Nein,denn trotz einiger Trippelschritte in die richtige Richtung fehlt oft Grundsätzliches: Chancengleichheit, ausreichende Finanzierung, Fachkräfte.
Gleiche Bildungschancen sind entscheidend für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Sie ermöglichen oder verhindern Teilhabe, sie ermöglichen oder verhindern ein selbstbestimmtes Leben der Menschen. Bildung ist das Fundament unserer demokratischen Gesellschaft. Jeder Mensch hat ein Recht auf qualitativ hochwertige Bildung – unabhängig vom sozialen Hintergrund. Bildung ist ein Menschenrecht, Chancengleichheit ist im Grundgesetz über das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse festgeschrieben. Es ist unverantwortlich, dass unsere Regierungen in den Ländern und im Bund es nicht schaffen, dieses Recht mit Leben zu füllen, dass wir eher Stillstand oder gar Rückschritt in unserem Bildungssystem erleben.
In der frühkindlichen Bildung wird der Grundstein für eine erfolgreiche Bildungsbiografie der Menschen und damit ihre Lebenschancen gelegt. Deshalb muss die frühkindliche Bildung weiter ausgebaut werden – quantitativ und vor allem qualitativ.
Es darf nicht sein, dass zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen KiTa-Platz für Kinder, die jünger als drei Jahre sind, bundesweit ca. 400.000 Plätze fehlen. Das System der frühkindlichen Bildung ächzt unter massivem Fachkräftemangel. Es ist nicht gelungen, bundesweit gültige Standards etwa für einen in der Fachwissenschaft anerkannten Fachkraft-Kind-Schlüssel durchzusetzen. Das System ist strukturell unterfinanziert. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass viele Träger nicht in der Lage sind, die im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) erstreikten Lohnerhöhungen zu zahlen, da die öffentliche (Teil-)Finanzierung die steigenden Lohnkosten nicht abbildet. Aber auch die Kommunen reagieren sehr unterschiedlich: Sie erheben aufgrund ihrer angespannten finanziellen Situation oft in erheblichem Maß Elternbeiträge, dabei differiert die Höhe der erhobenen Beiträge enorm.
»Das System der frühkindlichen Bildung ist strukturell unterfinanziert.«
Es darf nicht sein, dass die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule ab 2026 ähnlich strandet. Auch hier fehlen bisher Plätze und Fachkräfte, auch hier fehlt es an Standards, an einem bundesweiten Qualitätsrahmen, auch hier fehlt es an ausreichender Finanzierung. Dabei bietet die flächendeckende Einführung des Ganztags an Grundschulen die Möglichkeit, Schule ganz neu zu denken, Vormittag und Nachmittag gemeinsam und ineinandergreifend zu strukturieren, Schule zum Lebens- und Lernort zu gestalten.
Das Schulsystem organisiert systematisches Scheitern
Es darf nicht sein, dass Kinder und Jugendliche in einem selektiven Schulsystem scheitern. In den Bundesländern haben wir eine Vielfalt an Schulen des gegliederten und des integrierten Schulsystems, die sich gegenseitig Konkurrenz machen – und jede Forderung nach einem längeren gemeinsamen Lernen der Kinder und Jugendlichen wird sehr gerne mit dem Wort »Einheitsschule« im Keim erstickt. Dabei wissen wir, dass Kinder mit neun oder zehn Jahren in ihrer Entwicklung noch nicht so weit sind, dass sie nur genau eine Schullaufbahn einschlagen können. Es ist sinnvoll, in stabilen Lerngruppen bis zum Ende des 10. Schuljahres gemeinsam zu lernen.
Das bedeutet nicht, dass alle den gleichen Abschluss erreichen können, aber es ermöglicht stabile soziale Beziehungen und verbessert Leistung und Kompetenzen aller Schüler*innen. Es ist immer noch die Regel, dass von 30 Kindern, die in Jahrgang 5 gemeinsam gestartet sind, viel zu viele nicht bis zur 10. Klasse in ihrer Gruppe bleiben können. Immer noch wird in unserem Schulsystem das systematische Scheitern von Kindern und Jugendlichen organisiert. Mit gravierenden negativen Folgen für die Menschen und die Gesellschaft.
»Unser Schulsystem organisiert das systematische Scheitern von Kindern.«
Es darf nicht sein, dass gehandicapte Kinder und Jugendliche immer noch zu einem großen Teil ausgeschlossen werden. Vor nunmehr 14 Jahren hat die Bundesrepublik die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet. Darin garantieren die unterzeichnenden Staaten »ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen«. Davon sind wir nach wie vor weit entfernt. Es ist bislang nicht gelungen, an allen Schulen die Bedingungen so zu verändern und verbessern, dass inklusive Schulen die Regel sind. Es fehlt an pädagogischen Fachkräften, es fehlt an räumlichen Voraussetzungen, es fehlen multiprofessionelle Teams. Zurzeit werden diese viel diskutiert und gefordert – allerdings eher, um den Lehrkräftemangel zu verringern, und weniger, um Schulen inklusiv(er) zu machen.
Es darf nicht sein, dass jährlich 50.000 Jugendliche die Schulen ohne Abschluss verlassen. Diese Zahlen sind seit mehr als zehn Jahren ziemlich konstant schlecht. Bislang ist es nicht gelungen, diesen jungen Menschen echte Perspektiven zu eröffnen. Dazu brauchen wir eine Ausbildungsgarantie. Berufsschulen müssen in die Lage versetzt werden, das Übergangssystem anders auszugestalten. Betriebe sind in der Pflicht, ihren Anteil zur Ausbildung der Jugendlichen beizutragen – und zwar in deutlich höherem Maße als bisher.
»Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie.«
Es darf nicht sein, dass die Bedingungen an den Hochschulen unseres Landes zu extrem hohen Abbruchquoten der Studierenden führen. Diese liegen teils bei über 50 Prozent. Auch die Hochschulen sind unterfinanziert, so ist die Zahl der Studierenden pro Lehrender beziehungsweise Lehrendem deutlich zu hoch, auch dieses Missverhältnis hat sich seit Jahren nicht verändert. Die aktuelle BAföG-Reform kann nur ein Anfang sein. Die Finanzierung ihres Studiums ist für viele Studierende ein existenzielles Thema – gerade vor dem Hintergrund der explodierenden Mietkosten und Preise. Deshalb ist ein BAföG, von dem man leben kann und das als Vollzuschuss gezahlt wird, ein entscheidender Beitrag zu mehr Chancengleichheit und würde dem Anspruch an die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts, in die wir uns entwickeln (müssen), gerecht. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.
Unterfinanzierung allerorten
Es darf nicht sein, dass die Weiterbildung dem Anspruch der Transformation an Bildung nicht gerecht werden kann. Auch dieses System leidet unter der Unterfinanzierung und dem Personalmangel. 2021 haben in dieser Branche rund 70 Prozent der Beschäftigten als Soloselbstständige gearbeitet, ein absoluter Negativrekord im Vergleich zu anderen Branchen. Ein Tariftreuegesetz muss auch für die Vergabe von Aufträgen in der öffentlichen Weiterbildung gelten.
»Die Spaltung in und durch Bildung wird immer größer.«
Unser Bildungssystem ist insgesamt dramatisch unterfinanziert. Allen Lippenbekenntnissen der politisch Verantwortlichen zum Trotz sind nicht genügend Taten gefolgt. Allein der Investitionsstau in Gebäuden von KiTas, Schulen und Hochschulen beträgt bundesweit etwa 130 Milliarden Euro. Hinzu kommt der extreme Fachkräftemangel, der dazu führt, dass einzelne Systeme vor dem Kollaps stehen und viele dringend notwendige Innovationen nicht umgesetzt werden können. Die Spaltung in und durch Bildung wird immer größer, der Anteil der Abgehängten, die immer weniger Chancen haben, in der Gesellschaft Fuß zu fassen, steigt.
Und es kann nicht sein, dass die Missstände im Bildungssystem von den Beschäftigten, die in den pädagogischen Berufen bis zum Umfallen arbeiten, mal eben so aufgefangen werden sollen. Das geht schlicht nicht. Die Misere, in die uns die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte landauf und landab gesteuert hat, darf nicht als Begründung dafür herhalten, die Arbeitsbedingungen (weiter) massiv zu verschlechtern. Personalmangel ist eines der großen Themen in vielen Branchen. Er ist ein individuelles Belastungsrisiko für Beschäftigte: Der Krankenstand in Mangelberufen ist überdurchschnittlich hoch – das belegt eine aktuelle Studie der Krankenkasse DAK Gesundheit. Das Problem des Fachkräftemangels verschärft sich also weiter! Dieser Teufelskreis ist nur zu beenden, wenn wir die Arbeitsbedingungen in Mangelberufen attraktiver gestalten.
Bildungsfortschritt der kleinen Schritte
Nein, ein echter Bildungsfortschritt ist bislang ausgeblieben. Aber wenn ich mir die Entwicklung über einen längeren Zeitraum anschaue, hat sich doch einiges getan. Noch vor gut 20 Jahren gab es keine gesellschaftlichen Mehrheiten für den Ganztag – heute schon. Die frühkindliche Bildung ist mehr in den Fokus gerückt, ihre Relevanz heute unbestritten und die Bezahlung der Erzieher*innen hat sich deutlich verbessert. Die Bezahlung der Grundschul- und Sekundarstufen-I-Lehrkräfte hat sich erheblich verbessert, wenn auch einige wenige Bundesländer diesen Schritt noch nicht nachvollzogen haben und diesen Lehrkräften bis auf Hamburg die wirklich gleiche Einstiegsbesoldung nach A13z nicht gezahlt wird. Immer mehr junge Menschen machen Abitur beziehungsweise höherqualifizierte/-ende Abschlüsse, machen einen Hochschulabschluss – dabei ist insbesondere der Anteil junger Frauen gestiegen. Der Professorinnenanteil steigt.
Das bedeutet für uns, dass wir dran bleiben werden, den notwendigen Fortschritt in der Bildungspolitik zu fordern und zu erwirken.
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