? Der Rechtsradikale Martin Sellner und auch der AfD-Politiker und -Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Maximilian Krah, hatten in ihren Büchern den Begriff der »Remigration« genannt, in einem völkischen Verständnis so aufgeladen, dass es darum gehen sollte, Millionen Menschen aus Deutschland zu drängen. Sellner spricht auch in anderen Vorträgen von »nicht-assimilierten« Staatsbürgern, er fordert »maßgeschneiderte Gesetze«, damit Menschen das Land freiwillig verlassen. Das kann nicht anders verstanden werden, als Druck aufzubauen, durch den Menschen aus dem Land gedrängt werden sollen. Er spricht auch von einem Ort in Nordafrika, in den man »zwei Millionen Menschen hinbewegen könne«.

Ein rassistisch aufgeladener Begriff soll »normalisiert« werden.

Die AfD hatte im vergangenen Jahr begonnen, den Begriff oft und offensiv zu verwenden. In Bundestagsreden und auf Parteitagen wurde »Remigration« von AfD-Abgeordneten plötzlich häufiger benutzt, auch mit dem Zusatz »millionenfach«. Erkennbar ist, dass hier ein Begriff zunächst rassistisch aufgeladen wurde, der dann in der politischen Debatte normalisiert werden sollte, um Menschen langsam an dieses Konzept zu gewöhnen. Die Vertreibungsideen werden dabei gerade so offen formuliert, dass ein Spielraum bleibt, die Gruppen nicht abschließend zu benennen.

Der Begriff ist nach der Veröffentlichung der Recherche nicht mehr so einfach in der politischen Debatte zu verankern. Innerhalb der AfD mag er weiterhin seine Wirkung haben. Allerdings hat selbst die französische Spitzenpolitikerin Marine Le Pen klargestellt, dass in ihrer europäischen rechten Parteienfamilie »Remigration« keinen Platz habe. Offenbar weckt das Konzept nicht ohne Grund böse Erinnerungen an den deutschen Nachbarn und geht selbst anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa zu weit. Weidel musste nach Paris fahren und hat versucht, Le Pen bei einem Mittagessen zu erklären, dass das Treffen vollkommen übertrieben dargestellt worden sei.

Dabei kann auch die Parteiführung nicht mehr verstecken, wie stark die Verbindungen zwischen radikalen Organisationen, der AfD und Geldgebern sind. Nach der CORRECTIV-Recherche erschienen in anderen Medien weitere Berichte über Treffen, bei denen Sellner anwesend war oder eine Recherche über die Menge an Mitarbeitern von AfD-Abgeordneten, die in rechtsradikalen Vereinigungen verwurzelt sind.

»Ideologie soll in eine Organisationsstruktur überführt werden.«

In Potsdam wurde zudem erkennbar, wie selbstbewusst eine Gruppe darauf wartet, staatliche Strukturen verändern zu können. Ausdrücklich sprach der Organisator des Treffens, Gernot Mörig, über eine zu bildende Kommission, die den Masterplan unter »ethischen, juristischen und logistischen Gesichtspunkten« ausarbeiten solle. Die Ideologie soll damit in eine Organisationsstruktur überführt werden. Das Treffen nahe Potsdam hat daher auch viele Institutionen, Unternehmen und Verbände dazu gebracht, sich klar zu positionieren. Die Debatte über ein mögliches Verbotsverfahren, über die Kürzung der Parteifinanzierung oder eine stärkere Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist seither noch einmal deutlich geschärft worden. Ebenso der Blick hin zu den radikalen Organisationen, die die AfD als ihren parlamentarischen Arm betrachten und auf die Geldgeber, die diese Kreise unterstützen.

Es war auch ein Weckruf zu Beginn des Jahres, die demokratiefördernden Initiativen ernst zu nehmen, die davor warnen, dass völkische Konzepte auf kommunaler Ebene durch faktisch diskriminierendes Verhalten umgesetzt werden könnten oder dass die AfD Verwaltungsbefugnisse nutzen könnte, um einschneidende Veränderungen durchzusetzen, die gesellschaftliche Vielfalt einengen könnten. Zu beobachten ist aber auch, wie versucht wird, Journalismus durch Narrative zu delegitimieren. Der Versuch, ein presserechtliches Verfahren zu einer Generalabrechnung zu machen, entbehrte jeder Grundlage und war auch vor Gericht weitgehend erfolglos. Aber in Blogs und rechtsgerichteten Medien verfing das zum Teil. Wir sehen hier einen Trend, Glaubwürdigkeit öffentlich infrage zu stellen und das in bestimmten medialen Echokammern zu verstärken.

Enormes Erlebnis der Selbstverständigung

Die Klarheit vom Jahresanfang war ein enormes Erlebnis der Selbstverständigung in der deutschen Gesellschaft. Viele Menschen haben zum ersten Mal in ihrem Leben demonstriert. In kleinen Städten, in denen sonst eher über Nazi-Aufmärsche berichtet wird, haben sich Menschen zusammengefunden, die eine offene Gesellschaft verteidigen wollen. Die Mehrheit in diesem Land hat sich neu kennengelernt. Im Ausland wurden die Versammlungen überrascht aufgenommen und als starkes Zeichen für die Offenheit dieses Landes gesehen. Die klare Haltung, gerade in den ersten Wochen nach der Veröffentlichung, zeigte, wer für eine freiheitliche, demokratische Kultur einsteht und wer deren Grenzen offenbar überschreiten will. Die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten ist es, zu beschreiben, was ist. Für die Demokratie muss sich nun zeigen, wie sich diese Klarheit vom Jahresbeginn verstetigen lässt.

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