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Solidarische Wirtschaftspolitik in Zeiten der Transformation Gegen den Verlust des Egalitären

Woanders hatte es schon vorher begonnen. Der aufkeimende Neoliberalismus erfasste zu Beginn dieses Jahrhunderts auch Deutschland und führte zu einem Bündel von Maßnahmen, die vor allem einem Ziel dienten: den Marktkräften mehr Raum zu geben. In einer Zeit blutleeren Wachstums bis hin zur Stagnation und Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit sollte dies der Wirtschaft in Deutschland einen belebenden Schub vermitteln. Die Wachstumsdynamik sollte sich erhöhen und zugleich sollte die soziale Mobilität in einer von Fesseln befreiten Marktwirtschaft zunehmen.

Treibende Kräfte sollten die Anreize sein, die das Marktsystem über Preissignale auslöst. Das galt vor allem für den Arbeitsmarkt, auf dem eine vermeintlich allzu starre Lohnbildung und eine zu hohe monetäre soziale Absicherung als maßgebliche Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit angesehen wurden, wie der Sachverständigenrat 2002 feststellte. Zugleich beeinträchtigten nach dieser Logik die Kosten der sozialen Sicherung die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland, was seinerzeit als maßgeblich für deren Produktionsverlagerung vor allem in Richtung Osteuropa angesehen wurde. Beide Wachstumshindernisse sollten durch die Veränderungen im Rahmen der Agenda 2010 beseitigt werden.

Aber nicht nur der Arbeitsmarkt sollte von den Fesseln staatlicher Regulierungen befreit werden. Auf den Finanz- und Wohnungsmärkten wurden gleichfalls regulative Bestimmungen gelockert, um die Aktivitäten auf diesen Märkten zu beleben.

An dieser Stelle soll nicht untersucht werden, ob diese Maßnahmen mit Blick auf die genannten Ziele erfolgreich waren. Dies ist umstritten. Hier geht es ausschließlich um deren Wirkung auf die Verteilung. In dieser Hinsicht sind die Befunde jedoch eindeutig. Mit den gelockerten Regulierungsbestimmungen erhöhte sich die Ungleichheit in Deutschland ab 2003/04 signifikant. Seither schwanken die Ungleichheitsmaße mit den Krisen dieser Zeit, aber das seinerzeit entstandene Niveau der Ungleichheit blieb im Grundsatz erhalten.

Das gilt auch für die jüngsten Tendenzen während und nach der Coronapandemie. Zwar gibt es unterschiedliche Befunde, was angesichts der Zeitnähe des Ereignisses nicht überraschend ist. Doch man ist sich einig, dass die Auswirkungen der Pandemie eher marginal oder nur kurzfristiger Natur sind. Insgesamt ergibt sich aber eine bemerkenswert ungleiche Verteilung vor allem von Vermögen, wie auch der aktuelle Oxfam-Bericht zeigt.

Führt Ungleichheit zur Spaltung?

Diese Befunde sind notwendige Voraussetzungen für die Diagnose einer Spaltung. Ungleiche Einkommen und Vermögen können schließlich unterschiedliche Lebens- und Machtverhältnisse hervorbringen. Das hat Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Der Blick auf die Ungleichheit ist jedoch nur eine Momentaufnahme. Er zeigt den aktuellen Stand ungleicher Einkommens- und Vermögensverteilung. Ob daraus eine Spaltung der Gesellschaft abzuleiten ist, hängt von der unterschwelligen Bewegung zwischen den Einkommensklassen ab. Wenn zum Beispiel zwischen einzelnen Perioden ein kompletter Austausch zwischen ihnen stattfindet, wären zuerst Reiche später arm und umgekehrt. Das wäre zwar eine Gesellschaft mit hohen Einkommensrisiken. Aber da diese alle in gleicher Weise betreffen würden, könnte von Spaltung keine Rede sein.

Wenn hingegen alle immer in ihren Einkommensklassen verharren, also kein Austausch stattfindet, manifestiert sich eine markante Einkommensspaltung. In einer solchen Gesellschaft bleiben Arme arm und Reiche reich.

Ob dies der Fall ist, lässt sich anhand von Aufstiegs- beziehungsweise Abstiegswahrscheinlichkeiten erfassen. Beides zusammen bildet soziale Mobilität ab. Untersuchungen zeigen, dass diese in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen hat. Im internationalen Vergleich dürfte sie im Mittelfeld liegen. Dies zeigt, dass die erhöhe Ungleichheit sich nicht nur in ihrem Ausmaß verfestigt hat, sondern auch sozial. Menschen die heute arm sind, haben heute eine geringere Wahrscheinlichkeit ihre Armut zu überwinden als früher. Die soziale Mobilität nimmt ab. Damit erweist sich das Aufstiegsversprechen neoliberaler Vorstellungen als Illusion. Das Gegenteil ist richtig.

Dies hat ökonomische und politische Konsequenzen. Ökonomisch gibt es Hinweise, dass Ungleichheit mit niedrigerem Wachstum einhergeht, auch wenn dies umstritten ist. Vor allem aber zeigt sich ein besorgniserregender Befund im politischen Bereich. Die Interessen der ärmeren Bevölkerungsschichten spielten für die Entscheidungen des Bundestags eine geringere Rolle als jene der Wohlhabenden. Auch wenn belastbare Daten für die aktuelle Regierungsarbeit noch nicht vorliegen, vor diesem Hintergrund ist das Aufkeimen populistischer Parteien und Bewegungen kein Zufall.

Diese Befunde zeigen damit das Bild einer nicht nur ungleichen, sondern auch das einer gespaltenen Gesellschaft, wobei die Spaltung weit über die ökonomischen Gegebenheiten hinausreicht. Es gibt große Gruppen von Menschen, die sich von Politik in vielfältiger Weise abgehängt fühlen. Die SPD hat im letzten Bundestagswahlkampf erfolgreich versucht, diese Risse mit dem Motto »Respekt« zumindest einzugrenzen. Die deutliche Erhöhung des Mindestlohns, die Einführung des Bürgergeldes sowie die zahlreichen Hilfen während der Pandemie und während des Krieges in der Ukraine gerade für die einkommensschwachen Schichten der Gesellschaft untermauern diesen Anspruch. Doch reicht dies angesichts der großen Herausforderungen, vor denen unsere Wirtschaft und Gesellschaft stehen, nicht aus.

Transformation in einer gespaltenen Gesellschaft

Es geht um die Transformation. Der grundlegende Wandel zu einer digital und nachhaltig produzierenden wie konsumierenden Wirtschaft löst vielfach Ängste aus und hat zudem das Potenzial, die Spaltung zu vertiefen. Daher ist es notwendig, diesen Wandel so zu gestalten, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt trotz der massiven Veränderungen gestärkt wird. Hierfür ist eine wirtschaftspolitische Strategie des solidarischen Wandels ratsam, die dieser hohen Anforderung Rechnung trägt.

Solidarische Wirtschaftspolitik in Zeiten der Transformation besteht aus einer progressiven Angebotspolitik, die mit massiven Investitionen privater wie öffentlicher Natur neuen und adäquaten Technologien zum industriellen Durchbruch verhilft. Durch sie entsteht nicht nur eine nachhaltige Produktionsweise, sondern vor allem anspruchsvolle und gut bezahlte Arbeit, die eine wirtschaftliche Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten an den Früchten der Transformation ermöglicht. Hierdurch kann eine breitflächige Spaltung in Transformationsgewinner und -verlierer vermieden werden. Zur Finanzierung dieser Investitionen kann der Staat sich ohne Sorgen verschulden, da die künftige Rendite der Investitionen die haushalterischen Belastungen in Grenzen halten wird.

Der grundlegende Wandel ist nicht ohne Risiken. Die Fragilität der globalen Wirtschaft hat sich schließlich während der vergangenen Jahre in aller Deutlichkeit gezeigt. Auch können neue Technologien scheitern. Daher muss der Wandel auch von einer solidarischen Nachfragepolitik begleitet sein, die diese Risiken gerade für jene abfedert, die über geringe Einkommen und Vermögen verfügen. Es muss endlich ein System für Notfallzahlungen und auch für die Kompensation von Belastungen durch die Transformation (Energiegeld) eingerichtet werden, das zielgerichtet nach der Höhe der Einkommen unterstützt. Diese Ausgaben sollten allerdings nicht durch Verschuldung finanziert werden, sondern durch Steuereinnahmen. Von daher ist eine Steuerreform dringlich, bei der höhere Einkommen und Vermögen stärker belastet werden. Damit kann der Spaltung der Gesellschaft im anstehenden Wandel vorgebeugt werden.

Der sozialdemokratische Weg

Die SPD sollte den Weg, den sie seit der letzten Bundestagswahl eingeschlagen hat, konsequent fortsetzen. Gerade in Zeiten fundamentalen Wandels gilt es, die Spaltung der Gesellschaft nicht weiter ausufern zu lassen, sondern sie abzubauen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass dessen Akzeptanz schwindet und damit die Fähigkeit unserer Gesellschaft die Anforderungen dieser Zeit zu bewältigen.

Um dies zu erreichen ist eine Wirtschaftspolitik angeraten, die auf der einen Seite eine Ära der Investitionen einleitet, die eine breite Teilhabe an den neuen Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet. Auf der anderen Seite sollten in diesem Wandel die Einkommen der schwächeren Haushalte besonders geschützt sein, damit sie die Risiken nicht oder nur in geringerem Ausmaß zu tragen haben. Progressive Investitionspolitik, die Teilhabe vermittelt, verbunden mit einer solidarischen Absicherung der Risiken durch ein progressives Steuersystem ist der sozialdemokratische Weg, die Spaltung zu überwinden und den grundlegenden Wandel zu bewältigen.

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