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Wie die Anti-Gender-Ideologie demokratische Teilhabe gefährdet Fragile Sicherheit

Rechte von Frauen und LGBTIQ*-Rechte sind zunehmend das Ziel von Angriffen durch Anti-Gender-Kampagnen, die sehr gut vernetzt und finanziert sind und national wie international eingesetzt werden, um vermeintlich erodierende soziale und politische Hierarchien, bei denen es sich aber in Wahrheit um traditionell-reaktionäre Wertvorstellungen handelt, aufrecht zu erhalten.

Vor allem lehnen sie das Konzept »Gender« ab – bestreiten also jede soziale Dimension von Geschlechterverhältnissen. Unter dem Kampfbegriff der »Gender-Ideologie« werden die Ziele der Geschlechterforschung, der Gleichstellungspolitik sowie feministischer und queerer Bewegungen als unwissenschaftlich und als durch politische Eliten aufoktroyiert dargestellt. Insbesondere werden Angst und Hass geschürt, um gesellschaftliche Diskurse zu polarisieren und soziale Gruppen zu spalten.

Dieses Anti-Gender-Bündnis umfasst eine Vielzahl von Akteuren: rechte Gruppierungen, rechtspopulistische Parteien, christlich-fundamentalistische Organisationen, aber auch Teile des bürgerlich-konservativen Milieus. Der Kampf gegen die Gender-Ideologie ist nicht nur der gemeinsame Nenner dieser Gruppen, sondern gleichzeitig eine Projektionsfläche ihrer unterschiedlichen politischen Ziele.

Konkret wehren sich ihre Vertreter*innen gegen reproduktive Rechte, insbesondere Schwangerschaftsabbrüche, gegen die sexuelle Aufklärung von Kindern und Jugendlichen und die Geschlechtergleichstellung sowie die »Ehe für Alle«. Fortschritte in den genannten Bereichen werden dann als »Propagierung von Homosexualität« oder als »Abschaffung der traditionellen Familie« gedeutet.

Die Anti-Gender-Haltung ist ebenso wenig ein neues Phänomen wie der Begriff der Gender-Ideologie. Tatsächlich wird der Diskurs seit den 90er Jahren geführt – damals zunächst von konservativen Akteuren, aus der katholischen Kirche heraus und von rechtspopulistischen Parteien. Eine neuere Entwicklung hingegen ist, dass sich seine Akteure transnational vernetzen und Allianzen bilden.

Das Beispiel der EuroPride 2022 in Belgrad zeigt, wie die Mobilisierung durch Anti-Gender-Akteure demokratische Grundrechte unterwandern kann: Ende August sagte die serbische Regierung die für den 17. September 2022 geplante EuroPride-Parade zunächst ab. Wenige Tage vor dem Event wurde ein offizielles Verbot aufgrund von Sicherheitsbedenken durch die Polizei ausgesprochen. Laut Serbiens Präsident Aleksandar Vučić konnte die Veranstaltung nicht stattfinden, weil der Staat derzeit aufgrund zahlreicher Probleme unter Druck stehe. Kurzum: Dass Rechte von Minderheiten beschnitten werden, muss in der Krise in Kauf genommen und verkraftet werden.

Bereits im Vorfeld der EuroPride gab es Proteste, in denen Biker-Gangs, orthodoxe Priester und rechtsradikale Nationalisten ein Verbot forderten. Diese Gegendemonstrationen sind ein Paradebeispiel für die Vorgehensweise und Argumentation der Anti-Gender-Bewegung. Unter dem Slogan »Prozession für die Erlösung Serbiens« beriefen sich die Demonstrierenden auf die Verletzung christlicher Gefühle und traditioneller Familienwerte. Die Gender-Ideologie bedrohe eine biologisch und sozial gesetzte Ordnung. Werde diese unterlaufen, drohten tiefgreifende Konsequenzen. Gehe das traditionelle Familienmodell verloren und werde Homosexualität »propagiert« gefährde dies das Wohl der Kinder und die Freiheit christliche Werte zu leben – beides klassische Argumente der Anti-Gender-Bewegung. Oft wird die Angst vor einer Veränderung des Status quo mit Wut auf die »political correctness« der politischen Eliten kompensiert.

Der Weg ist noch weit

Die EuroPride Belgrad steht hier nur beispielhaft. Dieselben Narrative werden auch in Deutschland, in Frankreich oder in Italien verfochten: Neben den klassischen kirchlichen und konservativen Akteuren haben sich viele neue zivilgesellschaftliche Initiativen wie Manif pour Tous (Frankreich, Italien), Demo für Alle (Deutschland), U ime obitelji (Kroatien) oder Civilna iniciativa za družino in pravice otrok (Slowenien) gegründet, die sich als »besorgte Bürgergruppen« inszenieren, großangelegte Anti-Gender-Kampagnen durchführen und Proteste organisieren. Sie erscheinen jünger und moderner und »verpacken« die klassischen Anti-Gender-Argumentationslinien in pseudo-wissenschaftlichen und menschenrechtlichen Diskursen.

Werden demokratische Institutionen und Werte, beispielweise freie Wahlen, die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Rechtsstaatlichkeit in verstärktem Maße angegriffen, spricht man von democratic backsliding. Eine Analyse der Demokratieniveaus zwischen 2010 und 2020 zeigt, dass sich der Zustand der Demokratie in mehreren bevölkerungs- und einflussreichen Ländern stark verschlechtert hat. Demokratisches Backsliding und die Anti-Gender-Bewegung sind miteinander verbunden. Dennoch wird die zunehmende Fragilität von Demokratien bisher kaum aus der Perspektive der Geschlechtergleichstellung analysiert.

Zwar beziehen sich die Anti-Gender-Akteure in ihrer Argumentation und Mobilisierung auf die Rechte von Frauen und LGBTIQ*-Personen, fürchten dabei aber eher einen Verlust an eigenen Rechten. In letzter Konsequenz bringt dies demokratische Werte zum Erodieren und schwächt den universellen Anspruch von Menschenrechten insgesamt. Angriffe auf die universellen Rechte einzelner gesellschaftlicher Gruppen betreffen immer die gesamte Gesellschaft – schließlich sind diese Rechte in ihrer Gesamtheit für alle Menschen gültig.

In dem konkreten Fall wehrte sich der Veranstalter Belgrade Pride und fand Unterstützung auf europäischer und globaler Ebene: Ein Verbot widerspreche der serbischen Verfassung sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und beschneide das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlung und der LGBTIQ*-Aktivist*innen, die für ihre gesellschaftliche Gleichstellung eintreten.

Obwohl die serbische Staatsanwaltschaft Geldstrafen bei Missachtung des Verbots androhte, fand ein LGBTIQ*-»Spaziergang« auf einer wenige hundert Meter langen Strecke unter Polizeischutz statt – auch dank der massiven internationalen Unterstützung. Abgeordnete des Europäischen Parlaments und nationalstaatliche Vertreter*innen reisten dafür nach Belgrad, um ihre Solidarität zu bekunden. In anderen Teilen der Stadt kam es zu Gewaltausbrüchen und Festnahmen bei Auseinandersetzungen zwischen der serbischen Polizei und Teilnehmenden der Gegendemonstration. Nach der Veranstaltung wurden unter anderem zehn albanische LGBTIQ*-Aktivist*innen auf dem Rückweg in ihr Hotel von Rechtsextremisten angegriffen.

Das aktuelle Beispiel der EuroPride in Serbien verdeutlicht, wie die Gefährdung demokratischer Werte und die Vorgehensweise der Anti-Gender-Akteure ineinandergreifen und wie weit der Weg zur völligen Anerkennung und Durchsetzung von Frauen- und LGBTIQ*-Rechten noch ist.

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