Menü

Gefühlte Unsicherheit und die Macht der Medien

Zwischen gefühlter und reeller Bedrohung eines Menschen klafft oftmals eine große Lücke. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass unabhängig von vorliegenden Statistiken über Gewalt und Bedrohung – die etwa belegen, dass ein Großteil physischer Übergriffe in der Familie und im Freundeskreis stattfindet oder dass die meisten Todesopfer im Individualautoverkehr zu beklagen sind – die tatsächlichen Ängste der Menschen von anderen Eindrücken geprägt werden. Und hier kommen die Medien ins Spiel. Sie beeinflussen über das sogenannte Agenda-Setting wesentlich, was Menschen bewegt, wovor sie Angst haben und wann sie sich unsicher fühlen, auch unabhängig von den realen Gefahren. Sei es die Angst vor Fremden, vor Raub, Terror oder Flugzeugabstürzen – die Medien sind die Übermittler angsteinflößender Szenarien.

Nun berichten Medien nicht im luftleeren Raum. Für die tägliche Berichterstattung werden tatsächliche Ereignisse aufgegriffen, Themen von anderen Medienschaffenden oder Auseinandersetzungen in Talkshows oder fiktionalen Formaten verarbeitet. Die Medienlogik funktioniert aber meist so, dass man sich an Ausnahmeerscheinungen orientiert. Berichtet wird nicht über den Normalfall, sondern über die Abweichung von der Norm. Erst sie ist ja berichtenswert und macht eine Erzählung interessant.

Die Wahrnehmung der Welt ist nach wie vor massenmedial geprägt. Die (a)sozialen Netzwerke ergänzen und verstärken die Fokussierung auf bestimmte Realitätsausschnitte. Ihre algorithmische Steuerung führt nachgewiesenermaßen nicht zu mehr Differenzierung, sondern engt die Blickfelder zusätzlich ein. Die Fokussierung auf bewusste Falschmeldungen (Fake News) lenkt zudem von der Brisanz der zur Norm gewordenen alltäglichen Verzerrung ab. Hier liegt die Problematik für eine demokratische Gesellschaft, die zwar auf Reflexion über die Meinungsbildungsprozesse angewiesen ist – es sich aber leistet, keine systematische Medienbildung als Schulfach anzubieten.

Die Macht der Medien

Medien spielen eine entscheidende Rolle dabei, bestimmte Realitätsausschnitte für relevant zu erklären, andere für irrelevant. Es wäre jedoch ein deutlich stärkeres Bewusstsein dafür vonnöten, dass man als Medienschaffende nicht einfach nur abbildet, sondern auch stark die Wahrnehmung der Menschen von der Welt und einzelnen Sachverhalten strukturiert. Wie z. B. die im Sommer geführte Debatte um das Framing von »Flüchtlingen und Kriminalität« in der Sendung Hart aber fair von Frank Plasberg zeigte, gibt es hier noch viel Fortbildungsbedarf. Es mangelt häufig an der Bereitschaft zur Selbstreflexion. In deutschen Talkshows taucht »der Flüchtling« etwa häufig als Belastung und/oder Bedrohung auf. Wenn dann vor der Gesprächsrunde noch eine Dokumentation gezeigt wird, in der es um zwei Fälle geht, bei denen jugendliche Geflüchtete auf Mitschülerinnen einstachen, entsteht Pars pro Toto ein angsteinflößendes Gesamtbild. Als Antwort auf die aufkommende Kritik twitterte das Plasberg-Team scheinbar naiv: »Framing? Als Journalisten können wir mit diesem Begriff wenig anfangen. Wir versuchen das, was Menschen beschäftigt, so darzustellen, wie es ist.« Immerhin ist es durch diese Framing-Debatte gelungen, die Problematik der Rahmung – der Einfärbung durch suggestive Auswahl- und Benennungsentscheidungen – auf die Agenda zu setzen.

Was können nun mediale Auswahl- und Strukturierungsprozesse bedeuten? Als wissenschaftliche Grundlage hierfür beziehe ich mich auf die Framing-Theorie der Kognitionsforscher George Lakoff und Elisabeth Wehling sowie auf die These, dass Sprache nicht neutral ist und Highlighting und Hiding betreibt – entweder durch Vorprägung der Begriffe aus anderen Kontexten oder durch die Auswahl eines Begriffs aus vielen anderen Möglichkeiten.

Die Framing-Theorie lässt sich an der Bezeichnung »Hambacher Forst« für ein 200 Hektar großes Waldstück zwischen Köln und Aachen verdeutlichen, die den Wald bereits als zu bewirtschaftendes Objekt der Forstwirtschaft framed. Auch die Gegner der Abholzung bedienten sich häufig dieses Begriffs, der bereits den Interessen derjenigen zuarbeitet, die den Hambacher Wald abholzen wollen. Wenige Journalist/innen haben im Laufe der Berichterstattung dieses Framing geändert.

Die Problematik der Begriffsauswahl hinsichtlich Highlighting und Hiding wird

bei Entscheidungen deutlich, die im Redaktionsalltag häufig diskutiert werden, etwa, wenn Tatverdächtige für einen Anschlag zu benennen sind. Handelt es sich dabei um einen »Mörder«, »Fanatiker«, »Amokläufer«, einen »Terroristen« oder »Freiheitskämpfer«? Jeder Begriff wirft eine andere Perspektive auf den Sachverhalt und framed somit die wahrnehmbaren Fakten. Das heißt, dass Rahmung durch subjektive Zeichen wie Sprache und Bilder immer stattfindet. Worauf also hingewiesen wird, was durch Wiederholung vergrößert wird und damit Überzeugungscharakter erhält, was andererseits ausgeblendet und damit für irrelevant erklärt wird, prägt unsere Wahrnehmung der Welt. Denn hier spielen die Erziehung, die Bildungsinstitutionen und alle anderen Medien lebenslang eine wichtige Rolle. Dabei muss einem klar sein, dass das Unterbewusstsein Verneinungen nicht erkennt. Das bedeutet, dass Ablehnen und Kontern ebenfalls den einmal gesetzten Frame verstärken. Auf das daraus entstehende Dilemma der Gegenrede werde ich später bezüglich der Frage nach den Handlungsoptionen noch einmal zurückkommen.

Gemeine-Welt-Syndrom

Das auf den Medienpsychologen George Gerbner zurückgehende Gemeine-Welt-Syndrom wurde durch Untersuchungen vielfach bestätigt und hat mit der Betrachtung der Welt durch die mediale Brille zu tun. Menschen, die stark in eine Richtung geprägt sind und wenig andere Kontakte haben, nehmen auch vermehrt Dinge wahr, die ihre Ansicht bestätigen und ignorieren gegenteilige Fakten. Sie sind besonders empfänglich für Fakten, die ihre Sichtweise bekräftigen und verallgemeinern reflexartig. Dann wird ein Ereignis stellvertretend für das Ganze als Beweis gewertet, insbesondere wenn es um Mitglieder bereits markierter Gruppen geht. So werden etwa die Taten von wenigen Geflüchteten, Muslimen, Frauen, Schwarzen oder Juden als Beweis für das Verhalten aller Gruppenmitglieder angesehen. Auch jenseits von falschen Zahlen über Vergewaltigungen durch Immigranten bedeutet etwa das bevorzugte Berichten in den Nachrichtenformaten über Vergewaltigungsfälle, an denen Geflüchtete beteiligt waren, bereits eine Steilvorlage für eine Verschiebung von Angst hin auf die kriminalisierte Gruppe der Geflüchteten.

Seit etwa zwei Jahren bekomme ich bei Vorträgen zum medialen Einfluss auf unsere Wahrnehmung immer wieder zu hören, dass die Angst von Frauen vor sexualisierten Übergriffen auf der Straße gestiegen sei. Diese Angst ist zumeist als Bestätigung gemeint, um zu belegen, dass es eine größere Gefahr auf Straßen gibt und diese durch die Anwesenheit von Geflüchteten befördert werde. (Polizei-)Statistisch lässt sich das nicht belegen, nur die erhöhte Aufmerksamkeitszuteilung durch verschiedenste Medien ist messbar.

Vergleichbares gilt für Eigentumsdelikte. Viele Menschen haben Angst vor Einbrüchen und Taschendiebstählen. Ein Raub in großem Stil wie etwa der europaweite Steuerbetrug, die sogenannte Cum-Ex-Affäre, bleibt jedoch zu abstrakt und wird von Kreisen verübt, die nicht im Fokus der Skandalberichterstattung stehen. Hier wird in der Regel auch gar nicht von Raub gesprochen, und es fühlt sich hier auch vermutlich niemand persönlich bedroht. Auch Terror und Todesangst bilden hier keine Ausnahme. Terrorwarnungen spielen dabei eine spezifisch unrühmliche Rolle, wie eine umfangreiche Studie der Universität Jena belegt, in der ein Team um Wolfgang Frindte und Nicole Haußecker nachgewiesen hat, dass das Durchreichen staatlich-offizieller Terrorwarnungen nachhaltig nicht die Angst vor Terror, sondern die Angst vor dem Islam schürt. Die nachteiligen Folgen von Umweltgiften und Mikroplastiken sind schon lange bekannt – jetzt sind sie endlich auch ein Thema und es wird über andere Möglichkeiten nachgedacht. Lebensmittelskandale finden immer wieder statt, Folgen auf die Einkaufsentscheidung haben diese allerdings nur für einen kurzen Zeitraum nach einer starken Medienaufmerksamkeit. All diesen Beispielen liegt die Tatsache zugrunde, dass viele Menschen ihre Vorstellung von Realität nicht als Produkt medienvermittelter Prozesse wahrnehmen.

Verneinung verstärkt die falsche Sicht

Ein schwer zu lösendes Problem ergibt sich aus der natürlichen Funktionsweise der Zeichensysteme Sprache, Mimik und Bilder. Zeichen zeigen, d. h. sie lenken die Aufmerksamkeit. Über diese Grundfunktion kommen sie kaum hinaus. Wenn jemand sagt: »Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten«, dann denken die Menschen exakt daran – und so verstärken auch Richtigstellungen das vormals in die Welt gesetzte. Das ist ein kaum aufzulösendes Dilemma, denn Medien klären oftmals über Falschmeldungen auf. Dabei wiederholen sie aber auch falsche und irrelevante Themensetzungen und betreiben damit oft ungewollt das effektivste Geschäft der Überzeugung, nämlich die Wiederholung.

Soll man nun aber die falschen Aussagen stehen lassen, wenn z. B. erkennbar ist, dass populistische Organisationen ganz gezielt bestimmte Abstrusitäten als Provokation in den Raum stellen, damit darüber und gerne auch dagegen berichtet wird? Frei nach dem bewährten PR-Motto »Ja, bitte bekämpfe mich, aber schreibe dabei meinen Namen richtig!« Denn da ist man sich des Wertes der Aufmerksamkeitssteuerung voll bewusst. Die Aufgabe ist nicht leicht zu lösen, denn in der Tat erklärt jedes Kontern und jede Gegenrede erst einmal das Gesagte für relevant. Dies kann, wie beispielsweise im Falle des Zahlenschöpfers Thilo Sarrazin, zu völlig verfehlten Debatten führen, die an Irrelevanz kaum zu übertreffen sind. Glossare für eine verbesserte Sprachnutzung können hier nicht weiterhelfen. Und ob Aufklärung, wie etwa durch den Faktenfinder von ARD-aktuell, immer die richtige Antwort ist, darf in diesem Kontext mit der Frage, welche Faktenbehauptungen man überprüft und somit für wichtig hält und welche nicht, auch kritisch hinterfragt werden.

George Lakoff hat angesichts der Medienreflexe auf getwitterte Trump-Provokationen sinngemäß die schwierige Frage nach den konstruktiven Handlungsmöglichkeiten gestellt und damit einen überlegenswerten Vorschlag unterbreitet, der von der wegweisenden Fragestellung ausgeht: Wovon will Donald Trump ablenken? Versuche nicht auf seine Ablenkungsmanöver einzusteigen und die von ihm gesetzten Themen zu bedienen, indem du dagegen Stellung beziehst. Folge nicht dem Blick des Interessierten auf das Objekt seiner Betrachtung, sondern analysiere und finde heraus, was das eigentlich relevante Thema ist und behandle dieses ausführlich.

An dieser Stelle sollten Politiker/innen und Medienschaffende ansetzen und könnten Bildungseinrichtungen jedweder Art anknüpfen – solange es noch keinen systematischen Lehrplan zur Medienbildung gibt.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben