Vor mehr als zehn Jahren wurde die Forderung nach einem neuen Feminismus lauter. Und spätestens seit der Finanzkrise 2008, die nicht überwunden ist und uns eine große Debatte über das Ende des Kapitalismus ermöglicht hat, sind auch feministische Diskussionen wieder intensiver geworden. Aber wir müssen konstatieren, dass die Auseinandersetzungen über eine Zukunft nach dem Kapitalismus und darüber, wie die Transformation in den Postkapitalismus gestaltet werden kann, in der öffentlichen Wahrnehmung wesentlich von Männern dominiert werden. Daran hat auch das Internet nichts geändert, obwohl es Feministinnen neue Möglichkeiten eröffnet. Die Plattform Wikipedia – eine Ansammlung von Wissen, von dem sich heutzutage viele Menschen in der Überzeugung nähren, es sei ausreichend – wird zu 90 % von Männern gefüllt. Sie ist so demokratisch, wie kaum sonst etwas im Internet, aber es ist eine Demokratie ohne Frauen. 60 % der Blogs werden von Frauen initiiert und gefüllt (da ist alles enthalten – von Schminktipps über special interests bis hin zu feministischen Blogs), öffentlich aber werden die der Männer gefeiert. Spiegelt also auch die neue Technologie alte Geschlechterverhältnisse? Das stimmt und stimmt nicht. Das Internet setzt die Mechanismen, die das Zusammenleben der Geschlechter regeln, nicht außer Kraft. Auch nicht die Tatsache, dass sich Frauen häufig weniger ermächtigt fühlen, zu sprechen. Auf der Webseite economy4mankind.org wurden in diesem Jahr die 50 wichtigsten deutschsprachigen Blogs für Wirtschaft und Politik gekürt. Immerhin auf Platz sechs: netzfrauen.org – ansonsten Männer, Männer, Männer.
2006 hörte man immer häufiger: »Wir brauchen einen neuen Feminismus.« 2007 kam der Begriff »Alphamädchen« auf und DER SPIEGEL widmete diesem neuen Typus Feministinnen eine Titelstory – die dritte Welle des Feminismus wurde ausgerufen: pragmatisch, ehrgeizig, weniger politisch, weniger kämpferisch – Alice Schwarzer sprach von Wellness-Feminismus.
Anne Wizorek zum Beispiel verkörpert trotzdem eine neue Generation von Feministinnen und schon allein dafür, dass sie sich so nennt und nicht etwa als Postfeministin bezeichnet, gebührt ihr Respekt. Als die Autorin 2013 via Twitter den Hashtag #aufschrei initiierte und später ihr Buch Weil ein #Aufschrei nicht reicht schrieb, gab sie damit zugleich ein Plädoyer für einen neuen Feminismus ab.
Der neue Feminismus kommt aus dem Internet
Neu an den neuen Feministinnen ist tatsächlich, dass das Internet für sie eine wichtige Rolle spielt. Das trifft auf fast alle Bewegungen zu. Es bietet die Möglichkeit, sich zu vernetzen und relativiert den Eindruck, ziemlich allein mit seiner Haltung zu stehen. Das ist wichtig. Aber es genügt nicht, auch wenn sich seit den ersten cyberfeministischen Websites und Mailinglisten, auf denen sich hauptsächlich Techniker/innen, Künstler/innen und Theoretiker/innen tummelten, viel getan hat. 2005 kamen die ersten feministischen Blogs in die Welt, zehn Jahre später abgelöst durch Social-Media-Plattformen und mit ihnen weitaus größere Möglichkeiten, sich zu vernetzen.
Der Begriff »Netzfeministinnen« sagt jedoch erst einmal nur etwas darüber, welcher Technologie und Methoden sich diese Frauen bedienen, um ihre Inhalte zu verbreiten, voneinander zu erfahren, sich gegenseitig zu ermutigen und zu verbünden. Unbestritten prägt die Technologie im zweiten Schritt die Art und Weise der Auseinandersetzungen und auch die Inhalte selbst. Im Guten – viel mehr Meinungen, viel mehr Diskussion, zeitliche und räumliche Hindernisse sind irrelevant, die Abhängigkeit von männlichen Verlegern und Medienmachern sinkt. Im Schlechten – oft viel oberflächlicher, nicht selten verkürzt auf Twitterlängen, ein Privileg qualifizierter, netzaffiner und mit den Möglichkeiten der Vernetzung ausgestatteter Frauen. Das lässt viele im Regen stehen. Vor allem, wenn man es global betrachtet.
Laurie Penny, Jahrgang 1986, ist im Guten ein Paradebeispiel dafür, was es bewirken und wie ermutigend es sein kann, im Netz auf emanzipierte, feministische Frauen zu stoßen und mit ihnen zu diskutieren, sich von ihnen ermutigen zu lassen. Und natürlich hätte sie sich in prädigitalen Zeiten ihren Weg in die Öffentlichkeit viel mühevoller erobern müssen. Wenn sie ihn denn überhaupt gefunden hätte.
Aber was ist neu am neuen Feminismus? Und knüpft er an die Kämpfe der Vergangenheit an?
Die erste feministische Bewegung kämpfte für Bürgerinnenrechte – Wahlrecht, Zugang zu Bildung, Abschaffung der Vernunftehe. Die zweite große Bewegung schaffte es in Deutschland, die Gleichberechtigung ins Grundgesetz zu schreiben. In der damaligen Bundesrepublik durften Frauen nun ohne Zustimmung ihrer Männer arbeiten, in der DDR wurde Gleichberechtigung deklariert und damit galt sie auch als durchgesetzt, obwohl die Verhältnisse bis zum Schluss patriarchal blieben, geprägt von einer männlichen Gerontokratie, die Meinungsfreiheit fürchtete, wie der Teufel das Weihwasser. Die dritte Bewegung brachte Themen wie Kinderbetreuung oder Frauenquote in die Diskussion, ging aber nicht auf die Straße. Dazwischen lagen die Jahre nach 1989, ein kurzer hoffnungsvoller Frühling für Feministinnen, geprägt von dem Glauben an die Möglichkeit, eine neue starke Bewegung zu etablieren.
Der Rollback war umfassend und deprimierend. Zehn Jahre nach der Wende schrieb Ulrike Baureithel in der Zeitschrift Weibblick: »Im gleichgeschalteten global village wird Feminismus im besten Fall zur liberalen Aufstiegsformel für Einzelne.« Und tatsächlich erschöpfen sich die öffentlich geführten Debatten scheinbar an Quoten, politischen Initiativen für bessere Kinderbetreuung, im Kampf gegen ungleiche Bezahlung. Aber Sexismus gehört für Frauen weiterhin zum Alltag, Familienarbeit ist größtenteils Frauenarbeit, und in den Talkshows erklären uns zu 90 % Männer die Welt. Postfeministinnen behaupten trotzdem, die Gleichberechtigung sei vollzogen und der Feminismus habe sich zu Tode gesiegt. Und bleiben weitestgehend unwidersprochen.
Ein viel diskutierter Begriff in feministischen Debatten ist »Care«. Im großen Zusammenhang meint dieser Begriff eine Abwendung von der Logik des Profits hin zur Logik der Fürsorge. Friederike Habermann zitiert in ihrem Buch Ecommony das Bild des Eisbergs, dessen sichtbare Spitze die Marktwirtschaft symbolisiert und dessen unsichtbarer, viel größerer Teil alle Dienstleistungen – einschließlich der für den Erhalt und den Schutz des Ökosystems – umschreibt, die unter Sorgetätigkeiten, Subsistenzarbeiten gefasst werden können. Die Sozialwissenschaftlerin Heide Mertens betitelte diese Art des Tuns als »bedürfnisorientiertes Wirtschaften«.
Feministinnen weltweit können sich darin einig sein, dass Reproduktionsarbeiten aller Art überall schlecht oder gar nicht entlohnt werden. Der Kapitalismus vernutzt Sorgetätigkeit, schreibt Habermann. Er verleibt sich die unbezahlte Arbeit der Frauen ein. Und die Frauen? Sie streiken nicht. Viel eher suchen sie nach Möglichkeiten, anders zu wirtschaften, solidarische Nischen oder auch Bewegungen, die Ausstrahlung haben, aber gegenwärtig noch nicht mehr und auch nicht weniger als »Halbinseln« sind, wie Friederike Habermann es nennt.
»Nicht 10 % freie Lohnarbeiter, sondern 90 % unfreie nicht-Lohnarbeiter sind die Säule der Akkumulation und des Wachstums, sind die wahren Ausgebeuteten, sind die wahren Produzenten, sind die Norm, der allgemeine Zustand, in dem sich der Mensch im Kapitalismus befindet« (Claudia von Werlhof in Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit).
Es gab sie, die Debatte um und über feministische Ökonomie. Sie ist verschwunden, bzw. wenn sie heute geführt wird, dann findet sie nicht den Weg in eine breite Öffentlichkeit. Das hat viel damit zu tun, wie sie in den Medien wahrgenommen oder eben nicht wahrgenommen wird. Und es hat auch etwas mit dem Internet – dem Medium unbegrenzter Möglichkeiten – zu tun, das auf der einen Seite die Chance eröffnet, zu artikulieren, zu vernetzen und Widerstand zu organisieren, auf der anderen Seite aber ein neues dunkles Kapitel des Kampfes gegen Frauen aufgeschlagen hat. Die Wochenzeitung DIE ZEIT schrieb dazu: »Sucht man nach einem Beispiel für die sprichwörtliche verbrannte Erde, dann ist die Frauenbewegung ein ziemlich geeignetes Terrain. Feministische Themen lassen die Kommentarspalten von Medien und Blogs zuverlässig mit Beschimpfungen überquellen. Diese offenbaren eine ungeheure Wut gegen die Bewegung, gegen ihre Positionen und die Menschen, die in ihrem Namen sprechen. Die Anfeindungen reichen dabei von harmlosen Beleidigungen bis hin zu Vergewaltigungs- und Todesdrohungen. Einhundert Jahre nach den ersten Protesten englischer Suffragetten, die für das Wahlrecht der Frauen eintraten, ist das eine erschütternde Bilanz.«
Gleichzeitig bescheinigt dieser Artikel den Feministinnen einen gehörigen Anteil Schuld an der Misere. »Einer der Gründe für die schlechte Außenwirkung ist neben der Kritikresistenz die Übererregbarkeit weiter Teile der feministischen Bewegung. Sie pumpt oft jedes noch so kleine Konfliktchen zwischen den Geschlechtern zu einem staatstragenden Skandal auf, der unverzüglich zu einer Kündigung oder Verhaftung des Mannes zu führen hat.« Irgendwann in diesem Text, der von einer Frau geschrieben wurde, fällt dann logischerweise das Wort »Hysterie«. Und das wiederum beschreibt im realen, wie im virtuellen Leben ein gängiges Muster. Frauen wollen vieles, aber nicht als hysterisch gelten. Und um diesem Vorwurf nicht ausgesetzt zu sein, sind sie oft lieber brav und halten sich an die vermeintlich unumstößlichen Diskursvorgaben: Sei konstruktiv, sei sachlich, hör auf zu fluchen, verpack deine Wut oder verabschiede dich besser ganz von ihr, gib dich zufrieden, mit dem, was schon erreicht wurde. Dieses Muster ließe sich nur durchbrechen, wenn Frauen sich nicht nur im Netz, sondern auch im realen Leben verbündeten und bereit wären, all das zu sein, was man ihnen sowieso immer vorwirft: hysterisch, gemein, zickig, politisch, fordernd, sich verweigernd. Wenn sie postulierten, dass Frauen, Feministinnen die besten Voraussetzungen geschaffen haben, über die Grundlagen unserer Gesellschaft zu diskutieren, sie neu zu formulieren und für dieses Neue zu kämpfen. Schließlich verfügen sie über die größte Erfahrung in all jenen Bereichen, das gesellschaftliche Miteinander jenseits der Arbeit für Geld zu organisieren und nachhaltig zu gestalten. Gilt doch, was die Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Marianne Gronemeyer in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift Utopie – Magazin für Sinn & Verstand schrieb: »Moderne Arbeit, auf die alle so scharf sind, dass sie zum obersten Bedürfnis avanciert ist, hat schwerwiegende Folgen für den arbeitenden Menschen, die sich gegenseitig bedingen und aufheizen. Sie macht Zeit knapp, sie macht Menschen hilflos und bedürftig, sie macht Begehren maßlos, und sie bedroht den sozialen Frieden durch rücksichtslose Konkurrenz aller mit allen um die knappen Ressourcen.«
Worin besteht also die Chance dieser Zeit? Der Umbruch hat begonnen, die 500 Jahre alte Megamaschine Kapitalismus funktioniert nicht mehr. Wir laufen mit diesem System, das uns an den Rand unserer und der planetaren Existenz gebracht hat, um die Wette. Ungeheuer viel Aufbruch findet statt. Und Feministinnen müssen in die erste Reihe kommen, denn in der zweiten sehen sie weder besser noch werden sie gehört. Das beinhaltet eine Kampfansage auch an jene, die es gut meinen und gegenwärtig die Deutungshoheit darüber haben, wie eine Postwachstumsgesellschaft oder der Postkapitalismus aussehen und wie die Transformation dorthin – vorausgesetzt der Wandel gerät nicht zur Apokalypse – gestaltet werden könnte. Und ja, das Internet ist dafür ein sehr hilfreiches Instrument. Und eine neue Qualität. Aber: Den Diskurs bestimmen Suchmaschinen. Wer »Postkapitalismus« eingibt, muss sehr viel Geduld haben, um über Paul Mason hinauszukommen und Naomi Klein zu finden.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!