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© Foto: picture alliance / robertharding | Wendy Connett

Was hat uns Bob Dylan zu sagen? Forever Young

Eigentlich – so wird man ohne Umschweife und wenig Widerspruch erntend wohl sagen können – ist zu Bob Dylan doch alles gesagt. Allenfalls könnte man ironisch fragen: Aber auch von allen? Braucht es also auch an diesem Ort eine nochmalige Erinnerung an seinen 80. Geburtstag und daran, dass aus selbigem Anlass erneut eine Flut von Würdigungen und neuerlichen biografischen Annäherungen erschienen ist? Auch der hier vor Monaten bereits erschienene kenntnisreiche musikwissenschaftliche Beitrag von Jens Rosteck hatte dabei den Song Forever Young als einen zentralen Ausgangspunkt genommen und konstatiert, dass Dylan damit spätestens seit 1974 einen bemerkenswerten musikalischen Wunschkatalog zusammengestellt habe, der vorzeitigen gesundheitlichen und künstlerischen Verschleiß habe verhindern sollen: »Sich, moralisch faltenlos, über alle natürlichen Gegebenheiten hinwegzusetzen wird, vom lyrischen Ich, zum erstrebenswerten Zustand schlechthin erklärt.« So könne die Verheißung nicht ewigen Lebens, aber eben doch ewiger Jugend erreicht werden. Dass man bei dieser Interpretation seine Zweifel haben kann, darauf wird zurückzukommen sein.

Aber der Titel und der mit ihm transportierte Mythos sind ja auch zu schön, um nicht als Transportmittel für die vielfältigsten Erinnerungen zu dienen. Es verwundert also ebenso nicht, wenn Forever Young als Titel auch den Band ziert, den Stefan Aust und Martin Scholz über Unsere Geschichte mit Bob Dylan herausgegeben haben. Kenner seien gleich gewarnt: Sie werden nichts wirklich Neues über den Meister erfahren, wohl aber – und das ist interessant genug –­, mannigfaltige Gründe, warum es sich lohnt, sich mit ihm, seiner Musik und seinen Texten zu befassen. Diese Gründe werden zusammengetragen in Interviews, die die Herausgeber mit einer wirklich illustren Schar von Gesprächspartnern aus Kultur und Politik geführt haben. Mit einigen war sicher zu rechnen (Patti Smith, Joan Baez, Pete Townshend, Robert Plant oder Wolfgang Niedecken). Warum allerdings u. a. Otto Schily, Ursula von der Leyen, Navid Kermani, Martina Gedeck oder Carla Bruni jenen Dylan als ihren herausragenden musikalischen Wegbegleiter erkoren haben, bietet im Detail doch so manche Überraschung.

Einig sind sich die meisten wohl darin, dass mit dem musikalischen Erscheinen Bob Dylans eine neue Phase dessen einsetzt, was man schon damals gelegentlich Pop-Musik nannte. Die austauschbaren Herzschmerz-Lyrics wurden ab jetzt – zumindest bei ihm (und später ihm folgend einer Reihe anderer Interpreten) – von Texten abgelöst, die sich mit den unterschiedlichsten Themen und Problemen des privaten wie gesellschaftlichen, und damit auch des politischen Alltags beschäftigten. An diese Tradition, die im amerikanischen Folk durchaus ihre Wurzeln und Traditionen hatte (etwa bei Woody Guthrie oder Pete Seeger, um nur die wichtigsten zu nennen), knüpft Dylan bewusst an. Wird er damit zum politischen Künstler? Bei Daniel Cohn-Bendit fällt die Antwort eindeutig aus: »Ich glaube, dass Dylan das Politische gehasst hat.« Aber er präzisiert wohl zutreffend: »Er hat vielmehr seine Empfindungen über Unmenschlichkeit, Rassismus oder den Vietnamkrieg zum Ausdruck gebracht.« So trifft es die Wirklichkeit wohl eher, wenn er anfügt, Dylan sei nie ein politischer »Aktivist« gewesen.

Aber immerhin, trotz dieser Weigerung, sich von politischen Bewegungen vereinnahmen zu lassen, hat Dylan an wichtigen Nahtstellen des politischen Geschehens Flagge gezeigt: gemeinsam mit Joan Baez an der Seite Martin Luther Kings bei dessen Marsch auf Washington 1963, als eine Viertelmillion Demonstranten mit ihm seine Hymne Blowin’ in The Wind sang. Oder 1985 bei seinem denkwürdigen Auftritt mit vielen anderen beim Live-Aid-Konzert. Schließlich – um den Bogen ganz weit zu spannen – hat Carla Bruni sicher Recht, wenn sie Dylans jüngstes Alterswerk Murder Most Foul als grandioses Sittengemälde der US-Geschichte vom Mord an John F. Kennedy bis heute beschreibt, zugleich eine indirekte harte Abrechnung mit der Trump-Ära.

So stehen gerade – aber nicht nur – am Anfang von Dylans Karriere politisch geprägte »Hymnen des 20. Jahrhunderts«, die zu Weltliteratur geworden sind, wie es die Herausgeber bewerten. Wer außer ihm hätte sich an eine solche Liedzeile gewagt, die uns Deutschen dauerhaft den Spiegel vorhält:

The Second World War/Came to an end/We forgave the Germans/And then we were friends/Though they murdered six million/in the ovens they fried/The Germans now, too/Have god on their side.

Die Kunst des Lyrikers und Songtexters Dylan besteht zum einen darin, die genannten »Hymnen« mit eingängigen Texten und Melodien zu entwerfen, deren Aussagekraft gerade darin zum Ausdruck kommt, dass sie nicht an ein einziges Ereignis gebunden bleiben, sondern sich beständig neuen Situationen anpassen können. Ursula von der Leyen sieht ihren Vorzug gerade darin, dass sie häufig Fragen stellen, ohne gleich die Antwort mitzugeben. Sie sind damit im wahrsten Sinne des Wortes »eindringlich« (Jean-Michel Jarre). So sind vor allem Anti-Kriegslieder wie u. a. Blowin’ in The Wind entstanden, die seit nunmehr fast 60 Jahren gesungen werden. Oder man gönne sich die eine oder andere Intonierung von Live-Versionen von Masters of War, um die düstere, pulsierende Kraft von Musik und Text dieses Meisterwerks nachzuempfinden.

Zum anderen wagt Dylan etwas, das ihn in seinem Metier wirklich fast einzigartig macht. Er präsentiert uns Einzelbeispiele von Rassismus, von Entrechtung und Verfolgung, deren Schicksale uns aufrütteln, wobei er es aber nicht nur bei dem musikalischen Appell belässt. Der Fall des unschuldig zu lebenslanger Haft verurteilten Boxers Ruben »Hurricane« Carter mit der gleichnamigen Hymne 1975 ist das bekannteste Beispiel. Dylan besucht ihn im Gefängnis, hilft mit bei der Kampagne für das Wiederaufnahmeverfahren, bis Carter 1985 endlich freigesprochen wird. Auch die spätere Verfilmung des Falls wird ein großer Erfolg.

Weniger bekannt, aber nicht minder eindringlich, sind andere Milieuschilderungen wie die des Gang-Anführers Joey (auch hier der gleichnamige Titel) aus Brooklyn. Lässt sich Klassen- und Rassenjustiz besser, sarkastischer, treffender auf zwei Zeilen bringen, als in dieser Fassung einer Gerichtsszene?

»»What time is it?« said the judge to Joey when they met »Five to ten,“ said Joey. The judge says, »That’s exactly what you get««.

Kommen wir an den Ausgangspunkt zurück. Ist es wirklich zutreffend, dass uns Bob Dylan, der Heros von mittlerweile mehreren Generationen von Musikliebhabern, einen Wunschzettelkasten des Forever Young hinterlassen hat? Wer ihn so hört (oder liest) übersieht meines Erachtens ein ganz zentrales Moment des dylanschen Schreibens und Schaffens, etwas, was man im Kontext der Politikwissenschaften wohl am ehesten mit dem Begriff des dialektischen Widerspruchs fassen würde (was – wie bei Forever Young – sicher ironische Einsprengsel einschließt). Diesem Phänomen begegnen wir schon in der weithin bekannten Hymne The Times they are a-changin’ von 1963. Sie endet so:

»The line it is drawn/The curse it is cast/The slow one now/Will later be fast/As the present now/Will later be past/The order is rapidly fadin’/And the first one now will later be last/For the times they are a-changin’«.

Was heißt das nun für das Versprechen der ewigen Jugend? Nicht viel, wie wir schon ein Jahr nach Erscheinen dieses Songs in My Back Pages hören können. Da begegnet uns das Jugendliche endgültig in seiner widerspruchsvollen Weise: » ›Equality,‹ I spoke the word/As if a wedding wow/Ah, but I was so much older then/I’m younger than that now«. Und nochmals am Ende des Songs: »Good and bad, I define these terms/Quite clear, no doubt, somehow/Ah, but I was so much older then/I’m younger than that now«.

Dylan verspricht also keine ewige Jugend, huldigt schon gar nicht einem Kult, in dem das Jugendlich-Sein das Recht generell auf seiner Seite hat. Vielmehr setzt er uns die Widerhaken in den Kopf, die uns zwingen, die allzu schnellen und allzu unbedingten Gewissheiten genauer zu hinterfragen. Auf diese Weise – im Prozess des Erwachsenwerdens – können wir uns dann womöglich auf authentischere Weise das Jugendlich-Bleiben erhalten. Wolfgang Niedecken nennt es ein zugleich selbstkritisches wie weitsichtiges Stück, das ihm mehr über den Autor erzählt habe als manch ein Buch über ihn.

Faszinierend an Dylan ist, dass er uns nicht nur beim nostalgischen (und sicher manchmal verklärenden) Rückblick auf die eigene Jugend kritische Hilfestellung gibt, sondern zugleich einer der ganz wenigen Songwriter (etwa neben Leonard Cohen) ist, der sich ebenso musikalisch und schreibend mit der Vergänglichkeit unseres irdischen Daseins auseinandersetzt. Das schon erwähnte Stück Murder Most Foul wird von vielen treffend als ein grandioses Requiem auf die jüngere amerikanische Geschichte gedeutet. Reinhold Messner, der ökologisch engagierte Bergsteiger, interpretiert schon die Frage aus Blowin’ in The Wind »How many years can a mountain exist/Before it is washed to the sea?« als großartiges Bild für den Hinweis darauf, in welch gewaltigen Zeitspannen Erdgeschichte verläuft und wie lächerlich kurz unser eigenes Leben im Vergleich dazu ist. In Dylans mit dem Album Time out of Mind 1997 als Startpunkt zu datierendem Alterswerk setzt er sich nun auch auf fast verstörend direkte Weise mit dieser eigenen Vergänglichkeit auseinander. »Trying to get to heaven before they close the door« heißt der Refrain des gleichnamigen Songs. Noch eindringlicher geht es in Not Dark Yet zu: »I was born here and I’ll die here against my will/I know it looks like I’m moving, but I’m standing still/Every nerve in my body is so vacant and numb/I can’t even remember what it was I came here to get away from/Don’t even hear a murmur of a prayer/It’s not dark yet, but it’s getting there«.

Da öffnet sich jemand mit großartiger Lyrik auf geradezu schonungslos offene Weise. Man halte nur kurz inne und vergleiche diese Zeilen mit dem, was uns ansonsten Tag für Tag im Radio oder in den Charts geboten wird. Navid Kermani hat Recht: Bob Dylan gehört mittlerweile zum kulturellen Erbe der Menschheit. Ihm 2016 den Literaturnobelpreis zu verleihen war dafür eine ganz und gar passende Auszeichnung.

Stefan Aust/Martin Scholz (Hg.), Forever Young. Unsere Geschichte mit Bob Dylan. Hoffmann und Campe, Hamburg 2021, 288 S., 22 €.

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