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Spurensuche im Milieu der Neuen Rechten Fauler Zauber

August 2008: Günter Grass, Literaturnobelpreisträger und streitbarer Citoyen, ist zu Gast im Hamburger Thalia Theater, um aus seiner autobiografischen Erzählung Die Box vorzulesen. Das hanseatische Bildungsbürgertum erwartet eine anekdotenreiche Reise in die Zeitgeschichte. Doch als der Schriftsteller zum Mikrofon greift, wird es plötzlich laut im Saal: »Vatti. Wir haben dir etwas mitgebracht«, tönt es vom ersten Rang. »Nebelkerzenprosa« von woanders. Und: »Das ist die dritte konservativ-subversive Aktion.« Eilig entrollen einige Aktivisten ein Plakat. Es zeigt einen »typischen Grass«, mit Schnauzbart und Pfeife – und mit einem Stahlhelm.

Initiator der Störung war der damals 38-jährige Götz Kubitschek, schon damals als Protagonist der Neuen Rechten bekannt. Kubitschek hatte für die Junge Freiheit geschrieben, einen neurechten Think Tank namens »Institut für Staatspolitik« mitgegründet und arbeitete als Verleger in deren Hausverlag, der Edition Antaios (seit 2012 Verlag Antaios). Jetzt hatte er sich etwas Neues einfallen lassen: Mit einer kleinen Gruppe, die sich »Konservativ-Subversive Aktion« (KSA) nannte, versuchte er Veranstaltungen politischer Widersacher zu stören. Die KSA lehnte sich, wie die Grass-Lesung zeigte, nicht nur dem Namen nach an die »Subversive Aktion« an, die in den 60er Jahren im Umfeld der legendären Kommune I entstanden war. Sie adaptierte gezielt Aktionsformen, mit denen die 68er die Gesellschaft aufscheuchen wollten. Kubitschek war keinesfalls der erste bekennende Neurechte, der bei den Linken in die Schule ging, wie Thomas Wagner in seinem Buch Die Angstmacher erläutert. »1968«, so der Soziologe, »ist nicht nur die Geburtsstunde einer neuen Linken jenseits der Sozialdemokratie, sondern auch die einer Neuen Rechten«.

Um seine These zu belegen, taucht Wagner tief in die neurechte Grütze der Bundesrepublik. Er beschreibt den Einfluss konservativer Vordenker wie Arnold Gehlen oder Armin Mohler. Er sortiert die Splittergruppen der Neuen Rechten, die bereits Ende der 60er Jahre versuchten, eine Art rechte APO aufzubauen, fernab von den Altnazis der NPD. Er ackert sich durch die rechten Zeitschriften, um die Positionen und Entwicklungen darzulegen. Er zeichnet das organisatorische Netz der völkischen Bewegung nach und lässt ehemalige und aktuelle Protagonisten der Neuen Rechten zu Wort kommen. »Mein Hauptgegner«, so zitiert Wagner beispielsweise, »war immer der Kapitalismus in ökonomischer Hinsicht, der Liberalismus in philosophischer und das Bürgertum in soziologischer Hinsicht.« Klingt linksautonom, stammt aber von Alain de Benoist, einem der Ahnherren der Neurechten auf europäischer Ebene.

Rechte Ideologie mit linken Versatzstücken

Der Franzose Benoist, politisch sozialisiert in der rechtsterroristischen Jeune Nation, hatte sich bereits in den 60er Jahren bemüht, Ansätze der Frankfurter Schule um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno mit nationalistischer Politik zu verknüpfen. Auch von Wladimir Iljitsch Lenin hat er gelernt. Von großer Bedeutung für die Neue Rechte, so zeigt Wagner anhand mehrerer Beispiele, ist der italienische Kommunist Antonio Gramsci, der es als Voraussetzung politischer Führung ansah, dass der Herrschaft der bürgerlichen Ideologie eine kulturelle Gegenmacht entgegengestellt werden muss. Eben daran arbeitet die Szene. Ihre »konservative Kulturrevolution« soll von einem modernen, reich bebilderten und Social-Media-kompatiblen Mythos getragen werden: dem Mythos vom »großen Austausch«. Er besagt, dass die einheimischen Völker allmählich von den einwandernden »Massen« verdrängt werden. Die Bösen in diesem Mythos sind die »Austauscher«: imperialistische Muslime, »linksgrün versiffte« Politiker, die liberale Gesellschaft; die Guten sind die völkisch-nationalistischen Vordenker, die sich als Retter anbieten. Über die Kreation eines solchen Mythos gelangt man zum Kernanliegen der Neuen Rechten: Sie wollen Diskursgrenzen verschieben; rechtes Denken und Sprechen soll zur Normalität werden.

Diesbezüglich hat sich bereits einiges getan, wie sich im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 gezeigt hat. Ohne die Diskursverschiebung ist es nicht erklärbar, weshalb mit der AfD eine völkisch-nationale und antidemokratische Partei mit über 12 % der Stimmen die drittstärkste politische Kraft wurde. Schon vor der Wahl hatte Martin Sellner, einer der führenden Akteure der stylisch-rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, mit Kubitschek ebenso im Austausch wie mit den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und André Poggenburg, über Pegida gejubelt. Die fremdenfeindliche Bewegung interpretierte er im Gespräch mit Wagner als Indiz dafür, dass sich eine kritische Masse der schweigenden Mehrheit für die neurechten Zwecke mobilisieren lasse. »Wir sehen Pegida«, so Sellner, »als breite Massenbewegung, in der sich die Identitären wie ein Fisch im Wasser bewegen. Sie sind der Haupttrupp, wir sind die Avantgarde.«

In solchen Sätzen liegt das Besondere der Angstmacher. Der linke Soziologe Wagner hört den Neurechten, die sonst oft nur Gegenstand der Diskussion sind, zu. Er tut ihnen nicht den Gefallen, die Nazikeule auszupacken, sondern weist auf Kontroversen innerhalb der Bewegung hin, legt Widersprüche in der Argumentation dar oder stellt die zurückhaltenden Positionen seiner Gesprächspartner neben ihre weniger zurückhaltenden Schriften, um die »konservative Kulturrevolution« als faulen Zauber zu enttarnen. Das reicht vollkommen aus, um zu zeigen, wofür die Neuen Rechten in Wirklichkeit stehen: für ein faschistoides, nationalistisches und rassistisches Denken.

Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten. Aufbau, Berlin 2017, 352 S., 18,95 €.

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