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Vertreterinnen des Surrealismus in der Frankfurter Schirn Fantastische Frauen

Schon möglich, dass der Name Remedios Varo selbst Kunstkennern nicht geläufig ist. Merkwürdig ist es allemal, gehört die spanische Malerin doch zu den herausragenden surrealistischen Künstlerinnen. 1908 in der Provinz Girona geboren, wird sie früh vom Vater zum Zeichnen ermutigt. In Madrid besucht sie später die Kunstgewerbeschule und studiert danach an der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando. Ende der 30er Jahre verschlägt es sie nach Paris, wo sie dem Kreis um den Surrealisten André Breton angehört. Ihre erste Einzelausstellung widmet ihr 1956 die Galería Diana in Mexiko-Stadt. Sieben Jahre später stirbt Varo ebendort. Ihr Malstil spielt mit bekannten surrealistischen Techniken, wie der Fumage (Arbeit mit Rußspuren), der Frottage (Abreibung) oder der Décalcomanie (Abklatschverfahren).

In Frankfurt am Main sind jetzt einige ihrer Öl- und Temperabilder ausgestellt (aufgrund der Corona-Pandemie aktuell aber nicht zu sehen), ironisch gefärbte Bildwelten, die eigentümliche Gestalten ins Zentrum rücken und sehr eigene Situationen entwerfen. Auf ihrem Bild Damenschneider zeigt sie eine Gruppe Frauen, deren Gewänder wie Kokons wirken. Die zentrale Figur trägt eine Art Panzer auf dem Rücken, eine andere verdoppelt sich, einmal ausgemalt, einmal schwach umrissen. Dazwischen steht der besagte Damenschneider und mustert die kapriziösen Frauen, die sehr dünn und sehr aufrecht im Bild stehen. Traumwesen, wie sie typisch sind für den Surrealismus.

Wer an diese Bewegung denkt, dem fallen zuerst Männer ein: etwa Salvador Dalí, Max Ernst, René Magritte. Frauen gab es aber natürlich auch: Frida Kahlo, Meret Oppenheim und einige mehr. Dass es viele mehr sind, zeigt eine große Überblickschau in der Schirn Kunsthalle Frankfurt unter dem programmatischen Titel Fantastische Frauen: rund 260 Werke von 34 Künstlerinnen aus elf Ländern, darunter große Namen wie Louise Bourgeois und Frida Kahlo, bekanntere wie Claude Cahun und Lee Miller sowie bislang eher unbekannte wie Alice Rahon und Kay Sage. Malerinnen, Bildhauerinnen, Fotografinnen, Filmemacherinnen, die es (wieder) zu entdecken lohnt. Laut der Kuratorin der Ausstellung, Ingrid Pfeiffer, spielten Frauen in keiner anderen Bewegung der Moderne auch quantitativ eine solch zentrale Rolle wie im Surrealismus. Umso erstaunlicher findet sie es, dass einige von ihnen bis heute in vielen Publikationen und Ausstellungen verschwiegen würden.

Die unter dem Schlagwort »Geschlechtergerechtigkeit« allerorten und eben auch in den Künsten geforderte Chancengleichheit bringt es mit sich, dass Frauen derzeit mehr Aufmerksamkeit erfahren. Doch solche rein weiblich besetzten Ausstellungen sind kein Phänomen der Jetztzeit. So stellte die berühmte Kunstmäzenin und Galeristin Peggy Guggenheim schon im Jahr 1943 unter dem Titel Exhibition by 31 women ausschließlich Künstlerinnen aus, darunter auch die Amerikanerin Dorothea Tanning.

In den 60er und 70er Jahren beginnt Tanning eigenwillige Stoffskulpturen zu entwerfen. Die Schirn zeigt unter anderem ihre großformatige Arbeit An welcher Liebe. Dabei handelt es sich um einen sich vor Schmerz windenden Stoffkörper, der angekettet ist wie ein Hund. Ein Bild des Jammers. Der Titel stammt aus Jean Racines Drama Phädra und bezieht sich auf Ariadne. Vornehmlich aus Wolle, Samt und Flanell besteht auch eine andere Arbeit von Tanning: Don Juans Frühstück. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Bierkrug mit einer weißen Schaumkrone lässt sich bei näherer Betrachtung und mit viel Fantasie auch als abstrakter Frauenkörper in einer nachlässig geknöpften Korsage mit üppig herausquellendem Fleisch lesen. Ein ironisches Spiel mit dem Frauenhelden gelingt Tanning so oder so.

Der weibliche Körper nimmt im Surrealismus eine zentrale Position ein. Auch die Künstlerinnen stellen ihn oft ins Zentrum ihrer Arbeiten. Dass es etwas grundsätzlich anderes ist, ob Männer oder Frauen das tun, beweisen viele Arbeiten der Schau. Während etwa Man Ray auf einem seiner bekanntesten Fotografien die Rückenansicht einer Frau in ein Cello verwandelte, indem er sogenannte F-Löcher für den Schall in Höhe ihrer Taille aufmalte, begnügt sich die Malerin und Fotografin Eileen Agar auf ihrem Foto Nude Back damit, eine kauernde Frau von oben abzulichten, bis nicht mehr zu sagen ist, ob es sich um einen Menschen oder einen Stein handelt. Die Frau ist hier aber nicht Objekt wie bei Man Ray, sondern reine Form. Auf dem Ölgemälde Immer noch im Atelier wiederum drapiert besagte Dorothea Tanning eine nackte Frau derart auf ihrem Arbeitstisch, dass sie förmlich mit ihren Malutensilien verschwimmt. Der Körper ist hier nicht erotisch aufgeladen, sondern eher Sinnbild für einen inneren Zustand der Auflösung. Ganz anders auch der Blick auf den weiblichen Körper der vor allem als Bildhauerin weltberühmten Louise Bourgeois. Ihre Frauenkörper wirken wie abstrakte Gebilde. Schlanke Figuren, die weder Brüste noch Hintern haben. Die Skulptur Pregnant woman indes weist dann erwartbare Rundungen auf; in anderen Arbeiten macht sich Louise Bourgeois geradezu einen Spaß daraus, das weibliche mit dem männlichen Prinzip zu versöhnen. Dazu passt, dass sie davon überzeugt war, dass wir alle männlich-weiblich seien. Demnach konnte es für sie auch keine weibliche Kunst geben. Ganz ähnlich äußerte sich auch Meret Oppenheim, die zu den großen Namen dieser Ausstellung gehört. Ihre pelzige Tasse (Frühstück im Pelz) aus dem Jahr 1936 dürfte zu den bekanntesten Objekten der surrealistischen Bewegung gehören. Oppenheim wiederum war eng befreundet mit der 1907 in Buenos Aires geborenen und 1996 in Paris gestorbenen Künstlerin Leonor Fini. Sie dreht auf ihren Bildern den Spieß oft einfach um und erweist sich dabei genauso freigeistig wie in ihrem Leben. Ihr Bild Frau, auf einem Mann sitzend aus dem Jahr 1942 zeigt genau das. Eine Frau benutzt einen nackten Mann wie ein Möbelstück. Sie thront regelrecht auf ihm und blickt dabei unschuldig in die Ferne. Unverkennbar trägt die Frau die Züge der Künstlerin selbst. Ihr goldgelber langer Rock bedeckt wesentliche Stellen des Mannes, der unter ihr liegt wie ein Schlafender. Schlafende nackte Männer in eindeutigen Posen und nie das starke Geschlecht markierend, finden sich viele bei Leonor Fini. Sie zeigen, was der Kunst entgeht, wenn sie Frauen ausschließt. Es geht nicht nur um die Erweiterung des Kanons, sondern auch um eine andere Perspektive.

Viele der Frauen, das machen ihre Biografien deutlich, wurden von Männern – seien es ihre Väter, Ehemänner, Freunde oder Mäzene gewesen – regelrecht ermuntert und bestärkt, künstlerisch aktiv zu werden. Diese Ermunterung war auch deshalb so wichtig, weil die Künstlerexistenz als Modell bis in den Habitus hinein männlich geprägt war. Es mangelte schlicht an weiblichen Vorbildern. Einige der Frauen verdingten sich erst als Modell für männliche Künstler. Das gilt auch für Dora Maar, die viele in erster Linie als Muse Pablo Picassos, die er auf einigen Bildern verewigte, kennen dürften. Sie stand auch einigen Fotografen, darunter Man Ray, Modell. Doch eigentlich war sie Fotografin und Malerin. Ihre manipulierte Fotografie eines Gürteltierembryos avancierte gar zum surrealistischen Klassiker. Trotzdem weigern sich manche, sie als Künstlerin anzuerkennen. Der bekannte Kunstsammler Heinz Berggruen soll über sie gesagt haben: »Sie war in allen Höhen und Tiefen ihres Lebens ein Teil des Planeten Picasso.« Das ist ziemlich seltsam, denn schon ihre ebenfalls in der Schirn zu sehenden Fotografien aus den frühen 30er Jahren bezeugen ihre enorme künstlerische Eigenständigkeit. Frau mit Seife in den Haaren zeigt etwa die Profilansicht eines Gesichts mit shampoonierten Haaren, die der Wind theatralisch nach vorne zu wehen scheint: eine Schaumgeborene. Die Haartracht erinnert an formvollendete Meerespflanzen, wie sie Dora Maar ebenfalls fotografiert hat.

Nicht selten werden Künstlerinnen auch im direkten Abgleich mit ihren männlichen Kollegen begutachtet. So erläutert eine Kunstvermittlerin in der Ausstellung den Besuchern, dass diese Künstlerin dieses und jenes wie Max Ernst mache und gewisse Ähnlichkeiten mit Magritte aufweise. Kunst von Männern scheint für sich selbst zu stehen, wohingegen Kunst von Frauen immer noch gern in Bezug zu den Arbeiten ihrer männlichen Kollegen rezipiert wird. Auch das könnte so eine Ausstellung zu ändern helfen, indem sie den Fokus auf Frauen lenkt, die noch nicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert sind. Dass die Aufmerksamkeit dann wieder besonders auf den Werken der bekannten mexikanischen Malerin Frida Kahlo liegt, war nicht anders zu erwarten. Dass die Schirn ausgerechnet eines ihrer Bilder als Aushängeschild nutzt, mag werbewirksam sein, schade bleibt es doch.

Es wäre nämlich lohnend, den Blick von den Gemälden Frida Kahlos ab- und denen der Französin Bridget Tichenor zuzuwenden. Die 1917 in Paris geborene Künstlerin lebte ab 1953 in Mexiko, wie einige andere in der Ausstellung vorgestellten Frauen auch. In Mexiko-Stadt gab es 1958 auch einen »First Salon of Women's Art«, der ausschließlich Kunst von Frauen zeigte, darunter auch die in der Schirn präsentierten Künstlerinnen Alice Rahon, Leonora Carrington und die eingangs erwähnte Remedios Varo. Womöglich verstecken sich diese Künstlerinnen auch auf Tichenors Gemälde Die Surrealisten/Spezialisten. Zu sehen sind darauf acht verschleierte, puppenhafte Wesen, die wie Traumgespenster wirken. Um sie herum herrscht Dunkelheit, sie selbst stehen auf einer kleinen grünen Insel und gleichen einer eingeschworenen Gemeinschaft, wie die Surrealistinnen womöglich selbst.

Die in Frankfurt vertretenen Künstlerinnen fühlten sich dem Surrealismus alle verbunden, manche allerdings nur zeitweise. Dorothea Tanning etwa wollte später gar nicht mehr als Surrealistin bezeichnet werden, und Frida Kahlo sah ihre Kunst von Anfang an in einem anderen Zusammenhang. Wahrscheinlich hätten so einige von ihnen auch etwas dagegen gehabt, in einer solchen Ausstellung wie in Frankfurt mit von der Partie zu sein. So lehnte etwa Meret Oppenheim die Beteiligung an ausschließlich Künstlerinnen gewidmeten Ausstellungen rigoros ab, wie im Katalog nachzulesen ist. Ähnlich sollen das Leonora Carrington, Dorothea Tanning und Leonor Fini gesehen haben, ganz zu schweigen von manch einer Künstlerin der Gegenwart. Wie immer man selbst dazu stehen mag, von der (Wieder-)Begegnung mit dem Werk dieser fantastischen Künstlerinnen sollte es einen nicht abhalten.

(Die Ausstellung »Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo« ist offiziell bis zum 24. Mai 2020 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt/M. zu sehen. Als Präventivmaßnahme ist die Schirn allerdings bis mindestens 10. April geschlossen. Der Katalog zur Ausstellung kostet 39 € vor Ort und 49,90 € im Buchhandel; www.schirn.de)

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