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picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose

Der Zivilschutz muss an neue Bedrohungslagen angepasst werden Für alle Eventualitäten

Mit Berufung auf die Zeitschrift Le Figaro haben deutsche Medien vom Handbuch berichtet, das von der französischen Regierung vorbereitet und noch im Sommer 2025 an alle Haushalte verteilt werden sollte. Das Manuel soll »Überlebenstipps« für den Fall einer Naturkatastrophe, Krise oder für den Kriegsfall enthalten. Französische Bürger sollen mithilfe des Handbuchs lernen, »sich selbst zu schützen, aber auch die Menschen um sich herum«, und in ihrem Haushalt für alle Eventualitäten ein »Überlebenspaket« vorrätig haben, bestehend aus etwa sechs Litern Wasser, zehn Konservendosen sowie einer Taschenlampe und Batterien.

Wem solche Tipps vertraut vorkommen, irrt nicht: 4,5 kg Getreide, Brot, Kartoffeln, Nudeln und Reis, dazu Milch, Fisch, Fleisch, Eier (oder Volleipulver) sowie 20 Liter Getränke empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) den deutschen Haushalten pro Kopf und zehn Tage. Die Bonner Behörde, die dem Bundesinnenministerium unterstellt ist, ist seit 2004 als zentrale Stelle des Bundes für den Bevölkerungsschutz in Deutschland zuständig. Möchte oder sollte aber mehr als das sein.

Vorrat an Kohle, Briketts oder Holz

Der vom BBK herausgegebene Katastrophenalarm! – Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen, mit »Vorsorge- und Verhaltensempfehlungen« inklusive Einkaufsliste für die Notvorräte, die unter dem Stichwort »Hamsterkäufe« kurz nach der Erstveröffentlichung Kultstatus erlangte, war eine der unmittelbar von der Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) der deutschen Regierung aus dem Jahr 2016 abgeleiteten Maßnahmen. Mit der KZV wurde die Bevölkerung angehalten, »einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten«. Dazu gehörte laut Ratgeber auch ein Vorrat an Kohle, Briketts oder Holz, solarbetriebene Batterieladegeräte und Bargeldreserven »zur Überbrückung kurzfristiger Stromausfälle«.

»Die letzte (…) Neukonzeption der Zivilen Verteidigung erfolgte im Jahr 1995 und war von der sicherheitspolitischen Entspannung nach Beendigung des Kalten Krieges geprägt«, erklärte der damalige Innenminister Thomas de Maizière. »Infolge der Terroranschläge 2001 und des Sommerhochwassers 2002 einigten sich Bund und Länder (…) im Jahr 2002 auf eine Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung.« Im Jahr 2016 war es dann da: »Das konzeptionelle Basisdokument für die ressortabgestimmte Aufgabenerfüllung im Bereich der Zivilen Verteidigung und zivilen Notfallvorsorge des Bundes«. Die KZV bleibt bis heute die Grundlage, auf der sich die Bundesministerien »über ihre Aufgabenerfüllung in der Zivilen Verteidigung« untereinander abstimmen.

Wie Holger Beiersdorf, der sich als Chronist des DDR-Zivilschutzes verpflichtete, feststellte, wurden die Begriffe Zivilschutz und Zivile Verteidigung bereits in der Vergangenheit oft vertauscht. »Mit der Wende wurde die Zivilverteidigung in den Zivilschutz umgewandelt«, schrieb er. »Der Katastrophenschutz bildete in den letzten Monaten der DDR dessen Hauptaufgabe.« Der Zivilschutz, so Beiersdorf, umfasste »im Kern den Bevölkerungsschutz«. Die Zivile Verteidigung aber »geht wesentlich weiter und beinhaltet zusätzlich die Sicherstellung der Führung unter besonderen Lagebedingungen, die Verkehrssicherstellung sowie die ökonomische Sicherstellung der Landesverteidigung und die direkte Unterstützung der Streitkräfte«.

Zivile und militärische Variante

Die Bereiche Zivilverteidigung und Zivilschutz wurden auch in der Konzeption des Innenministeriums nicht getrennt behandelt. Vielmehr ist der Zivilschutz einer der vier Aufgabenbereiche der Zivilen Verteidigung, neben der Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen, der (Not-)Versorgung der Bevölkerung und der Unterstützung der Streitkräfte. Dabei wird der Zivilschutz explizit als »Schutz der Bevölkerung vor den im Verteidigungsfall drohenden Gefahren« definiert.

Neben Naturkatastrophen und Terroranschlägen müssen auch wieder »Kriegseinwirkungen« als Gefahren genannt werden.

Das BBK unterscheidet zwischen ziviler und militärischer Variante: Während die Verantwortung für militärische Verteidigung beim Verteidigungsministerium liegt, ist für die Zivile Verteidigung (und den Zivilschutz im Verteidigungsfall) das Innenministerium zuständig. »Als Teil der zivilen Verteidigung ist der Zivilschutz eine Aufgabe des Bundes, durch nichtmilitärische Maßnahmen die Bevölkerung, ihre Wohnungen und Arbeitsstätten, lebens- oder verteidigungswichtige zivile Dienststellen, Betriebe, Einrichtungen und Anlagen sowie das Kulturgut vor Kriegseinwirkungen zu schützen und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern«, erklärt das BBK. Diese Definition verdeutlicht zwei wichtige Aspekte des heutigen Bevölkerungs- und Zivilschutzes. Erstens, dass dort, wo es bisher um Naturkatastrophen oder Terroranschläge ging, nun der Schutz vor »Kriegseinwirkungen« genannt wird.

Zweitens, dass beim Zivilschutz private Haushalte nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar betroffen sind, indem zivile Diensteanbieter und Anlagenbetreiber verpflichtet werden, die »lebens- oder verteidigungswichtige« Versorgung im Not- oder Krisenfall zu gewährleisten- Gemeint sind die Betreiber kritischer Infrastrukturen (KRITIS). In der Nomenklatur des sogenannten NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetzes, mit dem die NIS-2-Richtlinie der EU bis zum 17. Oktober 2024 in deutsches Recht hätte umgesetzt werden müssen, werden sie als wichtige und sehr wichtige Einrichtungen bezeichnet, die insbesondere zur Einhaltung von Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit oder zur Meldung von Sicherheitsvorfällen verpflichtet wurden. In der Nomenklatur des Dach-Gesetzes zur Stärkung der Resilienz, mit dem die CER-Richtlinie ebenfalls bis Oktober umgesetzt werden und das sich auf die physische Sicherheit beziehen sollte (wobei sich physische und IT-Sicherheit nicht immer klar trennen lassen), spricht man von Betreibern kritischer Anlagen….

In beiden Gesetzesentwürfen war deutlich, dass die Rolle des BBK gestärkt werden soll: »Über die nationale Resilienzstrategie hinaus wird das BBK speziell für den Bereich der kritischen Infrastrukturen, der versorgungswichtigen Einrichtungen – z. B. in den Sektoren Energie, Ernährung sowie Transport und Verkehr – sein Engagement ausbauen.« Aufgaben, die bisher unbestritten in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) fielen, sollen (wenigstens teilweise) vom BBK übernommen werden – unter anderem auch die Meldung von Sicherheitsvorfällen. Diese sollen künftig an eine »gemeinsame Meldestelle« von BSI und BBK gerichtet werden. Nach aktueller Auslegung des BBK gehören auch Cybersicherheit und Desinformation zur Zivilen Verteidigung. »Informationssicherheit, wie Cybersicherheit auch genannt wird, ist ein wichtiges Gut«, heißt es. Dazu gehört der Schutz von »Netzwerken, Systemen, Geräten und anderen Informationen vor Angriffen und unbefugter Nutzung«.

Der Staat allein kann die Daseinsvorsorge nicht gewährleisten.

»Bevölkerungsschutz ist Teamarbeit«, wird der BBK-Präsident Ralph Tiesler zitiert. Er ruft zu Gesprächen auf »über das, was uns erwarten könnte, aber auch über das, was wir voneinander erwarten«. »Das gilt für alle Beteiligten im organisierten Bevölkerungsschutz, aber auch für private Unternehmen und die Bevölkerung selbst.« Der Staat – das stellte der frühere BBK-Präsident Christoph Unger klar – sei nicht in der Lage, die Daseinsvorsorge für seine Bürger allein zu gewährleisten. »Wir brauchen die Wirtschaft«, sagte er bei einer Lesung zu Marc Elsbergs Bestseller Blackout.

Während im Osten die »nach der Wende 1990 eingeleiteten Abrüstungsmaßnahmen« auch für die an das Ministerium für Nationale Verteidigung angegliederte Zivile Verteidigung galten, wechselten im Westen infolge der Privatisierung viele kritische Anlagen – darunter die Wasser- und Energieversorgung oder Telekommunikation – den Besitzer. Als Wirtschaftsunternehmen betreiben sie heute eigene Krisenstäbe und Lagezentren, auch, um gesetzlichen Verpflichtungen zu genügen.

Politische Weichenstellungen

Es ist anzunehmen, dass Zivilschutz und Zivilverteidigung auch in Zukunft weiter ausgebaut werden. Dies haben die Parteien in ihren Wahlprogrammen für die Bundestagswahl 2025 – wenn auch aus unterschiedlichen Motivationen – deutlich gemacht. CDU/CSU wollten sicherheitsrelevante Technologien sowie »kritische Infrastrukturen und Unternehmen vor Übernahmen durch systemische Rivalen« schützen – und dabei gleichzeitig die Wirtschaft stärken. Ihre Haltung blieb dabei differenziert: »Wir halten an engen Wirtschaftsbeziehungen zu China fest, sofern sie auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhen.« Die SPD setzte auf eine Stärkung der Zivilverteidigung: Ein zentraler Schritt sei das DachG, das »bundeseinheitliche und sektorenübergreifende Vorgaben für den physischen Schutz kritischer Infrastrukturen (KRITIS) einführt« und zugleich auf die Resilienz von Unternehmen abzielt, »um die Versorgungssicherheit unserer Gesellschaft mit lebenswichtigen Dienstleistungen zu gewährleisten.«

Noch vor dem Abschluss der Koalitionsgespräche stimmte der »alte« Bundestag für das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen »für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur« sowie für eine Grundgesetzänderung zur Aussetzung der Schuldenbremse für bestimmte »Verteidigungsausgaben«, auch für »Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten«. Mit dem »Pakt für Bevölkerungsschutz« im Koalitionsvertrag, mit dem die Bereiche der Cybersicherheit, des Zivil- und Katastrophenschutzes sowie der zivilen Verteidigung adressiert werden, soll Deutschland »gegen jede Form hybrider und konventioneller Bedrohung resilienter« gemacht, das BBK gestärkt und »nachhaltige Investitionen in Fähigkeiten und Ausstattung« getätigt werden.

Der »Bunker-Plan«

Die Priorisierung des Zivilschutzes wirft Fragen auf: Meint man mit »Infrastruktur« und »Ausstattung« etwa auch die Einrichtung von Bunkern oder kriegstüchtige Straßen? Undenkbar ist es nicht, denn Der Spiegel berichtete bereits im Vorjahr über den Bunker-Plan der Bundesregierung: »Angesichts der sich verschärfenden internationalen Bedrohungslage wollen das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und die Innenministerien wieder mehr Bunkerräume in Deutschland einrichten«, hieß es dort. Der Plan sollte aus dem 2023 entwickelten Gesamtszenario zur Umsetzung der Konzeption Zivile Verteidigung der IMK resultieren.

»Das Narrativ in Deutschland hat sich gewandelt.«

Für das französische Handbuch sollte übrigens nicht der deutsche Ratgeber für Notfallvorsorge, sondern ein das schwedische Om krisen eller kriget kommer das Vorbild sein. Das Büchlein gibt es dort bereits seit 1943 – mit einer Unterbrechung zwischen 1991 und 2018. Im Jahr 2016 versicherte Innenminister de Maizière, dass die deutsche Konzeption »keine Reaktion auf eine aktuelle terroristische Bedrohungslage« sei. Auch die französische Regierung betont, dass ihr Handbuch nicht direkt als Reaktion auf Russlands Angriff auf die Ukraine entstanden sei. Doch das Narrativ in Deutschland hat sich gewandelt. »Wir sorgen für einen modernen Bevölkerungsschutz, der […] neue geopolitische Spannungen berücksichtigt«, heißt es im SPD-Programm, »Wir schützen unsere kritische Infrastruktur, stärken die Cybersicherheit und verteidigen unser Land vor hybrider Kriegsführung und Sabotage durch feindliche Akteure.« Das französische Handbuch soll die Bevölkerung »auf alle Eventualitäten« vorbereiten – nicht nur, aber auch mit Paracetamol, Verbandsmaterial und Kochsalzlösung in jedem Badezimmer.

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