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Führung, links

Das Wort »Führung« gar »Führer« hat in Deutschland aus gutem Grund einen bitteren Beigeschmack. Solche Befangenheit ist naturgemäß vielen anderen Ländern ganz fremd. In den USA z. B. werden selbst lokale Parteifunktionäre »leader« genannt, ganz zu schweigen von den »cheerleaders«, die Stimmung in die Sportarenen bringen. In Deutschland hingegen geht allenfalls noch der »Reiseführer« ohne größere Bedenken durch, während Medien und Öffentlichkeit den Begriff von der politischen Sphäre möglichst ganz fernhalten. Die oder der »Vorsitzende« muss reichen, ein Wort, das die Vielen, deren Vorstellungen der damit gemeinte Wortführer zusammenfassen soll, immer mit ins Bild rückt. Diese prinzipielle Aversion gegen »Führung« und »Führer/innen« fand in der antiautoritären Bewegung der 60er Jahre den schärfsten Ausdruck, als Führung und Autoritarismus gleichgesetzt wurden. Das schlug sich in der Partei Die Grünen in der ersten Phase ihrer Geschichte in einem kurzatmigen Rotationsprinzip und dem Verbot von Doppelämtern in allen Führungsfunktionen nieder – bis Joschka Fischer, ein »Führungskünstler« der besonderen Art, das alles beiseiteschob. Mit seinen Auftritten, seiner Personalpolitik und seinem Kommunikationstalent hat er seine Partei in wenigen Jahren »gerockt« und die Regularien, die dergleichen ein für allemal verhindern sollten, zuerst selbstbewusst überspielt und damit ihre Abschaffung in die Wege geleitet.

Das gelang, weil er mit seiner Person und seiner Art im Inneren seiner Partei die Mehrheit bald mitreißen konnte und nach außen, in der Gesellschaft die für den Erfolg seiner Partei relevante Minderheit zu überzeugen vermochte. Es ist kaum zweifelhaft, dass Die Grünen ihren relativ raschen Aufstieg vom anfänglichen Paria des Parteiensystems zur Regierungspartei in besonderer Weise der unheimlichen Bereitschaft verdanken, sich gegen ihre eigenen starken Impulse und Regularien von diesem »außeralltäglichen« Talent mehr und mehr führen zu lassen. Der Erfolg hat ihm Recht gegeben und die vielen Opfer seines gelegentlich brachialen Vorgehens – Personen und manche »Prinzipien« – rasch vergessen lassen. Eine interessante Geschichte, aus der sich viel über politische Führung in der Demokratie lernen lässt.

Die in der antiautoritären Linken, also bis sehr weit hinein in die Mitte der europäischen Sozialdemokratie, gern gepflegte Vorstellung, es ginge bei der Durchsetzung ihrer Ziele nur um das Programm und nicht um Personen, führt in die Irre. Das stimmte schon für die Frühgeschichte der Bewegung nicht und es stimmt in der unübersichtlich gewordenen Mediengesellschaft noch weniger. August Bebel, dem »Arbeiterkaiser«, gelang unter widrigsten Bedingungen das beispiellose Kunststück, gleichzeitig die durchaus schon heterogene Mitgliedschaft seiner rasch wachsenden Partei von Mal zu Mal zu begeistern und allmählich ein Drittel der Gesellschaft von ihrer emanzipatorischen Mission zu überzeugen. Er hatte, wie die Historiker sagen, »Charisma«, in der Definition von Max Weber die »außeralltägliche Gnadengabe«, die Menschen von seiner Sache und der Rechtmäßigkeit der eigenen Führungsrolle zu überzeugen. Das ist nichts, was sich einfach lernen lässt, weil es erst aus dem Zusammenwachsen von Lebensgeschichte, Lebensführung und Mission entspringt. Es ist vor allem eine besondere Art von Glaubwürdigkeit, die das Leben und die Ideen einer Person mit den Lebenserfahrungen einer Gesellschaft verbindet. Antonio Gramsci gelangte zu der Auffassung, dass dergleichen den intellektuellen Führern der Arbeiterbewegung nur gelingen kann, wenn sie ihre ganze Existenz in die Lebensmilieus der Arbeiter hinein verlegen und damit deren Sicht der Welt »organisch«, völlig glaubhaft auf natürliche Weise überzeugend einnehmen können. Eine Forderung, zu radikal zwar für komplexe, hocharbeitsteilige Gesellschaften, die aber einen fortgeltend wahren Kern behält.

Auch in demokratischen Gesellschaften reicht es für anerkannte und erfolgreiche Führung nicht aus, etwas zu »vertreten«, selbst wenn es gut und im Interesse der Mehrheit ist. Die Führungspersonen müssen es, wenn sie erfolgreich sein wollen, auch im Sinne Gramscis »verkörpern«. Nur wenn sie vermitteln können, dass sie von dem, wofür sie »stehen«, durchdrungen sind, bieten sie die Gewähr, dass sie sich in jedem Amt und unter wechselnden Voraussetzungen dafür nachdrücklich einsetzen werden, weil es ein Teil von ihnen selber ist. Erst dadurch und nicht schon durch die Beschlusslage gewinnen Programme ihre öffentliche Beglaubigung – und überhaupt erst im medialen Tagesgewimmel Aufmerksamkeit. Fast immer dringt nur der Teil eines Parteiprogramms zur Gesellschaft durch, der von ihrer Führung in diesem Sinne verkörpert wird. Das gelingt nur den ein oder zwei Personen, die entweder das politische Führungsamt schon innehaben, das ihnen die politische Einlösung ihres Versprechens erlaubt oder jenen, die sich als unbestrittene Anwärter auf dieses Amt behaupten.

Darum hängt auch der Erfolg linker Parteien keineswegs allein von konsequenten Programmen ab, sondern fast mehr noch von einer guten Führung, die deren Kern überzeugend und verständlich verkörpert. Eine Unterscheidung trennt die politischen Welten: (Mitte-)linke Führung ist nur glaubwürdig, wenn sie inklusiv ist, alle einbezieht – das schließt Verführung weitgehend aus. Rechte Führung lebt fast immer von der Ausschließung von Minderheiten – das macht den Übergang zur Verführung fließend.

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