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Smartphone und Normalarbeitsverhältnis passen nicht zusammen Heilig und verdammt

Das Handy ist eine Institution. Eine Institution gibt dem Einzelnen Halt, hat Bindekraft im sozialen Zusammenhang und besitzt Sakralcharakter. Sie entwickelt ein Eigenleben gegenüber den Menschen. Das ihr gemäße routinierte Handeln eröffnet neue Handlungsfreiräume. Ihr kommt dabei ein Doppelcharakter zu. Eine Institution entlastet einerseits und verlangt zugleich konformes Verhalten. Der in der alten Bundesrepublik einmal sehr angesagte Philosoph Arnold Gehlen hätte am Beispiel des Handys seine Theorie der Institution sehr gut verdeutlichen können.

Das Mobiltelefon, vor gut einem Jahrzehnt zum Smartphone weiterentwickelt, ist ein Alleskönner. Es navigiert durch den Verkehr, macht Fotos und Videos, liefert Schlagzeilen, Börsenkurse und Musik, dient als Notizblock, Universallexikon und Adressbuch, als Wecker, Pulsmesser, Taschenlampe und Flugticket. Man kann mit ihm auch telefonieren; das gibt es noch obendrein. Dass es die Mängelausstattung des Menschen wie eine Art prothetischer Organersatz ausgleicht, ein weiteres Motiv von Gehlen, ist offenkundig. Was es kann, ist fast jederzeit und überall zu haben. Sein Potenzial liegt in der Zeitersparnis. Umständliche Botengänge, Schaltergeschäfte, Preisvergleiche, Einkaufstouren, Bibliotheksrecherchen, Reservierungen und die Suche nach einem Restaurant – alles geht mit ihm schneller. Wenn das ganze Leben ein Warten ist, wie es manchmal resigniert heißt, verkürzt der Minicomputer das Warten, womit mehr Leben übrig bleibt.

Es kann den Zeitdruck mindern, den schon die Menschen im antiken Griechenland als Kennzeichen der Lebensnot ausgemacht hatten. Aber dieser Effekt ist nur ein beiläufiger, sein eigentlicher ist ein entgegengesetzter: Das Handy intensiviert die Arbeitszeit und verlängert sie in die Freizeit und den Urlaub hinein. Schon die Anfahrt ins Büro wird vom Handybenutzer zur Erledigung von Aufträgen genutzt, für dienstliche Telefonate oder dienstliche Mails. Fährt er dann heim in den einmal euphemistisch Feierabend genannten Rest des Tages, wird das in der Bürohektik Unerledigte nachgeholt. Die aufgelaufenen Mails sind dabei der Felsbrocken des modernen Sisyphos. Wo der mythologische Sisyphos den Stein immer wieder vergeblich hochrollt, bekommt sein heutiges Büropendant immer wieder neue Mail-Aufträge zugeschickt.

Den »Kampf um den Normalarbeitstag«, den Karl Marx im Kapital beschreibt, haben die Angestellten längst verloren. Das »nibbling and cribbling at mealtime«, wie Marx die Praxis der Fabrikherren nennt, sich die ihnen vertraglich nicht gehörende freie Zeit anzueignen, findet heute zu jeder Zeit statt. Das Anknabbern der Freizeit funktioniert mit dem Handy besonders gut. Auch seine Maschinerie besitzt Doppelcharakter. An der genannten Stelle im Kapital heißt es auch: »Der Arbeitstag ist (…) über eine gewisse Grenze hinaus nicht verlängerbar«. Mit dem Handy und den mobilen PCs ist auch dies überholt.

Multitasking, die Fähigkeit, vieles gleichzeitig zu tun, ist durch das Handy noch einmal intensiviert worden. Man kann gleichzeitig tippen, telefonieren, Infos vom Bildschirm abrufen. Selbst auf dem stillen Örtchen ist es mitunter nicht mehr still. Auch hier ist man vor dem Anruf des Chefs nicht mehr sicher. Inspector Gadget hieß eine US-amerikanische Zeichentrickfigur aus den 80er Jahren. Heute sind wir alle zum Inspector Gadget mutiert. Und die kleine, technische Spielerei der Anfangszeit hat sich zur Sache selbst gemausert.

Es frisst die für die Regeneration der Arbeitskraft notwendige Reproduktionszeit. In den Unternehmen mehren sich die Fälle von Burnout. Die Sache läuft aus dem Ruder. Manch ein Unternehmen schaltet nach Arbeitsende den Server ab; das Weiterarbeiten am Abend ist dem Gesamtergebnis abträglich geworden. Das den Angestellten in die Hand gedrückte Firmenhandy hat sich als ein Danaergeschenk erwiesen. Anfangs als Gratifikation gedacht, wie die Kiste Wein zum 25-jährigen Betriebsjubiläum, wurde bald klar, dass es die Reisezeit, den Kundendienst, Ein- und Verkauf der Waren usw. effektiver gestalten sollte, wie auch sein Pendant, der Laptop. Anfänglich besaß ein Firmenhandy nur der Abteilungsleiter. Heute erkennt man den wirklichen Chef eben daran, dass kein Handy vor ihm liegt. Dieses muss sich nämlich den Vergleich mit der elektronischen Fußfessel gefallen lassen.

Steter Streitpunkt in den Unternehmen ist die Frage: Darf der Angestellte das Handy auch privat benutzen? War der Anruf zuhause mit der Mitteilung, man komme von der Dienstreise erst später zurück, nun privat oder dienstlich? Wenn es der Vorgesetzte mal wieder für angebracht hält, die Zügel wieder straffer anzuziehen, wird schnell klar: Man ist mit dem Handy und anderen elektronischen Geräten mit einer ewigen Erbschuld belastet, dem unzulässigen Gebrauch.

Die kleine Betrügerei – mal bei Google während der Arbeitszeit Sportnachrichten gelesen, mal die abendliche Verabredung festgemacht – Peanuts im Vergleich mit der durch das Smartphone gesteigerten Produktivität. Und diese Betrügereien sind andererseits durchaus funktional. Lässt sich dem Angestellten doch immer ein Regelverstoß nachweisen, falls er sich einmal als aufmüpfig erweisen sollte.

Den jüngeren Alterskohorten sind die Zwänge des Berufslebens noch fremd. Das strahlt auf ihren Handykonsum ab. Das Smartphone hat seine Unschuld noch nicht verloren, ist noch mehr Spielzeug als Arbeitsgerät. Aber das Spielzeug verweist schon auf die Berufssphäre. Die Heranwachsenden lernen mit ihm, nicht abzuschalten und dies konditioniert sie für die künftige Arbeitswelt. Das Gerät bringt ihnen bei, auf Signale sofort zu reagieren. Könnte es doch etwas Wichtiges sein, die erhoffte Zustimmung zum Date beispielsweise. Später wird das Wichtige der Anruf oder die Mail des Vorgesetzten sein. 200 Mal am Tag, so der empirische Befund, schauen Kinder auf ihr Handy. Vermutlich haben die Hersteller selbst solche Studien in Auftrag gegeben, die nun von Selbsthilfegruppen zitiert werden.

Die Jungen nehmen mit dem Handy Abschied von der antiquierten Unterscheidung zwischen einer öffentlichen und einer Privatsphäre. Die Schule als Vorform der Öffentlichkeit kommuniziert mit ihnen elektronisch. Die Differenz zur Nachricht aus der privaten WhatsApp-Gruppe ist eingezogen. Auf dem gleichen Gerät, mit dem man sich mit den Freunden zum Kinobesuch verabredet, schickt der erkrankte Lehrer die nicht mehr ersparten Hausaufgaben. Später wird ein Geschäftsführer den Schichtplan der nächsten Woche übermitteln. Zum Einkaufen verlassen die jungen Konsumenten die eigenen vier Wände kaum mehr; der Internethandel floriert. Was verführerisch Cookies heißt, dient der allgegenwärtigen Reklame. Die Jungen lernen, sie als so selbstverständlich zu akzeptieren wie die sie umgebende Luft. Das Handy übt schon in frühen Jahren in die für das Bruttosozialprodukt so ersprießliche Abfolge von Arbeiten und Konsumieren ein.

Die soziale Bindekraft des Handys ist evident. Eine soziale Gruppenbildung funktioniert kaum noch ohne! Die jugendliche digitale Peergroup, später das vernetzte Arbeitsteam dulden keine Außenseiter.

Eine Institution gibt dem Einzelnen Halt; er braucht Bindung, Gehlens Lieblingsbegriff. Fehlt die Bindung an die soziale Gruppe, muss sich das Individuum in der Öffentlichkeit der U-Bahn oder des Cafés alleine aufhalten, gibt sein Handy Halt. Seit es zur Hand ist, ist der öffentlich Einsame, der mit seinem Alleinsein nichts anzufangen weiß und sich dessen geniert, verschwunden. Er telefoniert oder hantiert mit seinem Taschencomputer und sein Horror ist verschwunden. Das Handy lindert so Einsamkeit, aber unterminiert auch Zweisamkeit. Symptomatisch: das junge Pärchen am Caféhaustisch, dem jeweiligen Handy stärker zugewandt als einander.

Das Handy gehört zu den Fetischen unserer Zeit. Es hilft mit, den Gedanken an Befreiung nicht mehr zu denken und es verspielt gleichzeitig sein Potenzial, zu einer Beendigung der Lebensnot beizutragen. Lebensnot, Befreiung? Ja, es ist noch alles da! Etwa der über die Erde ungleich verteilte Reichtum, den die Verdammten dieser Erde direkt spüren. Das Kommunikationsmittel Handy informiert sie über die Ungerechtigkeiten und setzt sie in Bewegung.

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