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Finanzmarktregulierung, Währungsunion und das Ende des Papiergeldes

Die globale Krise am Finanzmarkt, die 2007 in den USA einsetzte, sich danach auf Europa in Form von Staatsschuldenkrisen und Eurokrise ausbreitete, ist noch immer nicht ausgestanden. Eine Flut an aktuellen Büchern, aus der hier nur ein kleiner Ausschnitt Erwähnung finden kann, belegt dies.

Die von Renate Mayntz am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln organisierte Forschungsgruppe arbeitet in Negotiated Reform – The Multilevel Governance of Financial Regulation mit großer Sorgfalt heraus, welche politischen Akteure die Regulierung des globalen Finanzmarktes gesteuert haben. Alle Autor/innen, am präzisesten Lora Anna Viola, stellen die G20-Gruppe ins Zentrum des Reformprozesses. Dies sei keineswegs eine global zuständige Regulierungsbehörde, wie sie etwa von dem US-Ökonomen Barry Eichengreen mit einer World Financial Organization vorgeschlagen worden war, sondern ein pluralistisches und fragmentiertes institutionelles Umfeld. In diesem Netzwerk sehen Mayntz und ihre Autor/innengruppe angesichts wachsender Wichtigkeit transnationaler und transgouvernementaler Akteure, der Komplexität der Themen und der Heterogenität der Interessen eine problemgerechte Organisationsform. Mayntz betont die enge Vernetzung mit dem Financial Stability Board (FSB), der den Transfer von G20-Beschlüssen auf den Internationalen Währungsfonds, vor allem aber auf die nationalen Ebenen und die transnationale EU-Region steuert. Diese Umsetzung wird in den Beiträgen über Regulierung in den USA, Großbritannien, Deutschland und der EU im Detail nachgezeichnet. Lucia Quaglia zeigt, wie die EU einerseits G20-Beschlüsse übernimmt, andererseits aber um spezifisch europäische Interessen modifiziert. Am Beispiel der Bankenunion erläutert sie, wie die Eurozone versucht, auf die Schuldenkrise und das asymmetrische Design der Währungsunion, nämlich eine Gemeinschaftswährung ohne Fiskalunion, zu reagieren. Die EU, so ihre Quintessenz, verfügt über eigenständige regulatorische Fähigkeiten, die sie zu einem »player in global financial governance« habe aufsteigen lassen.

Das Buch von Joseph E. Stiglitz (Europa spart sich kaputt) ist eigentlich das überlang geratene Pamphlet einer politischen Botschaft. Es handelt sich um eine inhaltlich eng geschnürte, traditionell keynesianische Weltsicht. Stiglitz zufolge sind die ökonomischen Welten einfach zu erklären und die Übel einfach zu beheben: Unterdrückte Nachfrage durch ökonomischen Starrsinn handelnder Politiker braucht nur von keynesianisch aufgeklärten Akteuren in eine Nachfrageflut umgewandelt werden, um Wachstum und Beschäftigung zu sichern.

Über weite Strecken hat man den Eindruck, dass Stiglitz sich die Welt so zurechtlegt, wie er sie für seine Botschaft braucht. Was nicht passt, wird ignoriert. Hinzu kommt der unsägliche Hang unentwegt und nimmermüde auf seine sicherlich beeindruckende Karriere in Wissenschaft und Politikberatung aufmerksam zu machen. Geradezu leserfeindlich sind die auf fast jeder Seite wiederkehrenden Hinweise auf vorangegangene oder nachfolgende Kapitel, in denen das gerade behandelte Thema bereits bearbeitet worden ist oder werden wird. Das führt zu vielen Wiederholungen. Ein 40-Seiten-Papier wäre besser gewesen als 400 Seiten eines eitlen und auch disziplinlosen Vielschreibers. Der Frust des Rezensenten über ein schlecht gemachtes Buch darf nicht verdrängen, dass Stiglitz ein nobles Anliegen vertritt, anregende Ideen und Vorschläge in die wirtschaftspolitische Debatte einbringt.

Seine Kritik am Euro ist ziemlich grundlegend: Das Design sei falsch, weil eine Gemeinschaftswährung ohne fiskalpolitische Steuerung nicht funktionieren könne. Ebenso fatal sei die Begrenzung der Europäischen Zentralbank (EZB) auf Preisstabilität mit der Folge, dass Wachstum und Beschäftigung zweitrangig würden. Einen gravierenden Mangel sieht Stiglitz darin, dass die EZB für einen heterogenen Wirtschaftsraum eine einheitliche Geldpolitik betreiben müsse und damit eine flexible Anpassung an national divergierende Situationen nicht möglich sei. Wiederholt bemängelt er, dass Abwertung als Mittel zur Stärkung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr zur Verfügung steht und damit ein zentraler Anpassungsmechanismus schwächerer Länder ausfällt. Mit dieser Kritik befindet sich Stiglitz nicht nur in guter Gemeinschaft mit der keynesianischen Zunft, sondern auch darüber hinaus. Thomas Piketty etwa glaubt, dass die Währungsunion eine schlecht durchdachte Konstruktion sei. Er sieht den Grundirrtum darin, dass man eine funktionierende Währung ohne Staat und eine Zentralbank ohne Regierung nicht haben könne. Keynesianern wie Robert Skidelsky oder Michel Aglietta, Begründer der Regulationsschule, zufolge brauche der Euro einen politischen Anker.

Die Eurozone braucht dringend Strukturreformen, nicht aber ihre Mitgliedsländer, wie Stiglitz wiederholt ausführt. In diesem Punkt lesen sich viele Kommentare von Piketty wie eine Gegenanzeige. Er wirft den Problemländern viele Versäumnisse vor, Irland etwa eine auf Steuerdumping gegründete Wirtschaftspolitik, die der Autor schieren Diebstahl nennt. Hart geht er Frankreich wegen ausgebliebener Strukturreformen an: Das soziale Netz und das archaische Steuersystem müssten von Grund auf erneuert werden. Griechenland, so ließe sich ergänzen, leidet am Klientelismus, an Korruption, einer unfähigen Verwaltung und Regierungen, die Innovationen immer wieder auf die lange Bank geschoben und so den vormodernen Charakter des Landes zementiert haben.

Die institutionellen Defizite der Eurozone sind weithin bekannt, Reformprozesse angestoßen: Die fiskalpolitische Überwachung wurde intensiviert, eine Schuldenbremse – sehr zum Widerwillen aller Keynesianer – eingeführt, zu ihrer Freude allerdings auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) als Rettungsring für überschuldete Länder, die Bankenunion zur Beaufsichtigung des Finanzsektors und auch eine Geldpolitik der quantitativen Lockerung. Die EZB hat mit ihren Maßnahmen eine kräftige Abwertung des Euro bewirkt. Ferner hat sie das Zinsniveau abgesenkt, erhebt sogar Negativzinsen. So hat sie die Zinslast von Staatsschulden reduziert und schließlich verhindert, dass Schuldnerländer Bankrott gehen können. Die EZB bewegt sich in Richtung der amerikanischen Geldpolitik. Diese neue Ausrichtung hat Piketty wiederholt als wünschenswert bezeichnet und sie passt auch in die geldpolitische Weltsicht von Stiglitz, der allerdings fertigt die sicherlich ergänzungsbedürftigen Reformen als »temporary palliatives« ab.

Wie die Europäer mit der Schuldenkrise von Problemländern umgehen, ist Stiglitz zufolge eine Ausgeburt mangelnder Solidarität. Austeritätspolitik und Verweigerung eines Schuldenschnitts für Griechenland sind ihre Kennzeichen. Er hat ja recht, wenn er konstatiert, dass sich die Lage großer Bevölkerungsteile verschlechtert habe, allerdings blendet er hausgemachte Fehler und Missstände der Problemländer aus. Es überrascht ein wenig, ist aber nachvollziehbar, wenn Piketty einem Schuldenschnitt skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Solidarität ist keine Einbahnstraße, Reformen müssten auf der Gegenbahn fließen.

In puncto Schuldenschnitt wiederholt sich bei Stiglitz das durchgängige Muster von Desinteresse, vielleicht auch Unkenntnis oder gar Verdrängung: Es gab bereits 2012 eine Rückführung der griechischen Staatsschulden um 60 Milliarden Euro, danach die Verhinderung des Staatsbankrotts durch Kredite des Rettungsschirms ESM. Diese Kredite, abgesichert durch Bürgschaften der Euroländer, an erster Stelle Deutschland, gefolgt von Frankreich und Italien, muss Griechenland mit durchschnittlich 1 % verzinsen und ihre Rückzahlung ist gestreckt bis weit in die 2040er Jahre, teils sogar bis 2055. Das ist ein kräftiger Schuldenschnitt, allerdings ein verdeckter.

Der Vorschlag zur Behebung der Eurokrise, der am weitesten reicht, läuft auf eine Aufteilung der Eurozone in mehrere Währungsräume hinaus. Am Beispiel Griechenlands erläutert Stiglitz wie ein »21st-century financial transactions system« mittels eines sogenannten Greek-Euro aussehen könnte. Es gäbe kein Papiergeld, sondern ausschließlich elektronisches Geld, was sofort eingeführt werden könnte. Die Zentralbank würde die alleinige Zuständigkeit für die in den Umlauf gebrachte Geldmenge erhalten, Banken wären von Geld- und Kreditschöpfung abgekoppelt. Staatsschulden ließen sich ebenfalls unter Kontrolle bringen: Die griechische Regierung müsste alle auf Euro lautenden Schulden auf Greek-Euro umstellen, die man später abschreiben könnte. Sein Vorschlag ist – wie er wiederholt schreibt – leicht zu realisieren, stelle wirtschafts- und geldpolitische Souveränität wieder her und sichere Vollbeschäftigung und robustes Wachstum.

Aber so recht traut er seinem eigenen Vorschlag nicht, denn er propagiert abschließend, dass Deutschland den Euro verlassen sollte, möglichst begleitet von weiteren Staaten, die einen Northern-Euro-Verbund begründen sollten. Dies stelle einen leichten Weg für die Gesundung Europas dar. Stiglitz erwartet eine massive Aufwertung des Northern-Euro, für die Problemländer also eine gehörige Abwertung ihres Southern-Euro. Er setzt hier auf das von ihm immer wieder beschworene Allheilmittel der Abwertung, die es den Problemländern ermöglichen würde, ihre mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zu kurieren.

Dies stimmt leider mit der historischen Realität der Nachkriegszeit und ihren beständig wiederkehrenden Währungsturbulenzen nicht überein. Wäre die Abwertung eine Art Zaubertrank, müssten viele Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit schon längst auf ein konkurrenzfähiges Niveau gebracht haben: Allein zwischen 1975 und 1995 wurde der französische Franc gegenüber der D-Mark um 48 %, die spanische Pesete um 73 %, die italienische Lira um 78 und die griechische Drachme um 93 % abgewertet. Allerdings leiden diese Länder bis heute an den gleichen Problemen. Abwertungen versprechen nur kurzfristige Entlastung. Strukturprobleme wie bürokratischer Etatismus, Klientelismus, Steuerflucht oder die schon chronische Jugendarbeitslosigkeit bleiben davon unberührt.

Entgegen diesen historischen Erfahrungen sieht Stiglitz in der Aufwertung des Northern-Euro das geeignete Instrument um den deutschen Exportüberschuss zu beseitigen. Dieser ist in der Tat exorbitant und die Regierung nutzt den Spielraum nicht für staatliche Investitionen in die Infrastruktur. Gleichwohl negiert der Autor zwei gewichtige Gegenargumente:

Zum einen beruht die deutsche Exportstärke zum Großteil auf hochspezialisierten Industriegütern und nicht auf niedrigen Preisen. Vielmehr sind Wettbewerbsfaktoren wie Produktqualität und -komplexität, Liefertreue und Servicepakete entscheidend. Der Export der mittel- und osteuropäischen Zulieferer würde zudem bei einem massiven Einbruch deutscher Exportfähigkeit schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Stiglitz hält zweitens die deutschen Löhne für zu niedrig und als ein Instrument der Exportförderung. Sieht man sich aber die Reallöhne zwischen 2006 und 2015 an, dann sind sie in Deutschland um 5 % gestiegen, in Italien nur um die Hälfte und in Großbritannien und erst recht in den USA sind sie gesunken. Insbesondere die Löhne in der deutschen Exportwirtschaft sind stark gestiegen. Dass Deutschland so gut über die Krise 2008 gekommen ist, hängt auch mit der tripartistischen Orchestrierung von Staat und Tarifparteien zusammen, die Massenarbeitslosigkeit verhindert hat. Nach einer kurzen Phase temporärer Lohnzurückhaltung ist die Lohnmaschine der deutschen Gewerkschaften wieder auf Dynamik eingeschwenkt. Eine solche Konzertierung müsste eigentlich einem Keynesianer gefallen, aber er nimmt sie nicht zur Kenntnis.

Mit seinem neuen Buch The Curse of Cash hat Kenneth Rogoff ein fulminantes Plädoyer für die Abschaffung des Bargeldes vorgelegt. Ein Thema, das bei vielen spontane Ablehnung provoziert, aber bereits auf der Tagesordnung von Wirtschafts- und Geldpolitikern steht und uns in Zukunft weiter beschäftigen wird. Rogoff begründet in zwei großen Themenblöcken seine Position: Bargeld erlaube zum einen die anonyme Abwicklung unrechtmäßiger Geschäfte wie Drogen- oder Menschenhandel, Erpressung, Geldwäsche, Steuerflucht und illegale Immigration. Auch die Schattenwirtschaft lebt vom Bargeld, weil leicht Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung vermieden werden können. Ein besonderes Anliegen ist Rogoff die ausbeuterisch niedrige Bezahlung von Arbeitern ohne Arbeitserlaubnis. »Dirty money« existiert in weit größeren Dimensionen als weithin vermutet und sollte in einer längeren Transitionsphase bis auf kleine Noten und Münzen aus dem Verkehr gezogen werden. Zudem sieht der Autor in Bargeld ein großes Hindernis für das reibungslose Funktionieren des internationalen Zahlungs- und Finanzsystems. Dies gelte insbesondere in Zeiten, in denen die Zentralbanken Niedrig- oder sogar Negativzinsen für notwendig halten. Cash unterlaufe eine Politik des billigen Geldes, weil das Halten von Bargeld eine Alternative darstelle. Es sei deshalb geeignet, Negativzinsen ins Leere laufen zu lassen. Rogoff will mit Negativzinsen die Schlagkraft der Zentralbanken im Kampf gegen Depressionen erhöhen. Dies und erst in zweiter Linie die Bekämpfung illegaler Geschäfte ist sein eigentliches Ziel. Negativzinsen sind für ihn das geeignete Mittel um die Wirtschaft aus deflationären Rezessionen heraus zu holen.

Der Autor belegt mit vielen geldtheoretischen Überlegungen und an Beispielen aus der Geldgeschichte, dass Papierwährungen durch ein Übermaß an Geldschöpfung inflationär unterminiert und wertlos werden können. Diese Gefahr dürfte in einer bargeldlosen Wirtschaft ein Dauerproblem werden. Ob da die gestärkte Unabhängigkeit von Zentralbanken eine ausreichende Sicherheitsgarantie gegen Machtansprüche von Regierungen liefern kann, ist wohl eher skeptisch zu sehen.

Renate Mayntz (Hg.): Negotiated Reform – The Multilevel Governance of Financial Regulation. Campus, Frankfurt am Main 2015, 193 S., 34,90 €. – Thomas Piketty: Die Schlacht um den Euro. Interventionen. C.H.Beck, München 2015, 175 S., 14.95 €. – Kenneth S. Rogoff: Der Fluch des Geldes. Warum unser Bargeld verschwinden wird. Finanzbuch Verlag, München 2016, 352 S., 24,99 €. – Joseph Stiglitz: Europa spart sich kaputt. Warum die Krisenpolitik gescheitert ist und der Euro einen Neustart braucht. Siedler, München 2016, 528 S., 24,99 €.

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