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Wohin entwickelt sich die AfD? Gekommen, um zu bleiben

Warum es in der Bundesrepublik so lange gedauert hat, bis sich mit der AfD eine rechtspopulistische Partei im Parteiensystem festsetzen konnte, bleibt in gewisser Weise eine Rätselfrage. Fragmentierungstendenzen des rechten Lagers mündeten zwar schon in den 80er Jahren in eine – bis heute anhaltende – »dritte Welle« des Rechtsextremismus (die erste Welle hatte in der unmittelbaren Nachkriegszeit eingesetzt und reichte bis zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei im Jahr 1952. Die zweite Welle hob Mitte der 60er Jahre an und spülte die 1964 gegründete NPD in sieben Landtage, sollte danach aber rasch abebben). Auf dieser dritten Welle zogen die 1983 als Abspaltung von der CSU entstandenen Republikaner (REP) drei Mal, die 1987 gegründete Deutsche Volksunion (DVU) des Münchener Verlegers Gerhard Frey acht Mal und die NPD vier Mal in Landesparlamente ein. Von einem Durchbruch auf der nationalen Ebene blieben aber alle genannten Parteien weit entfernt.

Ein Grund für diese Schwäche lag gerade in ihrem Extremismus, der auf viele Wähler abschreckend wirkte und die Entwicklung einer populistischen Strategie der Wähleransprache vereitelte. Allerdings blieb in der Bundesrepublik auch ideologisch gemäßigteren Gruppierungen, die eine solche Strategie ausprobierten, der Erfolg versagt. Weder gelang der Versuch, eine bereits bestehende Partei auf rechtspopulistische Pfade zu führen, den man dem verstorbenen FDP-Politiker Jürgen Möllemann unterstellt hat, noch waren Neugründungen wie die Hamburger Statt-Partei, der Bund Freier Bürger oder die Schill-Partei in der Lage, ihre Anfangserfolge zu wiederholen und über die regionale Ebene auszudehnen.

Aus der vergleichenden Forschung weiß man, dass es in der Regel einer Initialzündung, eines bestimmten »populistischen Moments« bedarf, um solche Parteien oder Bewegungen hervorzubringen. Bei der AfD war es die Finanz- und Eurokrise, die das »Gelegenheitsfenster« für eine neue EU-kritische Partei öffnete. Deren programmatische Kernforderungen – kontrollierte Auflösung der Währungsunion und Absage an eine weitere Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses – eigneten sich bestens, um daran eine breitere rechtspopulistische Plattform anzudocken, die die Gegnerschaft zum Establishment (als Wesenselement des Populismus) mit Anti-Positionen in der Zuwanderungsfrage und anderen Politikbereichen verknüpfte.

Mehrere Umstände kamen der AfD dabei zugute. Erstens konnte sie an verschiedene Vorgängerorganisationen anschließen, die von der aufgelösten eurokritischen Partei Bund Freier Bürger über die Initiative Soziale Marktwirtschaft bis hin zum konservativen Kampagnennetzwerk Zivile Koalition ihrer heutigen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Beatrix von Storch reichten. Auch die Sarrazin-Debatte im Jahre 2010 dürfte mit geholfen haben, das Terrain für den Rechtspopulismus zu ebnen. Dieser ist mit der Entstehung der AfD also keineswegs vom Himmel gefallen.

Zweitens haben die seit 2009 zusammen regierenden bürgerlichen Parteien Union und FDP durch ihren programmatischen Kurs und ihr Regierungshandeln Nischen im Parteiensystem geöffnet. Während die Liberalen nach dem knapp ausgefallenen Mitgliederentscheid (2011) für die Rettungspolitik als euroskeptische Stimme ausfielen, wurden in der CDU unter Angela Merkels Führung hergebrachte Positionen in der Familien- und Gesellschaftspolitik reihum aufgegeben, die jetzt die AfD besetzt. Und drittens profitierte der Neuling davon, dass er ein bürgerlich-seriöses Auftreten pflegte und seine prominenten Überläufer ausnahmslos aus den Reihen von Union oder FDP stammten; auch Politologen stuften die vom Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, einem früheren CDU-Mitglied, gegründete Partei zunächst als »rechtsliberal bzw. -konservativ« und noch nicht als »rechtspopulistisch« ein.

Den Keim des Rechtspopulismus trug die AfD zu dieser Zeit jedoch bereits in sich. Über deren Ausrichtung herrschte in den eigenen Reihen von Beginn an Streit. Während der Ökonomenflügel um Lucke und den früheren Industrieverbandspräsidenten Hans-Olaf Henkel den Hauptakzent auf das Euro-Thema legte und eine wirtschaftsliberale Ausrichtung der Partei präferierte, setzte der von Frauke Petry und Alexander Gauland angeführte nationalkonservative Flügel stärker auf die »identitätspolitischen« Themen und eine populistische Strategie der Wähleransprache. Neben der Zuwanderung nahmen dabei auch familien- und geschlechterpolitische Themen relativ breiten Raum ein.

Der Rechtsruck der AfD wurde nicht zuletzt durch die erfolgreichen Landtagswahlen in Ostdeutschland im Spätsommer 2014 noch einmal begünstigt. Die Landesverbände fassten das als Bestätigung ihrer Linie auf, die bisherige Fixierung auf das Eurothema zugunsten einer breiteren rechtspopulistischen Plattform zu überwinden. Lucke stemmte sich vergeblich gegen die Radikalisierung. Seine Ablösung als Parteivorsitzender durch Petry führte im Juli 2015 zur Spaltung der Partei. Zusammen mit anderen Vertretern des wirtschaftsliberalen Flügels brachte Lucke mit der Allianz für Fortschritt und Aufbruch eine neue eurokritische Partei an den Start. Diese erwies sich jedoch als »Totgeburt«, die im vom Flüchtlingsthema überschatteten Meinungskampf trotz ähnlicher Positionen gegen die Konkurrenz der größeren und hier wesentlich schriller auftretenden Rest-AfD nichts ausrichten konnte.

Durch das Flüchtlingsthema sollte sich die Sogwirkung der AfD im rechtsextremen Lager nochmals verstärken. Dies gilt nicht nur, aber besonders für Ostdeutschland, wo Teile der Partei offen rassistische und demokratiefeindliche Positionen vertreten. Wie schwierig es geworden ist, innerhalb der AfD klare Trennlinien zum Rechtsextremismus zu ziehen, zeigt der Umgang mit dem Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke, dessen Ausschluss aus der Partei weder Lucke noch Petry durchsetzen konnten. Höcke, der Kontakte zum NPD-Umfeld der Neuen Rechten pflegt und mit seinen skandalträchtigen Auftritten regelmäßig in die Schlagzeilen gerät, erfuhr dabei auch die Unterstützung von Vertretern des gemäßigteren Parteiflügels. Beide Seiten verband die gemeinsame Gegnerschaft zu Petry. Nachdem diese sich mit ihrem selbstherrlichen Führungsstil zusehends ins Aus katapultiert hatte, verließ sie die Partei und Fraktion kurz nach der Bundestagswahl 2017, bei der die Rechtspopulisten mit einem unerwartet hohen Ergebnis von 12,6 % triumphierten.

Vieles spricht dafür, dass sich die AfD im Parteiensystem der Bundesrepublik zumindest mittelfristig festsetzen wird. »Mittelfristig« ist dabei in etwa gleichbedeutend mit zwei Wahlperioden – für darüber hinausgehende Vorhersagen reicht die Prognosekompetenz der Politologie nicht aus. Für die Geschichte der Bundesrepublik bedeutet das zweifellos eine einschneidende Zäsur, sitzen nun doch zum ersten Mal seit den 50er Jahren wieder veritable Rechtsextremisten im Bundestag. Im europäischen Vergleich stellt die Entwicklung freilich eher eine Normalisierung dar. Hier gehören die rechtspopulistischen Vertreter längst zur Grundausstattung der Parteiensysteme.

In der Forschung ist umstritten, ob das Aufkommen und der Erfolg des Rechtspopulismus eher auf soziale beziehungsweise wirtschaftliche oder auf kulturelle Konflikte zurückgehen. Während die einen deren Wähler als typische Globalisierungs- oder Modernisierungsverlierer apostrophieren, betonen die anderen, dass die Partei die größte Unterstützung gerade nicht von den wirtschaftlich Benachteiligten erfahre. Tatsächlich zeigen Studien, dass zum Beispiel weder eine hohe Arbeitslosenquote noch ein höherer Ausländeranteil per se zu einer größeren Wahlbereitschaft der Rechtspopulisten führt. Im Westen scheint die AfD vor allem dort erfolgreich zu sein, wo die Wähler ein unterdurchschnittliches Haushaltseinkommen aufweisen und/oder einer Tätigkeit in der Industrie nachgehen. Im Osten ist sie in ländlichen Regionen stark, die unter Abwanderung leiden und ökonomisch abgehängt zu werden drohen. Arbeiter und Arbeitslose sind unter den Wählern zwar überdurchschnittlich vertreten, machen aber nur ein Viertel der AfD-Gesamtwählerschaft aus, während die übrigen drei Viertel auf Angestellte, Beamte und Selbstständige entfallen. Auch bei den formalen Bildungsabschlüssen dominieren die mittleren Ränge.

Ein klareres Profil ergibt sich, wenn man die Einstellungsmerkmale der Wählerschaft betrachtet. Die AfD-Wähler weisen hier im Vergleich zu den anderen Wählern zum einen ein wesentlich höheres Unzufriedenheitsniveau, zum anderen eine größere Nähe zu rechtsextremen Überzeugungen auf. Protest- und Einstellungswahl gehen bei der AfD insofern Hand in Hand und decken sich mit dem Selbstverständnis einer »Anti-Establishment-Partei«. Am deutlichsten ablesbar sind die Unterschiede zur politischen Konkurrenz bei der Bewertung der Migrations- und Flüchtlingspolitik, wo die rigorose Ablehnungshaltung der AfD von ihren Wählern nahezu einhellig geteilt wird. Wie die seit 2016 wieder angestiegene Wahlbeteiligung zeigt, konnte die AfD damit auch viele frühere Nichtwähler mobilisieren.

Selbst kühne Optimisten gehen inzwischen nicht mehr davon aus, dass es gelingen könnte, die AfD aus den Parlamenten alsbald wieder herauszudrängen. Die Kombination von nachfrage- und angebotsseitigen Faktoren sichert der Partei gute Chancen. Was die Nachfrageseite angeht, dürften allein die 2015 und 2016 getroffenen Entscheidungen in der Migrationspolitik, die Dauerauseinandersetzungen über die Rückführung von Geflüchteten ohne Bleiberecht und die »Belastung« der Sozialsysteme durch die verbleibenden Geflüchteten der AfD genügend thematische Gelegenheiten bieten. Auch auf der europäischen Ebene ist das Problem nicht ansatzweise gelöst. Hinzu kommt, dass bei dem seit den Fridays-for-Future-Protesten 2019 mit Macht auf die politische Agenda drängenden Klimaschutzthema die AfD ebenfalls den rechten Pol im Parteiensystem besetzt. Wo sie sich mit den Leugnern des Klimawandels gemein macht, mögen ihre radikalen Positionen abwegig wirken. Gemäßigtere Forderungen wie die nach einer längeren Nutzung der Atomenergie (als Übergangstechnologie) beruhen dagegen auf durchaus bedenkenswerten Argumenten, die gerade im bürgerlichen Wählerlager Zuspruch finden könnten.

Blickt man auf die Angebotsseite, ergibt sich ein gemischteres Bild. Einerseits kann sich die Partei hier die immensen Ressourcen zunutze machen, die ihr im Zuge der parlamentarischen Etablierung auf allen Ebenen des parteienstaatlichen Systems zufließen. Gleichzeitig dürfte sie weiter davon profitieren, dass sie beim professionellen Einsatz der sozialen Netzwerke bisher allen anderen Parteien voraus ist. Einen großen Teil ihrer Organisations- und Kampagnenstärke verdanken die Rechtspopulisten der Möglichkeit, ihre Wähler unter Umgehung der herkömmlichen Medien über die sozialen Netzwerke direkt anzusprechen. Um dort Aufmerksamkeit zu erzeugen, setzen sie auf bewusste politische Provokationen. Gleichzeitig gestattet ihnen das Nicht-Angewiesensein auf die traditionellen Medien, diese als Teile des politischen Establishments zu brandmarken, die mit den Regierenden unter einer Decke stecken. Dies gelte vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Andererseits drohen der AfD aber erhebliche Risiken durch ihre Entwicklung im Inneren. Die Gefahr, am eigenen organisatorischen Unvermögen zu scheitern, die in einer jungen Partei stets gegeben ist, stellt dabei noch das geringere Problem dar. Gravierender sind die rechtsextremen Züge der Partei, die sich seit ihrer Gründung sukzessive so verstärkt haben, dass die AfD von Beobachtern bereits als rechtsextrem und nicht mehr nur rechtspopulistisch eingestuft wird. Die dem extremistischen Flügel um Höcke und den Brandenburger Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz zuzurechnenden Funktionäre stellen zwar noch nicht die Mehrheit, doch geht von ihnen in der Binnenwirkung wie in der Außendarstellung ein so starker Einfluss auf die Gesamtpartei aus, dass das numerische Übergewicht der gemäßigten Kräfte immer weniger zum Tragen kommt. Weil der demokratische Teil der AfD den extremistischen Tendenzen keinen Widerstand mehr entgegensetzen kann oder will, ist er für diese letztlich in Mithaftung zu nehmen. Die Unterwanderung rechtspopulistischer Parteien durch rechtsextreme Kräfte stellt in der Bundesrepublik ein notorisches Problem dar. Dass sie seit dem Abgang des Lucke-Flügels von den gemäßigteren Vertretern ohne nennenswerte Gegenwehr hingenommen wurde und wird, dürfte vor allem den guten Wahlergebnissen geschuldet sein, welche die Partei ab 2016 erzielte. Das eher enttäuschende Abschneiden der AfD in einigen der westlichen Bundesländer deutet allerdings darauf hin, dass ihr die Radikalisierung gerade in dem von ihr bevorzugt adressierten bürgerlich-konservativen Wählersegment schadet. Dieser Effekt könnte sich noch verstärken, wenn Teile der Partei demnächst von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet werden und der Extremismusverdacht damit gleichsam einen offiziellen Stempel erhält. Dies würde die Gräben zwischen den gemäßigteren und extremen Kräften vermutlich vertiefen und zu möglicherweise selbstzerstörerischen Auseinandersetzungen führen. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass die AfD, auch wenn sie sich im deutschen Parteiensystem mittel- und langfristig etabliert, zumindest auf der nationalen Ebene nicht dieselben Größenordnungen der Wählerunterstützung erreicht wie die Rechtspopulisten in Frankreich, Österreich oder Dänemark.

Blickt man speziell auf Ostdeutschland, sieht die Situation etwas anders aus. Dort hat sich bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen 2019 das 2016 bereits in Sachsen-Anhalt eingetretene Szenario wiederholt, dass Union und SPD allein zusammen mit Grünen eine Koalition gegen die AfD bilden konnten. In Thüringen war wegen des starken Wahlergebnisses der Linken noch nicht einmal das möglich. Nachdem die anfänglichen Überlegungen innerhalb des CDU-Landesverbandes, eine Zusammenarbeit mit der Linken unter Ministerpräsident Ramelow zu erwägen, von der Berliner Parteiführung unter Verweis auf das »Äquidistanzgebot« brüsk zurückgewiesen wurden, ließen sich die CDU-Abgeordneten hier von Höckes AfD bereitwillig in die Falle locken, indem sie die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten mit ihren eigenen Stimmen und denen der AfD ermöglichten. Obwohl der daraufhin losbrechende Sturm Kemmerich schon nach wenigen Tagen zum Rückzug zwang, machte der Sündenfall deutlich, wie brüchig die »Brandmauer« der bürgerlichen Parteien zu den Rechtspopulisten und -extremisten inzwischen geworden war. Besorgte Beobachter wie der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum sahen mit ihm einen »Hauch von Weimar« über das Land ziehen. Auch wenn man solche alarmistischen Analogien nicht teilen muss, belegen sie die dramatische Veränderung, die durch die Ankunft der AfD in der Parteienlandschaft und politischen Kultur der Bundesrepublik eingetreten ist.

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