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Gustav A. Horn skizziert eine neue Wirtschaftspolitik gegen Rechts Gegensteuern

Der Ökonom Gustav A. Horn leitete von 2005 bis 2019 das von den deutschen Gewerkschaften gegründete Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). In einer Hochzeit des Neoliberalismus war Horn eine wichtige Stimme alternativer Wirtschaftstheorie und -politik. Seit 2019 engagiert er sich verstärkt in der Sozialdemokratie. Als Kommunalpolitiker, Parteivorstandsmitglied und Vorsitzender des wirtschaftspolitischen Beirats arbeitet er mit vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern daran, eine eigenständige sozialdemokratische Wirtschaftspolitik zu entwickeln.

Sein aktuelles Buch Gegensteuern befasst sich mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten und seiner Ursachen. Der Autor vertritt die Auffassung, dass vier Jahrzehnte neoliberaler Wirtschaftspolitik den Rechtspopulismus den Boden bereitet haben. Diese marktradikale Politik habe die Gesellschaft sozial gespalten. Abschließend entwirft Horn eine wirtschaftspolitische Strategie, welche der Neuen Rechten das Wasser abgraben soll.

Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien hat nach Auffassung Horns sowohl kulturelle als auch wirtschaftliche Ursachen. Insbesondere die wirtschaftlichen Gründe nimmt er unter die Lupe. Die Neue Rechte erhält den größten Zulauf aus vom wirtschaftlichen Strukturwandel gebeutelten Regionen, häufig mit einem ehemals starken verarbeitenden Gewerbe und Handwerk. Deswegen werden die rechten Parteien auch von Facharbeitern und Handwerkern mit sicherem Job und gutem Einkommen gewählt und nicht nur von Arbeitslosen, prekär Beschäftigten und Geringverdienern. Diese Angehörigen mittlerer Arbeitnehmermilieus fühlen sich abgehängt und haben Angst vor der Zukunft.

Der Autor führt die kulturellen und wirtschaftlichen Umbrüche unserer Zeit auf die großen Megatrends Globalisierung, Digitalisierung und Individualisierung zurück. Diese haben die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu Ungunsten der abhängig Beschäftigten – insbesondere der unteren und mittleren Einkommensgruppen – verändert. Die ökonomische Ungleichheit wächst und die soziale Mobilität sinkt; gleichzeitig entsteht aus der sozialen Spaltung eine politische Ungleichheit. Die Wahlbeteiligung der unteren Schichten geht zurück und die ungleiche politische Beteiligung übersetzt sich in eine ungleiche politische Repräsentation. Folglich werden politische Entscheidungen immer mehr an den Interessen der wirtschaftlich Privilegierten ausgerichtet. In diese Repräsentationslücke stoßen die Rechtspopulisten. An dieser Stelle hätte ein stärkerer Einblick in die empirischen Befunde zu schichten- und klassenspezifischem Wahlverhalten sowie ungleicher politischer Repräsentation das Buch bereichert.

Horns Analyse des Aufstiegs der Rechtspopulisten benennt zentrale Ursachen, einige wichtige Gesichtspunkte bleiben aber unerwähnt. Seine Definition des Rechtspopulismus ist unpräzise, wo genau die Trennlinie zum Rechtsextremismus verläuft, bleibt unklar. So charakterisiert er die AfD vorschnell als rechtspopulistische Partei. Das völkisch-nationalistische Lager um Björn Höcke, Hans-Thomas Tillschneider und Götz Kubitschek hat die AfD aber aggressiv fremdenfeindlich ausrichtet, stellt das Grundrecht auf Religionsfreiheit infrage und strebt nach einer ethnisch reinen Republik. Kurzum: Die AfD ist heute eine rechtsextreme Partei.

Neoliberalismus

Die Geschichte moderner Gesellschaften ist geprägt von einem ständigen kulturellen und ökonomischen Wandel. Gustav Horn fragt, warum diese Veränderungen erst jetzt eine Welle des Rechtspopulismus auslösten? Er sucht die Erklärung in der neoliberalen Wirtschaftspolitik der jüngeren Vergangenheit und liegt damit richtig. Politik macht den Unterschied; auch die Megatrends – Globalisierung, Digitalisierung, etc. – waren das Ergebnis politischer Entscheidungen. In den 70er Jahren hatte ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel den Lauf der Geschichte verändert. Horn beschreibt, wie zunächst liberal-konservative Regierungen die Märkte entfesselten, die Staaten fesselten und das soziale Netz durchlöcherten.

Die Deregulierung der Finanzmärkte stärkte die Macht der Finanzinvestoren, Vermögensverwalter und Ratingagenturen zu Lasten der Parlamente. Schuldenregeln verhinderten, dass der Staat Konjunkturschwankungen ausgleichen und in die Zukunft investieren konnte. Der profitgetriebene Wandel der Arbeitswelt führte zu Unsicherheit, Abstiegsängsten und einem gefühlten und tatsächlichen Kontrollverlust. Der neoliberale Umbau der sozialen Sicherungssysteme entsicherte die großen Lebensrisiken (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Alter). Darüber hinaus beschreibt der Autor, wie eine fehlende soziale Gestaltung der Globalisierung einen brutalen Standortwettbewerb entfesselte. Was jedoch in Horns Darstellung fehlt, ist der gezielte Angriff der Wirtschaftselite und konservativer Regierungen auf die Gewerkschaftsbewegung. Die Niederlagen der britischen Bergarbeiter und der US-amerikanischen Fluglotsengewerkschaft ermöglichten erst den Siegeszug neoliberaler Wirtschaftspolitik à la Reagan und Thatcher.

Der Neoliberalismus trägt nach Auffassung Horns stets den Keim seines Niedergangs in sich, da er die Gesellschaft ökonomisch und politisch destabilisiert. Das dramatische Wachstum der Einkommens- und Vermögensunterschiede seit den 80er Jahren legt davon Zeugnis ab. Die Finanzmarktkrise und die Corona-Pandemie beenden nun das neoliberale Zeitalter, insofern sie das Versagen freier Märkte und neoliberaler Politik schonungslos offenlegen.

Die Rechte profitiert von sozialer Spaltung, wachsender Unsicherheit und Abstiegsängsten und antwortet auf das Schutzbedürfnis großer Bevölkerungsgruppen mit einem Appell an Volksgemeinschaft und Nationalstaat. Diese Strategie konnte aber nur aufgehen, weil viele sozialdemokratische und sozialistische Parteien in der Hochzeit des Neoliberalismus ihr Schutz- und Aufstiegsversprechen brachen. Die Linke entwickelte keine Alternative zur herrschenden neoliberalen Politik. Im Gegenteil: In Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien machten Sozialdemokraten und Sozialisten selbst neoliberale Politik. Dadurch entstand ein politisches Vakuum, dass die Neue Rechte ausfüllte.

Wirtschaftspolitik gegen rechts

Wie der Aufstieg der Rechtspopulisten gestoppt werden kann, beschreibt Gustav Horn im zweiten Teil seines Buches.

Die Politik soll das Wirtschaftsgeschehen wieder kontrollieren und für eine neue soziale Sicherheit sorgen. Das setzt andere Machtverhältnisse voraus. Politik muss partizipativer und stärkender handeln. Horn vertritt die umstrittene These, dass der Nationalstaat weiter Macht verlieren wird, weswegen er dessen Kompetenzen verlagern will: Erstens soll die europäische Integration verstärkt, zweitens eine Renaissance lokaler Politik eingeleitet und drittens die Zivilgesellschaft ermächtigt werden. Er möchte die Kommunalpolitik stärken, indem außerparlamentarische Vetorechte beschnitten und das Planungsrecht vereinfacht werden. Gleichzeitig soll der politische Diskurs vor Ort durch eine staatliche Förderung des privaten Lokaljournalismus und mehr Bürgerjournalismus belebt werden. Darüber hinaus will Horn die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen durch mehr Steuereinnahmen und einen Altschuldenfonds wiederherstellen. Digitale Kommunikationsformen sollen die Zivilgesellschaft stärker an demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligen; in Europa soll die Beziehung zwischen Kommunen und Brüssel verbessert werden; Städte und Gemeinden sollen der EU direkte Angebote – Flüchtlingsintegration, Energie- und Verkehrskonzepte – unterbreiten können. Ferner brauche Brüssel institutionelle Reformen. Der Autor fordert europaweite Mindeststandards bei Löhnen, eine europäische Rückversicherung für soziale Sicherungssysteme, einen Europäischen Währungsfonds und Eurobonds.

Die Vorschläge regen zur Diskussion an, die These vom zwangsläufigen Machtverlust des Nationalstaats provoziert aber Widerspruch. Die nationalstaatliche Handlungsfähigkeit ist abhängig vom wirtschaftlichen und politischen Gewicht des Landes und vom Politikfeld. So ist die deutsche Finanz-, Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie Umweltpolitik auch in globalen und digitalen Zeiten noch wirkungsmächtig. Zudem hängen Horns europapolitische Forderungen in der Luft, da sie progressive politische Mehrheiten in den großen EU-Mitgliedstaaten voraussetzen. Unberücksichtigt bleibt leider die Demokratisierung der Wirtschaft. Wer das Wirtschaftsgeschehen kontrollieren will, muss die gesellschaftliche Macht auf die Wirtschaft ausweiten. Hier geht es um betriebliche Mitbestimmung, die demokratische Steuerung von Branchen, Regionen und Infrastruktur sowie um eine gemischte Wirtschaft.

Horns Agenda einer Wirtschaftspolitik gegen rechts umfasst drei inhaltliche Schwerpunkte: Digitalisierung und nachhaltiges Wirtschaften, volkswirtschaftliche Stabilität sowie ein stabiler sozialer Zusammenhalt. Dafür braucht es eine neue Reaktivierung des Staates.

Der Autor fordert eine hochwertige flächendeckende digitale Infrastruktur und möchte Lizenzen für Städte meistbietend versteigern, um mit den Einnahmen die digitale Infrastruktur im ländlichen Raum unter staatlicher Regie auszubauen. Zudem sollte der Staat digitale Technologien und Produkte von strategischer Bedeutung nachfragen (dynamische Industrialisierungspolitik). Darüber hinaus muss die Macht der Digitalkonzerne mit Hilfe des Wettbewerbsrechts gebrochen werden.

Für einen effektiven Klimaschutz fordert Horn einen Mix aus Preissteuerung und Regulierung. Durch einen Fixtermin für ein Emissionsverbot durch Verbrennungsmotoren (2030) könnte der Ausstiegspfad genau festgelegt werden. Der steigende CO2-Preis wäre dann ein Anreiz, die Produktion neuer Technologien möglichst umweltschonend zu gestalten. Die Einnahmen aus der CO2-Besteuerung sollten als sozialer Ausgleich pauschal pro Kopf rückerstattet werden. Analog zur Digitalisierung fordert Horn auch eine ökologische Industrialisierungspolitik.

Mehr volkswirtschaftliche Stabilität soll durch eine effektive Konjunkturpolitik erreicht werden. Dafür müssen die Kommunen durch Steuermehreinnahmen und einen Altschuldenfonds befähigt werden, wieder investieren zu können. Zudem sollen arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Kurzarbeit und Arbeitszeitkonten im Abschwung automatisch eingesetzt werden.

Eine Politik für sozialen Zusammenhalt beginnt für den Ökonomen Horn auf dem Arbeitsmarkt. Dort muss die Durchsetzungsmacht der Arbeitnehmer gestärkt werden. Dies erfordert eine Eindämmung prekärer Beschäftigung und eine stärkere Tarifbindung. Für den Autor ist die Lohnbildung ein öffentliches Gut, da sie die wirtschaftliche Entwicklung stabilisieren kann. Die Gewerkschaften können aber die großen tariffreien Zonen nicht aus eigener Kraft schließen. Deswegen plädiert Horn für eine konzertierte Aktion aus Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Zentralbank und Regierung, um regelmäßige Empfehlungen für die Lohnentwicklung, Fiskalpolitik und Geldpolitik geben zu können. Lohnleitlinien werden die Gewerkschaften aber nie akzeptieren. Zudem löst das nicht das Problem schwacher gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht. Nötig wäre vielmehr eine politische Stärkung des Tarifsystems durch eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeit, die kollektive Nachwirkung von Tarifverträgen und eine öffentliche Auftragsvergabe nur an tarifgebundene Unternehmen.

Eine Politik für sozialen Zusammenhalt muss aus Sicht des Autors auch bei der Sekundärverteilung ansetzen. Durch höhere Steuern auf große Einkommen und Vermögen können Einkommens- und Vermögensunterschiede abgebaut werden. Hier setzt Horn auf einen höheren Einkommensteuerspitzensatz, eine höhere Erbschaftsteuer, die Wiedereinführung der Vermögensteuer, eine höhere Besteuerung des Bodens und eine Finanztransaktionssteuer. Mehr sozialer Zusammenhalt erfordert aber auch eine Investitionsoffensive in die öffentliche Infrastruktur – Bildung, Gesundheit, Verkehr, etc. – und eine Reform von Hartz IV.

Gustav A. Horns Wirtschaftspolitik gegen rechts ist eine Agenda des Fortschritts mit wertvollen inhaltlichen Impulsen und guten Argumenten, die der Sozialdemokratie im Wahljahr 2021 gut zu Gesicht stehen würde. Eine solche Politik würde auch einer zentralen Ursache des Rechtspopulismus, die soziale Spaltung unserer Gesellschaft, entgegenwirken.

Gustav A. Horn: Gegensteuern. Für eine neue Wirtschaftspolitik gegen Rechts. Ch. Links, Berlin 2020, 240 S., 20 €.

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