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Über die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung Größtenteils sinnvoll, aber noch nicht zielgenau

Die Coronapandemie war noch nicht überstanden, da gerieten wir schon in die nächste Krise. Bereits im Winter 2021/22 kam es bei Energieträgern zu Angebotsknappheiten und deutlichen Preissteigerungen. Vor diesem Hintergrund beschloss die Bundesregierung bereits am 23. Februar 2022 ein erstes Entlastungspaket im Umfang von rund 15 Milliarden Euro, dessen größte Einzelmaßnahmen die vorzeitige Abschaffung der EEG-Umlage und die Anhebung des Grundfreibetrags bei der Einkommensteuer waren.

Im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vervielfachte sich der Gaspreis und auch bei anderen Energieträgern gab es weitere drastische Preissteigerungen. Die Bundesregierung legte daher innerhalb eines Monats ein zweites Entlastungspaket mit einem ähnlichen Umfang nach. Bei einem Volumen von 10,4 Milliarden Euro war eine einkommensteuerpflichtige Energiepreispauschale von 300 Euro für Erwerbstätige die bedeutsamste Einzelmaßnahme. Hinzu kamen unter anderem eine temporäre Energiesteuersenkung (»Tankrabatt«), das Neun-Euro-Ticket und ein Kinderbonus in Höhe von 100 Euro.

Im Verlauf des Sommers zeichnete sich ab, dass die hohen Energiepreise länger Bestand haben dürften und vielen Haushalten Erhöhungen ihrer Strom- und Heizkostenrechnungen um ein Mehrfaches drohten. Gemessen an dieser Dimension schienen die ersten beiden Entlastungspakete unzureichend. Ein drittes Paket wurde daher Anfang September angekündigt. Es enthält unter anderem eine Energiepreispauschale für Menschen im Ruhestand und sieht auch Einmalzahlungen für Studierende vor. Damit reagiert die Bundesregierung auf Kritik an der bisherigen Beschränkung der Energiepreispauschale auf Erwerbstätige.

Der Schwerpunkt der Maßnahmen liegt im kommenden Jahr. Unter anderem ist ein Inflationsausgleich im Einkommensteuerrecht vorgesehen, was mit gut zwölf Milliarden Euro zu Buche schlägt. Geplant ist auch die Möglichkeit für Arbeitgeber, ihren Beschäftigten eine steuer- und abgabenfreie Zusatzzahlung zu gewähren, was einer Lohn-Preis-Spirale entgegenwirken soll. Insgesamt enthalten die drei Entlastungspakete über 30 Einzelmaßnahmen, die von der Regierung einschließlich bislang nicht quantifizierter Teile auf insgesamt 95 Milliarden Euro beziffert werden (Tabelle). Hinzu kommt noch ein Gaspreisdeckel mit ähnlichem Umfang.

Der seit Jahresbeginn regelmäßig veröffentlichte IMK-Inflationsmonitor hat auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und den laufenden Wirtschaftsrechnungen von Destatis gezeigt, dass Haushalte mit niedrigen Einkommen besonders stark von den Preissteigerungen bei Haushaltsenergie und zunehmend auch bei Nahrungsmitteln betroffen sind. Ihre haushaltsspezifische Inflationsrate liegt teilweise um mehr als eineinhalb Prozentpunkte über der von Spitzenverdienenden. Gezielte Entlastungsmaßnahmen müssen genau diese Haushalte im Blick haben und sollten gleichzeitig Nebenziele wie den Übergang zur Klimaneutralität nicht behindern und die Inflation nicht zusätzlich befeuern.

Im IMK Policy Brief 120 vom April 2022 haben wir die ersten beiden Entlastungspakete unter diesen Gesichtspunkten analysiert. Verteilungspolitisch sind sie insgesamt einigermaßen ausgewogen und es ergaben sich – außer bei Haushalten mit Personen im Ruhestand – höhere relative Entlastungen am unteren Ende der Einkommensverteilung. Dabei sind nicht alle Maßnahmen gleichermaßen zielgerichtet. Besonders progressiv wirkt die steuerpflichtige Energiepreispauschale. Von den Entlastungen bei der Einkommensteuer profitieren hingegen Besserverdienende stärker. Das gilt weniger für die Anhebung des Grundfreibetrags, deren maximale Entlastungswirkung bei einem relativ niedrigen Einkommen erreicht wird und dann konstant bleibt, als für höhere Abzüge wie den erhöhten Arbeitnehmerpauschbetrag. Von ihm wie anderen steuerlichen Abzügen profitieren Steuerzahlende mit hohen Einkommen am stärksten, weil sie zu umso höheren Entlastungen führen, je höher der Steuersatz ist, dem jemand unterliegt.

Problematisch war die temporäre Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe, weil sie überwiegend Besserverdienenden, die häufiger über einen PKW verfügen, zugutekam und zudem die ökologische Lenkungswirkung von Energiepreisen konterkarierte. Die Mittel von 3,2 Milliarden Euro wären für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs besser angelegt.

Man sieht – wie den Vorgängern – auch dem dritten Entlastungspaket an, dass es von einer Koalition aus drei Parteien mit teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen beschlossen wurde. So kam eine Liste von über 20 Einzelmaßnahmen zusammen, von denen einige (Einführung eines Bürgergelds, Anhebung der Midijobgrenze) bereits im Koalitionsvertrag stehen. Manche

Entlastungsmaßnahmen: Gesamtstaatliche Entlastung in Milliarden Euro

20222023
Entlastungspakete 1 und 2
Entlastungen bei der Einkommensteuer4,54,7
Temporäre Energiesteuersenkung auf Kraftstoffe3,20,0
Viertes Corona-Steuerhilfe-Gesetz0,23,5
Neun-Euro-Ticket2,50,0
Vorzeitige Abschaffung der EEG-Umlage6,60,0
Kindersofortzuschlag und Einmalzahlungen für Transferbeziehende1,30,5
Kinderbonus1,9-0,5
Energiepreispauschale für Erwerbstätige10,40,0
Zwischensumme: Entlastungspakete 1 und 230,68,2
Entlastungspaket 3
Energiepreispauschale für Rentner, Pensionäre (Bund) und Studierende6,20,7
Wohngeldreform, Heizkostenzuschuss, Bürgergeld0,77,6
Anhebung der Midijobgrenze0,01,3
Inflationsausgleichsgesetz (einschließlich Kindergeld)0,012,2
Anhebung des Kinderzuschlags0,00,2
Steuer- und sozialabgabenfreie Inflationsprämie0,01,2
Unternehmensentlastungen3,02,7
Nachfolge des Neun-Euro-Tickets0,03,0
Verlängerung der Kurzarbeitsregelungen0,10,0
Verlängerung der Umsatzsteuersenkung in der Gastronomie0,02,8
Globale Ernährungssicherheit (mit Vorbehalt)1,00,0
Vorgezogene vollständige Abzugsfähigkeit von Rentenbeiträgen0,02,9
Senkung der Umsatzsteuer auf Gas2,06,5
Entfristung der Homeoffice-Pauschale0,00,8
Zwischensumme: Entlastungspaket 313,042,0
Gaspreisdeckel (Vorschlag der Kommission)5,091,0
Summe: Alle Pakete48,5141,2

Nicht enthalten sind: Die Verschiebung der Erhöhung des CO2-Preises, die Strompreisbremse und die Dämpfung der steigenden Netzentgelte. Quelle: IMK Report Nr. 177, aktualisiert am 10.10.2022

Entlastungsmaßnahmen stehen im Widerspruch zur übrigen Regierungspolitik. So sieht das dritte Entlastungspaket vor, das Arbeitgeber ihren Beschäftigten eine steuer- und sozialabgabenfreie Inflationsprämie zahlen können. Gleichzeitig sollen aber die Beitragssätze zur Arbeitslosen- und zur Krankenversicherung im Jahr 2023 deutlich angehoben werden. Die verschobene Erhöhung des CO2-Preises steht im klaren Widerspruch zu Deutschlands Klimazielen. Wenngleich es dabei um einen geringen Betrag geht und die derzeit hohen Energiepreise unabhängig von der CO2-Bepreisung zum Energiesparen anregen, so besteht doch die Gefahr, dass hier das völlig falsche Signal gesendet wird, Klimaschutz sei aufschiebbar.

Ein substanzieller Teil des dritten Entlastungspakets entfällt mit Mindereinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich allein im kommenden Jahr auf das Inflationsausgleichsgesetz, das den Effekt der kalten Progression ausgleichen soll. Der Effekt der kalten Progression, wobei ein Einkommenszuwachs, der lediglich die Inflation ausgleicht, durch die Steuerprogression mit einem höheren Steuersatz belastet wird, muss ernst genommen werden. Der Gesetzgeber hat daher den Einkommensteuertarif seit 2013 regelmäßig angepasst. Dabei wurden die Tarifeckpunkte mit Ausnahme des Grundfreibetrags nicht immer im Umfang der Inflationsrate angepasst.

Viele Steuerentlastungen erfolgen aber außerhalb des Steuertarifs über die Behandlung von steuerlichen Abzügen. Hier lässt sich feststellen, dass die Einkommensteuerbelastung einschließlich Solidaritätsbeitrag für die meisten Haushalts­konstellationen und Einkommen immer noch deutlich unter dem Niveau der 90er Jahre liegt. Ob hier dennoch ein steuerpolitischer Handlungsbedarf vorliegt, ist eine politische Frage. Angesichts der vergleichsweise geringen Wirkung der geplanten Tarifanpassung für Menschen mit niedrigen Einkommen kann man aber klar feststellen, dass diese Maßnahme sich nicht für die gezielte Entlastung genau derjenigen Menschen eignet, die am stärksten von der hohen Inflation belastet werden.

Hier wären einkommensabhängige direkte Zahlungen an die Haushalte zielgenauer. Diese scheitern regelmäßig daran, dass dem deutschen Staat die administrativen Voraussetzungen fehlen. So müssen auch beim im Oktober vorgelegten Konzept für einen Gaspreisdeckel mangels ausreichender Daten voraussichtlich Kompromisse bei der Zielgenauigkeit gemacht werden. Da die rund 40 Millionen Haushalte, die mit Gas heizen, ohne Eingriff etwa doppelt so hohe Mehrkosten hätten wie Haushalte, die mit Öl heizen, setzt der Gaspreis aber an der richtigen Stelle an. Vorgeschlagen hatten die US-Professorin Isabella Weber und der Direktor des IMK Sebastian Dullien einen Gaspreisdeckel bereits im Februar 2022. Die Regierung hat sich hier viel Zeit gelassen, was nun zu einem unnötigen Zeitdruck führt. Mit der Strompreisbremse ist zusätzlich ein ähnliches Modell für einen Grundbedarf an Elektrizität in Aussicht gestellt worden. Da im Gefolge der Gasknappheit auch die Strompreise drastisch angezogen haben, dürfte auch diese Maßnahme zur Entlastung von Haushalten mit niedrigen Einkommen beitragen.

Mit der Ausweitung der Energiepreispauschale über die Erwerbstätigen hinaus hat die Regierung einen gravierenden Schwachpunkt des zweiten Entlastungspakets behoben. Gerade Rentner/innen, mit einem Einkommen knapp oberhalb von Bedürftigkeitsgrenzen sind durch die hohen Preise stark belastet und wären andernfalls weitgehend leer ausgegangen. Auch der Beschluss eines Nachfolgemodells für das beliebte Neun-Euro-Ticket ist grundsätzlich zu begrüßen. Vermutlich dürften aber für einen attraktiven öffentlichen Personennahverkehr dauerhaft deutlich mehr Mittel gebraucht werden, als das Paket vorsieht.

Angesichts eines Importpreisschocks von mehreren Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist eine massive Entlastung der Bevölkerung angezeigt. Viele Maßnahmen sind sinnvoll, aber die Regierung sollte bei der Zielgenauigkeit noch nachschärfen und die erwähnten Widersprüche beseitigen. Sinnvoll wären einkommensabhängige Direkttransfers, für die die administrativen Voraussetzungen erst noch geschaffen werden müssen. Damit sollte die Bundesregierung sofort beginnen.

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