Bilanziert man die kurze Geschichte der AfD, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass sie eine Entwicklung mit mehreren Metamorphosen hinter sich hat und nach zehn Jahren eine stabile politische Kraft rechts von den Unionsparteien geworden ist. Im Bundestag, im Europaparlament, in allen Landtagen und vielen Kommunalparlamenten ist sie vertreten und in Umfragen gehen die Zustimmungswerte und die Bereitschaft die AfD zu wählen, nach oben. Im Herbst 2023 liegt sie bundesweit bei etwa 20 Prozent.
In den östlichen Bundesländern werden ihr gar bis zu 35 Prozent prognostiziert, aber auch im Westen ist die Zustimmung mittlerweile zweistellig. Die Stimmungslage in der Republik, die Ungewissheiten und vielfältigen globalen Krisenprozesse, die alltäglichen materiellen und sozialen Sorgen sowie die Zukunftsängste der Menschen scheinen der AfD zugute zu kommen. Anders formuliert: Viele Bürgerinnen und Bürger haben das Gefühl, mit ihrer Wahrnehmung und Verarbeitung der Wirklichkeit bei der AfD und deren Angeboten andocken zu können und hier vermeintlich Antworten zu finden.
Die AfD pendelte zunächst zwischen rechtsbürgerlichem Patriotismus, rechtem Populismus und Extremismus. Die programmatische und personelle Geschichte, ihr Agieren in Parlamenten, auf ihren Parteitagen und ihre öffentlichen Äußerungen haben sich mit der jetzigen Führung und Björn Höcke als zentralem Akteur eindeutig in Richtung Kulturkampf, Radikalisierung, autoritärem Populismus und rechtem Extremismus entwickelt und verfestigt.
Die führenden und prägenden Akteure der AfD bekämpfen – so die neue Normalität der Republik – die pluralistische, diverse und emanzipatorische Gesellschaft, und sie haben eine strategische Ausrichtung, die mit einem ethnisch-identitären Volksverständnis die freiheitliche Grundordnung beseitigen will und eine homogene und patriarchale Gesellschaft sowie illiberale Demokratie zum Ziel hat.
»Politische Botschaften und Narrative der AfD verleumden und verachten die Demokratie.«
Auf ein paar Merkmale ist hinzuweisen – die AfD ist nationalistisch, völkisch, antidemokratisch, antieuropäisch, antisemitisch, wirtschaftsliberal und antifeministisch. Sie leugnet den menschengemachten Klimawandel, ethnisiert die soziale Frage, ihre politischen Botschaften und Narrative verleumden und verachten die Demokratie als »System«, die demokratischen Parteien als »Systemparteien«, den Rechtsstaat und die allgemeine Menschenwürde. Sie hetzt gegen Minderheiten und Fremde – das sind für die AfD vor allem Nicht-Weiße – und bietet den Deutschen ein Opfernarrativ an.
Die AfD hat vor dem Hintergrund des Strukturwandels von Öffentlichkeit mit ihren einschlägigen Foren und Kommunikationswegen in den sozialen Netzwerken eine große Reichweite, und sie erreicht mit ihren Sprachgesten und Metaphern, ihrer schrillen und demagogischen Rhetorik die Köpfe und Gefühlswelten von Leuten, die auf der Suche nach Orientierung und Deutung sind. Dabei bietet das Milieu der AfD vor allem zwei Gefühlswelten an: Verschwörungsmythen und die geradezu lustvolle Beschreibung einer angeblich desaströsen Wirklichkeit mit sozialen Katastrophen und eine Begeisterung für Untergangsszenarien und Endzeitstimmungen. Dazu kommen die Rettungsfantasien, nach der nur sie in der Lage sei, das Volk zu befreien und aus den Krisen zu führen. Programmatisch will die AfD eine autoritäre Formierung der Demokratie und eine Form autokratischer Herrschaft nach dem Vorbild Ungarns.
Mit Ressentiments zum Erfolg
In der Entwicklung der AfD und für die Wahlerfolge vor allem in den östlichen Bundesländern gibt es vielfältige und wiederholt diskutierte Gründe. Hier soll auf drei Dimensionen hingewiesen werden: Ihr ist es im Gegensatz zu den anderen rechtsextremen Parteien in der Geschichte der Bundesrepublik gelungen, die Mitte der Gesellschaft zu erreichen und Akteure mit bürgerlichen Berufen zu gewinnen. Dazu zeigen die »Mitte-Studien« und zahlreiche Rechtsextremismusstudien seit vielen Jahren geradezu regelmäßig das Ausmaß an demokratie- und menschenfeindlichen Ressentiments, an abwertenden und ausgrenzenden Einstellungen in der Bevölkerung. Die AfD ist in der Lage, dieses Potenzial vor allem mit ihrem zentralen Mobilisierungsthema »Migration und Asyl« zu binden.
Schließlich zeigt die parteipolitische Repräsentationslücke, dass sich Teile der Bevölkerung mit ihren Themen, Problemen und Sorgen nicht (mehr) an die demokratischen Parteien gebunden, von ihnen nicht mehr repräsentiert fühlen.
Eine weitere These besagt, dass sich die Bundesrepublik in einem Prozess der europäischen Normalisierung befindet, dass sich wie in anderen westlichen Demokratien eine Partei rechts von den Unionsparteien dauerhaft etabliert.
Im Wahlverhalten hat sich die Hoffnung als falsch erwiesen, es wären weniger Gesinnungswähler*innen, sondern vor allem Protestwähler*innen, die man zurückholen könne. Die AfD wird wiederholt gewählt und die Befunde zeigen, dass es keine temporäre Entfremdung und Abkehr vom demokratischen System ist, sondern mittlerweile jede(r) dritte AfD-Wähler(in) ein geschlossen rechtspopulistisches oder -extremes Weltbild hat und für knapp drei Viertel repräsentiert die AfD ihre Grundüberzeugungen.
Dabei zeichnet sie ein Bild einer ethnisch homogenen, reinrassigen Gesellschaft und eines autoritären und strafenden Staates; sie spricht von Remigration und Pushbacks an den Außengrenzen der EU. Die Muster der populistischen Politik sind vor allem Emotionalisierung, Personalisierung und Skandalisierung, es sind keine inhaltlichen Angebote und Lösungsvorstellungen zu den wirklich anstehenden Fragen und Problemen.
»Das strategische Interesse der AfD ist, dass sie durch demokratische Wahlen oder eine Tolerierung legitimiert wird.«
In der Auseinandersetzung der demokratischen Parteien mit der AfD gilt zunächst, sie weder zu verharmlosen noch in Panik zu verfallen oder sich gar begrifflich anzubiedern und über eine Zusammenarbeit nachzudenken beziehungsweise diese zu legitimieren. Die Diskussion um die »Brandmauer« zeigt den politisch-gesellschaftlichen Suchprozess und entscheidend wird sein, ob sie von allen demokratischen Parteien und auch der Zivilgesellschaft eingehalten wird. Das strategische Interesse der AfD ist, dass sie durch demokratische Wahlen formell oder eine Tolerierung legitimiert wird, kommunal-koalitionspolitisch, mit gewählten Bürgermeistern und Landräten an Bedeutung gewinnt und in einem ersten Landtag – mit Blick auf die östlichen Bundesländer – über eine Koalition mit der CDU machtpolitisch agieren kann und Einfluss auf Entscheidungen gewinnt.
Es ist eine Machtperspektive »von unten«, wie wir sie aus den letzten Jahren der Weimarer Republik – diese Parallele kann bei allen historischen Unterschieden gezogen werden – auch von der NSDAP kennen. Sie will eine andere Republik und das Halten der »Brandmauer« zwischen rechter Mitte und rechtem Rand ist vor allem abhängig von den inhaltlichen Entwicklungen der CDU, welches abgrenzbare Programm und Profil sie anzubieten hat.
Die AfD instrumentalisiert das Parlament als Bühne für die Verbreitung von Ressentiments und Propaganda. Die diskutierten Varianten und Erfahrungen der parlamentarischen Auseinandersetzung mit der AfD zeigen, dass es um eine Mischung von Ausgrenzung und Abgrenzung geht beziehungsweise gehen muss. Ausgrenzung von Feinden der Demokratie bedeutet, keine Zusammenarbeit und keine Zustimmung zu Anträgen, zumal für alle parlamentarischen Aktivitäten gilt, dass es immer eine Mehrheit ohne die AfD gibt. Gleichzeitig muss klug und überzeugend, souverän und selbstbewusst die inhaltliche Auseinandersetzung geführt werden – ohne über jedes »Stöckchen zu springen« und sich die Agenda vorschreiben zu lassen.
»Die AfD vor allem politisch und argumentativ bekämpfen heißt nicht, auf Verbotsüberlegungen zu verzichten.«
Dabei müssen die Logiken und die Folgen des Denkens und Argumentierens in die öffentliche Kommunikation hinein aufklärend dechiffriert werden. Die AfD vor allem politisch und argumentativ bekämpfen heißt nicht, auf Verbotsüberlegungen zu verzichten. Bei aller Liberalität und den hohen Hürden eines Verbotsverfahrens, wie sie das Grundgesetz in Verbindung mit dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz vorgibt, muss ihre verfassungsfeindliche Entwicklung und müssen ihre Positionen beobachtet und die Verbotsoption – bevor es zu spät ist – diskutiert beziehungsweise aufrechterhalten werden. Die »wehrhafte« Demokratie und der demokratische Rechtsstaat müssen sich als robust und durchsetzungsstark gegenüber Verfassungsfeinden zeigen.
Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen
Es sieht so aus, dass sich die Republik auf die AfD in Parlamenten und in der öffentlichen Auseinandersetzung auf eine stabile rechtspopulistische/-extreme Partei dauerhaft einstellen muss. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die politische Kultur und das Wahlverhalten verändert und hat sich mit der AfD eine Partei entwickelt, mit der sich die parteipolitische und parlamentarische Architektur der Nachkriegsgeschichte gewandelt hat und weiter wandelt. Das bedeutet für die demokratischen Parteien und die demokratische Zivilgesellschaft, dass sie sich neu und dauerhaft strategisch darauf einstellen und ausrichten müssen.
Die weitere Zukunft und Stärke der AfD wird von vielfältigen politisch-gesellschaftlichen Faktoren, Konstellationen und Rahmenbedingungen sowie von Stimmungen abhängen. Dann sind da noch zwei Binnenentwicklungen, die für ihre Zukunft bedeutsam sind. Das sind zunächst die inneren Dynamiken, ob sich die Partei noch weiter radikalisiert und Höcke nicht nur der heimliche Parteichef und Stichwortgeber bleibt, oder ob sie einen gewissen Spagat zwischen national-konservativ, rechtem Populismus und Extremismus erreichen und damit nach außen Geschlossenheit demonstrieren.
Und es bleibt abzuwarten, ob sie dauerhaft auf allen politischen Ebenen in der – mehr oder weniger kleinen/großen – parlamentarischen Opposition bleibt oder mit direkt gewählten Personen und in Koalitionen gestaltend agieren kann und sich – wie in Italien, Schweden, Finnland – taktisch und/oder erzwungen deradikalisiert.
Die Zukunft der Demokratie ist primär vom Selbstverständnis einer selbstbewussten und wehrhaften Demokratie abhängig, die verfassungspatriotisch – im Spannungsfeld von normativem Anspruch der Verfassung und der Verfassungswirklichkeit – auf ihre Geschichte mit ihren Errungenschaften – Menschenwürde, Rechtsstaat, Gleichheit, Freiheit, Liberalität, Zusammenhalt, Solidarität und Gerechtigkeit – blickt. Vor dem Hintergrund der Tradition des aufklärenden Denkens und verbunden mit Kritik und Selbstkritik geht es um konkurrierende demokratische Politiken, die transparent und überzeugend, ihre Problemlösungsangebote für den anstehenden – und folgenreichen – Transformationsprozess mit der Bevölkerung kommunizieren und diese erreichen. Hier muss Vertrauen in die und Zufriedenheit mit der Demokratie und den demokratischen Parteien zurückgewonnen werden.
»Das politische Angebot und positiv-emotionale Bild einer solidarischen, gerechten und ökologischen Gesellschaft muss mit zeitlich markierten Vorhaben verbunden werden.«
Neben einem gut begründeten handwerklichen Politikprozess des muddling through und demokratiebewusster Krisenbewältigung, der Risiken abwägt und auf das Machbare schaut, geht es zugleich um eine von den demokratischen Parteien und der Regierung ausgehenden Politik, die mit Vertrauen und Hoffnung, Mut und Leidenschaft verbunden sein muss. Das politische Angebot und positiv-emotionale Bild einer solidarischen, gerechten und ökologischen Gesellschaft müsste in einer Welt im Krisenmodus mit zeitlich markierten Vorhaben verbunden sein, die große Teile der Bevölkerung betreffen und überzeugen.
Zu denken ist in offenen und kontroversen Debatten beispielsweise an das zeitlich gerahmte Versprechen, wieder »dafür [zu] sorgen, dass alle Kinder einen Schulabschluss haben werden und lesen, schreiben und rechnen können«; oder »dass es keine Kinderarmut mehr gibt«.
Mit solchen positiven und einladenden Politikangeboten und positiver Kommunikation könnte – jenseits von resignativem Abwehrverhalten und erschöpfendem Dauerkrisenmodus – der AfD ihr Resonanzboden genommen beziehungsweise erheblich eingeschränkt werden.
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