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US-amerikanische Außenpolitik nach Trump Geduld ist gefragt

In einem kritischen Beitrag über die Außenpolitik der Trump-Administration – einem vierjährigen Flirt mit rechtspopulistischem Nationalismus in einer 30‑jährigen Phase geopolitischer Umbrüche und politischer Identitätskrisen für die Vereinigten Staaten – ist es wichtig, von vornherein Folgendes festzustellen: »America First« ist nur das jüngste und hässlichste Ereignis, welches aber auf bereits vorher bestehenden Grundlagen aufbaute. Diese Analyse soll einen Überblick geben, um zu verstehen, warum die US-Außenpolitik in den letzten vier Jahren diesen Weg genommen und wie sich dadurch das internationale Kräfteverhältnis verschoben hat. Es lohnt zudem, sich darüber Gedanken zu machen, wie Europa angesichts dieser Entwicklungen und im Vorgriff auf die neue Biden-Administration handeln sollte.

Die trumpsche »America First«-Politik war offensichtlich populistisch-nationalistisch, sie war aber nicht neu. Sie wurzelte im amerikanischen Isolationismus nach dem Ersten Weltkrieg und der anfänglichen Weigerung, sich am Zweiten Weltkrieg zu beteiligen. Im Nachhinein betrachtet ist die Torheit dieser »America First«-Positionierung in den 30er und 40er Jahren offensichtlich, und sie wurde von Kritikern dazu benutzt, das unheilvolle Potenzial einer ähnlichen Haltung im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts aufzuzeigen. Und tatsächlich: Trumps »America First«-Politik war innenpolitisch eine Enttäuschung und führte international ins Chaos. Die Abwertung und herablassende Behandlung von Freunden und die Schwächung von Allianzen zugunsten eines bilateralen deal-making und der freundliche Umgang mit Potentaten war (nicht nur) für die außenpolitische Gemeinschaft in Washington verwirrend. Beleidigende diplomatische Personalentscheidungen – etwa die Berufung von Richard Grenell als Botschafter in Deutschland – werden bestimmt lange als neue Tiefpunkte in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten in Erinnerung bleiben. Ebenso der Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Pariser (Klima-)Abkommen und dem JCPOA, dem Abkommen mit dem Iran über dessen Atomprogramm. Doch diese Boshaftigkeiten sind nur die äußeren Merkmale der trumpschen Außenpolitik. Ihnen liegt auch eine Art weltanschauliche Deutung zugrunde.

Diese wurde 2019 vom ehemaligen außenpolitischen Staatssekretär für europäische und eurasische Angelegenheiten A. Wess Mitchell und Elbridge Colby, dem ehemaligen stellvertretenden Untersekretär für Strategie- und Streitkräfteentwicklung im US-Verteidigungsministerium artikuliert, welche die Gefahren der reaktiven Haltung der Obama-Administration gegenüber geopolitischen Veränderungen betonten und versuchten, die Richtung der Trump-Administration drei Jahre lang, auch nach ihrem Ausscheiden aus der Administration, zu rechtfertigen. Mitchell und Colby befürworteten eine offensive Haltung in einer Welt neuer Großmachtkonkurrenz zwischen den USA und China, in der auch ein rachsüchtiges Russland versucht, Chaos im internationalen System zu stiften. Diese offensive Haltung würde wiederum ein klassisches Machtgleichgewicht erfordern – wenn nötig, sowohl gegen Europa als auch gegen Asien – und alle Bereiche der internationalen Beziehungen von militärischen bis hin zu diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen betreffen.

Wenn diese außenpolitische Agenda eher pessimistisch scheint, so ist das nicht allein die Schuld dieser gefährlichen Regierung. Die USA besitzen kein klares Gespür für internationale Ziele, wie es während des Kalten Krieges der Fall war: Die letzten drei Jahrzehnte wurden durch das umrissen, was die Vereinigten Staaten nicht sind und durch das, was ihnen vorausging. »Post-Cold War« beschreibt diese Zeitspanne nicht positiv, sondern definiert sie negativ. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam es in der Tat zu einer Identitätskrise, durch die in der amerikanischen Politik viel Zeit verloren wurde. Wir haben unseren »unipolaren Moment« in den 90er Jahren verstreichen lassen, das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts damit verbracht, einen diffusen, aber kostspieligen Krieg gegen den Terrorismus zu führen und Regimewechsel mit einem sehr geringen (geo-)politischen Gewinn zu betreiben. Das erste Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 hat die amerikanische Innen- und Außenpolitik verwüstet und einen großen Teil des öffentlichen Appetits der Bevölkerung auf internationales Engagement und internationale Interventionen, ob militärischer oder anderer Art, zerstört. Präsident Obama war mit dieser Verschiebung des politischen Willens konfrontiert, lange bevor Donald Trump der amerikanischen Öffentlichkeit einen Rückzug aus der Welt und der Rolle als »Global Policeman« verkaufte und zuvor geschätzte Allianzen verließ, um sich allgemein über das globale Engagement im Namen des amerikanischen Volkes zu beschweren.

Während die USA im Nahen Osten eine enorm kostspielige Reihe von Kriegen führten und Regimewechsel zu erreichen versuchten, unterschätzten sie immer wieder die wachsende Stärke Chinas und die sich daraus ergebenden Herausforderungen. Trotz Barack Obamas »Pivot to Asia«, der die transatlantische Gemeinschaft so sehr verärgerte, gelang es ihm nicht, China als Partner zu gewinnen – die Vereinigten Staaten wurden durch ihren Kampf um den Rückzug aus ihren verschiedenen Engagements im Nahen Osten in den Hintergrund gedrängt, und die daraus resultierende Politik war in der Tat reaktiv, wie Mitchell und Colby beklagten. In einem der wenigen Punkte, in denen sich der stark polarisierte US-Kongress einig zu sein scheint, ist eine allgemeine überparteiliche Aggressivität gegenüber China, ein aktuelles Markenzeichen der amerikanischen Außenpolitik. Das Auftauchen des neuartigen Coronavirus hat die Washingtoner Frustration gegenüber Peking nur noch gesteigert, und die bilateralen Beziehungen zwischen den USA und China sind so schlecht, wie seit der Chinapolitik von Richard Nixon in den 70er Jahren nicht mehr.

Die USA haben es auch versäumt, Russland so ernst zu nehmen, wie es sich unter den verschiedenen Regimen von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew entwickelt hat. Die Position Russlands im globalen Machtverhältnis ist vielleicht nicht mehr jene, die sie als Sowjetunion im Kalten Krieg innehatte, aber die Beziehungen zu Washington sind – wie die zu China – in einem sehr konfliktreichen Zustand. Russlands Rolle bei den Präsidentschaftswahlen 2016 hat seine Position in der amerikanischen Innen- und Außenpolitik als ein Objekt großen Misstrauens und großer Frustration gefestigt.

Weniger offensichtlich in den Diskussionen um die internationalen Machtverhältnisse sind die explosionsartigen Entwicklungen kleptokratischer Praktiken und die amoklaufende Globalisierung. Zusammen haben sie zu einer noch nebulösen, aber existenziell gefährlichen Entwicklung geführt: einer sich langsam entwickelnden Glaubwürdigkeitskrise für Demokratie und Globalisierung. Gesetzeslücken in den innenpolitischen Maßnahmen der USA, die nach dem 11. September umgesetzt wurden und die Finanzierung internationaler Terrornetzwerke behindern sollten, trugen zu einer Art kleptokratischen Globalisierung bei, die im Immobiliensektor wurzelte. Während mehrerer Wirtschaftskrisen, in denen Bürger aus der Unter- und Mittelschicht auf beiden Seiten des Atlantiks litten, konnten die Reichen ihr Vermögen durch Verlagerung und Steuerhinterziehung sichern und vergrößern. Von der dadurch heraufbeschworenen Krise des Vertrauens in die Demokratie, jede Form der Globalisierung und den liberalen Kapitalismus haben wir uns noch nicht erholt. Angesichts zweier großer Machtverschiebungen, die sich ereigneten, während Amerika untätig zuschaute, und einer alarmierenden Zunahme des Rechtspopulismus auf beiden Seiten des Atlantiks, der die demokratischen Ideale des Westens bedroht, stellt sich die Frage, wie Europa sich verhalten sollte und was von der Regierung Biden zu erwarten ist.

Der große Appell der Washingtoner Politikgemeinschaft nach den Wahlen von 2016 war, dass Europa sich unter der Trump-Administration weiterhin mit den USA arrangieren sollte – und es ist das Verdienst Europas, dass die Kommunikation trotz der Verletzungen durch Trump nicht abgebrochen wurde, auch wenn sich die Zusammenarbeit verlangsamte und Europa ohne oder trotz Washington mit wichtigen Fragen konfrontiert wurde. Offensichtlich taugen die USA derzeit nicht als Vorbild, da die Behebung der von der Trump-Administration zugefügten, häufig sehr persönlichen Schäden nicht über Nacht geschehen kann und wird. Aber die USA und Europa würden davon profitieren, wenn sie nicht die Existenz der transatlantischen Partnerschaft überdenken würden, sondern den Inhalt und die Art und Weise, wie wir bei der Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen – unter anderem der COVID-19-Pandemie – zusammenarbeiten.

Multilateralismus ist nicht auf militärische Zusammenarbeit beschränkt und sollte es auch nicht sein. Leider wird das transatlantische Verhältnis oft damit verwechselt. Die NATO könnte ihr Selbstverständnis über ein rein militärisches Bündnis hinaus erweitern und sich den zahlreichen nichtmilitärischen Gefahren für ihre Mitglieder zuwenden. Gesundheitspolitik, Wirtschaftsphilosophie, Verbraucher- und Arbeitsnormen sowie klassische Instrumente der Public Diplomacy wie der intellektuelle und kulturelle Austausch sollten ebenso Teil unseres breiten Bündnisses und seiner täglichen Arbeitsbeziehungen sein. Um nur ein konkretes Beispiel zu nennen: Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche hat innenpolitisch eine hohe Priorität – die Erfahrungen Amerikas mit dem eklatanten Finanzbetrug von Donald Trump sollten ein weiterer Ansporn für Reformen sein. Sie ist aber auch ein Bereich, der sich für eine progressive transatlantische Zusammenarbeit eignet mit einer hohen außenpolitischen Priorität.

Die Wahl von Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist nicht nur wegen der Umstände seiner Wahl, seiner Erfahrung oder seiner Vizepräsidentin Kamala Harris bemerkenswert, sondern auch, weil Biden gleichzeitig ein Gefühl der Vertrautheit und des Rätsels beschwört. Seine jahrzehntelange Tätigkeit im Kongress und im Ausschuss für auswärtige Beziehungen des Senats sollte seine Außenpolitik gut einschätzbar machen – gleichzeitig wird seine Regierungszeit keine Restauration der Politik der Obama-Ära sein. Tatsächlich sind der Inhalt und die Einzelheiten der außenpolitischen Agenda der neuen Biden-Regierung in der Öffentlichkeit und in diplomatischen Kreisen nicht allgemein bekannt. Dennoch gibt es einige Dinge, die man über Biden sagen kann, die zuversichtlich stimmen.

Der nächste Präsident wird der Pflege unserer Beziehungen zu Europa, insbesondere zu Deutschland und der EU, eine hohe Priorität einräumen. Er wird den Westen verteidigen und strebt die Initiierung eines globalen Gipfels der Demokratien an, um gemeinsame Werte und gute Regierungsführung zu stärken. Biden wird die USA erneut auf das Pariser Abkommen verpflichten. Er ist ein ausgewiesener Brexit-Skeptiker, was darauf hindeutet, dass seine Prioritäten und sein Einfluss bei diesem Thema eher Irland und der EU zugeneigt wären. Seine Administration muss gleichzeitig mehr an Herausforderungen für die USA und ihre Verbündeten bewältigen als jeder andere Präsident seit Harry S. Truman. Daher ist es wahrscheinlich, dass die alten »Policy-Silos« ignoriert werden und Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik als ein einziges Bündel von Herausforderungen verstanden und behandelt werden.

Biden kann die Außenbeziehungen der USA nicht allein regeln, auch scheint er einen Sinneswandel in der Haltung gegenüber China, Russland und dem Nahen Osten zu vollziehen, der darauf hindeutet, dass sich in diesen Bereichen gegenüber den letzten vier Jahren wenig wesentlich ändern wird. Die amerikanische Haltung gegenüber China wird bestehen bleiben, die anhaltenden Versuche, die Truppen im Nahen Osten abzuziehen werden weitergehen und die Sanktionen gegen Russland werden bestehen bleiben. Die Rhetorik gegenüber und im Zusammenhang mit der NATO wird weniger konfrontative Züge annehmen, aber obwohl man hoffen kann, dass das Bündnis von einem rein militärischen Arrangement auf einen etwas ganzheitlicheren Ansatz ausgedehnt wird, scheint unklar, was kurzfristig geschehen wird.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs sollten weiterhin Geduld mit den Vereinigten Staaten haben und erkennen, dass ein Großteil der unmittelbaren Zukunft in den Beziehungen zwischen den USA und Europa von den Gesprächspartnern abhängt, die die USA nach vier Jahren Trump über den Atlantik schicken können. Sie sollten auch von unserem »Experiment« mit dem Populismus Kenntnis nehmen – nicht nur von ihren Erfahrungen mit einem verrückt gewordenen Verbündeten, sondern auch von den außenpolitischen Kämpfen der USA bei der Schaffung und dem Aufbau einer Welt mit gemeinsamen Zielen anstelle pseudohistorischer Konstruktionen und Wahnvorstellungen.

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