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Colombian Hip-Hop Alcolirykoz © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Camilo Erasso

Hip-Hop, oder: die Kunst des radikalen Selbstbezugs

Man kann mittlerweile das Gefühl haben, Hip-Hop sei überall. Und tatsächlich gab es wohl noch nie eine Populärkultur, die sich derart selbstbewusst, krisenresistent und vielschichtig aufgefächert, ausgebreitet und vernetzt hat. Was bei genauerer Betrachtung aber gar nicht so überraschend ist. Denn wer die Geschichte dieses kulturellen Phänomens genauer studiert, muss feststellen, dass Hip-Hop von Beginn an auf besondere Weise größenwahnsinnig, visionär, expansiv und normativ war.

Zwar positionierte er sich Ende der 70er Jahre noch als despektierlich missbilligte Subkultur, in der die verschiedenen Spielarten Musik, Graffiti und Tanz in einer uniformen Widerstandsgeste gegen die soziale Ungleichheit in US-amerikanischen Großstädten und insbesondere ihren afro- und lateinamerikanisch geprägten Nachbarschaften ins Feld geführt wurden. Doch war der Hang zum Hyperbolischen, Exzessiven und Grandiosen in dieser Zeit bereits erkennbar. Hip-Hop wollte mobilisieren, ermächtigen und provozieren, sodass sich im Hip-Hop noch die konservativsten Laster der Gesellschaft mit ihren progressivsten Utopien verbinden konnten.

Insbesondere seine Musik und Mode wurden dafür zielsicher in Stellung gebracht. Mithilfe charakteristisch gewordener Drumbeats, synthetisch eingespielter Harmonien, zielsicher gesetzter Scratches und natürlich der ständig am Puls der Zeit befindlichen Kleidungs- und Symbolsprache konnten Misogynie, Homo- und Queerfeindlichkeit, Gewaltfantasien und heteronormative Beziehungsbilder bis heute so selbstverständlich vorgetragen werden wie der Wunsch nach antirassistischen, antikommerziellen, antisexistischen und ökologischen Reformen.

Musiker wie die Hamburger Gruppe 187 Strassenbande können im Namen des Hip-Hop breitbeinig von Gewalt, Gefängnis und hypermaskuliner Allmacht erzählen, während es Künstler:innen wie Lil Nas X oder Kae Tempest möglich ist, den Hip-Hop als in sich widerständig zu zeigen und seine durchaus sensible und Genregrenzen überwindende Ästhetik für eine Aufweichung seiner konservativen Hegemonie zu nutzen.

Magische Inklusionsfähigkeit

Dabei wäre es ein Trugschluss zu glauben, diese beiden schemenhaft skizzierten Lager, Reaktionäre auf der einen und Progressive auf der anderen Seite, schlössen sich gegenseitig aus. Weit gefehlt: Denn Hip-Hop ist mit Blick auf seine Inklusionsfähigkeit auf besondere Weise magisch. So hätte eigentlich bereits die Gegenüberstellung von aktivistischen Künstler:innen wie Queen Latifah oder A Tribe Called Quest und machistisch gewaltverherrlichenden Musikern wie Dr. Dre oder den Geto Boys auch den Letzten klar machen müssen, dass die Erzählung der angeblich alle Hip-Hopper:innen verbindenden Four Elements (Rapmusik, Graffiti, DJing und Breakdance) und ihres ethisch unerschütterlichen Ehrenkodexes kaum mehr als eine zu vernachlässigende Kulturromantik ist.

Doch es gelingt einer bestimmten, kaum in Worte zu fassenden Vorstellung von Hip-Hop (dem »Image« einer authentischen und im emphatischen Sinne »brüderlichen« Straßenkultur) noch immer, ein Gemeinschaftsgefühl zu schüren, dass transnational, transgenerational und transkulturell wirkt. Ungeachtet seiner zahlreichen und bisweilen fast schon mythisch verklärten Konflikte, die im Falle einiger Künstler wie Tupac Shakur und The Notorious B.I.G. gar tödlich endeten, offenbart sich Hip-Hop also mit der Kraft einer gemeinschaftsstiftenden Magie als eine kulturelle Praxis, die sogar solche Tragödien verwindet und es vermag, ihre Akteur:innen zentripetal zu beschleunigen, um sie, so unterschiedlich und widerstreitend sie auch sein mögen, selbstbewusst aufeinander beziehen zu lassen.

Gleichzeitig ist der Erfolg dieser gleichermaßen expansiv und inklusiv wirkenden Hip-Hop-Idee bemerkenswert unmetaphysisch, ja, geradezu prosaisch. Der aus dem Disco-Gefühl der 70er Jahre erwachsene Hip-Hop, der das spontan Inszenierte, das collagenhaft Zusammengesetzte und das dilettantisch Improvisierte von Beginn an ins Zentrum seiner ästhetischen Kommunikation gerückt hatte, kam nicht umhin, sich im selben Moment kulturell anschlussfähig zu zeigen, indem er sein kulturelles Selbstbewusstsein und seine Eigenständigkeit maximal zu behaupten suchte.

Die Spannung zwischen Diversität und hegemonialem Geltungsanspruch, zwischen Selbstbehauptung und Zumutbarkeit, war dementsprechend ein entscheidendes Moment seiner Entwicklung, das ihn bis heute beflügelt. Denn nicht zuletzt aus dieser Spannung heraus war Hip-Hop stets darum bemüht, möglichst viele Bereiche in Gesellschaft, Kultur und Politik zu beeinflussen. Selbstverliebte Selbstabgrenzung, umschmeichelnder Gestus und ein beharrlicher Kulturimperialismus bestimmen seit jeher seinen Willen zur Macht.

Von der antiautoritären Subkultur zur kulturellen Autorität

So entwickelte sich die von Afrika Bambaataa gegründete Zulu Nation schnell von einer New Yorker Nachbarschaftshilfe zu einem internationalen Netzwerk dogmatisch wertebewusster Hip-Hop-Missionar:innen, machten die Straßen-Rapper von Run-D.M.C. den Adidas-Turnschuh im Handumdrehen zu einem globalen Hip-Hop-Markenzeichen und übertrugen die Beastie Boys den Hip-Hop bereits in den 80er Jahren von den Straßenecken der berüchtigten Bronx in die Einfamilienhäuser der bürgerlichen und vornehmlich weißen Vororte. Hip-Hop war im Spiel der popkulturellen Bewegungen schnell davon besessen, alle Teile der Gesellschaft von seiner Symbolik, seiner Sprache, seiner lässigen Mode, seinem bemerkenswert ausgestellten Sinn fürs Geschäftliche und insbesondere von seiner eindringlich rhythmisierten Musik abhängig zu machen. Der Anspruch war, die antiautoritäre Subkultur zu einer kulturellen Autorität zu machen – und dies längst nicht nur in den USA und Westeuropa, sondern in jedem Winkel der Erde.

In diesem Sinne hat sich Hip-Hop, wie andere Sub- und Gegenkulturen vor ihm, auch gesellschaftspolitisch stets aufgedrängt und eingemischt, er hat kommentiert und agitiert, er hat angeeckt und so versucht, das Gefühl zu vermitteln, er hätte Recht, wenngleich er das Recht nicht immer auf seiner Seite wusste. Unmissverständliche Forderungen wie »Fight the Power« (Public Enemy) oder »Fuck tha Police« (N.W.A) bezogen sich ebenso auf die Forderungen der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre wie sie mit dem anarchistischen Gestus der zeitgleich aufblühenden Punkkultur spielten.

Doch wollte Hip-Hop weder einfach nur ins öffentliche Bewusstsein vordringen noch wollte er sich im gesellschaftlichen Abseits die Hörner abstoßen. Vielmehr legte er es darauf an, sein ganz eigenes Selbstbewusstsein zum Maßstab popkultureller Kommunikation überhaupt zu machen. Hip-Hopper:innen treten deshalb nie nur in Kommunikation mit ihren Fans und Kritiker:innen, sondern auf spektakuläre, weil unbedingt öffentlichkeitsorientierte Weise mit und über sich selbst. Denn für kaum eine Popkultur ist der Selbstbezug so wichtig und so charakteristisch wie für den Hip-Hop.

Die Formel »Hip-Hop ist…« wird in unzähligen Songs und Modelinien aufgerufen und immer wieder neu vollendet. Ständig nehmen Künstler:innen dabei direkt Bezug auf andere, zitieren und kommentieren den Zeitgeist und zeitgeschichtliche Ereignisse. Ständig wird die kulturelle Vergangenheit aufgerufen, um die Gegenwart zu analysieren und Hypothesen über die Zukunft aufzustellen. Was dabei häufig ermüdend selbstgenügsam daherkommt, entpuppt sich bisweilen aber auch als Fähigkeit zur selbstironischen Distanzierung und insofern zur Kritik. Ein außergewöhnliches Beispiel dafür liefert Kendrick Lamars Album To Pimp a Butterfly, auf dem der Künstler sich und seine Musik in das ganze Spektrum afroamerikanischer Kulturgeschichte einschreibt, um ausgehend von dieser selbstsituierenden Bezugnahme der historischen Sünde des systemischen Rassismus die Stirn zu bieten.

Im Hip-Hop-typischen Spiel mit dem Selbstbezug werden sich kultureller Narzissmus und ästhetischer Hedonismus, reformorientierte Kritik und politischer Widerstand so verblüffend ähnlich, dass »Fuck tha Police« nicht ernster genommen werden kann als der Appell, endlich einmal ehrlich über Sex zu sprechen (»Let’s Talk About Sex«, Salt-N-Pepa); dass »Fight the Power« immer auch »[You Gotta] Fight for Your Right [to Party]« (Beastie Boys) bedeutet. Und in dieser Gleichzeitigkeit ist Hip-Hop im Grunde Pop in Perfektion.

Wobei natürlich spätestens an diesem Punkt unterschieden werden muss zwischen einem weitestgehend homogen vermarkteten Mainstream, an den sich diese Kritik größtenteils wendet und in dem Weltstars wie Jay-Z, Kanye West oder Cardi B mit vergleichbaren Mitteln um Klickzahlen und vor allem um Unmengen von Geld konkurrieren, und einem noch immer äußerst produktiven und verhältnismäßig heterogenen Underground, in dem international kaum beachtete Künstler:innen gegen einverleibende Vermarktungslogiken, das Monopol großer Plattenfirmen und insofern auch gegen Künstler:innen wie Jay-Z oder Cardi B rebellieren.

So bleibt Hip-Hop zwar, wie andere Popkulturen auch, gerade dadurch innovativ und dynamisch, weil in seinen Untiefen aufrührerische Kräfte brodeln. Doch zeigt sich gerade im Mainstream das bisherige Ende einer Entwicklung, der seit seiner Entstehung von innen heraus kaum Steine in den Weg gelegt wurden. Wobei wir hier womöglich das eigentliche Erfolgsrezept des Hip-Hop erkennen können. Denn im Unterschied zu anderen Subkulturen seiner Zeit war Hip-Hop von Beginn an erstaunlich marktaffin und ja gerade aufgrund seiner offen inszenierten Provokation besonders marktkonform.

Zwar hatte Hip-Hop vor dem Hintergrund von systemischem Rassismus, Polizeigewalt und sozialer Ungerechtigkeit immer schon ein gebrochenes Verhältnis zu institutioneller Macht (zu Politik, Justiz und Medien), gleichzeitig aber ein relativ ungebrochenes Verhältnis zur Akkumulation von Kapital (ob nun symbolisch, kulturell oder eben ökonomisch). Ja, die Ausstellung von Reichtum und Besitz wird bis heute von vielen Künstler:innen in derart obszönem Ausmaße gefeiert, dass zwischen dem Kauf eines Autos, einer Villa oder – dem neuesten Statussymbol im Hip-Hop – von Kunst nicht unterschieden werden muss.

Hip-Hop ist in weiten Teilen derart leidenschaftlich kapitalistisch und materialistisch, dass sich sein aktivistisches Potenzial fast ausschließlich gegen die politischen Eliten richtet, er sich dabei aber nie an den Idealen eines revolutionären Klassenkampfes orientiert. Darin ist Hip-Hop wahrlich ein klassisches Kind der 80er Jahre, das im Zuge von Reaganomics und Thatcherism bis heute nicht gewillt ist, auf selbstbehauptende Erzählungen von Aufstieg und Selbstverwirklichung, auf die warenästhetisch übersteigerte Logik von Antikonformismus und Konsumfetischismus zu verzichten.

Doch entwickelt er inmitten dieser gleichermaßen freiheitspreisenden Pole seine Sprengkraft, indem pathologischer Narzissmus und selbstdistanzierter Aktivismus produktive, aber in verstörendem Maße toxische Verbindungen eingehen, innerhalb deren sich wiederum das Kreativ-Öffnende und das Destruktiv-Regressive gerne gefährlich nahekommen. Man denke an Künstler:innen wie Eminem oder Lauryn Hill, in deren Musik schizoide Gewaltfantasien und messerscharfe Popkritik bei dem einen und madonnenhafte Selbstinszenierung und antirassistischer Appell bei der anderen oftmals in derselben Textstelle und bisweilen erstaunlich geschmeidig ihren Platz finden.

So wird das Spannungsverhältnis liberaler Selbstverwirklichung zum Treibstoff und Motor einer Kultur, deren konservatives Teufelchen den Puls der Zeit einfängt und deren progressives Engelchen versucht, der Zeit immer wieder neue Impulse zu geben. Dass sich Hip-Hop dadurch zwingt, sich (gerne auch augenzwinkernd) selbst zu begegnen, ist das postmoderne Spiel, das im Zeitalter von MTV und Air Jordans bereits so einschlägig funktioniert hat wie in der Ära von Instagram und Yeezys.

Hip-Hop vermag es, stets mit der einen Hand den Zeigefinger und mit der anderen den Mittelfinger in deine Richtung zu strecken, um im selben Moment die marktorientierte Selbstverantwortung zu beschwören und die antiautoritäre Selbstbehauptung zu befeuern. Die unwahrscheinliche Geschmeidigkeit, mit der es Hip-Hop dabei gelingt, Kultur und Gesellschaft, Kunst und Kommerz, politischen Widerstand und wirtschaftliche Macht zu verbinden, also gleichzeitig das Beben und dessen seismografische Erfassung, das perfekte Produkt einer gleichmachenden Kulturindustrie und der kritische Blick in ihre Fabriketagen zu sein, würde wohl selbst Max Horkheimer und Theodor W. Adorno verblüffen.

Denn nicht zuletzt mithilfe dieser Geschmeidigkeit gelang es Hip-Hop, heute überall zu sein und so immer wieder kulturelle Resonanzräume zu öffnen, in denen unsere spätmodernen Befindlichkeiten und Pathologien, unser Hang zum Hedonismus und die Notwendigkeit zum Aktivismus in ihren Widerständen und ihren Widersprüchen aufeinander losgehen dürfen und der radikale Selbstbezug kurzerhand zur Kunstform erhoben wird.

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