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Was die Trump-»Revolution« mit Europa gemein hat Früchte des Zorns

Es war ein Schock. Donald John Trump, der Skrupellose, der Hetzer, Frauenfeind, Lügner, der »Troll in Chief« wurde im November 2016 zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Nach dem Amtseid am Mittag des 20. Januar 2017 zieht er mit Frau Melania und Sohn Barron William, den die Mutter angeblich »Mini Donald« nennt, ins Weiße Haus. Big Donald erhält den Oberbefehl über 1,2 Millionen Soldaten sowie den Code für über 7.000 Atomsprengköpfe. Man möchte ein sehr tiefes Loch graben und kopfüber hineinspringen.

Warum aber war Trump eigentlich ein derartiger Schock? Die Beobachtungen, Daten, Analysen liegen seit Langem vor. Sie beschreiben einen sich beschleunigenden, von starken Stimmungen befeuerten Erosionsprozess, der uns in weiten Teilen Europas beunruhigend vertraut vorkommt. Weshalb uns Trump doppelt nervös machen muss. Als Menetekel.

Diesseits wie jenseits des Atlantiks bündeln Wortführer der neuen Rechten die Sehnsüchte der Ängstlichen, Empörten und Enttäuschten zu einem anschwellenden Meinungsstrom. Sie schöpfen ein neues Weltbild, ein neues Wir, das von Abgrenzung lebt: Gegen »Fremde«, insbesondere Muslime, gegen Toleranz, Feminismus, »Gutmenschentum« und »politische Korrektheit«, gegen globale Verantwortung und all die komplizierten Herausforderungen der Moderne, die man notfalls, wie etwa den Klimawandel, schlicht negiert. In den Echokammern der neuen Medien werden diese Aufwallungen gefüttert und multipliziert.

Das Mischungsverhältnis variiert, die Grundrezeptur des Erregungscocktails jedoch bleibt verblüffend ähnlich. Als Basisingredienz dient die wirtschaftliche Realität, die als mehr (im Süden) oder minder (im Norden) bedrohlich empfunden wird; und die Selbstwahrnehmung breiter Bevölkerungsschichten im gesellschaftlichen Gefüge verändert. Sie suchen jetzt Abstand zu den vermeintlichen Eliten, zu Politikern, Managern, Bankiers, Meinungsführern, und »Experten«, von denen sie sich belogen, betrogen und bestohlen fühlen.

Der Prozess kam nicht über Nacht. In Österreich etwa säten und säen Jörg Haider und seine FPÖ-Nachfahren seit nunmehr 30 Jahren den Zorn gegen das Fremde, die EU, die Medien; treiben mit Ausdauer einen Keil zwischen das als stets gut, aufrecht und fleißig verklärte Volk und die bösen, korrupten »Politiker in den Regierungsparteien« (so sie nicht gerade selber regierten). Auch die Schweizerische Volkspartei drängt den Diskurs schon seit den 80er Jahren gezielt und erfolgreich nach rechts und baut dabei ihren Wähleranteil kontinuierlich aus. 2015 wurde sie stärkste Partei. Der Bauunternehmer und Medienmogul Silvio Berlusconi brachte es in Italien seit 1994 viermal zum Ministerpräsidenten. Viktor Orbán wurde mit seiner Fidesz-Partei 1998 zum ersten Mal ungarischer Präsident. Selbst in einst so toleranten Gesellschaften wie Dänemark und den Niederlanden gedeiht die Saat des Zorns. Polens Antwort auf neoliberale Experimente ist die antimoderne, nationalistische PiS-Partei (»Recht und Gerechtigkeit«).

Überall ist ein Verlust an Vertrauen, Konsens, Empathie und Richtung zu erkennen. Überall finden sich gewiefte neue Führer, deren krude »Realitäten« und simple Rezepturen wunderbar zur widersprüchlichen Gefühlswelt eines verwirrten und wachsenden Publikums passen.

Emotionen und Chips

Das Trump-Desaster in den USA erschien uns wie ein plötzliches Ereignis, ein Erdbeben. Tatsächlich wurde auf dem langen Weg dahin kräftigt gesät, auf einem Boden, der gründlich gepflügt wurde. Auch in den USA ist seit mindestens 20 Jahren ein Verfall von Öffentlichkeit sichtbar – spätestens seit 1994, als der notorische Newt Gingrich, heute ein enger Kumpane der Rotmütze Trump, die Republican Revolution ausrief. Lange bevor die rechte Rhetorik Facebook, Blogs und Onlineportale als ihre neuen Massenmedien entdeckte, lieferten erzkonservatives »Talkradio« und Rupert Murdochs Fernsehkanal Fox News in Dauerschleifen passende Aufreger und Emotionen, die das Heer der Empörten bald täglich verschlang wie Burger und Chips.

Alle Untersuchungen zeigen auch in den USA, dass in den Augen vieler Bürger das große Versprechen auf ein gutes Leben und eine bessere Zukunft von miteinander verschworenen Eliten gebrochen wurde. Weshalb das Vertrauen in die Institutionen, die Regierung, den Staat, die Medien, in »das System« rapide schwindet, vor allem bei einer wachsenden Zahl von Armen, die den Staat als eine Art Betriebssystem zur weiteren Bereicherung der ohnehin Privilegierten betrachten. US-Forscher beobachten hier schon seit den 80er Jahren, dass bei stagnierendem oder schwindendem Einkommen auch die Zuversicht leidet. Eine Mehrheit in den USA glaubt heute, dass es ihren Kindern nicht besser gehen wird.

Diese Einschätzung ist durchaus ökonomisch unterfüttert. Die Bezahlung von Arbeit in den USA ist seit 1973 vom Produktivitätszuwachs abgekoppelt. Seit den 80er Jahren stagnieren die Einkommen in der Mittelschicht, die der Geringverdiener sind sogar gefallen. Acht Jahre Obama haben am großen Trend der Konzentration des Wohlstands in immer weniger Händen nichts geändert. Ein Blick auf die Charts zeigt: Die Mehrzahl der US-Bürger vertraut allenfalls dem kleinen Geschäftsmann und allen Staatsdienern mit Waffe – also dem Militär und der Polizei. Hier scheint die Angst vor Terror und Verbrechen – ein weiterer die Rechte begünstigender Faktor – größer als die Wut. Schon die Kirchen betrachten viele skeptisch. Dann geht es steil bergab: In die Präsidentschaft, das Gesundheitswesen, den Obersten Gerichtshof haben nur noch rund ein Drittel Vertrauen, in Banken, Medien und Big Business nur knapp ein Viertel, in den Kongress, also das Parlament, nicht einmal 10 %.

Der Diskurs wird von rechts geführt, längst nicht mehr nur von Erzkonservativen und Evangelikalen. Die Tea-Party-Bewegung , 2009 entstanden, war von Anfang an auch sozialer Protest – ironischerweise mit vielen Versatzstücken libertärer Marktverherrlichung. Ihr Zorn richtet sich weniger gegen die Konzerne als gegen das politische Establishment, gegen das big government. Sie verlangt nach noch niedrigeren Steuern, noch weniger Staat, weshalb Milliardäre wie die Brüder Charles und David Koch diese vermeintliche Graswurzelbewegung von Anfang an großzügig unterstützten.

Das ist eine Besonderheit der USA: Die inzwischen nahezu ungebremste Macht des großen Geldes über die Meinungsbildung. Die Finanziers regieren nicht nur milliardenschwer in die Politik hinein, sie haben auch ein imposantes Geflecht von Thinktanks und Lobbygruppen geschaffen, dazu Kampforganisationen wie Americans for Prosperity, die wie Parteien agieren – doch nur für die Interessen ihrer Geldgeber. Die Rekrutierung beginnt meist schon in Schulen und Universitäten, wo Großspender ebenfalls enormen Einfluss entfalten.

Die zweite Besonderheit: Die US-Gesellschaft ist – vor allem durch die vielen, im Nachhinein oft als sinnlos empfundenen Kriege seit dem in Korea – stärker traumatisiert als europäische Gesellschaften. 18,8 Millionen Kriegsveteranen leben dort, Gewalterfahrungen spielen im Alltag eine große Rolle. Das zeigt sich nicht nur in Hollywoodproduktionen, sondern auch in den horrenden Häftlingszahlen (693 pro 100.000 Einwohner, in Deutschland sind es 78).

Der dritte Unterschied: Mit Donald Trump hat ein brachialer Stil Einzug in die Politik gehalten, dessen sich in Europa allenfalls offen faschistische Gruppierungen bedienen würden. Trump ist die kalkulierte Verrohung – schamlos, übergriffig, rachsüchtig und hochaggressiv. Er pfeift auf Anstandsregeln und Abkommen, offeriert sich als Abrissbirne für das Establishment. Er ist, wie sie im Silicon Valley sagen würden, disruptiv. Das bedeutet: Er negiert alle Übereinkünfte und zerschlägt die Strukturen, um etwas Neues zu schaffen, welches er kontrolliert.

Ein Beispiel für die Internationalisierung des Diskursverfalls: Donald Trump geißelte in seinen Kampfreden gern den deutschen Umgang mit Flüchtlingen (»irrsinnig«) und prophezeite dem Land Aufstände und »radikalislamischen Terrorismus«. Kurz vor der US-Wahl tauchte im Internet ein Video der konservativen Lobbygruppe Secure America Now auf, das die Zukunft in einem sogenannten »ISOG« ausmalte, einem Islamic State of Germany: Dschihadisten flanieren am Brandenburger Tor, nächtigen auf Schloss Neuschwanstein und verneigen sich im Kölner Dom gen Mekka. Auf dem Oktoberfest gibt es weder Bier noch Schwein, der Schwarzwald hingegen ist voller Sprengstoff. »Buche jetzt Dein Ticket!«

Das derbe Filmchen wurde von der texanischen Agentur Harris Media produziert, zu deren Kundschaft auch Sarah Palin, Ted Cruz und die Fracking-Industrie gehören, außerdem Benjamin Netanyahu und die britische UKIP. Die Kunst, verkündet der junge, rechtskonservative, gern die Bibel zitierende CEO Vincent Harris, sei es, »spezielle Momente gut zu verpacken«. Gerade die Absurdität dieses Produktes demonstriert das Ausmaß der Herausforderung: einen Umgang mit Stimmungsmachern zu finden, die Faktentreue als Schwäche sehen, denen Humanität, Solidarität und Weltoffenheit nur zuwider sind.

Die amerikanische Rechte reicht vom republikanischen Blogger bis zum Ku-Klux-Klan, vom eleganten Großstadtrepublikaner bis zum schwer bewaffneten Milizionär, der Jagd auf Mexikaner macht. Trump hat Stephen Bannon, zuvor Chef des rechten Onlineportals Breitbart News, zum Counselor to the President erkoren, zu seinem ranghöchsten Berater. Damit bekommt der rechte Rand einen VIP-Zugang zum Weißen Haus. Breitbart News ist auch in Großbritannien aktiv und kündigte nach Trumps Wahlsieg eine Expansion nach Frankreich und Deutschland an.

Schon taucht in unseren opulenter werdenden Albträumen ein neues atlantisches Bündnis auf – eine NATO der alten und neuen Nationalisten, Rechtspopulisten, Faschisten. Europas Rechte waren einhellig begeistert über die Entwicklung. »Der Brexit und der Sieg Donald Trumps«, jubelte Marine Le Pen, »beerdigen die alte Ordnung. Es sind Steine, aus denen das Morgen gebaut wird«. Ähnlich verzückt waren Frauke Petry (»Zeitenwende«) und Viktor Orbán (»großartig«), Heinz-Christian Strache und Nigel Farage. »Auf beiden Seiten des Atlantik«, notierte Geert Wilders, nicht zufällig auf Breitbart News, »erleben wir den gleichen Aufstand«.

In der Defensive steckengeblieben

Linke und Liberale hingegen sind in den USA selbst unter Obama in der Defensive steckengeblieben. Bei Wahlen in den US-Bundesstaaten, so rechnete unlängst der gegen Hillary Clinton unterlegene Präsidentschaftsanwärter Bernie Sanders vor, hätten die Demokraten in den letzten acht Jahren rund 900 Sitze eingebüßt. Auch weil sie weniger als Vorkämpfer gesehen werden denn als Verräter: Als corporate democrats, als Freunde der Wall Street und anderer mächtiger Strippenzieher, und als solche, die keinen Entwurf mehr zu präsentieren wissen, der neue Perspektiven aufzeigt und echte Veränderung verspricht. Sanders, hierzulande oft fälschlich unter »Linkspopulist« verbucht, schuf im überlangen US-Präsidentschaftswahlkampf als einziger eine progressive Aufbruchsstimmung – mit Vorschlägen, die – unter einer deutschen Lupe betrachtet – klassisch sozialdemokratisch sind: Wirtschaftsreformen im Interesse der Bedürftigen, strengere Regeln für Wahlkampfspenden, eine Justizreform mit dem Ziel, weniger Menschen einzusperren, schärfere Umweltauflagen im Kampf gegen den Klimawandel. Es macht nachdenklich, dass ein solches Paket heute als »Revolution« gilt.

In vielen Staaten Europas wie auch in der Institution EU bietet sich ein ähnlich deprimierendes Bild: Der Fortschritt zeigt wenig Kampfgeist und hat bei Wählern kaum noch Kredit. Die neue Rechte dagegen schafft das Paradox: Sie profitiert von der Angst vor den Verheerungen der entfesselten Märkte und verwebt zugleich das neoliberale Credo, das diese geschaffen hat, mit dem Versprechen von nationaler Selbstbestimmung und Prosperität. Was absurder denn je ist. Aber verfängt.

Trump war ein Schock. Entscheidend ist, dass keine Agonie daraus wird.

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