Die Frage nach der Heimat ist mit der Zukunft des Planeten Erde seit Langem verbunden. Es war die Metapher der Erde als gemeinsames Raumschiff, die seit den 60er Jahren zu einem zentralen Bezugspunkt der Umweltbewegung wurde. Das Foto des blauen, lebendigen Planeten im dunklen All, aufgenommen von den Astronauten des ersten bemannten Flugs zum Mond, veranschaulichte diese Vorstellung wenige Jahre später eindrucksvoll. Der Städteplaner und Architekt R. Buckminster Fuller schrieb 1968 in der Anleitung für das Raumschiff Erde: »Wir reisen zusammen, Reisende auf einem kleinen Raumschiff, abhängig von seinen gefährdeten Reserven an Luft und Erde; alle zu unserer eigenen Sicherheit seinem Schutz und Frieden verpflichtet; bewahrt vor der Vernichtung nur durch die Fürsorge, Arbeit und, ich möchte sagen, die Liebe, die wir dem zerbrechlichen Fahrzeug geben.«
»Wir reisen zusammen, Reisende auf einem kleinen Raumschiff.« (R. Buckminster Fuller)
Wenn alle Menschen Reisende auf dem lebendigen und atmenden Raumschiff Erde sind, stellt sich die Frage, wie diese globale Dimension von Heimat auf regionale Handlungsspielräume und Identifikationen gebracht werden kann. Klimakatastrophe und Artenkrise ereignen sich global. Auf lokaler Ebene jedoch stehen Naturschutz und Klimapolitik oftmals in Opposition, wenn beispielsweise der technische Umbau von Agrarlandschaften in Energielandschaften erfolgt und dabei dem Artenschutz oder der Vorstellung einer landschaftlichen Heimat entgegensteht.
Der Begriff der Heimat hat insbesondere in Krisenzeiten Konjunktur. Wenn Verluste drohen oder erfahren werden, wird der Begriff ins Spiel gebracht, indem er mit alten und neuen Bedeutungen aufgeladen wird. Die Forschung nennt den Begriff ein Chamäleon, das mit ganz unterschiedlichen Werten und Zuschreibungen gefüllt werden kann. Die verbindende Metapher des Raumschiffs wiederum vereint alle Menschen auf dem Planeten zu Erdlingen, die in der Verantwortung stehen, den Planeten bestmöglich zu pflegen und zu erhalten.
»Wie können sich folgende Generationen in der Zukunft eine Heimat machen, sich beheimatet fühlen?«
Doch ist die Heimat, wenn sie auf das Lokale heruntergebrochen wird, oftmals ein Kampfplatz. So proklamieren manche Heimat in einer revisionistischen Deutung als heile Welt, mitunter als vorindustrielle Welt, als Utopie – also einen Nicht-Ort – der in der Vergangenheit liegt. In der Frage nach der Heimat scheint aber immer auch die Problemlage auf, wie wir in Zukunft leben wollen, wie sich Menschen und folgende Generationen auch in der Zukunft eine Heimat machen können, sich beheimatet fühlen werden. Was gilt es zu bewahren, was zu reparieren, was zu erneuern? Wie lässt sich die Heimat in die Zukunft bringen, wenn dies keine Zeit sein soll, die es, wie bei den revisionistischen Vorstellungen, nur im Rückspiegel gibt?
Heimat in Zeiten ökologischer Krisen
Im bunt illustrierten Bilderbuch Die besten Weltuntergänge der Welt (2021) erzählen die Autorin Andrea Paluch und die Illustratorin Annabell von Sperber zwölf mögliche Zukünfte. Sie haben sich entschieden die Zukünfte nicht als katastrophische Weltuntergänge darzustellen, sondern vielmehr als Orte, an denen Menschen – sie haben das Beispiel einer Familie gewählt – weiterhin zu Hause sind. Jede Doppelseite zeigt ein Wimmelbild und einen begleitenden Text.
»Die Luft wird dünn« skizziert eine Gesellschaft, die in gläsernen Sphären und Gewächshäusern nur noch abgeschirmt von der Atmosphäre leben kann. In einer Welt mit dem Namen »Nach der großen Flut« haben Menschen begonnen das Wasser in ihr Leben zu integrieren. Sie leben auf schwimmenden Inseln und bauen Nahrungsmitteln auf Flößen an. Die Welt ohne Autos zeigt bepflanzte Städte von großer Lebensqualität. Auf den Straßen wachsen nun Bäume. Die Welt »Zurück zur Natur« hat erfolgreich auf Kreisläufe umgestellt. Alles wird wiederverwendet. Eine Raumschiff-Welt schwebt im All. Sie verdeutlicht die verlorenen Bewegungsspielräume und Handlungsmöglichkeiten, denen Menschen, eingesperrt in einem Raumschiff, unterworfen sind.
Alle Zukünfte erscheinen als Orte, wo Menschen immer noch eine Heimat haben können. Die beiden negativsten Zukunftsbilder im Buch sind die Welt in der Dürre und die Welt der andauernden Pandemie. Die trockene Welt ist ein Verteilungskampf, die Welt in der Pandemie hat Grundrechte eingeschränkt, wobei es trotzdem in beiden noch Orte gibt, die ein Zuhause bieten.
Natürlich provoziert jeder Entwurf sofort Fragen danach, wie plausibel die Visionen sind, und regt dazu an, ihre jeweiligen Grenzen zu finden und Fehler und Auslassungen in den absichtlich naiv ausgemalten Zukünften zu entdecken. Es steckt viel Visionäres und Utopisches in jedem der Entwürfe (und mitunter auch die Geschichte der Zukunft, wenn zum Beispiel die Raumschiff-Zukunft aussieht wie die Entwürfe zu »Space-Colonies«, die die NASA in den 70er Jahren bei Künstlern in Auftrag gab).
Doch besteht das Potenzial einer solchen Sammlung gerade in der Vielfalt der zwölf Entwürfe, die hier ohne Bewertung einer neben den anderen gestellt sind. Auf diese Weise eröffnet sich die Möglichkeit, das eigene Leben in jede dieser Zukünfte einzusetzen – »Ist das der Ort an dem ich leben möchte?« – und sich zu überlegen wo dies besser und schlechter gelingt. Einzig im Zukunftsbild »Die Welt ohne Menschen« gibt es nur noch Tiere und Pflanzen, die Menschen sind nicht mehr auf der Erde zu Hause.
Erzählungen und Mythen
Wie alle anderen Gesellschaften basieren auch moderne Gesellschaften auf Erzählungen und Mythen, die ihre Lebensweise aus der Vergangenheit heraus begründen. Viele nennen diese heute Narrative. Moderne Industriegesellschaften, die aus der Aufklärung entstanden sind, fühlen sich vor allem in zwei Erzählungen zu Hause, sie gehören zu ihrer DNA, sie sind erlernt, eingeübt und fest tradiert. Das sind insbesondere die Erzählungen vom Untergang (größtmöglicher Heimat- und Zukunftverlust) und von Fortschritt.
Die Bedrohung der Erde durch menschliche Eingriffe ist gleichzeitig der Grund und der Zielpunkt der technischen Erlösung, beide treiben sich gegenseitig an. Von beiden – den Katastrophen wie den technischen Zukünften – haben wir sehr viele Geschichten und Bilder. Auch bei diesen können wir die Übung machen, ein zukünftiges Zuhause in diese einzusetzen.
»Fortschritt und Wachstum sind gefräßig.«
Was im zuvor erwähnten Buch Die besten Weltuntergänge vollkommen fehlt, sind die durch die christliche Tradition befeuerten Erzählungen von Apokalypse und Weltuntergang aufgrund einer globalen Katastrophe. Ein solches katastrophales Finale erscheint jedoch als logische Konsequenz, wenn man die Narrative vom ewigen Fortschritt und Wachstum in die Zukunft projiziert. Diese Erzählungen, so könnte man zuspitzen, sind es, die Heimaten vernichten. Fortschritt und Wachstum sind gefräßig, verschlingen Rohstoffe, Energien und ganze Landschaften. Ihr Schlund steht immer offen, sie müssen fortlaufend weiter genährt werden. Ihre Ewigkeitslasten sind oftmals enorm, also jene Technikfolgen, die aus ihrem Müll oder ihrem Erhalt entstehen.
Weltbilder, die bestimmte Mächte und Lösungsansätze strukturell festigen, sind Ideologien. Der nigerianische Denker Bayo Akomolafe vergleicht die Ideologie-Maschine der westlichen Moderne mit einer Ameisenmühle. Weil die Spur der Pheromone im Kreis führt, setzen die Tiere ihren sinnlosen Pfad Runde für Runde fort, bis sie an Erschöpfung sterben. »Dass es so weitergeht wie bisher, ist die eigentliche Katastrophe«, so lautet eine oft zitierte Äußerung des Philosophen Walter Benjamin. Bedeutsamerweise bemerken wir nicht, dass es so weitergeht und die Mühle der alten Weltbilder gegen immer größere Widerstände anläuft. In gewisser Weise verlieren wir aufgrund dieser Weltbilder, in denen wir zu Hause sind, Heimat.
»Zur Heimat gehört mehr als eine Bilderbuchlandschaft.«
Die Motorik derartiger Erzählungen wirkt sich direkt auf Gegenwart und Zukunft aus. Nüchtern könnte man konstatieren, dass es Gesellschaften gelingen kann, sich auch in den leergeräumten oder den technisch durchdrungenen Landschaften der Energiewende zu Hause zu fühlen, denn zur Heimat gehört mehr als eine Bilderbuchlandschaft. Diese ist selbst ein Konstrukt. Die Landschaft in Deutschland beispielsweise hat sich während des 20. Jahrhunderts bereits mit jedem Jahrzehnt drastisch verändert. Mit der Zeit jedoch verschwindet das Bewusstsein über die Veränderungen.
Wahrnehmung von Veränderungen geht verloren
Mit dem Shifting-Baseline-Syndrom, wie es der schottische Landschaftsarchitekt und Umweltaktivist Ian McHarg 1969 beschrieben hat, lässt sich dieses Phänomen erklären. Die Wahrnehmung von Veränderungen geht verloren, wenn jede Generation neu definiert, was »natürlich« ist. Wenn Tiere, Pflanzen, Wälder, Flüsse, Grünflächen und ganze Ökosysteme verschwinden, verschwindet auch ihre Wahrnehmung und damit die Erinnerung. Das Syndrom begründet, weshalb Handlungen nicht stattfinden, die diesen Prozess aufhalten. Denn Menschen gewöhnen sich immer wieder an den neuen Zustand, auch wenn dieser, ökologisch betrachtet, schlechter ist.
Die Heimat in ihrer revisionistischen Deutung ist eine heile Welt der Vergangenheit, mitunter eine vorindustrielle Welt. Sie ist ein Nicht-Ort, der in der Vergangenheit liegt und den es so, wie wir ihn imaginieren, vielleicht niemals gegeben hat. Der Reflex einer revisionistischen Heimatsehnsucht wiederum ist verständlich, weil sie dem Verlust von Zukunft erfolgreich entgegenwirkt. Die Vergangenheit erscheint als die bekannte Welt, in der es einfacher gelingt, mir mein Leben vorzustellen als in einer ungewissen und bedrohten Zukunft, die keine Heimat zu bieten scheint. Wie kann es ein Vertrauen in die Zukunft geben, in die Heimat als zukünftigen Ort, wo es gute Beziehungen zwischen Menschen, Kultur und Natur gibt? Wie lässt sich die Heimat in die Zukunft denken, statt darauf zu beharren, dass es früher besser war?
Sich beheimaten
Wenn Heimat als Beziehungsbegriff verstanden wird, erhält er viele neue Dimensionen. Neben räumliche und zeitliche treten soziale, emotionale und kulturelle sowie die Dimension der Natur. Heimatgefühle und Identität entstehen im Geflecht dieser Dimensionen. Auch wenn es manchen in ihrem Erleben widersprechen mag, Heimat ist nicht statisch, sondern äußerst wandelbar, wobei auch der Klimawandel diese Heimaten bereits mitunter schleichend oder radikal verändert.
»Der Begriff müsste eigentlich ein Verb sein – denn sich zu beheimaten ist ein fortlaufender Prozess.«
Das bringt den Begriff in eine niemals aufzulösende Spannung. Wir wollen, dass Heimat ein verlässlicher Pol und damit stabil ist. Doch die Verbindungen, die Menschen zu den Dimensionen eingehen, entstehen immer wieder neu und wandeln sich mit den sozialen, kulturellen und natürlichen Umständen. Aus diesen Gründen müsste der Begriff eigentlich ein Verb sein – denn sich zu beheimaten ist ein fortlaufender Prozess. Die Frage nach der Zukunft und danach, wie wir uns die Zukunft erzählen als eine Welt, in der ein gutes Leben weiterhin möglich ist, ist letztlich die Frage, in welchen Beziehungen wir in Zukunft beheimatet sein möchten.
Wenn wir gegenwärtig nach positiven Erzählungen für eine Zukunft trotz Artenkrise, Klimakatastrophe und den negativen Folgen des technischen Fortschritt suchen, dann suchen wir letztlich nach einem Ort in der Zukunft, an dem wir immer noch ein Zuhause finden können. Die Übung ist, die alten Geschichten zu verlernen und neue Geschichten plausibel zu machen. Es geht darum, die Heimat radikal in die Zukunft zu bringen und zu pluralisieren. Denn beide, die Zukunft und die Heimat, sind im Plural nicht üblich. Zukünftige Heimaten und vorstellbare Zukünfte sind jedoch geboten, wenn es darum geht, den Planeten Erde für seine menschlichen Bewohner weiterhin als Zuhause zu bewahren.
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