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»Geht Wirtschaft ohne Wachstum?«

Nein, weil dadurch zwangsläufig Wohlstandsverluste erzeugt und das gesellschaftliche Freiheitsversprechen sowie der Verteilungsspielraum eingegrenzt werden.

»Der Degrowth-Bewegung zufolge könne der Ressourcenverbrauch nur durch eine Schrumpfung der Wirtschaft reduziert werden.«

Vor 50 Jahren schockierten Wissenschaftler mit einem Bericht an den Club of Rome die weltweite Öffentlichkeit mit der These, Wachstum von Wirtschaft und Gesellschaften habe definitive Grenzen, gesetzt durch die Endlichkeit natürlicher Ressourcen auf der Erde. Wachstum, das seit Beginn der Industrialisierung über die Mobilisierung der Produktionsfaktoren Boden und Arbeit unter dem Einsatz von Kapital Wohlstand ermöglichte, habe nicht nur physikalische Grenzen, sondern wurde sogar als schädlich bezeichnet, weil vor dem Hintergrund der Bevölkerungsexplosion in Afrika und Asien sowie angesichts des zu erwartenden Konsumanstiegs die Kapazitätsgrenze des Ressourcenverbrauchs überschritten sei und dies unwiederbringlich über Verelendungswachstum in der malthusianischen Katastrophe enden werde.

Diese Sichtweise, dass Wohlstandsvermehrung von der industriellen Entwicklung abgekoppelt und unter dem Leitmotiv »Small is beautiful« eine Rückbesinnung auf vormoderne dezentrale Konzepte des Wirtschaftens erreicht werden müsse, schuf den Nährboden für die Degrowth-Bewegung. Danach könne der Ressourcenverbrauch nur durch eine Schrumpfung der Wirtschaft – durch Wachstumsrückgang – wirksam reduziert werden, um die Menschheit und den Planeten Erde vor dem Untergang zu bewahren.

Keine breite Unterstützung in der Gesellschaft

Dieser Bewegung gelang es indes nicht, in der Breite der Gesellschaft Fuß zu fassen. Denn bereits zuvor lag der programmatische Startpunkt der Umweltpolitik in Deutschland: Im September 1970 wurde das »Umweltschutz-Sofortprogramm«, ein Jahr später das »Umweltprogramm der Bundesregierung« vorgelegt. Seitdem ist viel geschehen, die Erfolge bei der Institutionalisierung der Umweltpolitik überwiegen. Dennoch gewinnt die Degrowth-Idee immer wieder medial Aufmerksamkeit, nicht zuletzt aktuell durch die Aktionen der »Letzten Generation« und von »Extinction Rebellion« – quasi die eschatologische Variante der Degrowth-Bewegung.

Ökonomische Folgen von Degrowth

Im Zuge eines sich verschärfenden Klimawandels wird wachstumskritischen Stimmen wieder mehr Gehör geschenkt. Dabei hat die jüngste Vergangenheit eindrücklich vor Augen geführt, wohin Degrowth führt. Zwar sanken in der Coronapandemie im Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 8,4 Prozent im Vorjahresvergleich, sodass die Klimaziele eingehalten werden konnten, doch dies war das Ergebnis einer Stillstandsökonomie. Denn die Lockdowns und Kontaktbeschränkungen führten zu einem realen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von fast fünf Prozent im Jahr 2020.

»Degrowth bedeutet Stillstand und Rückschritt.«

Staatsausgaben für Kurzarbeit und staatliche Brückenhilfen für Unternehmen verhinderten größere gesellschaftliche Verwerfungen wie Massenarbeitslosigkeit und eine umfassende Insolvenzwelle. Staatsausgaben, die an anderer Stelle für die grüne Transformation der Wirtschaft hätten eingesetzt werden können. Der Wirtschaftseinbruch während des Pandemiezeitraums weist auch ein eindeutiges Finanzierungsdefizit des Staates von über vier Prozent des BIP in den Jahren 2020 und 2021 aus.

Degrowth bedeutet Stillstand und Rückschritt. Dies sind keine zukunftsweisenden Konzepte, da sie zwangsläufig Wohlstandsverluste erzeugen, das gesellschaftliche Freiheitsversprechen und den Verteilungsspielraum eingrenzen. Zudem erschweren sie die Partizipation am politischen und öffentlichen Leben, die ökonomische Sicherheit und Stabilität erfordert. Wie diese Stabilität bei einer alternden Bevölkerung ohne Wachstumsimpulse möglich sein soll, kann die Degrowth-Konzeption noch weniger beantworten. Das deutsche Sozialversicherungssystem kostete im Jahr 2022 fast 1,2 Billionen Euro. Bereits jetzt schießt der Staat aufgrund der Finanzierungslücke jährlich rund 86 Milliarden Euro zur Rentenversicherung hinzu. Fielen weitere Sozialversicherungsbeiträge aufgrund einer Stillstandsökonomie weg, würde sich der Staatsbeitrag enorm vergrößern. Die Einnahmen des Staates aus Steuern würden analog sinken, wenn es zur Schrumpfung käme. Die eine Option bliebe die Aufnahme von Schulden, die ohne investive Ausgaben zur Hebung von Wachstumspotenzialen zur Bürde für zukünftige Generationen würden, die andere eine massive Umverteilung, die dann aber die Leistungsanreize der Steuerzahler nahezu abwürgen müsste.

Nicht nur die Finanzierung des Sozialstaates sowie der öffentlichen Daseinsfürsorge wären durch Degrowth gefährdet: Vor allem würde der Handlungsspielraum des Staates für die Bewältigung der gesellschaftlichen Megatrends, Dekarbonisierung sowie Digitalisierung kleiner.

»Der Handlungsspielraum des Staates würde kleiner.«

Die Innovationsanreize aus entsprechenden Markterwartungen würden arg geschmälert. Insbesondere zur Erreichung der Klimaneutralität sind Investitionen in Höhe von schätzungsweise bis zu zwei Billionen Euro nötig, die nicht ohne staatliche Gelder, und schon gar nicht mit einer schrumpfenden Wirtschaft zu erreichen sind. Dazu kommt noch ein aufgeladenes geopolitisches Umfeld, das die Landesverteidigung wieder zur zentralen sicherheitspolitischen Aufgabe unserer Zeit macht. Dies ist unweigerlich eine rein staatliche Aufgabe, die wiederum erhebliche Investitionen erfordert.

Rationierungsökonomie mit Freiheitseinschränkungen

Ein Abschied vom Wirtschaftswachstum als politisches Ziel wäre ökonomisch töricht, denn es erfordert eine Rationierungsökonomie mit zentralen Vorgaben und Freiheitseinschränkungen. Den Verbrauch von kostspieligen Ressourcen zu verringern, ist dabei ein ureigenes Motiv des marktwirtschaftlichen Systems und muss durch ein funktionierendes System relativer Preise gestärkt werden. Das ist der Kern nachsorgender Umweltpolitik, wie sie traditionell im Mittelpunkt stand.

Doch allein damit wird man die ökologischen Folgen des Wirtschaftens, wie sie im Bericht an den Club of Rome skizziert wurden, nicht in den Griff bekommen. Entsprechend kam es mit der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro zu einem umweltpolitischen Paradigmenwechsel: Umweltpolitik wird seitdem unbestritten als vorsorgende Politik verstanden, als eine Politik, die zukunftsbezogen Umweltqualitätsziele entwickelt und festlegt, aus denen – und nicht mehr nur aus einem Schadensbefund – sich umweltpolitischer Handlungsbedarf ableitet.

»Resourcensparendes Wirtschaften mit positiven Wachstumsraten ist möglich.«

Die Erfahrung der vergangenen 30 Jahre hat gezeigt, dass ressourcensparendes Wirtschaften bei gleichzeitig positiven Wachstumsraten möglich ist. Seit 1991 haben sich die Treibhausgasemissionen in Deutschland um mehr als 37 Prozent verringert, durchschnittlich um 1,4 Prozent jährlich, bei einem gleichzeitig durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent. Zweifellos muss die Abkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch schneller und breiter wirksam werden. Dies kann einerseits durch technischen Fortschritt gelingen, ein Prozess, der in Robert Solows Modell des Steady-State bereits 1956 theoretisch fundiert wurde.

Andererseits ist der Prozess der Dekarbonisierung ein disruptiver, in seiner Geschwindigkeit unvergleichlicher und politisch gewollter Strukturwandel per Termin, der eine Neubewertung der Rolle des Staates in der Transformation erfordert. Dafür muss die Umstellung auf klimaneutrale Technologien aktiv betrieben werden, staatlicherseits durch Preisanreize, Subventionen und Leitmärkte unterstützt. Das gelingt nur mit einem finanziell handlungsfähigen Staat, der seine Einnahmen maßgeblich aus Steuern erwirtschaftet und bereit ist, für investive Ausgaben Kredite aufzunehmen.

Notwendige politische Weichenstellungen

Politische Weichenstellungen zur Erreichung der Klimaneutralität bei gleichzeitigem Beibehalten des Wachstumspfades zur Sicherung des Wohlstands werden bereits vorgenommen: In den USA stößt der Inflation Reduction Act mit rund 359 Milliarden Dollar vielfache klimafreundliche Investitionen an und China zählt bei den Erneuerbaren Energien jetzt schon zur Weltspitze. Die EU sollte mit einer Verstetigung des Next-Generation-EU-Fonds die Klimaneutralität erreichen und zugleich durch weitere politische Integration zur Sicherung von Wohlstand und Demokratie sorgen. Ein grünes Wachstum erreicht alle klima- und umweltpolitischen Ziele schneller als zugleich regressive und repressive Degrowth Vorstellungen. Die Antwort auf die drängenden Krisen unserer Zeit kann jedenfalls nicht in Rückschritt und Regression liegen, sondern ist – vor einem humanistischen Weltbild – in Freiheit und Fortschritt zu finden.

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