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Green New Deal – Gewerkschaften deklinieren ein Schlagwort

»There Is No Alternative«, so lautete das Motto der Thatcher-Jahre, TINA hießen auch die zeitgleich entstandenen Gewerkschaftsgruppen aus Technikern, Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Die Ehrenamtlichen und die Hauptamtlichen dieser Gruppierung suchten nach Alternativen zur herkömmlichen Produktion; »Konversion« war das Schlagwort einer Ökologiebewegung, als deren Teil man sich verstand.

Statt den Versuch zu starten, der darniederliegenden Werftindustrie mit der Produktion von Korvetten auf die Beine zu helfen, war plötzlich einer ganz anderen Diskussion auf die Beine geholfen: Lässt sich mit den vorhandenen Fachkräften nicht auch Sinnvolleres herstellen? Mit dieser Frage hatten britische Gewerkschafter, Shop Stewards bei Lucas Industries die Debatte um die Konversion eröffnet, und diese blieb nicht im Theoretisch-Ungefähren stecken. Die Briten entwickelten alternative Güter, zum Beispiel Wärmepumpen, Dampfturbinen, Windräder und kombinierte Schiene-Straßenfahrzeuge, Ideen, die bis zur Marktanalyse und Konstruktionszeichnung ausgereift waren. Es ging um beides, CO2 sollte reduziert und hochqualifizierte Jobs gegen ein verlagerungswütiges Management verteidigt werden. Wir schreiben das Jahr 1980!

Ein Vierteljahrhundert später: Ein Netzwerk von Betriebsräten der IG Metall besucht die Forschungs- und Entwicklungsabteilung (F&E) der Volkswagen AG und will sich über den Stand alternativer Motorisierung informieren. Wie weit ist der Konzern mit der Entwicklung von Elektro- und Wasserstoffmotor, nachdem der Weltmarktführer Toyota mit seinem Hybrid ein neues Kapitel aufgeschlagen hat? Das wollen die Betriebsräte, von Berufs wegen mit der Zukunft industrieller Arbeitsplätze beschäftigt, bei ihrem Werksbesuch in Wolfsburg wissen. Der Leiter der F&E-Abteilung gibt etwas kleinlaut Auskunft: Man forsche in allen Bereichen, auch beim Hybridmotor, und wenn dem Markt einmal abzulauschen wäre, worin er seine Zukunft sehe, schlage man richtig zu. Im VW-Betriebsratsbüro dann Nachbesprechung der Demonstration purer Tatenlosigkeit. Wie kann es sein, dass ein an die Weltspitze drängender Konzern ohne technologische Ambition auskommt und vom Abkupfern fremder Ideen leben will? Die Kolleginnen und Kollegen, viele davon aus der gleichen Branche, reagierten erschüttert. Ihr Netzwerk, welchem Unternehmen von Rang und Namen angehören (von Asea Brown Boveri bis ZF), war aus den TINA-Arbeitskreisen hervorgegangen und mittlerweile in der Verantwortung eines beim Vorstand der IG Metall beschäftigten Sekretärs, dem Verfasser dieser Zeilen. Der VW-Besuch war im Jahr 2005.

Noch einmal 13 Jahre später. Die schwarz-rote Bundesregierung lässt sich im Rahmen ihrer Industriepolitik die technologischen Projektionen der für die großen Wirtschaftsbranchen verantwortlichen Vorstände und Gewerkschaften präsentieren. Das Potenzial des Wasserstoffantriebs ist wieder einmal Gegenstand der Gespräche. Dieter Zetsche, Vorsitzender der Daimler AG, der seine Auftritte bei der Kanzlerin neuerdings als zupackender Macher, ohne Krawatte, absolviert, ist zum Scherzen aufgelegt. Sein Haus habe nur einmal mit Wasserstoff richtig Geld verdient – als man die Anteile an einem Joint Venture verkauft habe. Forschung zum Thema findet daher im Hause Daimler nicht mehr statt. Kanada, Schweden und Norwegen haben den deutschen Autobauern längst den Rang abgelaufen.

Im genannten F&E-Betriebsrätenetzwerk gab es natürlich auch Diskussionen: Ist es unsere Aufgabe, das Management in neue Geschäftsfelder zu drängen? Überheben wir uns damit nicht, machen wir nicht das Geschäft der Gegenseite? Soziale Transformation, Abfederung der Umbrüche ist unser Thema, aber auch ökologische Transformation? Es geht gar nicht anders, das Umweltproblem ist zu drängend und ohne den ständigen Anschub vonseiten der Beschäftigtenvertreter geht nichts voran; das war die Conclusio solcher Debatten. Beim Elektroauto war anfänglich mit den Händen zu greifen, wo es hakt. So lange das konventionelle Geschäft mit den hochmotorigen Klassen im In- und Ausland brummte und keine EU-Kommission Vorgaben bezüglich der Abgaswerte machte, sah sich kein Autovorstand veranlasst, in Elektromotor oder Brennstoffzelle zu investieren. Bis zu 70, gar 80 % seiner Bezahlung war an Umsatz oder Rendite geknüpft; warum sollte er sich mit milliardenschweren Investitionen in neue Fabriken und Technologien seinen eigenen Geldbeutel erleichtern? Erst als die Strafzahlungen der EU drohten, machten sich die Herren (Frauen gibt’s in diesen Regionen kaum) daran, das Steuer herumzureißen und die Alternative zum Verbrennungsmotor auf den Weg zu bringen. Und jetzt erst kam das eigentliche Problem auf den Tisch, die fehlende Batteriekompetenz und die Abhängigkeit von einem asiatischen Oligopol.

Eine Begründung für die Fortdauer des Geschäfts mit den konventionellen Motoren war nicht von der Hand zu weisen: Die Autokonzerne wollten damit die für die Transformation nötigen Milliarden verdienen. Dann kam COVID‑19, und seither geht die Rechnung trotz des chinesischen Marktes nur noch schwer auf. Zu Beginn des Lockdowns stand der größte Automobilzulieferer zeitweise mit Einnahmen Richtung null und einer monatlichen Gehaltssumme Richtung einer Milliarde Euro da. Viel zu groß sei die Abhängigkeit vom Geschäft rund ums Automobil, hatten Vertreter der Belegschaft und der Gewerkschaft über Jahre im Aufsichtsrat moniert, und die Suche nach neuen Geschäftsfeldern verlangt. Was aber gilt der Prophet im eigenen Ländle?

Was im alten Millennium oft noch die Ausnahme war, ist im neuen die Regel: Dass sich ein Betriebsrat um neue Produktlinien kümmert, sie einklagt und gegen eine lahme Geschäftsführung durchdrückt. Diese Aktivität erwarten moderne Belegschaften geradezu von ihm. Ein Umbruch hat auch in den Gremien und Belegschaften stattgefunden. Der Anteil an hochqualifizierten Angestellten ist in beiden Bereichen gewachsen. Unfruchtbare Debatten über Co‑Management haben sich weitgehend erledigt. Selten wird das Etikett sozial-ökologisch auf die forcierte Betriebspolitik draufgeklebt, aber im Unterschied zur politischen Reklameindustrie ist der sich in neuen Produkten niederschlagende Inhalt meist besser als die Verpackung. Den technologischen Fortschritt über den Stand der konventionellen Technik hinausgetrieben zu haben, können sich vielerorts die Betriebsräte auf die Fahnen schreiben, während ihre Geschäftsführungen für sich reklamieren können, sie hätten ununterbrochen von disruption geredet.

Die IG Metall hat dieses Rollenverständnis der Betriebsräte stets mitgetragen; ihre Betriebsbetreuung, ihre Branchenarbeit, ihre ökonomische Expertise, ihre Technologieberatung (Industrie 4.0 als Großbaustelle!) stehen gleichberechtigt neben der Tarifpolitik. Mit ihren regelmäßigen Belegschaftsumfragen erfährt die Organisation präzise, was den Befragten wichtig ist und was sie als Gegenstand von Aushandlungsprozessen sehen wollen. Dass sich weit mehr als eine halbe Million an solch einer Befragung beteiligt und einen umfänglichen, von Sozialwissenschaftlern ausgewerteten Fragebogen ausfüllt, wäre allein schon eine Nachricht wert, aber sie unterbleibt in den für Gigantomanie doch sonst so anfälligen Medien. Die Beschäftigtenumfragen der IG Metall sind die umfänglichsten der Berliner Republik.

Die Betriebsräte und ihre Gewerkschaftssekretäre brauchen bei ihrem Transformationsgeschäft die massive Unterstützung von staatlicher Politik und in Zeiten der Pandemie dringlicher denn je. Nicht auszudenken, säßen jetzt Ideologen in der Regierung, die ihre marktradikalen Weisheiten (»Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt«) ernst nähmen. Seit die SPD den Blick hinter den neoliberalen Horizont gelenkt hat, seit der letzten Koalition und der vom damaligen Wirtschaftsministerium organisierten Branchendialoge also, wünschen sich die Vertreter der Belegschaften eine Fortsetzung des damals begonnenen Doppelpass-Spiels. Die gegenwärtige Konstellation bietet Herrn Altmaier die Chance, sich als der Promotor einer europäischen Cloud, eines Batteriekonsortiums oder einer Wasserstoff-Initiative zu präsentieren. Sozialdemokratische Betriebsräte und Gewerkschafter raufen sich angesichts dieser Konstellation die Haare, aber es hilft ja nichts.

Da COVID-19 nicht einfach verschwinden will, ist die Fetischisierung der schwarzen Null kein Thema mehr, und alle sind jetzt Keynesianer. Selbst Herr Merz will nie und nimmer mehr als Marktradikaler gelten. Den Betriebsräten sind in der Wolle gefärbte Sozialdemokraten als Keynesianer und Industriepolitiker allemal lieber als die unsicheren christdemokratischen Kantonisten oder gar ein Wolf im Schafspelz, wie Friedrich Merz mutmaßlich einer ist. Mit ihm haben die Gewerkschaften sehr spezielle Erfahrungen gemacht, hatte er sie doch, gemeinsam mit Guido Westerwelle Anfang der Nullerjahre – Deutschland galt als der kranke Mann Europas – als »Plage für unser Land«, »abartig«, »Totengräber des Wohlstands« bezeichnet.

Die SPD ist für Betriebsräte und Gewerkschaften der bessere Makler, glaubwürdiger als die CDU; denn von deren für den Green New Deal angeworfenen PR-Maschine weiß man nicht recht, ob sie wirklich mehr als nur Wind macht. Die Sozialdemokratie ihrerseits ist gut beraten, sich als eine Partei zu präsentieren, die von Belegschaftsinteressen etwas versteht und sie sich zu eigen macht, sofern sie nicht mit dem Umweltschutz und dem Gesellschaftsinteresse kollidieren. Gegenüber den Grünen gilt es – längst auch in den Betrieben – wieder Boden gut zu machen. In den Entwicklungsabteilungen haben die Ingenieure ihre Berührungsangst mit der Partei der Ökologie verloren, während unten, in den Werkshallen, die Berührungsangst gering qualifizierter Arbeiter mit der Partei der Rechten schwindet. Soll der Green New Deal, die sozial-ökologische Transformation der Industriegesellschaft, mehr als ein schickes Label sein und nicht zu weiteren politischen, vielleicht einen Trumpismus nährenden Verwerfungen führen, braucht es die Partei der Sozialdemokraten in guter Verfassung. Auch die menschliche Natur braucht ihre Fürsprecher; sie kennt Grenzen, hat Bedürfnisse, Interessen und sie hat sogar ein Recht auf Glück. Ein Buch von Peter Löw Beer über den eingangs erwähnten Alternativplan von Lucas Industries und deren Pioniere alternativer Produktion trägt daher auch den unwahrscheinlichen, beinahe absurd klingenden Titel: Industrie und Glück.

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