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Die Angst vor einem Faschismus in den USA ist nicht neu »Heil Trump!«

»Heil unserem Volk! Sieg Heil!« Mit diesen Worten beendete der in den USA als Rechtsextremer bekannte Richard Spencer am 19. November 2016 eine Rede zum Wahlsieg Donald Trumps in der amerikanischen Hauptstadt Washington, D.C. Jubelnde Anhänger antworteten mit »Heil Trump!« Spencer zählt zur sogenannten »Alternativen Rechten« (Alt-Right), einer rechtsextremen Bewegung in den USA, die erfolgreich daran gearbeitet hat, einen der ihren im Weißen Haus zu platzieren: Der ultrarechte Publizist Stephen Bannon wurde unmittelbar nach der Wahl am 8. November von Donald Trump zu seinem Chefstrategen ernannt. Bannon hatte zudem in den vorangegangenen Monaten die Wahlkampagne des republikanischen Kandidaten geleitet. Davor war er Chefredakteur der Website Breitbart, die Bannon selbst einmal als Sprachrohr der Alt-Right-Bewegung bezeichnet hat.

Seither überschlagen sich amerikanische Leitmedien in Vergleichen von Trumps Erfolgsgeschichte mit dem Roman It Can’t Happen Here (Das ist bei uns nicht möglich) von Sinclair Lewis aus dem Jahr 1935.

Das liberale Wochenmagazin The New Yorker – eine Nachrichten-, Kultur- und Literaturzeitschrift, zu der es hierzulande kein vergleichbares Pendant gibt – titelte als erstes Blatt noch vor dem Wahltag: »Getting close to fascism with Sinclair Lewis’s ›It can’t happen here‹«. Warum bewegt dieser 70 Jahre alte Roman die amerikanischen Gemüter derart?

Sinclair Lewis schrieb das Buch unter dem Eindruck der Machtergreifung Adolf Hitlers, der ja wie Trump für die USA als sein Motto ausgab »Deutschland wieder groß zu machen«. So wie Trump heute angekündigt hat, er werde Verträge rückgängig machen, hatte auch Hitler etwa den Versailler Vertrag von 1919 revidiert, indem er z. B. die Wehrmacht wieder einführte. Zum Roman: Damals unterschied sich die wirtschaftliche und politische Lage in den USA nicht besonders von der im darniederliegenden Europa: In Harlem gab es soziale Rassenunruhen, im Mittelwesten vernichteten Sandstürme die Ernten, Millionen von Amerikanern wanderten auf der Suche nach Arbeit durch den ganzen Kontinent – Migranten im eigenen Land. Der damalige liberale Präsident Franklin D. Roosevelt legte deshalb ein Wirtschaftsprogramm auf, New Deal genannt, das aber für die meisten Amerikaner nichts brachte. Das Volk sehnte sich nach Sicherheit und den klassischen Werten der Gründerväter: Selbstverwirklichung, Streben nach Glück und dem Gefühl, Teil einer großen Idee bzw. Nation zu sein.

Lewis griff diese Stimmung im Volk auf und spielte durch, was passieren könnte, wenn ein Volkstribun an die Macht käme. Anhand des fiktiven Senators Berzelius »Buzz« Windrip von der Partei der Demokraten, die damals übrigens im Gegensatz zu heute für konservative Werte stand, beschreibt er den Aufstieg eines Populisten. Windrip schürt im fiktiven Wahlkampf gegen Franklin D. Roosevelt die Angst der »Abgehängten« und verspricht drastische wirtschaftliche und soziale Reformen, während er gleichzeitig »traditionelle« amerikanische Werte hervorhebt und sich als wahrer Patriot präsentiert. Im Roman gewinnt Windrip die Präsidentenwahl von 1935 und schafft es, die komplette Kontrolle über den Senat und das Abgeordnetenhaus zu gewinnen (die Parallele zur heutigen Mehrheit der Republikaner in beiden Häusern liegt auf der Hand!). Windrip regiert alsbald autoritär und schaltet oppositionelle Kräfte aus, indem er ihm treu ergebene paramilitärische Kräfte, die Minute Men, benannt nach den ersten amerikanischen Widerständlern gegen die britische Kolonialherrschaft im 18. Jahrhundert, einsetzt. Lewis beschreibt die Minute Men wie Hitlers SA. Die Geschichte geht indes irgendwann gut aus. Denn Windrip erweist sich als unfähig, seine Wahlversprechen einzulösen. Deshalb bildet sich sogar unter seinen einstigen Sympathisanten Widerstand. Windrip wird schließlich gestürzt und nach Frankreich ins Exil geschickt. Lewis’ Botschaft lautet: Die amerikanische Gesellschaft ist zwar nicht gegen Faschismus gefeit, aber stark genug, sich gegen autoritäre Herrschaft selbst zu wehren; ein Gesichtspunkt, den Amerikaner aller Couleur den Deutschen bis heute gerne entgegenhalten.

Die eiserne Ferse

Doch Sinclair Lewis’ Dystopie hatte bereits einen Vorläufer. Der hierzulande zu Unrecht nur als Abenteuerschriftsteller bekannte Jack London setzte sich bereits 1907 mit dem Roman The Iron Heel (Die eiserne Ferse) mit ähnlichen Gedankenspielen auseinander. London bezeichnete die Trusts und Finanzoligarchen der USA, die das Volk ausbeuten, als »eiserne Ferse«. Der Roman trägt Science-Fiction-artige Züge, seine Handlung zieht sich als »Klassenkampf« über 300 Jahre. Jack London, der zeitweilig Mitglied der Sozialistischen Partei Amerikas war, widmete sich nicht dem Aufstieg eines einzelnen Tyrannen, sondern sah in den US-Wirtschaftsfamilienclans wie den Rockefellers, Vanderbilts, Lyndhursts und Duponts eine »Tyrannei«, die nicht dem amerikanischen Traum entsprach und deshalb bekämpft werden müsse. George Orwell erklärte einmal, dass sein berühmter Roman 1984, in dem ein totalitärer Überwachungsstaat geschildert wird, unmittelbar von Londons Iron Heel beeinflusst worden sei. Orwell: »London hat eine sehr bemerkenswerte Vorausschau über den Aufstieg (einer Form) des Faschismus geschrieben«, womit er »ein größerer Prophet war als viele andere logische Denker und besser Informierte als er«.

Ohne Verrenkung ließen sich Parallelen zwischen dem Roman The Iron Heel und dem Immobilien-Tycoon Donald Trump herstellen, der nach eigenen Angaben über ein Vermögen von 10 Milliarden Dollar verfügt und damit der reichste US-Präsident aller Zeit ist. Die oligarchischen Züge der Macht werden alleine schon an Trumps Familie deutlich, etwa dem Einfluss seiner Tochter Ivanka Trump, die nun offiziell das väterliche Vermögen mitverwalten soll, selbst aber ein Vermögen im Schmuck- und Modegeschäft verdient, sowie deren Ehemann Jared Kushner, wie Trump ein Immobilienmogul, dessen Rolle in der Politik noch unklar ist.

Die USA sehen sich mit dem Trump-Familienclan tatsächlich zum ersten Mal vor der Gefahr, dass Jack Londons Prophezeiung von der Machtübernahme einer Wirtschaftsoligarchie Realität werden könnte.

Einen weiteren Autor jüngeren Datums beschäftigte die Idee einer faschistischen Machtübernahme in den USA: Philip Roth veröffentlichte in der Halbzeit der Regierung George W. Bushs, im Jahr 2004, das Buch Plot Against America (Verschwörung gegen Amerika). Mit offenkundiger Anleihe bei Sinclair Lewis lässt er ebenfalls einen Kandidaten gegen Franklin D. Roosevelt antreten. Dieses Mal bei der Wahl im Jahr 1940 und der Kandidat heißt Charles Lindbergh. Der erste Atlantikflieger war bekanntermaßen ein Antisemit und gewinnt in Roths Buch die Präsidentschaft, denn er ist populär, zählt nicht zum politischen Establishment und will Amerika aus einem Krieg mit Deutschland heraushalten. Nachdem er ins Weiße Haus eingezogen ist, hofiert der fiktive Lindbergh-Präsident Nazigrößen in Washington und beginnt gegen Juden vorzugehen. Es kommt zu Pogromen. Daraufhin organisiert der New Yorker Bürgermeister Fiorello LaGuardia (den es tatsächlich gegeben hat) Widerstand. Wie bei Lewis muss der Präsident schließlich fliehen. Lindberghs Wahl wird zudem als von den Nationalsozialisten finanziert bzw. herbeigeführt, enttarnt (klingt nach der mutmaßlichen Unterstützung Wladimir Putins für Trump heute). Bei der nun anstehenden Präsidentschaftswahl gewinnt wieder Franklin D. Roosevelt. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor treten die USA in den Krieg ein – und die tatsächliche Geschichte nimmt ihren Lauf. Roth erzählt mit seinem Roman nichts Neues, zeigt aber, wie sehr sich amerikanische Schriftsteller immer wieder mit der Möglichkeit einer faschistischen Regierung beschäftigen.

»In den USA ist ein Faschist an die Macht gekommen«, empörte sich Jakob Augstein unmittelbar nach der Wahl Trumps in einem Kommentar auf Spiegel Online. Der Amerikaner Robert Paxton, einer der führenden Experten zur Geschichte des Faschismus, würde sich Augsteins Aufgebrachtheit in dessen Pauschalität nicht anschließen. Paxton meint vielmehr, es sei zu verführerisch, den Begriff Faschismus wie ein Totschlagargument auf Trump anzuwenden. Dennoch sieht auch er auffallende Parallelen von Trump vor allem zu Benito Mussolini. Auf der Web-Plattform Slate analysierte Paxton bereits im Februar 2016, was genau Trump in dessen Nähe rückt:

»Als erstes sind es natürlich seine Themen, die er in den Vordergrund rückt. Er verwendet Klischees über ethnische Minderheiten und schürt Angst vor Ausländern und will Amerika wieder ›groß‹ machen; das sind alles Elemente, als stammten sie direkt aus dem Handbuch für Faschismus.« Zudem behauptet er, das Land sei im Niedergang begriffen, was ebenfalls einer Anleihe bei den europäischen Faschisten des 20. Jahrhunderts gleichkomme, denn die USA befänden sich weder in einem wirtschaftlichen noch in einem anders gearteten Niedergang. Doch Trump habe dies so oft betont, dass ihm viele glaubten. »Genau so funktioniert Faschismus«, sagt Paxton.

»Aber es gibt noch eine zweite Ebene. Sein Stil und seine Art des Auftritts. Er sieht sogar aus wie Mussolini, wenn er (bei seinen Reden) sein Kinn so vorstreckt, und auch sein Gepoltere, seine Fähigkeit die Stimmung der Massen aufzunehmen.« Eine andere Szene erinnert Paxton an Hitler: Trump kam auf seiner Wahlkampftour irgendwo im amerikanischen Westen an. Seine Zuhörer waren schon in einem Flugzeughangar versammelt, als er für alle sichtbar eingeflogen kam, in ein Auto stieg und die wenigen Meter zum Hangar gefahren wurde. »Genau so ist Hitler 1932 vor seinem ersten Wahlsieg aufgetreten. Denn niemals zuvor hatte man einen Kandidaten gesehen, wie er mit dem Flugzeug ankommt. Eine Geste von machtvoller Entschlossenheit, Autorität und Moderne.« Hinzu käme Trumps Fähigkeit, die Arbeiterklasse für sich und gegen die Linke zu begeistern: »Genau das haben Hitler und Mussolini geschafft.«

Lehren für Deutschland

Eine Betrachtung der politischen Lage in den USA macht nur Sinn, wenn man hierzulande Lehren daraus zieht. Gefragt werden muss: Wo finden wir heute hierzulande Schriftsteller wie Sinclair Lewis? Wo einen neuen Heinrich Böll oder Günter Grass, die sich stets an der politischen Meinungsbildung beteiligt haben? Wo einen Künstler vom Format Joseph Beuys’, der sich für DIE GRÜNEN engagierte? Wo einen Musiker wie Kurt Masur, der 1989 zur friedlichen Revolution in der DDR beitrug?

Ein Buch wie das von Sinclair Lewis gibt es heute in Deutschland zwar nicht, aber der Erfolgsroman Er ist wieder da von Timur Vermes erzählt satirisch davon, wie Adolf Hitler im Jahr 2011 mitten in Berlin auf einer grünen Wiese wieder zum Leben erwacht und seinen Marsch durch die Institutionen antritt. Bei diesem Roman, mehr noch bei der Verfilmung, bleibt einem das Lachen im Halse stecken, denn anhand konkreter Beispiele aus dem Alltag wird einem vor Augen geführt: Es wäre durchaus möglich – it can happen here!

Für Frankreich hat Michel Houellebecq mit seiner Dystopie Unterwerfung im Jahr 2015 den Versuch unternommen, in Lewis’scher Weise einmal konkret durchzuspielen, wie der Aufstieg des rechten Front National (FN) unter Marine Le Pen zu verhindern wäre, wenn ein charismatischer muslimischer Politiker eine Gegenkraft bildete und zum französischen Staatspräsidenten gewählt würde.

Aber solche literarischen Beispiele genügen nicht, um rechtspopulistischen Gesinnungen Paroli zu bieten. Wer Arbeiter, Bauern und Bürger gewinnen will, muss konkret »etwas« bieten, zuvorderst ist das Arbeit und das Gefühl von Sicherheit zu Hause statt Gewinne in Übersee. Die Lehre aus dem Wahlerfolg Trumps lässt sich möglicherweise auf einen Satz reduzieren: Die Globalisierung ist an ihre Grenzen gestoßen; es bedarf in der deutschen Politik eines deutlichen Schwenks hin zu mehr at home und weniger abroad.

 

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