Die Allegorie der Kunst ist weiblich. Die Geschichte der Malerei, hier auf die Moderne begrenzt, ist es nicht. Noch nicht. Im kulturellen Gedächtnis bleibt haften, was wiederholt erzählt wird.
»Meilensteine« der Moderne werden nach wie vor gepflastert mit den Namen männlicher Künstler; die Kenntnis allein dieser ist auch nicht mehr selbstverständlich. Das klingt kulturpessimistisch. Aber irgendwo ist eine tiefe Skepsis zwischen dem Leben und der großen Arbeit, um Rainer Maria Rilke leicht abgewandelt zu zitieren; als ob ein Graben existierte zwischen Kunst und Leben, der sich mehr und mehr vertieft. An dieser Stelle Rilkes Requiem an Paula Modersohn-Becker anzuteasern, bedeutet ein Umwenden. Sie könnte als Mutter der modernen Malerei analog zu Cézanne als deren Vater bezeichnet werden, ein alternativer Meilenstein, der andere. Die analogiebildende Nachträglichkeit solcher Stereotype erscheint diffizil; denn verspätete Analogien machen nichts wieder gut, aber sie sind notwendig.
Der Ruhm Modersohn-Beckers hängt auch am Mythos ihres kurzen Lebens, das sie selbst als »intensives Fest« bezeichnete, deren letztes Wort schlicht »schade« lautete. Nicht nur durch ihre bahnbrechende enkaustische und pastose Malweise, sondern auch durch ihr Leben gelangte sie zu dieser einzigartigen Stellung in der Kunstgeschichtsschreibung. Künstlerruhm ohne Mystifizierung der Biografie ist in der Moderne kaum möglich, man denke an van Gogh und Cézanne.
Der Nimbus des Künstlers, an dem sich Sinnsuche, Hadern, Schicksal im Werk ausdrücken, war immer auch Bezug zwischen Werk und Mensch und wurde als Erzählung selten Frauen zuteil. Dies lässt sich nicht nur am Kulturjournalismus des 20. Jahrhunderts ablesen, sondern ist auch konservativ in Vorlesungen und Seminaren innerhalb der kunsthistorischen Grundausbildung bis dato propädeutisch eingeschrieben.
Dieser Kargheit weiblicher Präsenz im Kanon wirken in den letzten Jahrzehnten deutlich, vor allem in Bezug auf die Ausstellungspraxis, große Museen in Deutschland wie Schirn, Städel, Lenbachhauh und Hamburger Kunsthalle entgegen.
Seit den 1970er Jahren fragen sich Kunsthistorikerinnen, wo sich die Frauen der Kunst verborgen haben, verborgen wurden. Grundlagen- und Pionierarbeit leisteten die Kulturwissenschaftlerin Renate Berger und die Kunsthistorikerin Karoline Hille, gerade auch durch populärwissenschaftliche Publikationen, um hier nur zwei Autorinnen herauszugreifen, die eine Breitenwirkung über wissenschaftliche Aufsätze hinaus erlangten.
Nach dem Tod einer Künstlerin liegt es in Verantwortung der Nachlassverwaltung und beim Kulturjournalismus, ihre Relevanz einzuordnen. Dies geschah aber nur bruchstückhaft – aufgrund ihres Geschlechts wurden sie oft gesondert besprochen. Die Exotinnen unter Exoten. So urteilt die amerikanische Künstlerin Judy Chicago rigoros: »Und weil sie [die Männer] herrschen, schätzen sie unseren Standpunkt nur, sofern er mit ihrem eigenen übereinstimmt. Das Totschweigen von Frauen in der Geschichte, das Verschweigen ihrer Leistungen und vor allem das Übergehen des weiblichen Standpunktes, der in der Kunst zum Ausdruck kommt, ist kein historischer Zufall.«
Immer mehr Künstlerinnen erfahren breite Wertschätzung und im Rückblick eine differenziertere Wahrnehmung.
Sprach man um 1900 dem Phänomen Künstlerin durchaus misogyn unter dem Einfluss von Otto Weininger und Artur Schopenhauer deterministisch und biologistisch das Genie kategorisch ab, so ist heute zu beobachten, dass immer mehr Künstlerinnen eine breite Wertschätzung und auch im Rückblick eine differenziertere Wahrnehmung erfahren, obgleich der Geniebegriff ausgedient hat. Im gleichen Moment werden immer mehr Künstlerinnen vergangener Epochen und Generationen wiederentdeckt.
Diese Entwicklung fällt jedoch mit der aktuellen Debatte zusammen, die Stereotype von Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepten aufzulösen geneigt ist, die sie grundlegend infrage stellt und sich so auch der Blick auf historische Phänomene verändert. Gleichzeitig löst die Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) eine Debatte über Kreativität aus, über Mensch und Kunst und über den Transhumanismus - daneben erscheint die Debatte über weibliche Künstlerschaft fast antiquiert. Dabei haben wir noch nicht einmal systematisch begonnen, einen weiblichen Blick in der Kunst wirklich zu ergründen, eine weibliche Kunstgeschichte zu schreiben.
Eine Geschichte des Nachholens
2008 fand in der Schirn Kunsthalle Frankfurt eine Ausstellung mit Werken der Künstlerinnen Berthe Morisot, Mary Cassatt, Marie Braquemond und Eva Gonzalez statt. An der Schwelle zur Moderne steht der Impressionismus für die Anfänge des Stilpluralismus und der Individuation der Malerei. Dass die Moderne auch Mütter hat und dass dies häufig nicht zur Sprache kam, wird im Ausstellungskatalog auch von Ingrid Pfeiffer beklagt, die in ihrem Aufsatz »Der Impressionismus ist weiblich« auf die nur kurzzeitigen Erfolge der Künstlerinnen hinweist, bevor sie marginalisiert wurden.
Die Crux ist, dass die Konzeption von Ausstellungen weiblicher Künstler in ihrer Markiertheit verbleibt. Dass aber beispielsweise Morisot selbstverständlich neben Claude Monet und Édouard Manet als eigenständiges und »geniales« Malerindividuum erscheint und auch als solches besprochen wird, ist nach wie vor nicht selbstverständlich.
Neben dem Geschlecht sind Sujet und die gesellschaftlichen Umstände von Frauen, Mutterschaft und Häuslichkeit, Themen, die markiert weiblich und nicht generell menschlich erzählt werden. Die entscheidende Frage ist auch, warum sogenannte »weibliche« Themen das Geniale ausschließen.
Neben Gruppenausstellungen erscheinen Retrospektiven auch immer mehr Frauen in den Blick zu nehmen, zum Beispiel Gabriele Münter. Ihrer großzügigen Schenkung von Gemälden von Wassily Kandinsky, Franz Marc und anderen Schaffenden des Blauen Reiters hob das Lenbachhaus überhaupt erst in den Rang und die Bedeutung, in der es heute steht. Nach einer Würdigungsausstellung ihres Werks zu ihren Lebzeiten fand die erste umfassende Retrospektive erst 2017 statt. In der Einleitung des Katalogs zur Ausstellung heißt es: »In den letzten 25 Jahren hat es zwar einige Ausstellungen gegeben, jedoch keine einzige, die den Anspruch hatte, ihr Gesamtwerk zu zeigen. […] Münters Werk ist jedoch deutlich facettenreicher, fantasievoller und stilistisch breit gefächerter, als bisher bekannt.«
Auch Künstlerinnen des Bauhaus wurden im Zuge des Jubiläums umfänglich gezeigt und damit auch das sogenannte »Kunsthandwerk«, die Textilkunst, rehabilitiert, die oft Medium der Frauen war. Die explizit politischen und großformatigen Wandteppiche der dänischen Künstlerin Hannah Ryggen oder die Arbeiten von Lotte Laserstein wurden jüngst einem breiten Publikum im Städel und der Schirn erstmals in einer Einzelausstellung zugänglich gemacht.
In Hamburg, leider durch Corona beeinträchtigt, rief eine Werkschau von Toyen (eigentlich Marie Čermínová) in Erinnerung, dass André Breton sie als seine Nachfolgerin als Kopf des Surrealismus bestimmt hatte. Sie und viele andere Künstlerinnen des Surrealismus sind von Hille im Band »Spiele der Frauen« auch mit ihren einzigartigen Bildwelten portraitiert worden.
Zudem ist der Mythos vom ersten abstrakten Gemälde zu korrigieren. Die Ausstellung »Weltempfänger« zeigte die abstrakten Gemälde der Künstlerin Hilma af Klint, die historisch vor Kandinsky zu verorten sind. Der einleitende Aufsatz im Ausstellungskatalog will entschärfen und bringt doch dadurch die Brisanz nur mehr zu Tage, die sich ganz klar auf Kandinsky stützt: »Kandinskys frühe Abstraktionen und seine wirkungsmächtige Schrift Über das Geistige in der Kunst (1912) sind der Referenzrahmen für die Beschäftigung mit Künstlerinnen und Künstlern, die im Zentrum von Weltempfänger stehen. […] Uns interessiert […] nicht die Frage, wer das erste abstrakte Bild gemalt hat.«
Betrachtet man die Werkschauen und Ausstellungen über Künstlerinnen der letzten Jahre in Deutschland, lässt sich eine Tendenz feststellen, dass es eine weibliche Geschichte der Malerei gibt; man muss sie nur erzählen.
»Der Preis der Liebe, den wir nicht zahlen wollen«
Wie es um die Darstellung von Gegenwartskünstlerinnen bestellt ist, lässt sich exemplarisch an der Retrospektive zur Künstlerin und Dichterin Etel Adnan zeigen: Das Lenbachhaus widmete der aus Beirut stammenden und 2021 verstorbenen Künstlerin eine große Retrospektive, die den Fokus auf die Multimodalität des Werks und ihre Kunstauffassung legt. An dieser multiperspektivischen Ausrichtung, die sowohl ihre poetischen und kunsttheoretischen Überlegungen, als auch ihre Werke im Bereich Malerei, Textil, sowie Hörspiele und Leporellos vorstellt, zeigt sich, dass das Werk im Fokus steht. Die Ausrichtung einer Ausstellung fördert eine bestimmte Lesart. 2022 wurde ihr literarisches Werk im Nautilus-Verlag veröffentlicht, was ihre Doppelkünstlerschaft hervorhebt.
Der zentrale Gedanke Adnans ist das kompromisslose Sich-Überlassen in einer Bedingungslosigkeit, die im modernen Leben fehle und die, das darf hinzugefügt werden, einer idiomatisch gewordenen Berechenbarkeit diametral entgegensteht. Der Essay »Der Preis der Liebe, den wir nicht zahlen wollen«, der anlässlich der documenta 13 2011 veröffentlich wurde, markiert als Zivilisationskritik, aber auch als Hingabe an die Kunst den roten Faden für ihr Werk und Leben. Liebe zu Natur, Menschen, Gegenständen, Materialien markiert idealiter den Modus des Umgangs mit Welt. Diese Haltung, das Wie, ist weder privat noch unpolitisch, im Gegenteil, markiert sie die Voraussetzung für Begegnung. In dieser Haltung ist der Mensch immer politisch, wo er sich am privatesten wähnt.
Adnans Kunst wird also in einen aktuellen kulturkritischen Kontext gerückt, gleichzeitig wird sie an kunsthistorische Traditionen, auch der Münters, angeschlossen. Was die Darstellung der Moderne in Bezug auf die Frauen betrifft, bleibt zu reflektieren, ob man sie in den bestehenden Kanon einfügt, oder so etwas wie eine weibliche Kunstgeschichte erzählt. Möglichkeiten dazu gäbe es. Beides wäre sicherlich förderlich.
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