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Transgenerationale Weitergabe patriarchalischer Prägungen Gewalt in Beziehungen

Wer über Gewalt spricht, gelangt unausweichlich in das Minenfeld der Geschlechterfragen. Ist Gewalt männlich? Was begünstigt die Entstehung von Gewalt und im Speziellen Gewalt durch Männer gegenüber (Ex-)Partnerinnen?

»Männer kommen deutlich mehr mit Gewalt in Kontakt und werden häufiger als Frauen zu Tätern.«

Dass Gewalt im männlichen Geschlecht verortet wird, ist das Ergebnis jahrhundertelanger gesellschaftlicher Reproduktionen von Geschlechterrollen. Auch der Versuch aus diesen gesellschaftlichen Zwängen der tradierten Rollen auszubrechen, scheint Gewalt innerhalb von Paarbeziehungen zu begünstigen. Männer kommen deutlich mehr mit Gewalt in Kontakt und werden statistisch häufiger als Frauen zu Tätern. Gleichzeitig sind sie von Gewalt auch am häufigsten betroffen. Die Bedrohung oder Herausforderung, je nachdem aus welcher Stimmung und Situation heraus betrachtet, findet sich unter ihresgleichen und offenbart sich im öffentlichen Raum. Pierre Bourdieu spricht von »ernsten Spielen des Wettbewerbs«, die vornehmlich in nicht-privaten Handlungsfeldern ausgetragen wird und der Herstellung und Aufrechterhaltung von Herrschaftsverhältnissen dient.

Öffnet sich das Blickfeld auf die Gewaltausübung im privaten Raum, sprechen wir von häuslicher Gewalt. Anders als bei Männern, liegt die größte Wahrscheinlichkeit für eine Frau Gewalt zu erfahren auf der anderen Seite der Wohnungstür, in ihrem Zuhause. Entscheidend ist jedoch, anders als der Begriff es vermuten lässt, nicht der Austragungsort der Gewalt, sondern die Beziehungskonstellation zwischen der gewaltausübenden und der gewaltbetroffenen Person.

»Allen Gewaltformen liegt häufig ein Macht- und Kontrollmotiv zugrunde.«

Die Vorstellung von Gewalt als physisch ist in vielen Köpfen verankert. Die meisten denken an körperliche Angriffe, manchmal mit sichtbaren Verletzungen bis hin zum Tötungsdelikt. Das Sichtbare ist eindeutig, kann dokumentiert und vor Gericht verhandelt werden. Zwischen zwei sich sehr nahestehenden Menschen können jedoch weitaus subtilere Formen von Gewalt ausgetragen werden. Sie zeigen sich im Verborgenen als psychische Gewalt, aber auch in Form von sexualisierter, sozialer oder ökonomischer Gewalt. Allen Gewaltformen liegt häufig ein Macht- und Kontrollmotiv zugrunde und deutet auf ein Ungleichgewicht sowie ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen zwei Menschen hin. Bei den Betroffenen führen diese häufig zu massiven psychischen und somatischen Beschwerden.

Wir laufen im Kreis

Romantische Beziehungen beginnen meist mit einem Feuerwerk von Gefühlen und dem Blick durch eine rosarote Brille. Sobald sich der Nebel des Verliebt­seins gelichtet hat, kann sich in Gewaltbeziehungen ein mehr oder weniger schleichender Prozess von Abhängigkeitsstrukturen entwickeln. Sind Grenzen von Respekt und Würde erstmals überschritten und kommt es zu Gewalt, wird dies vom Gewaltausübenden zunächst als Entlastung empfunden.

Nach dem Geschrei und dem nüchternen Blick auf das Geschehen, folgt Entsetzen, Reue, Scham und der Wunsch, alles ungeschehen und wiedergutmachen zu wollen. Es soll nie wieder sein und die Beziehung auf keinen Fall beendet werden. Um sich von der Verantwortung zu entlasten, wird die Schuld beim Gegenüber gesucht und auch gefunden. Beide meiden fortan Themen, die zu weiteren Konflikten führen können, bis sich das Aufgestaute erneut mit Frust und gewaltvollen Energien entlädt.

»Es entsteht ein Milieus, in dem strukturell nicht verarbeitete emotionale Verletzungen ihre Nahrung finden.«

Von Mal zu Mal werden die Grenzverletzungen grober, beziehungs- und kommunikationsloser. Die Bereitschaft dem Gegenüber zuzuhören sinkt und die Häufigkeit der Konflikte steigt. Häusliche Gewalt beschreibt keinen einzelnen eskalierenden Moment, sondern meint die Entstehung eines Milieus, in dem strukturell nicht verarbeitete emotionale Verletzungen aus der persönlichen Vergangenheit ihre Nahrung finden. Ein Blick auf die eigene Verletztheit wird dabei vermieden und die damit verbundenen Ängste und Erinnerungen möglichst im dunklen Seelenkeller eingesperrt.

Wenn Eltern sich streiten, leiden die Kinder und sie warten auf die Versöhnung, damit die Welt wieder in Ordnung ist. Wenn jedoch der Streit immer wieder eskaliert, die Versöhnung nur dazu dient, den Raum zwischen zwei Eskalationen zu füllen, dann leben die Kinder im Dauerstress. Die Folgen sind seit Jahrzehnten bekannt und reichen von sozialem Rückzug bis hin zum erlernten aggressivem Verhalten. Spätestens wenn das Kind selbst eine Partnerschaft führt, zeigt sich, welche Muster es von seinen Eltern adaptiert hat. So nimmt der Gewaltkreislauf erneut seinen Weg in die nächste Generation. Die Biografien von Gewaltausübenden zeigen einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem eigenen Gewalterleben in der Kindheit und der persönlichen Gewalttätigkeit im Erwachsenenalter.

Was die Zahlen aussagen

 

Jährlich veröffentlicht das Bundeskriminalamt die statistische Auswertung von Partnerschaftsgewalt. Die Zahlen geben seit Jahren ein stabiles Lagebild. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 240.547 Opfer von häuslicher Gewalt registriert. Die von der Gewalt Betroffenen waren zu über 70 Prozent weiblich und zu knapp 30 Prozent männlich. Die Zahlen wirken hoch, bleiben jedoch häufig als abstrakte Datenmeldung stehen und geben nur das Hellfeld, die polizeilich registrierten Fälle, wieder. Es wird von einem deutlich höheren Dunkelfeld ausgegangen. Morde von Männern an ihren Partnerinnen werden nicht als Femizid, sondern als Beziehungstat gemeldet und Versuche, das Geschehene zu erklären, münden häufig in Motiven wie Eifersucht, einem vorangegangenen Konflikt oder Streitigkeiten wegen der gemeinsamen Kinder.

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»Der kritische Blick auf die Strukturen, die Männergewalt begünstigen, bleibt häufig unscharf.«

Der kritische Blick auf die gesellschaftlichen Strukturen, die Gewalt von Männern gegenüber ihren (Ex-)Partnerinnen begünstigen, bleibt häufig unscharf. Zu gerne sehen wir unsere Gesellschaft als modern mit Beziehungen auf Augenhöhe und einer Gleichverteilung von knappen Gütern und Ressourcen. Studien und Umfragen zufolge sind wir aber noch weit von einer Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau entfernt. Spätestens mit der Geburt des ersten Kindes fallen auch modern denkende Paare in klassische Rollenbilder zurück und rund ein Drittel der jungen Männer finden es, laut einer aktuellen Umfrage, unproblematisch, gegenüber ihrer Partnerin handgreiflich zu werden, um ihr Respekt einzuflößen.

Was getan und was versäumt wurde

Mit dem Erlass des Gewaltschutzgesetzes im Jahr 2002 wurde Betroffenen ein schnelles und wirksames juristisches Mittel zum Schutz vor weiterer Gewalt gegeben. Gleichzeitig trug der Slogan »Wer schlägt, der geht!« das Thema häusliche Gewalt vom Privaten in die Öffentlichkeit. Die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen fanden bei Frauenunterstützungseinrichtungen Beratung und Schutz, während die Gewaltausübenden, außer juristische Konsequenzen zu tragen, kaum in die Verantwortung genommen wurden.

»Nichts macht mehr Sinn, als das gesamte gewaltbelastete Familiensystem in den Fokus zu nehmen.«

Im Jahr 2007 wurde der profeministische Dachverband für Täterarbeitseinrichtungen Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. gegründet und gemeinsam mit Frauenverbänden ein Standard zur Arbeit mit Tätern in Fällen häuslicher Gewalt erarbeitet. Dies ebnete den Weg für die Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der Täterverantwortung. Männer, die Gewalt gegenüber ihren Partnerinnen ausüben, sind nicht nur Täter, sondern häufig auch Väter. Mit Blick auf den Gewaltkreislauf innerhalb der Partnerschaft und über die Partnerschaften und Generationen hinweg, macht nichts mehr Sinn, als das gesamte gewaltbelastete Familiensystem in den Fokus zu nehmen und eine professionelle Unterstützung anzubieten, um den Gewaltzyklus zu durchbrechen.

Im Jahr 2018 hat Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) ratifiziert und sich verpflichtet, das Abkommen umzusetzen. Die Konvention definiert Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung, macht auf die immer noch bestehende Ungleichstellung von Frauen und Männern aufmerksam und setzt das Ziel, Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen. Hierzu sind Beratungsstellen sowohl für die Gewaltbetroffenen als auch für die Gewaltausübenden notwendig.

Versäumnisse an vielen Stellen

Ausreichende Schutzeinrichtungen sowie interdisziplinäre Kooperationen von Fachberatungsstellen, Polizei, Justiz, Jugendämtern und anderen relevanten Stellen fehlen weiterhin, obwohl die Einführung der Istanbul-Konvention von Öffentlichkeitskampagnen der Regierung gefördert wurde. Gesetze zum Schutz vor Gewalt sind grundlegende Fundamente. Diese anzuwenden fällt an vielen Stellen jedoch noch schwer. In Familiengerichten werden zu häufig in Verhandlungen zu Umgangsregelungen Themen häuslicher Gewalt nicht einbezogen. Es fehlt eine zentrale Monitoring- und Koordinierung von Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention und schließlich fehlt es an ausreichenden finanziellen Mitteln, um flächendeckende Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen anzubieten. Das ist in Anbetracht der Folgekosten von häuslicher Gewalt von rund 54 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland eine verblüffende Realität.

Es wurde bis heute versäumt, die Kinder als mitbetroffene von häuslicher Gewalt wahrzunehmen. Beratungs- und Hilfsangebote, um das Erlebte verarbeiten zu können sind Mangelware! Gebraucht wird eine intensive und kritische gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diskriminierenden Geschlechtervorstellungen und weitere öffentlichkeitswirksame Kampagnen, die sensibilisieren und Menschen ermutigen hinzuschauen und zu handeln.

»Das Patriarchat ist ein zähes Tier.«

Aus Sicht der unteren Waagschale ist das Patriarchat ein zähes Tier. Wenn es für einen Moment gelänge die Welt anzuhalten, so sähen wir Paare, die es anders machen wollen als ihre Eltern. Sie wünschen sich eine Partnerschaft auf Augenhöhe und sind zutiefst traurig und verunsichert darüber, wenn es ihnen nicht gelingt. Durch die Verunsicherung bleibt am Ende die reine Wut. Eine Wut, so alt wie das Kind selbst, das in dem Gewaltkreislauf der Eltern aufgewachsen ist. Veränderungen stören die Gewohnheiten und es braucht eine selbstbewusste und kritische männliche Gesellschaft, um Gleichstellung nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrzunehmen.

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