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© picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE

Reaktionen von Israels islamischen Nachbarn Heterogenes Bild

In dem Krieg zwischen Israel und der Hamas gerät oftmals aus dem Blickfeld, wie sich die einzelnen – muslimisch geprägten – Anrainerstaaten positionieren. Die Unterschiede sind zum Teil gravierend.Der kleine Golfstaat Katar hat sich nach dem brutalen Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 als Schlüsselstaat für die Verhandlungen über die Freilassung von israelischen Geiseln herauskristallisiert. Möglicherweise auch für eine zukunftsweisende Lösung des Gesamtkonflikts. Das Emirat verfügt offenbar über die besten Verbindungen zur radikalen Palästinenserorganisation Hamas, genießt aber auch das Vertrauen Israels. Genau die damit verbundene weltweite Aufmerksamkeit hat Katar seit Jahren mit seinem schwergewichtigen finanziellen und politischen Engagement in der arabischen Region (etwa in Libyen) angestrebt. Katar ist Generalschlüssel für die Zukunft Israels und der Palästinenser. Insofern ist der kleine Golfstaat der mediale und politische Nutznießer der schwersten Krise zwischen Palästinensern und Israel seit 1948.

Golf-Kooperationsrat uneins

Das eigentliche Schwergewicht der Region, Saudi-Arabien, tritt hingegen wesentlich zurückhaltender in Erscheinung. Dies liegt auch an seinen mit ihm im Golf-Kooperationsrat zusammengeschlossenen Nachbarn: Vereinigte Arabische Emirate (VAE), Katar, Oman, Kuwait und Bahrain. Diese sechs Staaten sind über den jüngsten Gaza-Krieg gespalten, ebenso wie über viele weitere Themen.

Die VAE, die im sogenannten Abraham-Friedensabkommen von 2020 die Beziehungen zu Israel normalisiert hatten, schlossen sich in erster Reaktion Israel an: Sie verurteilten die Hamas wegen der Tötung und Entführung israelischer Zivilisten und nannten die Angriffe eine »ernste und schwerwiegende Eskalation«.

»Bis auf Katar bleiben die arabischen Golfstaaten weitgehend Zuschauer des neuen Nahost­dramas.«

Im Gegensatz dazu unterstützt Katar seit Langem die radikale Hamas, die ein Büro in der Hauptstadt unterhält und deren Führer in protzigen Hotelsuiten wohnen. Im politischen Zentrum der Golfgruppe wandelt Saudi-Arabien auf einer schwierigen Linie zwischen allen arabischen Lagern. Riad ist angesichts der öffentlichen Empörung in der arabischen Welt über Israels militärischen Gegenschlag in Gaza über die Folgen des Krieges für das eigene Land besorgt. Die saudische Bevölkerung ging zwar nicht für die Palästinenser auf die Straße – ob aus Desinteresse oder aus Angst vor staatlichen Repressalien, bleibt aber unklar. Bis auf Katar bleiben die arabischen Golfstaaten weitgehend Zuschauer des neuen Nahostdramas. Medien der Region – darunter Al-Jazeera – ist zu entnehmen, dass die Golfstaaten jedoch »zutiefst besorgt über die Möglichkeit einer regionalen Destabilisierung« seien. Diese könnte die monarchischen Staatsgebilde in ihrer Existenz bedrohen.

Sorge in Ägypten vor einem Nachwuchs für Dschihadisten

In Ägypten kamen unmittelbar nach dem Hamas-Anschlag Ängste auf vor einer Massenvertreibung der Palästinenser über den Grenzort Rafah auf die Sinai-Halbinsel. Gerade auf dem Nord-Sinai führt die Regierung seit Februar 2018 eine großangelegte Militäroperation gegen brutale islamistische Extremisten. Zwar konnten deren Überfälle in den letzten Monaten eingedämmt werden. Sollte jedoch eine beträchtliche Anzahl von Palästinensern aus Gaza dauerhaft auf die Halbinsel gelangen, könnten die Sinai-Terroristen dadurch verstärkt werden, so die Sorge in Kairo. Denn es wäre nicht möglich, militante Palästinenser von der Masse der neuen zivilen Flüchtlinge zu unterscheiden.

Ein Großteil der ägyptischen Bevölkerung (koptische Christen und Beduinen) im nördlichen Sinai ist aufgrund der islamistischen Exzesse seit Jahren vertrieben. Ein Zustrom von Palästinensern könnte die Bevölkerungsstruktur nachhaltig verändern. Sollten Palästinenser in großer Zahl eintreffen, würde dies für ganz Ägypten erhebliche Aufnahmeprobleme mit sich bringen und möglicherweise Teile des Landes destabilisieren. So zumindest die sorgenvollen Äußerungen in zahlreichen – allerdings ausnahmslos staatlich gelenkten – ägyptischen Medien. Fest steht: Obwohl Ägypten neben Israel der einzige Nachbar zum Palästinensergebiet ist, strebt das Nil-Land an, so wenig wie möglich in den Gaza-Konflikt hineingezogen zu werden.

Jordaniens Angst vor Flüchtlingen

Der Angriff Israels auf Gaza nach dem Hamas-Angriff hat die Jordanier deutlich empört. Es kam zu zahlreichen Großdemonstrationen in urbanen Zentren. Das Ausmaß der unmittelbaren Demonstrationen vor den Botschaften der USA und Israels in Amman war bis Oktober 2023 beispiellos.

Jordanische Kommentatoren, insbesondere mit palästinensischer Herkunft, argumentierten aufgebracht, dass westliche Länder Israel einen Blankoscheck in Gaza ausgestellt hätten, während das palästinensische Volk in israelischen und westlichen Medien routinemäßig entmenschlicht werde. Königin Rania, die palästinensischer Abstammung ist, verurteilte den Westen am 24. Oktober 2023 in einem Interview mit CNN wegen angeblicher »eklatanter Doppelmoral«.

Dass sie diese Botschaft über einen solch prominenten Sender übermittelte, wird von Nahostexperten als Sorge gewertet, die jordanische Bevölkerung, die seit 1967 zur Hälfte aus palästinensischen Flüchtlingen besteht, könnte überreagieren. Jordanien ist das einzige arabische Land, das palästinensischen Flüchtlingen die Staatsbürgerschaft ausstellt.

»Die Zwangsvertreibung weiterer Palästinenser aus dem Westjordanland ist ein Schreckgespenst in Jordanien.«

Die Vorstellung, dass Israel möglicherweise Palästinenser aus Gaza und aus dem Westjordanland vertreiben möchte, prägt auch das Denken der politischen Elite Jordaniens. Geschürt werden solche Ängste durch Äußerungen wie die des Knesset-Abgeordneten Ariel Kallner, der eine »zweite Nakba« forderte. Im Arabischen wird das Wort Nakba (Katastrophe) für die Vertreibung von 750.000 Palästinensern im Jahr 1948 aus ihren angestammten Gebieten benutzt. Auch wenn dies kurzfristig kein wahrscheinliches Szenario ist, ist die Zwangsvertreibung weiterer Palästinenser aus dem Westjordanland ein Schreckgespenst in Jordanien. Denn, würde Jordanien de facto zum palästinensischen Staat, würde die bisherige politische Ordnung zusammenbrechen, mit nicht absehbaren Folgen.

Drohgebärden der Hisbollah, mehr nicht

Angesichts der seitens des Iran aufgebauten schiitischen Hisbollah, die sowohl als Miliz als auch als politische Partei organisiert ist, könnte der Libanon am ehesten in einen neuen Nahost-Krieg hineingezogen werden. Als Partei versteht sich die Hisbollah gemeinsam mit der Hamas als Teil der »Achse des Widerstands«. Dies ist ein Bündnis staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, die sich gegen Israel und die USA verschworen haben und vom Iran finanziert und ausgebildet werden, darunter die Huthi-Rebellen im Jemen.

»Unklar bleibt, ob die Hisbollah vom Iran nur kurzfristig zur Zurückhaltung aufgefordert worden ist.«

Jedoch hat sich der »Hintermann« Iran umgehend nach dem 7. Oktober 2023 gegen die im Westen geäußerte Vermutung – unabhängig vom Wahrheitsgehalt – gewehrt, Drahtzieher des Hamas-Überfalls zu sein. Abgesehen von einer Reihe von Beschüssen Nord-Israels durch die Hisbollah blieb es – gemessen am Ausmaß der Reaktion Israels auf die Hamas-Greuel – relativ ruhig im Libanon. Dennoch bleibt unklar, ob die Hisbollah vom Iran nur kurzfristig zur Zurückhaltung aufgefordert worden ist, oder in naher Zukunft doch noch zum Handeln gegen Israel gezwungen wird. Andere politische Kräfte im Libanon sind im derzeitigen Konflikt nicht relevant.

Huthi-Rebellen im Jemen

Ein weiteres Mitglied der vom Iran geführten »Achse des Widerstands« ist die seit 2014 nach ihrem Anführer Abdul Malik Al-Huthi genannte Huthi-Rebellenbewegung; selbst nennt sie sich »Ansar Allah« (Anhänger Allahs). Das Wiederaufflammen des israelisch-palästinensischen Konflikts hat den Huthi die Gelegenheit geboten, drei wesentliche Punkte ihrer politischen Agenda der Weltgemeinschaft wieder deutlich vor Augen zu führen: ihr Engagement für die »palästinensische Sache«, ihre Verbundenheit mit der iranischen »Achse des Widerstands« sowie den vermeintlichen Nachweis ihrer gestiegenen militärischen Fähigkeiten. Die Huthi haben nach dem 7. Oktober Israel mehrfach mit Drohnen und Raketen angegriffen, die teilweise aber bereits von Saudi-Arabien abgeschossen wurden.

Keine Demos im Iran gegen Israel

Iran hat es erfolgreich geschafft, sich von den israelischen und westlichen Vorwürfen zu distanzieren, es sei der eigentliche Drahtzieher des Hamas-Anschlags. Zwar forderte der oberste iranische Führer, Ali Khamenei, am 10. Oktober 2023: »Die gesamte islamische Welt ist verpflichtet, die Palästinenser zu unterstützen, und wenn Gott will, wird sie sie unterstützen.« Jedoch vermied Teheran in den Folgewochen, zuviel Öl ins Feuer zu gießen.

Zwar haben eine Reihe von iranischen Netzwerk-Proxys in Syrien, dem Irak und im Jemen US-Einrichtungen in diesen Staaten sowie Israel angegriffen. Zur Entfachung eines »Flächenbrands«, wie anfänglich befürchtet, hat sich aber auch die Führung in Teheran nicht hinreißen lassen. Der Konflikt in Gaza führt die Grenzen der iranischen Aggressionspolitik in der Region vor Augen. Das Regime in Teheran schreckt offenbar vor dem Äußersten zurück. Und der Iran sät zwar medial Hass gegen Israel. Doch anders als in fast allen arabischen Staaten, macht das Volk nicht mehr mit: Im Iran gab es keine Großdemonstrationen gegen Israel.

Türkei: Vermittlerrolle verloren

Unmittelbar nach den Greuel-Taten der Hamas unternahm Ankara intensive diplomatische Schritte, um einer größeren Konfrontation vorzubeugen. Eine türkische Vermittlerrolle wurde jedoch weder von der Hamas noch von Israel angenommen. Am 26. Oktober 2023 stellte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dann offen auf die Seite der Hamas, die er als Kämpfer bezeichnete, die nur »versuchten, ihr Territorium zu schützen«.

»Eine Isolation Israels wäre für Ankara nützlich, um seine belasteten Beziehungen zur arabischen Welt zu verbessern.«

Die Beziehungen der Türkei zu Israel sind schon seit Mitte 2010 belastet, nachdem die israelischen Streitkräfte ein türkisches Schiff aufgebracht hatten, das humanitäre Hilfsgüter in den Gazastreifen transportieren wollte. Bei diesem Vorfall wurden zehn türkische Seeleute getötet. Erdoğan macht sich selbst gerne zum Sprecher der »entrechteten arabischen Völker«, kommt damit aber häufig in der arabischen Welt nicht an. Nun steht laut regierungsnahen türkischen Kommentatoren im Raum, ob der neue Gaza-Krieg zu einer Isolation Israels führt, die für Ankara nützlich wäre, um seine belasteten Beziehungen zur arabischen Welt zu verbessern. Die ursprünglich angestrebte Vermittlerrolle hat Erdoğan jedoch gegenüber Katar verloren.

Ewiger Krieg ist keine Lösung

Der Krieg zwischen Palästinensern und Israel im Gazastreifen hat in jeder Hinsicht die zentrale Bedeutung der Palästinenserfrage für die regionale und internationale Politik des Nahen Ostens ins öffentliche Bewusstsein zurückgeholt. Sowohl die hohe Zahl der ermordeten Israelis als auch die von der Hamas bewusst billigend in Kauf genommene humanitäre Katastrophe im Gazastreifen nach dem Angriff der israelischen Armee führen vor Augen, dass ein ungelöster Konflikt eben nicht dauerhaft ungelöst bleiben kann. Viele namhafte Stimmen, darunter US-Präsident Joe Biden, sprechen sich mal wieder für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Doch diese ist mit zu vielen, praktisch kaum erfüllbaren Herausforderungen verknüpft.

Vielmehr muss auch über Alternativen nachgedacht werden: zum Beispiel die »Ein-Staaten-Lösung«, die seit Jahrzehnten auch in Israel Anhänger hat. Dafür aber müsste vor allem Israel im großen Umfang Grund und Boden an einst geflohene Palästinenser zurückgeben. Für die orthodoxen Hardliner in Israel keine Option. Doch welche Alternative zum »Ewigen Krieg« gibt es sonst?

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