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© Foto von Markus Spiske auf Unsplash

Fürst Zuckerberg und das (mögliche) Ende der Demokratie

Der Internetkritiker Evgeny Morozov bemerkte einmal in einer Kolumne im Guardian, es sei nicht die Privatwirtschaft, sondern der öffentliche Sektor, der begeistert und ungebrochen an der Idee der Digitalisierung festhalte. So scheint es, dass nach einer Welle der Ratgeber- und Business-Bücher, die neue Geschäftsmodelle anpriesen und den Unternehmen zeigten, wie man in oder mit dem Internet Geschäfte macht, sich zunehmend mehr Autoren gesellschaftlich-politischen Themen widmen, ja sich mit Politik und Technologie intensiv auseinandersetzen und nach Lösungen suchen, wie die Demokratie, der öffentliche Diskurs, der Zusammenhalt in der Gesellschaft mithilfe neuer, besserer (Geschäfts-)Modelle, wenn nicht gerettet, dann wenigstens optimiert werden könnten. »Wie können Prozesse und Abläufe beschleunigt und transparenter, durchlässiger, partizipativer, gerechter gemacht werden? Wie können Regierungen und Repräsentation anders gedacht werden?« fragen Georg Dietz und Emanuel Heisenberg – der eine Journalist und Autor, der andere Start-up-Gründer im Bereich der erneuerbaren Energien – in Power to the People. Nicht weniger als eine »Handlungsanweisung, als Aufforderung und Wegweiser« sehen die Autoren in ihrem Buch – dafür, »wie so eine andere Politik und Gesellschaft aussehen könnten«.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen und Erfahrungen gehört, dass Digitalisierung nicht automatisch mehr Demokratie oder eine bessere Demokratie bedeutet. Technologie würde nicht vom Himmel fallen, so Dietz und Heisenberg, sei nicht Werkzeug von abstrakten Mächten, sondern politisch und gesellschaftlich verhandelbar. Um sie besser nutzen zu können, benötigt Politik »eine Vorstellung davon, wie eine andere, bessere Welt aussehen könnte«. Hierfür wollen sie Wegweiser sein. »Die digitale Revolution versprach viel für die demokratische Politik, hat aber bisher wenig gehalten«, kritisiert David Runciman in So endet die Demokratie. Und doch sei »ihr transformatives Potenzial praktisch unbegrenzt«. Die moderne Demokratie sei »löchrig«; die Menschen würden sich vernachlässigt fühlen, parteipolitisches Engagement sei zu einer cliquenhaften Aktivität verkommen, Parteien zu Bürokratiemaschinen. »Die repräsentative Demokratie sehnt sich danach, was sie nicht haben kann«, so Runciman. Man ist versucht, diese Lücke zu schließen, »die Politik ehrlicher, stärker auf Bürger eingehend und vollkommener zu gestalten«. Das Internet wirkt hier bisher lediglich als Verstärker und nicht als Lieferant neuer, disruptiver Lösungen. Und doch lässt »Digitaltechnologie (…) diese Versuchung beträchtlich stärker werden«. Könnte man die Politiker nicht unmittelbar für alles zur Verantwortung ziehen? Könnte man sie nicht direkt kontrollieren und ad hoc überwachen? Könnte man nicht sofort Entscheidungen treffen und Umsetzungen herbeiführen, anstatt zu debattieren, Kompromisse auszuhandeln und die Umsetzung auf Jahre hinauszuschieben? »In der digitalen Demokratie (…) verliert das Parlament seine Bedeutung«, so Dietz und Heisenberg. »Wie notwendig sind physische Sitzungen, das menschliche Aufeinandertreffen, um gutes demokratisches Handeln zu ermöglichen?«, hinterfragen sie. Und fordern Politik zu mehr Imagination auf.

»Soziale Medien können zwar keinen Ersatz für eine moderne Demokratie darstellen«, so Runciman, »aber sie können verlockende Möglichkeiten bieten, einige der Lücken zu schließen«. Wenn es um die zukünftige Entwicklung der Rolle von sozialen Netzwerken wie Facebook geht, zieht Runciman eine Parallele zu Thomas Hobbes’ Leviathan und stellt die These auf, dass sich mit der Zeit das Netzwerk demokratisieren könnte. Jedenfalls könnte das Netzwerk seinen Mitgliedern durch die Nutzung seiner Dienste das Recht einräumen, »an der Entscheidung über seine Politik mitzuwirken, wie es in demokratischen Staaten geschieht«. Während Hobbes’ Leviathan 300 Jahre benötigte, um sich zu einer ausgeprägten Form moderner Demokratie zu entwickeln, sollte es bei dem heute stark zentralisiert und hierarchisch aufgebauten Facebook schneller gehen. Dafür sind nicht nur Bürger- oder Grass-Roots-Bewegungen notwendig, »vielmehr muss Leviathan gegen Leviathan vorgehen«, um Konzerne wie Facebook zu bändigen. Der Silicon-Valley-Activist Maciej Ceglowski forderte: Der Staat muss beteiligt sein. David Runciman konkretisiert: Es »muss mit der Macht passieren, die Staaten besitzen, also die Maschinerien, die wir genau zu diesem Zweck erfunden haben«. Bis es so weit ist, stehen die hierarchische Organisationsstruktur des Konzerns und seine breit gestreute Reichweite »in völligem Widerspruch zueinander«. Keine Spur von Demokratie: »Zuckerberg ist ein Fürst.«

Der Staat muss aber auch deshalb beteiligt sein, weil er für die technische Infrastruktur, die eine andauernde Konnektivität mit anderen ermöglicht, (mit‑)verantwortlich ist. »Ohne Smartphone, Internetverbindung, Sensortechnik, GPS und G5-Flatrate gäbe es kein Facebook«, schreiben Roberto Simanowski und Ramón Reichert in Sozialmaschine Facebook. »Folglich gäbe es auch keine andauernde Konnektivität, die auch dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass wir einem stillschweigenden, aber kontinuierlichen Zwang ausgesetzt sind, permanent Inhalte teilen zu müssen«. Wer nicht andauernd online ist und seine Erlebnisse mit anderen teilt, der fällt aus den sozialen Netzwerken heraus – mangelnde Interaktivität und Partizipation werden mit Nachrichtenentzug bestraft. Technische Möglichkeiten beschränken allerdings die digitale Kommunikation auf die »Präsenz der Kenntnisnahme«: »Politischer Diskurs wird auf Online-Plattformen auf Zustimmung trainiert (…), weil er mit der technischen Möglichkeit kurzgeschlossen wurde, mithilfe des Like-Buttons Anteilnahme zu signalisieren«, so Ramón Reichert.

Dabei inszeniert sich Facebook »als Ort herrschaftsfreier Machtpraktiken und stilisiert sich als Sprachrohr der politisch Unterdrückten«, indem es u. a. mit radikaldemokratischen Konzepten wie dem Arabischen Frühling sympathisiert oder auch als »Gegenmacht zu den etablierten Machtformen« in Erscheinung tritt. Die Macht von Facebook entsteht nicht in der Unterdrückung – es gibt auch kaum Zensur –, sondern in einer endlosen Schleife des Produzierens und Partizipierens, so Simanowski. Seine »instrumentelle List« besteht darin, dass er mit Freiheit unterdrückt. Während der moderne Bürger nicht die Wahl hat, den Staat zu verlassen, kann sich der Konsument jederzeit dafür entscheiden, Facebook zu verlassen. Facebooks Macht, so Runciman, »beruht darauf, diese Wahlmöglichkeit zunehmend sinnlos zu machen. Zuckerberg muss seinen Kunden das Gefühl vermitteln, dass sie nirgendwohin wechseln können«.

Die Menschen können Technologie für schlechte Zwecke benutzen, so Runciman, »aber die meisten Menschen sind anständig«. »Also warum sollten wir sie [die Maschinen, d. A.] nicht nutzen, um unsere Demokratie zu verbessern, statt sie zu zerstören?«. Während Runciman Thomas Hobbes und Max Weber hinzuzieht, um potenzielle Entwicklungsszenarien der sozialen Netzwerke zu entwickeln, versuchen Simanowski und Reichert, Facebook mit Hegel und Adorno zu erklären. Sie schlagen vor, »Facebook als riesige Zerstreuungsmaschine zu sehen, die darauf zielt, uns mit zumeist banalen Dingen permanent geschäftig zu halten«. Während wir uns ununterbrochen mit den unaufschiebbaren Wichtigkeiten des Hier und Jetzt beschäftigen, bleibt nämlich wenig Zeit für die großen, eventuell gar existenziellen Fragen. Inzwischen scheint es wichtig zu sein, den Menschen »leere Zwischenräume von Einsamkeit und Schweigen zu verschaffen«, so Simanowski, damit sie endlich was zu sagen hätten und aus denen vielleicht etwas mehr politische Partizipation und kritisches Denken als bei Onlinepraktiken wie Clicktivism oder Slacktivism hervorgehen.

Der Wissensdurst kann auch zum Verhängnis werden – er wird nämlich zum Mittel, uns zu beobachten, so Runciman. Die Technologie macht es möglich, uns mit maßgeschneiderten Informationen zu versorgen und »sicherzustellen, dass wir eigentlich nie etwas Neues erfahren«. Wir geben nicht durch unsere Passivität, sondern gerade durch unsere Neugier etwas von uns preis. »Künstliche Intelligenz, Big Data, Algorithmen können zur totalen Überwachung genutzt werden und die Freiheit des Menschen bedrohen«, so Dietz und Heisenberg. Entscheidend sei, dass es einen gesellschaftlichen Willen gibt, »diese Technologien so zu nutzen und zu gestalten, dass sie für die Menschen arbeiten und nicht gegen sie«. Denn die gleichen technologischen Mittel und Möglichkeiten können Freiheit, Autonomie und Emanzipation oder aber auch Überwachung, Kontrolle und Disziplin fördern.

Die Täuschung sei fast perfekt: Man wird von einer Maschine beobachtet, die man selbst mit Informationen füttert: »Der orwellsche Alptraum ist, einer Überwachung ausgesetzt zu sein, die jegliches Verbergen sinnlos macht, weil es keinen Ort gibt, an dem man sich verstecken könnte«, so Runciman. Evgeny Morozov betrachtet deswegen Facebook als »riesigen Informanten für den Geheimdienst, als effektives Mittel der Identifizierung politischer Aktivisten zur rechtzeitigen Adressierung staatlicher Repression«. Wie das Beispiel von Cambridge Analytica und der Vorwurf der Mikromanipulation der Wähler zeigte, sei es ein ernst zu nehmendes Problem, das, wie Simanowski und Reichert bemerkten, nicht nur Facebook und soziale Netzwerke, sondern das Internet insgesamt betrifft. Was sich verändere, sei das Grundverständnis, wann wir überwacht werden; oft verwechselt man das Überwachtwerden mit der Überzeugung, andere (soziale Netzwerke, Politik etc.) zu überwachen. Auch die technischen Möglichkeiten der digitalen »Trüffelschweine« würden unterschätzt: Sie fänden die entscheidenden Informationen auch dann, wenn sie tief im »Sand des Banalen« vergraben sind: »Wer 150 Likes, die eine Person auf Facebook gegeben hat, kennt, weiß mehr über diese Person als ihre Eltern, bei 300 Likes sogar mehr als ihr Partner«, so Simanowski. Solange sich die Überwachung auf die Suche nach Terroristen, Kriminellen oder bösartigen Hackern aus fremden Ländern einschränken lässt, fällt es tatsächlich schwer, etwas dagegen einzuwenden – ob im Fernsehduell der Kanzlerkandidaten, in einer Parteisitzung oder mittels 280 Zeichen eines Twitter-Kommentars. Die Frage der Internetüberwachung, findet Runciman, »muss als Wahlkampfthema erst noch Schlagkraft entfalten«.

Georg Dietz/Emanuel Heisenberg: Power to the People. Wie wir mit Technologie die Demokratie neu erfinden. Hanser, Berlin 2020, 176 S., 18 €. – David Runciman: So endet die Demokratie. Campus, Frankfurt/M. 2020, 232 S., 19,99 €. – Roberto Simanowski/Ramón Reichert: Sozialmaschine Facebook. Dialog über das politisch Unverbindliche. Matthes & Seitz, Berlin 2020, 166 S., 12 €.

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