»Ein Video aus meiner Nachbarschaft«, schreibt A. Aufgenommen bei Nacht, aus einem Fenster im Herzen Teherans. Ein unsichtbarer junger Mann ist zu hören. »Tod der Hinrichtungsrepublik!« ruft er, sichtlich bemüht, die Worte richtig auszusprechen. »Er hat eine Behinderung, doch das hält ihn nicht davon ab, seit Beginn der Proteste auf das Dach zu steigen und ›Tod dem Mörder, dem Obersten Führer!‹ zu rufen«, erklärt mir A.. »Manchmal hallt es wütend zurück: ›Führer Khamenei hat keine Wurzeln in unserer Erde. Der Aufstand wird nicht aufhören!‹«
Zorn und Verzweiflung, auf die Straße gebrüllt, im Schutz der Dunkelheit. Stimmen, die von einem täglichen, zermürbenden, andauernden Krieg erzählen. Von einer Gesellschaft, die sich »unter Besatzung« oder »in Geiselhaft« sieht, in der dunkelsten Phase ihrer Geschichte. Eine Gesellschaft, deren grundlegende Werte und Lebensvorstellungen sich seit einigen Jahren – noch einmal verstärkt nach der Erschütterung der vergangenen Proteste – fundamental und unumkehrbar verschieben. In der vielfältige Protestformen zur neuen Normalität geworden sind – die jede für sich lange Gefängnisstrafen oder Peitschenhiebe zur Folge haben können. Um die Dimension der Umwälzung zu verstehen – einige sprechen gar von einem zivilisatorischen Wandel – , nehme ich Kontakt auf mit Frauen im Land, deren Widerstand ich seit einigen Jahren verfolge und in meinem Buch Iran – Die Freiheit ist weiblich dokumentierte.
»Ich bin hoffnungsvoller geworden. Wir, die Familien der Regimeopfer, haben lange geduldig auf diesen Moment gewartet. Auf den Moment der Bewusstwerdung in der Gesellschaft, auf dieses Miteinander, diese beispiellose Vereinigung«, erzählt mir Schahnaz Akmali. Hoffnung – ausgerechnet aus dem Munde einer Mutter, deren Sohn 2009 bei einer Anti-Regime-Demonstration getötet wurde. Eine zentrale Figur in der Bewegung der Mütter, deren Kinder vom Regime erschossen wurden, und die nicht aufhören, an die Straflosigkeit der Verantwortlichen zu erinnern.
Momente der Solidarisierung
Für diese öffentliche Erinnerung wurde Schahnaz Akmali unter anderem mit einer Haftstrafe für ihr einziges Kind, ihre Tochter, bestraft. »Als 2009 mein Sohn erschossen wurde, machten mich die Gleichgültigkeit und die Einwände meiner Umgebung bitter. Nach dem Motto: ›Euer Mustafa ist doch selbst schuld, wenn er demonstrieren ging.‹ Jetzt aber verstehen mich die meisten. Jetzt besuchen so viele die Trauerfeiern der getöteten Demonstranten – ein politischer Akt«, erklärt Schahnaz Akmali. In allen sieben Interviews höre ich von dieser Hoffnung und Bewusstwerdung: »Wir sind nach wie vor in diesem schwarzen Loch. Aber wir haben uns von diesem dunkelsten Punkt entfernt. Jetzt können wir zumindest das Licht sehen.«
Bei allen höre ich von Momenten der Solidarisierung, wenn Frauen wegen ihres Protests gegen den Zwangsschleier auf der Straße von der Staatsgewalt bedroht – und dann von einer Menschenmenge, darunter etliche Männer, lautstark unterstützt werden. Von einer Gesellschaft, die von ihren Forderungen nach einem angstfreien Leben in einem neuen, säkularen Staat unmöglich wieder ablassen und, wie Schahnaz Akmali sagt, auf die Augenwischerei von Reformpolitikern des Regimes nie mehr hereinfallen wird.
»Ich spüre, dass wir eine lichte Zukunft verdienen.«
»Ich habe Stress, Wut, Unruhe und Depression erfahren in den vergangenen Monaten. Aber nie Hoffnungslosigkeit. Im Gegenteil, ich spüre, dass wir eine lichte Zukunft verdienen«, sagt die Grafikerin Rahele Mahouti, deren Zeichnungen und Motive in den ersten Wochen der Protestbewegung im Netz und auf der Straße zu sehen waren. »Vor Mahsa Jina Amini war das Kämpfen um mein Lebensrecht als Frau etwas Furchteinflößendes. Aber jetzt kämpfe ich für alle. Nicht nur für mich. Ich bin Teil eines größeren Ganzen geworden. Es ist, als ob wir Frauen uns ineinander erkennen – in diesen Momenten, in denen ich unverschleiert aus dem Haus trete, eine Verschleierte mich sieht – und den Schleier fallen lässt, wir uns auf der Straße anlächeln, und unser Mut sich vervielfacht.«
Vor September sei die Hoffnung tot gewesen – nun halte »die Hoffnung auf unseren Sieg« die Menschen aufrecht, sagt Mahouti. »Vielleicht ist das, was wir jetzt gerade erleben, ein hoffnungsloser Abschnitt. Aber insgesamt habe ich jetzt Hoffnung – in diese Gesellschaft, diese Menschen, dieses Land«, ist auch Ensieh Daemi überzeugt. Die große Schwester der Aktivistin Atena Daemi, die gegen die Todesstrafe im Iran kämpfte und dafür mehr als sechseinhalb Jahre Haft erduldete, bezeichnet sich als die stets Ängstliche und Konservative der Geschwister. Doch seit den Protesten stellt sie Veränderungen an sich fest: Sie scheut Auseinandersetzungen nicht mehr. Sie stellt erstmals ihre Grenzen klar. Als Einzelne habe sie genau wie die Gesellschaft einen über Jahre dauernden Wandel durchgemacht, dessen Ergebnis im Ausbruch der Protestbewegung sichtbar wurde.
Eine der vielen nicht auszulöschenden Erfahrungen sei das Mitgefühl in der Menge der Demonstranten gewesen, die gegenseitige Hilfe, wenn es zu Zusammenstößen kam. Die kleinen Steine, die Jugendliche mit sich trugen, um sich zu verteidigen. Die Art, wie die Menschen im Wohnviertel ihrer Eltern – ein äußerst konservativ-religiöser Bezirk im Süden der Hauptstadt – sich zu nächtlichen Protestrufen verabreden – oder wie sie das WM-Spiel Iran gegen USA zelebrierten.
Eine neue Realität wird zementiert
»Ich konnte es nicht glauben, wie sehr die Einwohner ausgerechnet dort auf eine Niederlage unserer Mannschaft hin fieberten, und wie sehr sie sich über jedes amerikanische Tor freuten!«, sagt Ensieh Daemi. Und der Schleier? »Wenn ich allein unterwegs bin, bin ich oft etwas ängstlich, ganz unverschleiert aus dem Haus zu gehen. Niemand würde dann im Fall einer Festnahme wissen, was mit mir passiert ist. Aber in Gesellschaft lasse ich das Tuch definitiv zuhause.«
Ensieh Daemi ist eine von Abertausenden, die eine neue Realität zementieren. Eine Schauspielerin geht unverschleiert zu einer Filmpremiere. Frauen nehmen – in kurzer, enger Sportkleidung – an einem Stadtmarathon teil. Eine junge Frau, die in der Metro wegen ihrer Schleierlosigkeit ermahnt wurde, postet demonstrativ ein Video über ihre Absicht, dies zu wiederholen.
»Das Regime wähnt sich im ›Krieg‹ gegen einen imperialistischen ›Feind‹.«
Das Regime sieht in den Haaren den imperialistischen »Feind« am Werk. Und wähnt sich im »Krieg«, wie ein regimenaher Soziologe schreibt. Ein Revolutionsgarden-Kommandeur in Buschehr warnt, »auch an dieser Front« werde man dem Feind eine Niederlage bereiten. Und ein Vizepräsident erinnert, der Hidschab sei das Symbol der Islamischen Republik, ohne den sie ja keinen rechten Sinn mehr habe. Das Regime verschärft die Strafgesetze, die – in einem Land, in dem die Arbeitslosigkeit von Frauen doppelt so hoch ist wie bei den Männern – zur zusätzlichen wirtschaftlichen und sozialen Lähmung der Frau führen.
Es suspendiert Studentinnen von der Uni, es droht mit dem Entzug von Mobiltelefonen und der Abschaltung des Internets. Mehr noch, es zieht alle in Mitleidenschaft, die eine solche Selbstbestimmung tolerieren. Wenn selbst in einer Polizeistation ständig Unverschleierte auftauchen, dann kann sie, wie sie in einem Banner am Eingang schreibt »den anderen guten Bürgern ihre Dienste nicht mehr anbieten«. Taxifahrer verlieren ihren Führerschein, wenn sie Unverschleierte mitnehmen, Ladenbesitzer müssen ihr Geschäft versiegeln, Arztpraxen, Restaurants und touristische Zentren vorübergehend schließen. Spitzel auf der Straße fotografieren und notieren Autokennzeichen.
»Wir waren unser ganzes Leben lang Bürger zweiter Klasse«, schreibt eine Teheranerin auf Twitter. »Jetzt versuchen sie, uns zu einer Plage zu machen, uns als einen unersättlichen Unruhestifter darzustellen. Uns in eine öffentliche Bedrohung zu verwandeln, auf die beschlagnahmte Autos und versiegelte Geschäfte zurückzuführen sind. Aber wir wollen einfach wir selbst sein. Echte Menschen, die das Recht haben, zu wählen!«
Der Kampf um den Hidschab
Das staatliche Werben für den Zwangshidschab löst Fassungslosigkeit und Kopfschütteln aus. Banner mit falschen Zitaten von Victor Hugo und Leonid Tolstoi über die angebliche Sinnhaftigkeit des Hidschabs werden aufgestellt. Immer wenn das Regime seine Überzeugungskraft verliert, beruft es sich fälschlicherweise auf historische Figuren und Idole.
Auf die allgegenwärtigen Poster mit dem Ausspruch »Der Hidschab ist das Erbe der Mütter« – darauf eine Mutter, die ihrer Tochter den Schleier zurechtzieht – reagieren viele mit ätzendem Spott: Der Zwang, die Gewalt, der Schmerz und die Chancenlosigkeit – das sei das Erbe der Mütter, antworten sie dem Staat. Und der »Feind«, vor dem sie Staatsfernsehen und Schulbücher 44 Jahre lang warnten? »Sie lügen, wenn sie sagen, unser Feind sei Amerika. Unser Feind ist hier«, lautet ein seit Jahren geläufiger Protestruf.
Ist die Protestbewegung eine »feministische Revolution«, wie es in Deutschland oft heißt? Alle Frauen verneinen meine Frage. Dies sei keine vollständige Beschreibung. »Hier ist der Begriff ›Feminismus‹ den meisten nahezu unbekannt«, erklärt Atena Daemi. Sicher, Frauen seien ganz vorne dabei. Aber unter dem Schirm von Mahsa Jina Amini erfasse der Protest etwas Größeres – eine ganze Nation, all das Unrecht, das ihr seit 44 Jahren angetan werde. So, wie die Lehrervereinigung, die Rentnerunion, die Arbeiter der Petrochemie und die Geschäftsbesitzer in ihren Streikaufrufen hinter den Frauen standen, unterstützten sie genauso auch die Minderheiten im Land.
»Der neue Kaveh ist eine Frau«, schrieb der Fußballer Ali Karimi, einer der prominenten Protestunterstützer. In der altiranischen Mythologie des Königsbuchs von Firdausi ist Kaveh, der Schmied, ein einfacher Mann aus dem Volk, der gegen den fremden Eindringling und Tyrannen Zahak kämpft. Die Heldensage über den Widerstand gegen nicht-iranische Invasoren ist ein zentrales Motiv der Demonstranten. Es geht ihnen um ihre iranische Identität, die das Regime auslöschen will.
So erklärt sich das Tattoo auf dem Arm des hingerichteten Demonstranten Majid Reza Rahnavard: ein Löwe im Zeichen der Sonne. Das im Land sehr beliebte astrologische Symbol war seit Jahrhunderten, bis 1979, Emblem der Nationalflagge, stellvertretend unter anderem für schiitische, babylonische, zoroastrische (auf sehr alten indoiranischen Traditionen fußende Religion) Elemente der Geschichte.
Ein grundlegender Wandel hat stattgefunden
So erklären sich auch die vielen jungen Frauen, die sich mit wehenden Haaren vor dem Grab des Achämenidenkönigs Kyros dem Großen fotografieren lassen und ihr Bild in soziale Medien stellen: ein Protestakt vor einem imperialen Herrscher, der für Menschenrechte und Toleranz bekannt war – eine Art persischer Urvater.
»Wir beginnen, tief eingepflanzte Glaubensmuster aufzuarbeiten.«
Nicht nur, dass eine Provinz wie Sistan-Balutschistan, die niemals bei den Protesten des übrigen Landes mitmarschierte, nun ein Epizentrum des wöchentlichen Widerstands ist. Kommen Iraner aus anderen Landesteilen dorthin, loben sie unentwegt den Mut der Demonstranten, erzählt mir die Journalistin Sahra Rousta, die in Zahedan lebt. »Die ganze Gesellschaft – alle Schichten, Gruppen, politischen Richtungen, Religiöse wie Nicht-Religiöse, wollen die Islamische Republik beendet sehen. Und: Es zeichnet sich eine kulturelle Revolution ab. Gegen Misogynie, gegen patriarchalische Vorstellungen. Wir beginnen, tief eingepflanzte Glaubensmuster aufzuarbeiten«, fasst Atena Daemi die Entwicklung zusammen.
Ihren Aktivismus bezahlt sie teuer: Kaum aus dem Gefängnis entlassen ist sie untergetaucht, um weiter zu publizieren. Ihre chronische Krankheit, die sich im Gefängnis entwickelte, kann sie in ihrem Versteck nicht behandeln. Wie alle befragten Frauen ist sie überzeugt: Die Proteste werden weitergehen, in der einen oder anderen Form. Wie alle sieht sie den Staat stark und im Verfall zugleich: der ideologische Ruin des politischen Islam, die Unfähigkeit, Tausende von unverschleierten Frauen zu verhaften, zunehmend säkulare Einstellungen, die neue Angstfreiheit vieler Menschen und ihre neue Radikalität – und auf der anderen Seite das einzig verbliebene Mittel des Staates, die Keule der Repression und Hinrichtung, und ein Land in Trauer, das seine Getöteten nach und nach in unzähligen Handyvideos kennenlernt.
Opfer aus der Namenlosigkeit herausholen – das sei eine der wichtigsten Aufgaben westlicher Beobachter, sagen die Frauen. »Zeigt die Bilder unserer Getöteten und Gefangenen. Lernt sie kennen. Und übt Druck auf Eure Regierungen aus, jede Zusammenarbeit mit unseren Henkern zu beenden.« Wahre Solidarisierung fange an, wenn die unmenschliche Natur des Regimes endlich verstanden werde.
Kommentare (1)
Claudia klein
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