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Ohne Frauen keine demokratische Innovation Erneuern? Engagieren!

Eines der berührendsten Bilder beim diesjährigen Women’s March in den USA stammt aus St. Paul, Minnesota. Eine alte Dame sitzt lächelnd im Rollstuhl und hält ein Plakat in der Hand: »I am 102 – I know what women can do.« Erst 1920, vier Jahre nach der Geburt dieser Demonstrantin wurde in den USA das allgemeine Frauenwahlrecht eingeführt, nicht viel früher, 1918, trat es in Deutschland in Kraft.

Doch während in den USA zu Jahresbeginn Millionen Menschen für Frauenrechte, Selbstbestimmung, Emanzipation und gegen Rechtspopulismus und Sexismus demonstrieren; während alle großen Filmpreisgalas im Zeichen der #MeToo- bzw. »Time’s up«-Kampagnen stehen, sich die Frauen des »Schwarzen Protestes« in Polen für eine zweite Welle des Widerstandes gegen die Verschärfung des Abtreibungsverbotes wappnen und in Frankreich Präsident Emmanuel Macron eine »Tour de France de l’égalité« initiiert und in allen Departements und Außenvertretungen Bestandsaufnahmen zur Gleichstellung durchführen lässt, ist es in Deutschland merkwürdig ruhig. Nun gut, wir haben ja auch noch keine rechtspopulistische Regierung, mag man dagegen halten. Bei uns ist ja »nur« die AfD als drittstärkste Kraft in den Bundestag eingezogen, von dem noch knapp 31 % der Abgeordneten weiblich sind – wofür vor allem konservative und rechtspopulistische Parteien verantwortlich sind. Und vielleicht haben wir auch vieles andere in Bezug auf Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit richtig gemacht oder bereits erreicht, mit Ausnahme der bekannten Gender Gaps versteht sich.

Aber während in den USA viele NGOs wie »Get her elected« das Momentum der Mobilisierung nutzen und bei den Frauen für Kandidaturen bei den nächsten Wahlen werben, erscheinen die Bemühungen der Parteien in Deutschland eher ritualisiert und lahm. Auch wenn man die Differenzen zwischen den nationalen Gegebenheiten berücksichtigt, ist es dennoch verblüffend, wie stark die öffentliche Wahrnehmung der politischen Anliegen und die De-facto-Beteiligung und Partizipation von Frauen in allen Ländern auseinanderklaffen. Klar ist, in Deutschland spielt die Geschlechterzugehörigkeit eine entscheidende Rolle dabei, ob und wie sich jemand politisch beteiligt. Wenn wir Erneuerung ernst meinen, ob in den Parteien oder der politischen Kultur, dann ist es höchste Zeit, das anzugehen.

Frauenrechte stehen heute mehr denn je auf dem Spiel, und zwar nicht nur aufgrund antiquierter, tradierter Rollenbilder und den damit verbundenen Verhaltensweisen. Diese werden zudem politisch von neuen Kräften flankiert: realpolitisch durch rechtspopulistische Bewegungen und Parteien, mit denen Gender, Sexualität und Familie zu Hauptkampffeldern der ideologischen Auseinandersetzung geworden sind. Im digitalen Raum entfachen sich antifeministische Hasskampagnen und Social Bots spüren den digitalen Spuren der Netzaktivist_innen nach.

Doch das erhöhte politische Bewusstsein in Deutschland schlägt sich noch nicht in klassischen Beteiligungsformen nieder. Viele Organisationen und Parteien fragen sich, wie sie besonders junge Frauen wieder stärker erreichen und für Engagement motivieren können. Die SPD verfolgt dieses Vorhaben v. a. seit 2009. Mit der Formel »weiblicher, jünger, digitaler« will sie es nun erneut versuchen, denn auch unter den Neumitgliedern sind nur etwa ein Drittel Frauen. Und bei der Bundestagswahl wurde das Wählerinnenpotenzial von der SPD keineswegs ausgeschöpft.

Vielleicht täuschen die öffentliche Aufmerksamkeit für frauenpolitische Themen und die sichtbare Mobilisierung auf der Straße (zumindest in anderen Ländern) darüber hinweg, dass das aktive Engagement von Frauen von einigen Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet ist. Doch anstatt den Gender Partizipationsgap zu beklagen, lohnt es sich genauer zu ergründen, wie sich Frauen engagieren. Denn das tun sie, aber anders. Mit quantitativer Forschung kommt man hier nicht weiter, aufwendige qualitative Befragungen sind notwendig und Frauen müssen in ihrer Vielfalt betrachtet werden. Unterschiede in Bezug auf soziale Herkunft, Status, Bildung aber auch individuelle Lebensentwürfe und -stile spielen eine große Rolle für die Bereitschaft und den Zugang zum Engagement – auch die jeweilige Lebensphase. Nur unter Berücksichtigung dieser Aspekte können auch Handlungsfelder zur Überwindung von strukturellen Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten identifiziert werden.

Mit neuen, auch digitalen Formen entwickelt sich ein neues Beteiligungspotenzial. Soziale Medien und Onlineplattformen sind ein wichtiger Ort auch für weibliches Engagement und die Vernetzung geworden. Angesichts der fortgeschriebenen Geschlechterstereotypen verwundert es nicht, dass Frauen auch hier unterrepräsentiert sind. Doch allein aus den geringeren Internetnutzungsdaten (rund eine Stunde pro Tag weniger als Männer) und der geringeren Bereitschaft, sich am Liken und Kommentieren zu beteiligen, lassen sich eher wenige Rückschlüsse auf die Partizipation von Frauen, als auf die gesellschaftliche Rollenverteilung ziehen.

Mit einem geschärften Blick auf die Partizipation können neue Ansätze gefunden werden, welche die aktive Teilhabe von Frauen nachhaltig stärken. Es steht ein doppelter Paradigmenwechsel an: Zum einen gilt es, ein geschlechterspezifisches Verständnis von Engagement und Partizipation in Forschung und gesellschaftspolitischer Praxis zu etablieren, in dem neue und unkonventionelle Formen ihren Platz finden. Zum zweiten ist ein neues und weiteres Partizipationsverständnis notwendig, um den vermeintlichen Gegensatz von Engagement in der realen und der digitalen Welt aufzubrechen und neue Formen des Engagements für die Gestaltung der Demokratie zu erschließen.

In letzter Konsequenz werden so tatsächliche soziale und demokratische Innovationen erzeugt, welche die Transformation hin zu einer digitalen und geschlechtergerechten Gesellschaft beschleunigen.

Da sich die klassische oder »Mainstream«-Partizipationsforschung lange nicht die Mühe gemacht hat, genderspezifisch auf Beteiligung und Engagement zu schauen, ist es schwierig, an konkrete Informationen zu gelangen. Oft fehlt der Bezug gänzlich oder Kategorien, Daten und Analysen sind nicht geschlechterspezifisch aufgeschlüsselt.

Feministische Forscherinnen kritisierten, dass sich dahinter die längste Zeit ein männerzentriertes Verständnis von Institutionen, Hierarchien und Strukturen in den Partizipationsbegriff übersetzt hat. Entsprechend sind die Kategorien und viele Umfragen auf die formale Mitgliedschaft in einer Organisation ausgerichtet und forschen so an der Beteiligung von Frauen vorbei. Die in der Partizipationsforschung verwendeten Kategorien dienen aber nur dann einem besseren Verständnis der Beteiligung von Frauen, wenn sie geschlechterdifferenziert ausbuchstabiert sind.

Die ohnehin nicht trennscharfe Unterscheidung in soziale oder politische Partizipation sagt auch eher etwas über ein hierarchisches Staatsverständnis aus, als dass sie die realen Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft spiegelt. Die Gründe für die schwächere Beteiligung von Frauen werden eher bei den Frauen gesucht als bei den Rahmenbedingungen oder externen Ursachen: Sind sie anders geprägt? Haben sie andere Präferenzen?

Feministische Forschung hat bestehende Ansätze nicht nur hinterfragt, sondern auch erweitert. Allerdings betrachtet sie oft nur den frauenpolitischen Aspekt der Partizipation, andere gesellschaftliche Engagementfelder (Umwelt, Wirtschaft, Energie) sind oft nicht Gegenstand der Untersuchungen.

Angesichts des großen Gender Care Gaps, dementsprechend Frauen 52 % mehr unbezahlte Sorge-, Pflege- und Hausarbeit leisten als Männer, ist alleine das Zeitbudget ein Faktor, der die Möglichkeiten zur Onlinepartizipation oder andere Ehrenämter bestimmt. Mehr Zeit für Engagement bedeutet also, dass mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Erwerbs- und Sorgearbeit geschaffen werden muss. Je weniger Zeit zur Verfügung steht, desto effektiver und vereinbarer muss Engagement sein: familiengerecht, kinderbetreut, punktuell, digital.

Frauen sind eher wenig sichtbar in Onlinedebatten: Das Platzhirschgebaren vieler Männer aus der analogen Welt setzt sich im Internet nicht nur fort, sondern ist hier sogar enthemmter. Viele Nutzerinnen halten daher Abstand und setzen ihre Social-Web-Aktivitäten sehr bewusst ein. Onlineplattformen machen es feministischen Aktivistinnen einfach, sich auch international zu vernetzen. Die Netzfeministinnen der sogenannten Dritten Welle der Frauenbewegung nutzen diesen Raum. Zu den neuen und vor allem von Frauen präferierten Formen der politischen Beteiligung im Social Web gehört zum Beispiel der nachhaltige und politisch bewusste Konsum, etwa auf der Informations- und Communityplattform utopia.de. Von der Sozialwissenschaftlerin Sigrid Baringhorst stammt die These, dass in dem Zusammenwirken von Social-Web-Nutzung und politischem Konsum eine entscheidende Dynamik liege, die diese beiden alltags- und lebensstilverbundenen Praktiken möglicherweise in Richtung eines neuen Politik- und Bürgerverständnisses transformiere. Die Sozialwissenschaftlerin Katharina Witterhold stellt fest, dass es sich bei den Social-Web-Praktiken politischer Konsumentinnen um ein ergänzendes Engagement handelt, das in keinem Konkurrenzverhältnis zu anderen Formen politischer Beteiligung steht. Der direkte Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse ist meist gering, aber sie dienen doch der politischen Meinungsbildung und der Vergewisserung in einer Community. Durch das hierdurch gestiegene Bewusstsein und das Einüben einer »Symbolpartizipation«, so der Politikwissenschaftler Gary S. Schaal, kann auch die Bereitschaft zu einer herkömmlichen Partizipation geweckt werden.

In Bürgerinitiativen und mit politischen Aktionen und Petitionen muss frau nicht das Komplettpaket einer Partei abonnieren, sondern kann sich fokussierter und vielleicht auch erfolgreicher einbringen. Die Präferenz für das eher auf eine spezifische Position eingegrenzte Engagement würde eigentlich dafür sprechen, dass Frauen sich stärker an Onlinepetitionen beteiligen. Doch nur etwa 25 % der Petitionen, die von natürlichen Personen im Deutschen Bundestag eingereicht werden, sind von Frauen. Ein anderes Bild zeigt sich auf der Petitionsplattform change.org, wo mehrheitlich Frauen unterwegs sind.

Eine neue Studie der Harvard Kennedy School kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Frauen initiieren zwar auf change.org weniger eigene Onlinepetitionen als Männer, diese sind aber im Endeffekt erfolgreicher. Das liegt vor allem daran, dass Frauen sehr viel mehr in der Lage sind, für ihre Anliegen zu mobilisieren und zwar vor allem andere Frauen. Das hat mit der (oft frauenpolitischen) Agenda zu tun, und damit, dass Frauen eher mit weiblichen Petitionsstellerinnen sympathisieren.

Junge Frauen haben ein großes Potenzial für Engagement. Sie sind hier kreativer und binden sich eher punktuell und im lokalen Umkreis. Je offener, unkonventioneller und vielfältiger die Möglichkeiten, desto größer die Chance, junge Frauen für Beteiligung zu gewinnen. Unkonventionelle Partizipationsformen entsprechen aber auch den Bedürfnissen anderer marginalisierter Gesellschaftsgruppen. So schafft man neue Verständigungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten in der Bürgergesellschaft.

Junge Frauen haben eine distanzierte Haltung zum klassischen Politikbetrieb und den verfestigten Strukturen. Stattdessen suchen sie neue hybride Formen für ihr Engagement. Das Social Web kommt ihren Präferenzen entgegen: zeitlich flexibel, weitgehend hierarchiefrei, niedrigschwellig und thematisch fokussiert. Für Frauen ist es wichtig, ob sie mit ihrem Einsatz in der Gesellschaft tatsächlich etwas verändern und sich selbst als Teil des Ganzen fühlen können. Der Kampf zwischen ideologischen Lagern oder die institutionelle Logik in einer eher männlich geprägten Organisationskultur schrecken Frauen dagegen ab.

Politische und gesellschaftspolitische Organisationen müssen dafür die Voraussetzungen schaffen, z. B. sich nach außen öffnen und im Innern die Durchlässigkeit verbessern, um das Feld nicht den NGOs und Plattformen zu überlassen. Andererseits kann Informations- und Kommunikationstechnik nicht allein die Antwort auf die systemischen Herausforderungen der repräsentativen Demokratie liefern.

Paradigmenwechsel in der politischen Kultur

Wenn wir es ernst meinen mit der Gleichstellung bei der Partizipation müssen wir die Engagementbedürfnisse und -potenziale von Frauen in den Mittelpunkt stellen und dementsprechend die gesellschaftlichen Strukturen, Organisationen und politischen Beteiligungsmöglichkeiten neu ausrichten.

Wenn am Ende wenigstens einige aus den schwächer verfassten in stärkere und gemeinnützige Engagementformen wechseln, ist schon etwas für die Bürgergesellschaft erreicht worden. Denn nicht die Gleichstellung allein ist das Ziel, vielmehr geht es darum, dadurch die politische Kultur zu verändern. Mehr weibliche Partizipation bringt mehr demokratische Innovation. Eine politische Kultur, die sich an den Bedarfen ihrer gesamten Gesellschaft orientiert, führt zu einer besseren Qualität politischer Prozesse und Entscheidungen. In diesem Sinne führt der doppelte Paradigmenwandel eines breiteren und inklusiveren Partizipationsverständnisses zu gutem und nachhaltigem Engagement.

Zudem ist es an der Zeit, mehr Durchlässigkeit zwischen Online- und Offlinepartizipation zu schaffen. Es muss möglich sein, die in Netzwerken und Communitys gesammelten Kompetenzen und Wirksamkeitserfahrungen in politische Praxis zu überführen. Aus einem neuen »Sowohl-als-auch« im Engagement können gute Dynamiken und hybride Beteiligungsformen entstehen. Junge Frauen sollen dabei möglichst in die Konzeption und Ausarbeitung von Beteiligungsformaten und Agendasetting einbezogen werden.

Für eine Verstetigung des Engagements, auch in politischen Organisationen, müssen Möglichkeiten zu Mitarbeit ohne feste Bindung geschaffen werden. Schnuppermitgliedschaften, konkrete Aktionen, On- und Offlinekampagnen bieten einen niedrigschwelligen Einstieg. Um Frauen nach einem solchen Einstieg nicht gleich wieder zu verlieren, ist es notwendig, dass sie ihre individuelle Kompetenz und Leistung optimal einbringen können, und nicht Amt und Stellung in der Organisation für die Anerkennung maßgeblich sind.

In einer Zeit, in der sich Parteien demokratischen Innovationen zuwenden müssen, nicht zuletzt auch um den eigenen Bedeutungsverlust aufzuhalten, ist ein solcher Paradigmenwechsel in der politischen Kultur in Deutschland notwendig. Die Beteiligung von Frauen bringt Erneuerung. In Abwandlung des Zitats am Textanfang: because we know, what women can do.

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