Fünf Frauen in Stringtangas präsentierten ihre Hinterteile. Unter dem Slogan »Gleichberechtigung statt Gleichmacherei« warb die Junge Alternative, die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD), für die Europawahl. Vor dem Urnengang in Sachsen wünschte sich Ex-Parteichefin Frauke Petry mit rassistischem Unterton, »dass eine normale deutsche Familie drei Kinder hat«. Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, wetterte gegen »schädliche, steuerfinanzierte Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen Geschlechterordnung dienen«. Und Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Abgeordneter in Sachsen-Anhalt, war sich mit der maskulinistischen Initiative MANNdat schnell einig. Auf der Webseite des Vereins, der Männer in nahezu allen Lebenslagen für benachteiligte Opfer hält, klagten Fragesteller und Gesprächspartner gemeinsam über eine »ideologisch verblendete« Genderpolitik.
Antifeminismus und Antigenderismus sind in den letzten Jahren zu zentralen Themen rechter Bewegungen geworden. Die dahinter stehenden Feindbilder und Argumentationslinien reichen jedoch weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. So findet der Kampf gegen die »Genderideologie« regelmäßig publizistische Unterstützung in konservativen Leitmedien. In Talkshows darf Dauergast und CDU-Mitglied Birgit Kelle ihre Kampfschrift GenderGaga vermarkten. Das komplizierte, schwer erklärbare G-Wort eignet sich bestens für populistische Polemik. Unterschiedlichste Dinge werden dabei vermischt: die von der Europäischen Union geförderte gleichstellungspolitische Strategie des Gender-Mainstreaming, Hochschulforschung wie die Gender Studies und die Neufassung schulischer Lehrpläne, die das Thema sexuelle Orientierung stärker berücksichtigen sollen.
Hetze im Netz
2014 geriet die Kasseler Soziologin Elisabeth Tuider in einen Shitstorm. Netzkommentare hetzten gegen ihre Person, vereinzelt wurde ihr in den Posts gar mit Vergewaltigung und Mord gedroht. Tuider ist Mitverfasserin eines sozialpädagogischen Buches zur Arbeit mit Jugendlichen, das Methoden zur Diskussion von sexueller Vielfalt vorstellt. Über manche, auch in Zeitungsberichten genüsslich zitierte Textpassagen (»Ist es möglich, dass deine Heterosexualität nur eine Phase ist und dass du diese Phase überwinden wirst?«) lässt sich streiten. Es ging aber nicht um eine fachliche Kontroverse, sondern um einen Generalangriff auf die Geschlechterforschung. Diese werde von Männerhasserinnen betrieben, halte wissenschaftliche Standards nicht ein und gehöre daher abgeschafft. Diffamierungen dieser Art durchziehen immer wieder auch die bürgerlichen Feuilletons des SPIEGEL oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der ZEIT-Kolumnist Harald Martenstein (»Schlecht, schlechter, Geschlecht«), der sich in der Rolle des lässigen und arroganten Besserwissers gefällt, tut sich besonders hervor. Skurrile Randaspekte wie »Transgendertoiletten« oder die Anrede »Professx« finden in solchen ironischen Texten gerne Erwähnung.
Wenn sich eine genderbewusste Linguistik um geschlechtergerechte Sprache bemüht, mag das manchmal lächerlich klingen. Leider entstehen daraus Steilvorlagen für Kampagnen gegen die Gender Studies. Die Kritik kommt dabei nicht nur von der politischen Rechten, sondern gelegentlich auch von links. Danach verzettele sich der Forschungszweig in theoretischen Diskursen, statt sich für die alltäglichen Sorgen der »einfachen Leute« zu interessieren. Wie kommt es bei den sozial Abgehängten an, wenn eigentlich Privilegierte in elaboriertem Duktus über Erfahrungen von Ausgrenzung und Randständigkeit berichten? Wenn sie auf Sternchen und Unterstriche beharren, die Deutungshoheit über kulturelle Codes beanspruchen – und jede Abweichung brandmarken? »Man kämpft tapfer gegen Diskriminierung, aber nicht mehr für die unteren Schichten«, moniert Sighard Neckel, der an der Universität Hamburg Gesellschaftsanalyse lehrt.
In den USA löste Mark Lilla nach der Wahl von Donald Trump heftige Dispute unter Intellektuellen aus. Hillary Clinton und die Demokratische Partei, schrieb der Professor für Ideengeschichte an der Columbia-Universität in der New York Times, seien wegen ihrer Fixierung auf das Thema »Diversity« gescheitert. Das ständige Ansprechen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung habe die Wählerschaft irritiert. Lilla bescheinigt dem liberalen Milieu »eine Art moralische Hysterie in Identitätsfragen«. Jede Raumschiffbesatzung in Hollywood müsse »nach den Farben des Regenbogens besetzt werden«, genauso schräg seien »die Debatten über verletzte Gefühle in Universitätsseminaren«. Er »teile zwar die Grundsätze, aber nicht die Priorität, die diesen Fragen in der Öffentlichkeit eingeräumt wird«.
Wie in den Vereinigten Staaten hat sich das Forschungsfeld Gender an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten in Deutschland einen gewissen Stellenwert erarbeitet. Es gibt zwar kaum eigenständige Lehrstühle und viel befristete Beschäftigung, aber immerhin gut 150 Professuren mit einem entsprechenden Schwerpunkt innerhalb anderer Fächer. Die Seminare und Vorlesungen zu Rollenstereotypen oder sexueller Orientierung sind voll, sie üben auf Studierende eine große Faszination aus. Tritt gar Judith Butler auf, Schülerin von Theodor W. Adorno, aus Berkeley und theoretische Ikone des »konstruierten Geschlechts«, können die Hörsäle den Andrang der Interessierten kaum bewältigen.
Werden Themen wie Gleichheit und Gleichstellung in den Gender Studies nachrangig behandelt? »Die Geschlechterforschung hierzulande hat die soziale Frage nie ignoriert, sondern meist integriert«, betont Ilse Lenz, emeritierte Professorin an der Bochumer Ruhr-Universität. Kritik an Gendertheorien sei wichtig und willkommen, aber sie müsse auf ernsthafter inhaltlicher Auseinandersetzung beruhen. Lenz wundert sich über »Hassprediger«, die eigenmächtig festlegen, was »unwissenschaftlich sein soll«. Geschlecht bilde an deutschen Hochschulen eine zentrale«Strukturkategorie für soziale Ungleichheit«, werde verknüpft mit anderen Kriterien wie Klasse und Ethnie. Die Frage nach den Wechselwirkungen, in der Fachsprache Intersektionalität genannt, sei dabei leitendes Prinzip.
Furcht um Privilegien
Lillas These vom Scheitern der Identitätspolitik birgt die Gefahr, Beifall von der falschen Seite zu erhalten. Denn selbstverständlich verdienen gesellschaftliche Minderheiten Schutz vor Diskriminierung. Diversity-Strategien sind Teil eines wichtigen Inklusionsprozesses. Dieser Grundkonsens wird inzwischen auf breiter Ebene geteilt – wie 2017 die klare Mehrheit für die »Ehe für alle« im Deutschen Bundestag gezeigt hat. Seit jedoch die AfD als verlängerter Arm rechtspopulistischer Bewegungen die parlamentarische Bühne betreten hat, brechen alte Kontroversen wieder auf. Rückwärts gewandte Geschlechterbilder werden propagiert, gleichstellungspolitische Konzepte wie die Frauenquote vehement abgelehnt. Im Bündnis mit fundamentalistischen christlichen Kreisen wendet sich die Partei gegen Abtreibung und schürt Homophobie. Über den Verein »Zivile Koalition« von Beatrix von Storch beteiligt sich die AfD an den »Demos für alle«, die die Behandlung des Themas sexuelle Vielfalt an den Schulen stoppen wollen.
Unterstützung erhalten Anti-Gender-Aktivitäten auch von konfrontativen Männerrechtlern. Diese fürchten um ihre Privilegien, wollen die männliche Herrschaft in den Geschlechterbeziehungen erhalten oder wiederherstellen. Die Kernthese der Maskulinisten, die sich teilweise (grammatikalisch falsch) auch als »Maskulisten« bezeichnen, lautet: Die Gleichstellung sei längst erreicht, die Emanzipation der Frauen abgeschlossen, nunmehr würden die Männer diskriminiert. Vor allem in den Echokammern der Internetforen herrscht ein rauer Ton, die Onlinebeiträge schwanken zwischen Verbitterung und Polemik. Andersdenkende Männer werden beschimpft, gelten als »Judas des eigenen Geschlechts« und unterwürfige »lila Pudel«, die dem Feminismus dienen.
Als Netzautoren nach den Attentaten von Oslo Sympathie für die nicht nur islamophoben, sondern auch antifeministischen Motive des norwegischen Massenmörders Anders Breivik äußerten, führte dies zu einer Distanzierung moderater Männerrechtler. Die Szene präsentiert sich seither heterogener, ist aber weiterhin isoliert. Einige Aktivisten sind der AfD beigetreten. Dort polemisiert Rechtsaußen Björn Höcke besonders drastisch gegen jede Gleichstellungspolitik. Er fordert, die »Geisteskrankheit« Gender-Mainstream aus den Schulen und Universitäten zu »vertreiben«, die Sexualpädagogik des »roten Blocks« sei »pervers«. Homosexuelle definieren sich seiner Meinung nach in erster Linie über Sexualität; heterosexuelle Verbindungen dagegen stünden für die »erlebte Polarität des Lebens«, seien die »Keimzelle der Höherentwicklung des Menschen«.
Eine AfD-Landeskonferenz in Baden-Württemberg nahm 2015 die heutigen geschlechterpolitischen Positionen der Partei vorweg. Gender-Mainstreaming sei »als durchgängiges politisches Leitprinzip in Form einer Querschnittsaufgabe staatlichen Handelns auf allen Ebenen unverzüglich und ersatzlos zu beenden«. Die Delegierten forderten die »Rücknahme aller Vorschriften im Sinne der Gender-Ideologie«. Das Bundesgleichstellungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz seien ebenso zu streichen wie »sämtliche Steuer- und Fördermittel für gender-ideologische Maßnahmen«. Zudem verlangt der Beschluss die Abschaffung aller Stellen für Gleichstellungsbeauftragte, die Schließung von »Diversity Offices in allen öffentlich- und privat-rechtlichen Institutionen« und den sofortigen »Förderstopp für die sogenannten ›Gender Studies‹ an Hochschulen und Universitäten« inklusive der Auflösung der entsprechenden Lehrstühle. Diese Inhalte hat das AfD-Programm zur Bundestagswahl weitgehend übernommen.
Nicht überall ist der reaktionäre Charakter der gegen Feminismus und Gleichstellung agierenden Strömungen so leicht auf den ersten Blick erkennbar. So tarnen sich männerrechtliche Vereine gerne unter unverfänglichen Namen wie etwa »Forum Soziale Inklusion« – gemeint ist damit aber nicht die Aufnahme von Kindern mit Handicap in den regulären Schulbetrieb, sondern die aggressiv vorgetragene Forderung nach mehr Rechten für Trennungsväter. Im öffentlichen Diskurs bleiben maskulinistische Positionen eine auf virtuelle Plattformen beschränkte kleine Minderheit. Auch dem christlichen Fundamentalismus gelingt es kaum, über das eigene Kernmilieu hinaus zu mobilisieren. Einflussreicher sind die Aktivitäten der AfD: In Stadt- und Gemeinderäten, auf Landes- wie Bundesebene stellen deren Abgeordnete vermehrt Anträge zu Genderfragen – und es geht dabei nicht nur um Nebenschauplätze wie die »geschlechtergerechte« Sprache. Andere Parteien sollten solchen Initiativen nicht zu parlamentarischen Mehrheiten verhelfen.
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