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© Foto: picture alliance / imageBROKER | Bernd Tschakert

Altersdiskriminierung in Deutschland Falsche Bilder, falsche Wahrnehmung

Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters werden selten als Form der Benachteiligung wahrgenommen, und wenn, dann als eine weniger schwerwiegende Form der Benachteiligung, und entsprechend nicht hinterfragt, auch nicht von älteren Menschen selbst. Für viele scheint es natürlich, dass ihnen in höherem Alter nicht mehr alle Möglichkeiten offenstehen.

Dahinter verbergen sich defizitär geprägte Altersbilder, die unmittelbare Folgen für das Wohlergehen älterer Menschen haben. Höchstaltersgrenzen im Ehrenamt, Verweigerung von Krediten oder Versicherungen, Benachteiligungen bei der Wohnungssuche oder die Verweigerung von medizinischen Behandlungen: All diese und weitere Facetten der Altersdiskriminierung werden auf internationaler Ebene seit einiger Zeit unter dem Begriff ageism verstärkt in den Blick genommen. Die Weltgesundheitsorganisation hat kürzlich den ersten Global Report on Ageism vorgelegt. Die Europäische Kommission stellte zuletzt in einem Bericht heraus, dass die Charta der Grundrechte der EU und die Gleichbehandlungsrichtlinie für den Bereich Beschäftigung nicht ausreichten, ältere Menschen außerhalb der Arbeitswelt in den europäischen Mitgliedstaaten umfangreich vor Diskriminierung zu schützen. In der Europäischen Union sind Staaten aktuell nur für den Bereich Beschäftigung verpflichtet, den Schutz vor Altersdiskriminierung zu gewährleisten. Eine europäische Richtlinie, die darüber hinausgehende Bereiche abdeckt, wird seit Längerem eingefordert.

Deutschland hat mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 2006 vier Europäische Gleichbehandlungsrichtlinien umgesetzt. Das AGG deckt neben der Arbeitswelt auch Alltagsgeschäfte ab, zum Beispiel Wohnungssuche, Einkauf, Gastronomie sowie Versicherungs- und Bankgeschäfte. Eine Benachteiligung aufgrund hohen und jungen Alters in diesen Lebensbereichen ist entsprechend verboten. Es bestehen jedoch umfangreiche Ausnahmeregelungen, beispielsweise, wenn eine Ungleichbehandlung im Arbeitsrecht »objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist« (§ 10 AGG) oder bei der Berechnung von Versicherungsprämien einer »risikoadäquaten Kalkulation« folgt (§ 20 AGG).

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist in Deutschland die zentrale Anlaufstelle für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. 2019 bezogen sich 12 % der bei der Antidiskriminierungsstelle eingegangenen Anfragen auf das Diskriminierungsmerkmal Alter, insgesamt 441 Anfragen. Besonders viele Beschwerden erhielt die Antidiskriminierungsstelle im Bereich des Arbeitsmarktes. Zahlreiche Anfragen gab es auch im Bereich Finanzen bei Bank- und Versicherungsgeschäften, weil keine Kredite ausgegeben oder die Tarife hoch berechnet wurden.

Hinter Altersdiskriminierung und der Art und Weise, wie ältere Menschen in der Gesellschaft behandelt werden, was ihnen zugetraut wird und was nicht, stehen gewisse Altersbilder, allgemeine Vorstellungen vom Alter und Einstellungen gegenüber älteren Menschen. Defizitär und negativ geprägte Altersbilder sind in der Gesellschaft tief verwurzelt. Jugend wird gemeinhin mit Leistungsfähigkeit, Tatkraft und Produktivität gleichgesetzt, während dem Alter eher Untätigkeit (»Ruhestand«) und Hilfsbedürftigkeit zugeschrieben werden. Ältere Menschen werden als Belastung und Bedrohung für die sozialen Sicherungssysteme (Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung) gesehen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird eher für sie »gesorgt«, als dass sie selbst einen aktiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Ältere Menschen erscheinen dabei meist als homogene Gruppe und Alter als ein einziger Lebensabschnitt. Dabei umfasst das Alter, das in der Regel am Eintritt in die nachberufliche Lebensphase festgemacht wird, mit der in den vergangenen Jahrzehnten gestiegenen Lebenserwartung mittlerweile bis zu 40 Jahre. In der Wissenschaft wird meist zumindest noch zwischen dem dritten (etwa ab 65 Jahren) und vierten Lebensalter (etwa ab 80 Jahren) unterschieden.

Mit der Corona-Pandemie haben zugespitzte Bilder von Alt und Jung weiter an Bedeutung gewonnen. Sie boten und bieten eine Basis für Entscheidungen, wie beispielsweise die Impfreihenfolge. Obwohl in dieser Situation nötig und nachvollziehbar, bleiben es Verallgemeinerungen, die das Individuum auf sein Alter reduzieren und damit nicht die Realität abbilden, sondern diese vereinfachen wollen. Ein Bewusstsein darüber ist wichtig, damit diese zugespitzten Altersbilder nicht als Abbild der Realität verstanden und verinnerlicht werden.

Das »Centre for Ageing Better« in Großbritannien hat in einer Studie zu Stereotypen in Medien und Gesellschaft Begriffe zusammengestellt, die in Diskursen um ältere Menschen am häufigsten fallen: Darunter sind vor allem Begriffe aus dem Gesundheitsbereich und negativ konnotierte Begriffe: »Demenz«, »Verletzlichkeit«, »Pflege« und »Herausforderungen«. In Werbung und Öffentlichkeit bestätigen sich die Ergebnisse, dass es an differenzierteren, realistischen Bildern von älteren Menschen fehlt: Ältere Menschen treten entweder als »junggebliebene Überperformer« auf, denen das hohe Alter nur an den grauen Haaren anzusehen ist, oder sie schauen passiv und einsam aus dem Fenster.

Altersbilder können einerseits das Handeln von Menschen und Organisationen beeinflussen, andererseits können aber auch Organisationen wie beispielsweise Arbeitgeber, Banken, Versicherungen etc. Altersbilder in der Gesellschaft prägen. Werden älteren Menschen beispielsweise Kredite oder ein bestimmter Versicherungsschutz, wie eine Auslandskrankenversicherung, verwehrt, kann dies die soziale Teilhabe einschränken und somit defizitäre Altersbilder verfestigen.

Deutschland hat eine der ältesten Bevölkerungen weltweit. Für die Gesundheits- und Rentensysteme ergeben sich dadurch große Herausforderungen, sowohl aktuell als auch mit Blick auf die Zukunft. Doch neben den zu bewältigenden Herausforderungen ergeben sich auch Chancen durch diese Entwicklung, die zu selten im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit und politischer Diskurse stehen. Beispielsweise übernehmen viele ältere Menschen Sorgearbeit in der Familie oder nutzen andere Gelegenheiten sich im weiteren Umfeld einzubringen und mitzugestalten. Häufig engagieren sich ältere Menschen nach Eintritt in den »Ruhestand« freiwillig, in Deutschland sind es etwa 34 % der über 65-jährigen – Tendenz steigend.

Deutschland im unteren Mittelfeld

Wie eine Gesellschaft auf ältere Menschen blickt, sie behandelt und respektiert, hat Folgen für das Wohlergehen älterer Menschen, wie Studien zeigen. Eine international vergleichende Studie von New Orb Media aus dem Jahr 2018 zeigt länderspezifische Unterschiede in den Grundeinstellungen gegenüber älteren Menschen. Bei der Frage »Wie sehr werden alte Menschen in ihrem Land respektiert?« liegt Deutschland mit einem Wert von 3,86 auf einer Skala von 0 (wenig) bis 5 (sehr) im unteren Mittelfeld. Spitzenreiter ist Ungarn mit 4,8, den letzten Platz belegt die Ukraine mit 2,84. Die Befragung von 150.000 Menschen in 101 Ländern zeigt auch einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an Respekt gegenüber älteren Menschen und deren Wohlergehen. In Gesellschaften, in denen Menschen dem Alter eher positiv gegenüberstehen, leben Menschen durchschnittlich länger und bleiben länger gesund. Die US-amerikanische Altersforscherin Becca Levy von der Yale University stützt diese Befunde mit ihrer Forschung zu negativen Auswirkungen von Altersdiskriminierung und negativen Stereotypen in der Gesellschaft auf die Gesundheit von älteren Menschen. Sie zeigt sogar einen Zusammenhang zwischen positiven beziehungsweise negativen Altersbildern und dem Auftreten von Krankheiten wie Demenz. Als zentrale Erklärung für diesen Zusammenhang sieht sie ein konstant hohes Stresslevel durch negative Grundeinstellungen zum Alter.

Auch lässt sich annehmen, dass Menschen, die von der Lebensphase Alter grundsätzlich nur Negatives erwarten, bei Missständen nicht aktiv werden und nicht versuchen die Situation zu verbessern, da die schlechte Lebensqualität ihren Erwartungen entspricht.

Fehlendes Problembewusstsein

Es fehlt an Problembewusstsein in der Gesellschaft und an einer Identifikation mit der Problemlage, besonders auch bei älteren Menschen selbst. Auch mangelt es im Diskriminierungsbereich Alter derzeit noch an zivilgesellschaftlicher Unterstützung. Im Vergleich hierzu hat beispielsweise hinsichtlich der Diskriminierungsbereiche Geschlecht und Herkunft bereits eine sehr viel stärkere öffentliche Auseinandersetzung stattgefunden. Die gesellschaftliche Sensibilisierung bezüglich Sexismus und Rassismus hat letztendlich zu vielfältigen Initiativen gegen Diskriminierung in diesen Bereichen geführt.

Antidiskriminierungsgesetze wie das AGG spielen eine wichtige Rolle, um ein Bewusstsein für das Problem zu schaffen und ein konkretes rechtliches Vorgehen gegen Fälle von Altersdiskriminierung zu ermöglichen. Eine Schärfung des AGG hinsichtlich der umfassenden Ausnahmeregelungen könnte den Schutz vor Diskriminierung, auch für das Merkmal Alter, voranbringen. Auch die Erweiterung des Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal Alter könnte den Diskriminierungsschutz weiter stärken, ist jedoch mit beträchtlichen Hürden und juristischen Unwägbarkeiten verbunden, wie sich auch an der aktuellen Diskussion zu Kinderrechten im Grundgesetz beobachten lässt.

Besonders wichtig ist es, auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene anzusetzen und verinnerlichten Vorurteilen und Stereotypen durch positive Botschaften und Erfahrungen bei Jung und Alt entgegenzuwirken. Hier geht es um kein idealisiertes, sondern ein realistischeres, differenzierteres Bild des Alters, das sowohl die unerfreulichen (beispielsweise gesundheitliche Probleme) als auch die positiven Seiten (wie Erfahrungswissen und Zeitressourcen) in den Blick nimmt.

Wichtig sind hier vor allem auch die Medien und die Werbung. Es ist genauer darauf zu achten, wie über das Alter gesprochen wird und welche Konsequenzen das auf unser aller Bild vom Alter, insbesondere aber auch auf das Selbstbild von älteren Menschen hat. Eine große Rolle hierbei spielt nicht zuletzt der Kontakt und Dialog zwischen den Generationen, für den angesichts der sich an vielen Stellen verändernden Familienstrukturen, neue Wege und Formate zu finden sind. Dies alles wäre wichtig, um nicht nur ältere Menschen, sondern auch die jetzt noch jungen Generationen zu befähigen, ihr Alter für sie bestmöglich zu gestalten. Die Vielfalt älterer Menschen sollte eine Selbstverständlichkeit in der öffentlichen Wahrnehmung werden.

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