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Nach den Wahlen in Bayern und Hessen Herbst des Überdrusses

Ist das alles noch logisch? Ja, gerade das. Die Republik sucht nach einem Umbruch, dessen genaue Richtung noch nicht feststeht. Die Wahlausgänge in Bayern und Hessen, die nimmer endende Dominanz negativer Chaosthemen wie die Dieselaffäre, der Kanzlerinnenabschied und die vielen offenen Fragen, wie das Parteiensystem der Zukunft aussehen wird: All das sind Mosaiksteine, ein Bild daraus ergibt sich noch nicht. Aber es zeichnen sich neue Konstellationen ab, neue Gefahren, zugleich neue Hoffnungen. Ein zentraler Begriff, um diesen emotionalen Herbst zu verstehen, lautet: Überdruss. Für Wahlergebnisse ist es ziemlich unerheblich geworden, welche konkreten Regierungsprojekte durchgesetzt wurden und welche nicht, was in Wahlprogrammen steht und was nicht. Überdruss bedeutet: Ein Gefühl macht sich breit und überdeckt alles andere. Es ist das Gefühl, dass die Regierungen (vor allem die nationale) mit sich selbst nicht mehr im Reinen sind und dass sie die Dinge nicht im Griff haben. Dass sie getrieben werden, durch die Verhältnisse genauso wie durch Parteiinteressen und durch Selbstzweifel. Dass sie – wie es etwa der grüne Wahlsieger in Hessen Tarek Al-Wazir sagte – »um sich selbst kreisen«. Das bezieht sich ganz besonders auf schwarz-rote Koalitionen und die sie tragenden Parteien. Das Wahlverhalten, das aus dem Überdruss folgt, ist rundum postmateriell. Gefühle und Wertefragen geben den Ausschlag, nicht harte Interessen. Unterschiedlich bei Älteren und Jüngeren, neuerdings auch bei Männern und Frauen, allemal bei Städtern und Landbewohnern. AfD und Grüne sind die Projektionsflächen dafür, ohne viel eigenes Zutun und insofern auch zunächst nur für den langen Moment. So etwas wie »linke« oder »rechte« Mehrheiten mit belastbaren Durchsetzungszielen? Weit entfernt.

Kanzlerin Angela Merkel hat, bezogen auf ihre Koalition, den Begriff der »Arbeitskultur« verwendet. Dieser greift aber viel zu kurz. Dass Schwarz-Rot keine verträgliche Arbeitskultur entwickelt, liegt ja gerade daran, dass die Partner mit sich selbst nicht im Reinen sind. Dass sie gegenüber allem, was die Koalition am Ende durchsetzt (die Projekte sind klein genug), sofort auf Abstand gehen. Und parteiintern – besonders massiv und chronisch in der SPD – die Gefühlslage dominiert, dass dieser Abstand dringend nötig sei. Was, solange der eigene Markenkern unklar bleibt, aber den Überdruss weiter verstärkt.

Das kann man auch als Lose-lose-Situation beschreiben, nachdem nun auch in der Union jene Selbstzweifel aufbrechen, wie sie in der SPD seit Jahren mit so viel Selbstmitleid zelebriert werden. Was die Schlechte-Laune-Koalition in diesen Tagen noch zusammenbleiben lässt, ist einzig die Ratlosigkeit auf allen Seiten darüber, wie eine attraktive Exitstrategie entwickelt werden könnte, die bei Neuwahlen einigermaßen Erfolg verspricht. Wer zuerst einen solchen Ausgang entdeckt, wird ihn nehmen. In der CDU wohl dann schon zur Schadensbegrenzung zwischen neu geführter Partei und Kanzleramt. Während in der CSU nach Horst Seehofer dem Wahlverlierer Markus Söder unverdient alle Macht zufällt, ist der künftige Überdruss schon wieder angelegt.

Inhaltlich hat Schwarz-Rot so viel emotionales Siechtum nicht verdient. Zumal bislang in näherer Zukunft von keiner anderen Koalition Großes zu erwarten wäre – angesichts der Vielfarbigkeit der Bündnisse in den Ländern und der entsprechenden Blockade gegen jegliches klare Politikprofil im Bundesrat. Wegen der Rechtsverschiebung des öffentlichen Diskurses mag das in gewisser Weise sogar beruhigen. Neues Vertrauen entsteht so allerdings nicht.

In der Regierung nichts Neues

CDU und CSU leben nun erst einmal mit der Selbsttäuschung, dass alleine die Aussicht auf eine Zeit ohne Angela Merkel und Horst Seehofer schon Befreiung von der Verquastheit und dem Duckmäusertum der vergangenen Jahre bringt. Dass alleine die Absicht, das (rechts-)konservative Profil wieder vorzuzeigen, die Wählerflucht stoppt. Dies indes ist zunächst nur ein Binnengefühl, ähnlich dem bei der SPD, das durch die Forderungen nach mehr linkem Profil gespeist wird. Ein Gefühl, das Verhältnisse unterstellt, die es nicht mehr gibt. Nämlich dass die alten großen Parteien vom Kern der Wählerschaft für unersetzbar gehalten werden. Was die Union bald erleben wird: Mit jeder Forderung nach einem Ende der Merkelschen »Sozialdemokratisierung« werden in Wahrheit reale politische Zielkonflikte aufgerufen. Es entsteht das, was die SPD seit dem Schisma mit der Agenda 2010 kennt: ständige offene und latente Konflikte, die entweder spalten oder aus Angst vor neuen Zerwürfnissen mit Kompromissformeln im Funktionärssprech überdeckt werden. Beides schafft nach außen Distanz, wenn nicht sogar Unnahbarkeit. Aber auch die SPD macht sich viel vor, wenn sie meint, programmatische Uneindeutigkeiten seien die Ursache aller Probleme und das könne mit gutem Willen schnell überwunden werden. Wenn sie programmatisch deutlicher auf einen linken Kurs schwenken würde, entstünde daraus in postmateriellen Zeiten mit geringer Arbeitslosigkeit und gutem Wirtschaftswachstum noch nicht automatisch neue Anziehungskraft in den Milieus, die gerade zu den Grünen wechseln. Und erst recht noch kein Ende der geradezu antrainierten Grabesstimmung, die sich bis in die Auftritte der Parteispitze hineinzieht.

Im Zentrum der Gesellschaft wird die Union nach Merkel und Seehofer durchaus politische Räume öffnen. Um dort attraktiv zu werden, müssen aber Inhalte und Ausstrahlung zusammenpassen. Das spricht überhaupt nicht gegen ein linkes Profil an sich, im Gegenteil. Mehr Konsequenz gegen die Spaltung in der Gesellschaft, gegen die sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich und gegen Ausgrenzung (Arbeitstitel: Hartz IV überwinden) kann sogar sehr attraktiv werden – aber das Problem der SPD ist gerade nicht, dass die Themen nicht erkannt würden. Was fehlt ist, dass daraus eine attraktive Marke im umfassenden Sinn entsteht: dass sich Selbstvertrauen mit Offenheit verbindet, dass die Partei nach außen schaut statt nach innen und die Spitzenpersonen Nähe und Zugewandtheit ausstrahlen. Dass sich die SPD um sich selbst dreht und sich innen voller Misstrauen die Flügel und Lager belauern, mochte in Zeiten von 40-%-Ergebnissen noch erklärbar sein: als Wettlauf um real vorhandenen Einfluss. Nicht zuletzt das politische Geschäftsmodell der Jungsozialisten basiert seit einem halben Jahrhundert darauf, sich als Kampftruppe nach innen zu verstehen und auf diese Weise den eigenen Weg nach oben vorzubereiten. In 15-%-Zeiten ist das als Parteikultur aber eher peinlich bis abstoßend – weil es die Wirklichkeit ignoriert. Wenn sich eine in der Zustimmung halbierte Partei so offenkundig selbst nicht vertraut; wenn sie nicht hinter dem steht, was ihre Repräsentant/innen tun; wenn sie stets eigentlich etwas anderes will, für das sie aber so schnell kaum Partner und schon gar keine Mehrheit finden wird; wenn sie sich am liebsten nach innen flüchtet, und sei es mit der richtigen Parole »Erneuerung«: Dann passiert, was immer passiert, wenn sich jemand selbst schwach redet. Die Leute suchen sich Alternativen.

Die Grünen spekulieren weiter darauf, die Profiteure zu sein und sich als gefällige, wertegebundene »neue Mitte« festzusetzen. In Bayern war mit Händen zu greifen, wie gerne sie als kleine Partner der CSU in die Landesregierung gegangen wären; der weithin mit ihnen sympathisierende politische Journalismus hat geradezu versucht, das herbei zu berichten. In Hessen hatten sie keinen großen Antrieb, andere Mehrheitsoptionen als Schwarz-Grün umzusetzen. Dass diese Passivität in der grünen Klientel lautlos hingenommen wurde, lässt tief blicken. Die Grünen sind zufrieden und ausgelastet mit dem, was sie haben und was sie sind. Vorwärtstreibend ist das nicht. Aber gefällig, immerhin. Denn wertegebundener Realismus als Alternative zur rechtspopulistischen Polarisierung wird nirgendwo sonst attraktiv verkörpert, vermutet wird er am ehesten bei den Grünen. Vor allem das erklärt, warum Menschen ihnen ihre Stimmen geben

Die Dieselaffäre als Genickbruch?

Wenn aus dem Überdruss gegenüber Regierungen kein Überdruss mit der Demokratie werden soll, gibt es eine Kernfrage für die Zukunft: Wie kann wieder Anschlussfähigkeit entstehen an das, was Parteien, Parlamente und Regierungen real tun? Anschlussfähigkeit nicht verstanden im Sinne von Gefolgschaft, sondern im Sinne von Ernstnehmen und Einmischen. Aber eben auch im Sinne von Wertschätzen. Das erfordert dann insbesondere, dass es nicht ständig Beispiele dafür geben darf, dass Politik im Rahmen der Regelsysteme, die sie selbst geschaffen hat, nur ihre eigene Machtlosigkeit vorführt. Kaum etwas war in diesem Herbst des Verdrusses gefühlstötender als der Verlauf der Diesel-Debatte – mit der gleichzeitigen Strafverfolgung betrügerischer Automanager, großkoalitionärem Dieselkompromiss zum Hauptzweck der Vermeidung von Fahrverboten und ständigen Gerichtsurteilen, stets kurz vor Wahltagen, die zu absurden Fahrverboten auf Ministraßenabschnitten verpflichten. Für alle, die im Kontrollverlust einen Grund für den Ansehensverlust der vielfältigen Demokratie sehen, wurde dieser mit Penetranz und schierer Ausweglosigkeit vorgeführt.

Hier geht es längst um viel mehr als um das Schicksal dieser oder jener Partei, um Gewinner oder Verlierer der Diffusion. Es geht um Attraktivität der parlamentarischen Demokratie in einer digitalen Zeit, in der die Manipulationsmöglichkeiten massiv gewachsen sind – und genutzt werden, wie viele Studien zeigen. Der meinungsbildende Diskurs ist in Teilen schon jetzt kein allgemein-öffentlicher mehr, schon gar nicht einer mit seriöser journalistischer Begleitung. Das Wecken und das Bedienen von Gefühlen und die verdeckte Beeinflussung werden im Netz zum düsteren professionellen Handwerk. Was da Grund zu neuen Hoffnungen gibt? Es ist die Stärke, oft geradezu die Wucht der Emotionen und Erwartungen, die in der Gesellschaft noch stecken. So alarmierend es ist, dass daraus – vor allem in abgehängten Milieus und Regionen – bislang oft die rechten Populisten Profit schlagen: Nach dem Überdruss kommt manchmal zwar sinnlose Wut, aber irgendwann doch auch der Impuls, selbst wieder auf Neues zu hoffen. Gerade wenn das parteipolitische Spiel, wie nach der Unionsdominanz der Merkel-Jahre, wieder völlig offen ist. Diese reiche, mehrheitlich mit sich sogar zufriedene Gesellschaft ist noch lange nicht abgedriftet. Sie ist eher auf der Suche. Ihre Wertesysteme fransen aus, aber im Kern sind sie stabiler als es manchmal scheint. Dass nicht nur (in Bayern) auf der demokratischen Rechten am Ende alles beim Alten blieb, weil CSU und Freie Wähler keine besonders andere Politik machen als die CSU alleine, sondern dass auch die massive Wählerwanderung von der selbstwertschwachen SPD zu den selbstgefälligen Grünen ja nicht gerade für generellen Werteverlust steht: All das sind letztlich Zeichen der Stabilität in all den Turbulenzen.

Wer in Zukunft reale soziale und weltoffene Politik anbietet, die in Gefühl und Inhalt Zuversicht ausstrahlt, wird alle Chancen haben.

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