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© picture alliance / photothek | Florian Gaertner

Die Online-Wege der Kirche sind unergründlich Glauben 2.0

Kardinal Joseph Ratzinger, der seit fast zehn Jahren emeritierte Papst Benedikt XVI., starb am 31. Dezember 2022. Für die meisten Menschen war es einfach der letzte Tag des Jahres: Silvester. Nur noch ganz wenige wissen, dass der Tag dem heiligen Silvester gewidmet ist, von 314 bis zum 31. Dezember 335 »Bischof von Rom«, in heutiger Nomenklatur: Papst. Eine Empfehlung, Silvester zum Papst zu erheben, bekam Kaiser Konstantin laut Legende von keinen Geringeren als den Aposteln Petrus und Paulus, die dem Kaiser im Traum erschienen.

Das alles kann man heute auf Wikipedia nachlesen. Oder sich andernorts digital etwa per Google aneignen. Ebenso, wer Petrus und Paulus waren. Oder eben Ereignisse live miterleben. Die mediale Begleitung der Beisetzungszeremonie ermöglichte es Millionen von Menschen, nicht nur vor Ort in Rom, sondern weltweit vor den TV-Bildschirmen und mithilfe von Smartphones und Tablets Abschied von dem deutschen Papst zu nehmen.

Das Zweite Vatikanische Konzil veröffentlichte 1971 die Pastoralinstruktion über die Instrumente der sozialen Kommunikation. Danach seien Gemeinschaft und Fortschritt der menschlichen Gesellschaft oberste Ziele sozialer Kommunikation und ihrer Instrumente wie Presse, Film, Hörfunk und Fernsehen. In weiser Voraussicht heißt es weiter: »[Die Instrumente] entwickeln sich ständig weiter und stehen einer wachsenden Zahl von Menschen (...) in zunehmendem Maße leichter zur Verfügung. Sie umgreifen mehr und mehr ihre Denk- und Lebensweise und dringen durch ihre Technik immer tiefer darin ein.« Es folgen Grundsätze und pastorale Weisungen über den Umgang der katholischen Kirche mit diesen neuen Kommunikationsformen. Die Potenziale neuer Medien werden also erkannt – doch werden sie auch genutzt?

Bis zur Coronapandemie galt: Wer an einer Messe teilnehmen wollte, musste sich in die Kirche bemühen. Es gab wenige Ausnahmen, die sich entweder eine private Messe leisten konnten, oder krank und schwach waren und die der Pastor besuchte. Doch dann war plötzlich die Pandemie da, und die Kirchen blieben geschlossen.

Es begann die Renaissance für Pioniere wie die Franziskanerklarissin Mutter Angelica und den von ihr 1981 gegründeten Fernsehsender Eternal Word Televison Network (EWTN). Über die Website ewtn.de wurden Messen aus verschiedenen Kirchen in und außerhalb von Deutschland, Rosenkranzgebete, Live-Events aus dem Vatikan und religiöse Beiträge oder Bildungsangebote gestreamt.

Dank EWTN konnte man sowohl an der Messe von Kardinal Woelki aus dem Kölner Dom teilnehmen als auch den Papstsegen Urbi et orbi vom Petrusplatz in Rom zu Hause empfangen. Spätestens seit der Coronapandemie erkennen auch die großen Religionsgemeinschaften die Möglichkeiten der Digitalisierung und Mitgliederverwaltung, sie sammeln Spendenbeiträge oder halten auch Gottesdienste zunehmend digital ab. Kirchengemeinden sahen sich während der Pandemie gezwungen, auf digitale Kommunikationsmöglichkeiten umzusatteln.

Nicht alle Sakramente lassen sich in die virtuelle Welt übertragen – und es war offenbar auch nie das Bestreben der Kirche, dies zu tun. Der persönliche Kontakt stand, auch mit den pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen, im Vordergrund: Eheschließungen ohne Gäste, Taufen ohne Familien oder Beerdigungen ohne Kondolierende. Denn während der Pandemie wurde häufig gestorben. Und man starb isoliert, ohne von Familien und Freunden Abschied nehmen zu können.

Digitalisierung der christlichen Frömmigkeitspraktiken

Die Nachfrage nach Intentionsmessen, die von Verwandten, Nachbarn, Bekannten oder Arbeitskollegen kamen, konnte mithilfe des Internets bewältigt werden. Kaum eine Website einer Kirche, eines Klosters oder einer Mission im In- und Ausland, die keine Intentionsmessen annehmen würde. Oft mit digitalem Kalender, der eine direkte Auswahl der Termine ermöglicht, aber auch zeigt, wie lange im Voraus die Messen ausgebucht sind.

Das Angebot ist übersichtlich, die Messstipendien meist transparent und doch sehr unterschiedlich. Von individuellen Messintentionen über Leidensmessen, die an sechs aufeinanderfolgenden Tagen gelesen werden, oder »Novenen-Messen«, die neun Gebete auf neun aufeinanderfolgenden Tagen umfassen, bis hin zu der sehr aufwendigen, eine Reihe von 30 Totenmessen umfassenden sogenannten »Gregorianischen Messe«, die der Seele der verstorbenen Person den Übergang in die höhere Dimension erleichtern soll. Die Kosten für letztere liegt zwischen 150 Euro in der Gebetsstätte Wigratzbad in der Schweiz und 594 Euro in der Abtei Saint-Joseph de Clairval.

Auf »religionssozialer Oberfläche« betrachtet, schreibt Rainer Bayreuther in Der digitale Gott, würden sich die traditionellen christlichen Kirchen mit ihren Bemühungen wiederfinden, im Cyberspace Fuß zu fassen: »In Deutschland«, schreibt er, »haben die Kirchen rasch erkannt, dass die digitale Technologie einen Raum ausbildet, in dem sich die Präsenz einer Kirche ähnlich darstellt wie eine parochiale Kirche in der geografischen Realität.« Solche Angebote von Kirchen oder Klöstern, die Bayreuther als »Digitalisierung der christlichen Frömmigkeitspraktiken« umschreibt, sind zahlreich und leicht mit den Suchmaschinen zu finden.

Die Kirchen existieren auch real, was man wiederum mithilfe von Wikipedia oder einer Kirchen-App nachprüfen kann. »In Funcity war einige Jahre lang das Bistum Osnabrück mit kirchlichen Dienstleistungen präsent, im Second Life das Erzbistum Freiburg«, schrieb Bayreuther, dass sie nur wenige Jahre dort aktiv waren, besage nichts, sei gleichwohl lehrreich für die kirchlichen Digitalstrategien.

Auch wenn die Websites oft so aussehen, als wären sie noch in den 90er Jahren von technisch interessierten Messdienern per Hand HTML-codiert worden, erfüllen sie ihren Zweck. Mal mit einem Onlineformular, mal mit einer E-Mail-Adresse für die Kontaktaufnahme – und einer Kontonummer für die Entrichtung etwaiger Gebühren oder Messstipendien, kommen die Websites aus. Es ist puristisch und doch anders als bei den hastig digitalisierten Angeboten der digitalen Verwaltung oder des modernen Staates, sitzt auf der anderen Seite der Leitung tatsächlich jemand, der die Anträge entgegennimmt und die E-Mails beantwortet. Und auch jemand, der dann die Messe liest.

Die »Göttlichkeit des Codes« manifestiert sich nach Meinung von Rainer Bayreuther nicht etwa durch hochmodernes Design oder exzellente Programmierung der Webseiten. Sie liegt viel tiefer, in den Grundlagen und Ursprüngen der Technologie selbst: »Das informationstechnische Ding wird durch andere informationstechnische Dinge, die es an allen Punkten modifizieren können, in ein immer aufs Neue ursprüngliches Schöpfungsereignis geholt«, schreibt er: »Jeder seiner Auftritte ist Schöpfung.«

Ernstgemeintes und Dubioses

Die Digitalisierung bringt mannigfaltige Möglichkeiten der Religionsausübung mit sich. 30 Jahre nach der Kommerzialisierung des Internets wimmelt es nur so von digitalen Glaubensformen, die die orthodoxen Glaubensgemeinschaften herausfordern. Das Internet vermischt neoliberale Erfolgsoptimierung mit buddhistischen Glaubenssätzen. Der offizielle Webauftritt der katholischen Kirche www.vatican.va trifft dort auf das »fliegende Spaghetti-Monster«, eine 2006 im Internetforum geschaffene Religionsparodie.

Dubiose Websites bieten Onlinebeichten an. Auf TikTok und Instagram inszenieren sich radikale Christen als eine von progressiven Kräften unterjochte Minderheit. Die »Glaubensgemeinschaft der Prixton-Kirche« bietet auf ihrer Website einen Onlineablass an: »Die Hölle kann warten. Sparen Sie sich jetzt Tausende von Jahren an Fegefeuer! Holen Sie sich jetzt Ihre kostenlose Absolution mit Ablassbrief zum Ausdrucken. Eine Beichte ist nicht erforderlich. […] Beim Thema Datenschutz sind wir ebenfalls rigoros und geben keine Informationen an den Weihnachtsmann weiter.« Ob es die Websitebetreiber zumindest hinsichtlich des Umgangs mit sensiblen Daten ernst meinen, sei dahingestellt.

Eine digitale Strategie lässt sich jedenfalls nicht sofort erkennen. Für verschiedene Angebote oder religiöse Apps gelten unterschiedliche Vorgaben, denn neben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gibt es auch eigene kirchliche Datenschutzgesetze. Es gelten weder einheitliche Domainnamen noch ein zentrales Corporate Design. Das Informationsangebot ist oft praktisch und umfasst Terminplaner für Messen, Kirchenkonzerte oder Kirchenfeste, Bilder aus der Arbeit befreundeter Missionen und ein Spendenkonto.

Die Kirche flirtet nicht mit dem Internet, sie nutzt es. Sei es mit Tagesbotschaften vom Papst auf Twitter unter @pontifex_de (auf Deutsch) oder mithilfe nützlicher Apps, wie der »Kirchen-App« – einem digitalen Kirchenführer –, »Clicktopray« mit drei Gebeten pro Tag von Papst Franziskus, mit denen weltweit Menschen zum Beten animiert werden sollen, oder »Eden« für die christliche Partnersuche im Internet.

Der Bär gehorcht noch nicht immer

Als Joseph Ratzinger im Februar 2005 zum Papst gewählt wurde, hat er auf seinem päpstlichen Wappen einen Bären platziert, der einen Sattel trägt. Keinen bayerischen Löwen, sondern den Bären des heiligen Korbinian, des Patrons der Diözese Freising und ihrem ersten Bischof. Dieser Bär, erklärte Benedikt XVI., sollte ihn stets daran erinnern, seinen Dienst mit Vertrauen und Freude zu verrichten. Der mittelalterliche Heilige, Korbinian, soll der Legende zufolge auf seiner Reise nach Rom einen Bären getroffen haben, der sein Gepäckpferd riss. Korbinian befahl dann dem Bären, sein Gepäck zu tragen. Was der Bär tat, bis nach Rom, wo ihn der Heilige von seiner Pflicht entbunden hat.

Die Geschichte von Korbinian und dem Bären eignet sich ebenso gut als Metapher für den Umgang der Kirche mit dem Internet, wobei der Bär dabei das Internet oder die sozialen Medien symbolisiert. Man bedient sich der Technologie, um Inhalte nach außen zu vermitteln, ganz im Sinne der Gebote der Gelassenheit von Papst Johannes XXIII.: »Ich will versuchen, nichts zu verschieben, was dringend zu erledigen ist«, notierte er, »mir aber die Ruhe bewahren, die nötig ist, damit etwas gelingt. Wer die Dinge übereilt, kommt nie weit«. Der Weg nach Rom ist lang, und der Bär gehorcht noch nicht immer. Doch wenn es um Digitalisierung geht, so besteht kein Zweifel daran, wer hier wem zu dienen hat.

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