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Die Untiefen im deutschen Steuersystem Großer Korrekturbedarf

Im Herbst 2017 wählen die Deutschen einen neuen Bundestag. Wie in jedem Bundestagswahlkampf spielt auch diesmal die Steuerpolitik wieder eine prominente Rolle. Egal, ob massive Steuerentlastungen, ein Abbau der sogenannten »kalten Progression«, die Abschaffung der Abgeltungsteuer oder eine stärkere Besteuerung von Besserverdienern und Vermögenden gefordert werden, immer argumentieren die Befürworter der jeweiligen steuerlichen Maßnahmen mit der »Steuergerechtigkeit«.

Was aber ist Steuergerechtigkeit? Die diversen Akteure scheinen dabei sehr unterschiedliche Gerechtigkeitsbegriffe vor Augen zu haben. Das eine Extrem ist, dass der Staat den Leistungsträgern möglichst wenig wegnehmen sollte, um Leistungsanreize nicht zu schmälern (»Leistung muss sich lohnen«), am anderen Ende der Skala findet man die Forderung nach einer möglichst egalitären Einkommensverteilung. In ökonomischen Lehrbüchern wird häufig ein Gegensatz zwischen ökonomischer Effizienz und Verteilung aufgebaut und es werden Anreizwirkungen stark betont. Dabei werden allerdings teilweise extreme Annahmen getroffen, sodass die Aussagen oftmals wenig praxistauglich sind. Zudem wird bei den meist mikroökonomischen Betrachtungen vernachlässigt, wie sich Ungleichheit auf die Makroökonomie und auf die Demokratie auswirkt. Neuere Studien zeigen, dass Ungleichheit die makroökonomische Instabilität erhöht und das Wachstum beeinträchtigen kann. Für eine Demokratie ist es zudem problematisch, wenn der politische Einfluss mit dem Einkommen und dem Vermögen zunimmt. Es ist jedoch kaum möglich, Steuergerechtigkeit objektiv und allgemeingültig zu definieren, weil hier Werturteile eine entscheidende Rolle spielen und die Bewertungsmaßstäbe immer relativ sind – im Vergleich mit der Vergangenheit oder mit anderen entwickelten Industriestaaten.

Es gibt aber einige Grundsätze, die unstrittig sind und die auch Eingang in unser Rechtssystem gefunden haben. Ein solch zentraler und unstrittiger Besteuerungsgrundsatz ist das Leistungsfähigkeitsprinzip, wonach die Verteilung der Steuerlast zwischen den Steuerzahlern nach dem Kriterium erfolgen soll, in welchem Maße der Steuerzahler in der Lage ist, die Steuerlast zu tragen. Demnach sollten »breitere Schultern mehr tragen als schmalere«. In diesem Zusammenhang spricht man häufig auch von »vertikaler Steuergerechtigkeit«. Eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bedeutet gleichzeitig, dass Steuerzahler mit der gleichen Leistungsfähigkeit auch gleich besteuert werden sollen. Diese sogenannte »horizontale Steuergerechtigkeit« hat durch den Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes sogar Verfassungsrang. Im Einklang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip kann somit eine progressive und synthetische Besteuerung, bei der alle Erwerbs- und Vermögenseinkommen einer einheitlichen Besteuerung unterliegen, als gerecht angesehen werden.

Wie gerecht ist das Steuersystem?

Die Einkommensungleichheit hat in Deutschland im Vergleich zu den 90er Jahren deutlich zugenommen und verharrt seit einigen Jahren auf einem hohen Niveau. Das gilt nicht nur für die Markteinkommen (also vor staatlichen Umverteilungsmaßnahmen), sondern auch für die verfügbaren Einkommen der Haushalte. Wie steht es also hierzulande mit der vertikalen und der horizontalen Steuergerechtigkeit?

Deutschland hat eine deutlich progressive Einkommensteuer. Nach einer aktuellen Studie von Stefan Bach (DIW Berlin) und seinen Forscherkollegen zur Verteilung der deutschen Steuerlast tragen die 10 % der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen 59,1 % zum Aufkommen der Einkommensteuer bei, während ihr Anteil an den gesamten Bruttoeinkommen nur 32,1 % beträgt. Dieser Umstand wird in der steuerpolitischen Debatte und in den Medien immer wieder hervorgehoben.

Anders als die Einkommensteuer wirken indirekte Steuern, wie beispielsweise die Umsatzsteuer, und Sozialabgaben jedoch stark regressiv. Ihre Belastung nimmt also mit zunehmendem Einkommen ab. Dies schwächt die Progressionswirkung des gesamten Steuer- und Abgabensystems deutlich ab. Somit liegt der Anteil der reichsten 10 % aller Haushalte am Aufkommen der Steuern und Abgaben insgesamt mit 32,8 % nur geringfügig über ihrem Anteil am Einkommen. Das reichste Prozent bzw. Promille der Haushalte trägt gemessen am Einkommen unterproportional zum Aufkommen der gesamten Steuern und Abgaben bei. Damit ist das Steuer- und Abgabensystem deutlich weniger progressiv als gemeinhin unterstellt und am oberen Ende sogar regressiv.

Die Steuerpolitik hat in der jüngeren Vergangenheit wenig zum Abbau der Einkommensungleichheit beigetragen. So zeigt die oben genannte DIW-Studie, dass Reformen bei Steuern und Abgaben seit 1998 nur die drei obersten Dezile, also die reichsten 30 % der Haushalte, entlastet haben, während die unteren Einkommensschichten stärker belastet wurden. Die Senkung des Spitzensteuersatzes und der Übergang zu einer dualen Einkommensbesteuerung mit der Einführung der Abgeltungsteuer sowie die Anhebung indirekter Steuern spielen dabei eine wichtige Rolle.

Besonders ausgeprägt ist die Ungleichheit hierzulande beim Vermögen. Nach Berechnungen des DIW Berlin auf der Grundlage einer Umfrage der Europäischen Zentralbank verfügten die reichsten 10 % der Haushalte über deutlich mehr als 60 % des gesamten Vermögens, wovon wiederum eine gute Hälfte auf das reichste Prozent entfällt. Gleichzeitig wurden in der jüngeren Vergangenheit auch die Vermögen steuerlich deutlich entlastet. Die Vermögensteuer wird seit 1997 nicht mehr erhoben und bei der Erbschaftsteuer wurde mit der Reform Anfang 2009 eine weitgehende Verschonung von Betriebsvermögen ermöglicht. Da am oberen Ende der Vermögensverteilung die Betriebsvermögen den Löwenanteil des Vermögens ausmachen, begünstigen solche Verschonungsregeln regelmäßig Vermögende und deren enge Familienangehörige. Dies hat dazu geführt, dass die effektiven Erbschaft- und Schenkungsteuersätze für Erwerbe zwischen 100.000 und 200.000 Euro seit der Reform Anfang 2009 deutlich höher waren als für Erwerbe über 20 Millionen Euro.

Eine solche Durchbrechung der vertikalen Steuergerechtigkeit kann nur gerechtfertigt werden, wenn die Ungleichbehandlung der Vermögensarten aus einem wichtigen Grund und im Interesse des Gemeinwohls erfolgt. Wenn es um die Verschonung von Betriebsvermögen geht, wird regelmäßig mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen argumentiert. Allerdings sind die Lohnsummenregeln dafür sehr leicht zu erfüllen. Unterstellt man eine jährliche Lohnsteigerung von 2,5 %, so kann man im Rahmen der Regelverschonung fast 30 % des Personals abbauen, ohne gegen die Lohnsummenregel zu verstoßen. Dies gilt auch nach der jüngsten Reform. Zwar wurden zentrale Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, gleichzeitig wurden aber zusätzliche Begünstigungen eingeführt, sodass nach wie vor milliardenschwere Unternehmen unversteuert übertragen werden können.

Was ist zu tun?

Anthony Atkinson hat recht, wenn er in seinem klugen Werk Ungleichheit – Was wir dagegen tun können schreibt, dass sich die Maßnahmen gegen Ungleichheit nicht nur auf Umverteilung im klassischen Sinne konzentrieren sollen, sondern bereits bei der Verteilung der Markteinkommen ansetzen müssen. Die Steuerpolitik bleibt bei der Realisierung von Verteilungsgerechtigkeit aber ein zentrales Instrument.

Ein großer Teil der aktuellen Diskussion konzentriert sich auf die Einkommensteuer, wo vielfach die Entlastung unterer und mittlerer Einkommen gefordert wird. Dies klingt für Wählerohren zunächst einmal verlockend, hat aber auch eine Kehrseite. Wollte man beispielsweise den sogenannten »Mittelstandsbauch« beseitigen, so wäre dies mit Mindereinnahmen von über 30 Milliarden Euro verbunden. Das ist eine Größenordnung, die man am oberen Ende der Einkommensverteilung nicht wieder hereinholen kann, ohne den Spitzensteuersatz auf ein fast konfiskatorisches Niveau anzuheben. Auch weniger ambitionierte Entlastungen bedeuten spürbare Mindereinnahmen.

Lässt man dabei die Ausgabenseite außer Acht, so übersieht man, dass der Steuerentlastung möglicherweise ein entsprechender Abbau staatlicher Leistungen gegenübersteht. Von Letzterem dürften gerade Bezieher niedriger Einkommen überproportional betroffen sein. Eine vermeintliche Entlastung kann sich dann sogar in eine Mehrbelastung verkehren, wenn die betroffenen Bürger Leistungen, die zuvor vom Staat bereitgestellt wurden, privat bezahlen müssen. Vorsicht bei Steuersenkungen ist auch deshalb geboten, weil es neben den zusätzlichen Aufwendungen für die Integration der Flüchtlinge auch bei Bildung und Infrastruktur noch erhebliche Mehrbedarfe gibt, die insbesondere aus Sicht unterer Einkommensgruppen wichtig sind.

Steuerentlastungen sollten daher keinesfalls ohne solide Gegenfinanzierung erwogen werden. Es ist fraglich, ob beispielsweise die Abschaffung der Abgeltungsteuer in der aktuellen Niedrigzinsphase zu einem entsprechenden Mehraufkommen führt. Aus Gründen der Steuergerechtigkeit ist eine Abkehr von einer dualen Einkommensbesteuerung jedoch geboten, zumal die ursprüngliche Begründung für die Steuer mit der Ausweitung des internationalen Datenaustauschs zunehmend hinfällig werden dürfte. Auch Mehreinnahmen aus der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und aggressiver Steuergestaltung sollten nicht eingeplant werden, bevor sie auch tatsächlich realisiert werden.

Damit verschiebt sich der Fokus auf die Besteuerung hoher Vermögen. Bei der Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer wurde hier gerade ohne Not eine große Chance vertan und es hat sich eine Lobby aus gut organisierten Familienunternehmern durchgesetzt, die gezielt Angst vor Arbeitsplatzverlusten durch die Erbschaftsteuerreform geschürt hat. Das verwundert sehr, zumal selbst vor der Reform von Anfang 2009 bei deutlich strengeren Regeln kein Fall bekannt wurde, in dem ein Unternehmen durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer in eine existenzgefährdende Lage geraten wäre. Hier muss klar zwischen dem Wohl des Erben und dem Wohl des Unternehmens unterschieden werden. Bei ausreichenden Stundungsmöglichkeiten könnte die Verschonung des Betriebsvermögens stark eingeschränkt werden. Auch dies wäre ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit, weil so auch wieder die effektiven Steuersätze mit der Höhe des Erwerbs steigen würden und somit die ursprünglich vom Gesetzgeber intendierte progressive Besteuerung nicht länger konterkariert würde.

Nach der verwässerten Erbschaftsteuerreform ist erneut die Debatte über die Wiedererhebung einer Vermögensteuer aufgeflammt. Dabei ist die Haltung der Öffentlichkeit durchaus widersprüchlich. Umfragen zeigen regelmäßig eine große Zustimmung zu einer höheren Vermögensbesteuerung bei gleichzeitigen Vorbehalten gegen die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Das erstaunt, zumal es dabei um die gleichen Vermögensgrößen geht – nur in einem Fall im Bestand und im anderen bei der Übertragung. Hier spielen wohl die Assoziationen der Befragten eine wichtige Rolle: Bei der Erbschaftsteuer denken viele an eine Belastung der Familie, während sie sich unter der Vermögensteuer eine Belastung Superreicher vorstellen.

Sollte nun versucht werden, die Gerechtigkeitslücken bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer vollständig durch die Wiedererhebung der Vermögensteuer auszugleichen, so würde man das Pferd von hinten aufzäumen. Mehreres spricht für eine deutlich ausgeweitete Erbschaft- und Schenkungsteuer als Vermögensbesteuerung der ersten Wahl. Sie bremst die weitere Vermögenskonzentration und ist auch aus meritokratischer Sicht zu befürworten, weil sie den leistungslosen Erwerb belastet. Im Vergleich zur Vermögensteuer ist die Erbschaft- und Schenkungsteuer mit einem geringeren Erhebungsaufwand verbunden, weil eine Bewertung nur einmal vorgenommen werden muss. Dennoch gibt es gute Gründe für eine zusätzliche Vermögensteuer insbesondere für sehr hohe Vermögen. Diese gehen häufig mit einem überproportionalen politischen Einfluss einher. Hier sollte auch im Interesse der Demokratie korrigierend eingegriffen werden.

 

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