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Die Innenministerien in Ost und West Hüter der Ordnung?

Die 50er Jahre der Bundesrepublik Deutschland hatten lange keinen allzu guten Ruf. Immer wieder wurde ihnen Restauration und Rückwärtsgewandtheit vorgeworfen, und nur zögerlich gestand man mit Blick auf Geistesgrößen wie Heinrich Böll, Theodor W. Adorno oder Karl Jaspers ein, dass diese Jahre so »muffig« gar nicht waren. Allerdings bleibt es verwunderlich, dass das Schifflein »Bundesrepublik« überhaupt so gut in Fahrt kam, angetrieben – das ist kein Geheimnis – nicht von lupenreinen Demokraten, sondern von den alten Eliten, die in vielen Fällen zuvor dem nationalsozialistischen System gedient hatten. Es gebe ja niemanden sonst, soll Konrad Adenauer auf entsprechende Vorhaltungen erwidert haben. Von ihm ist die Bemerkung überliefert: »Man schüttet schmutziges Wasser nicht aus, wenn man kein sauberes hat.«

Die hohe Zahl von früheren NSDAP-Mitgliedern, aber auch ehemaligen Angehörigen von SA und SS in bundesdeutschen Ministerien war über Jahrzehnte ein Tabu. Nach der Gründergeneration musste noch eine weitere abtreten, bis sich eine dritte, historisch unbelastete Generation an die Aufarbeitung der Geschichte ihrer Häuser machte. Den spektakulären Anfang machte vor gut zehn Jahren das Auswärtige Amt, vor drei Jahren folgte das Bundesjustizministerium mit »Die Akte Rosenburg«, jetzt zog das Innenministerium nach, demnächst werden Bundeskanzleramt und Bundespresseamt die Ergebnisse ihrer Untersuchungen präsentieren.

Es war der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der für sein Haus einen entsprechenden Auftrag an das Institut für Zeitgeschichte vergab und hierbei auch das Innenministerium der DDR einbezog. In einem wahren Kraftakt haben acht jüngere Historikerinnen und Historiker unter der Leitung von Frank Bösch (Potsdam) und Andreas Wirsching (München) beide Häuser unter die Lupe genommen, wobei nicht nur ganz unterschiedliche Entwicklungen zutage treten, sondern auch die ganz unterschiedlichen Mentalitäten in den beiden deutschen Staaten.

Tradition des Obrigkeitsstaates

Um es vorwegzunehmen: Die Geschichte des Bonner Bundesministeriums des Innern (BMI) ist aus heutiger Sicht in seinen Anfängen ein einziger Skandal. Ungeniert und geradezu schleuserhaft wurden über alte Beziehungen und Seilschaften frühere Parteigenossen zurückgeholt und in lukrative Beamtensessel gehoben. Das war zwar in allen Bonner Ministerien so, ist aber beim Innenministerium besonders verstörend, weil dieses Ministerium klassischerweise als »Hüter der Ordnung« gilt und mit Verwaltung, Polizei, Sport, Aufenthalts- und Ausländerfragen, damals auch noch Gesundheit, für all jene Aufgaben zuständig ist, die unmittelbar den einzelnen Bürger berühren.

Zwar nicht erster Minister, aber gewissermaßen Gründungsvater des BMI war Hans Globke, neben ihm der bayerische Jurist Hans Ritter von Lex und der Verwaltungsjurist Erich Keßler, der schon 1933 in die NSDAP und die SA eingetreten war. Sehr schnell und mit der Zeit immer erfolgreicher verschafften sie ihrem rasch wachsenden Haus das nötige Personal von Abteilungsleitern bis zu Referenten und Hilfsreferenten. Diese schwindelten sich mitunter in betrügerischer Form mittels gefälschter Lebensläufe oder freigiebig verteilter Persilscheine in die neuen Ämter. Das Buch führt eine Reihe von nachgerade skandalösen Fällen an. Auf dem Höhepunkt der »Braunfärbung« um 1960/61 waren 67 % der leitenden Beamten ehemalige NSDAP-Mitglieder; 48 % hatten vor 1945 der SA, 6 % der SS angehört.

Die Autoren zeigen an wichtigen Arbeitsbereichen, wie stark obrigkeitsstaatliches und demokratieskeptisches Denken das Handeln vieler Beamter bestimmte. Eine lange Tradition bis zurück zum Kaiserreich wirkte hier nach: Das Ideal war der Staat an sich, gleichgültig in welcher Form. Das Grundgesetz mit seinem individualistischen und egalitären Gesellschaftsbild stieß vielfach auf Ablehnung, das Bundesverfassungsgericht erschien als systemwidriger Fremdkörper, im Notfall (hier bestimmte die ständige Kommunistenfurcht das Denken) sollte die Exekutive deutlich gestärkt werden.

Unter der Kontrolle der Partei

Ganz anders verlief die Entwicklung in Ostberlin. Zielstrebig ging die schon vor Kriegsende aus Moskau eingeflogene »Gruppe Ulbricht« daran, alle wichtigen Positionen in Staat und Gesellschaft mit Gesinnungsgenossen zu besetzen. Das Ideal war der »Berufsrevolutionär«, also frühere KPD-Mitglieder, die unter der NS-Haft gelitten oder im Exil für den Kommunismus gekämpft hatten, etwa im Spanischen Bürgerkrieg. Daneben gab es Mitarbeiter »neuen Typs«, oft junge und in der Sache unerfahrene Personen, die sich aber durch bedingungslose Treue zur SED auszeichneten. Nur im Archivwesen und beim Meteorologischen Dienst, wo es allein auf fachliche Kompetenz ankam, beließ man es beim früheren Personal.

Das Ministerium des Innern (MdI) der DDR (zuvor schon die »Deutsche Verwaltung des Innern«) war ein verkapptes Militärministerium. Sicherheitsdenken ging der SED über alles. Nachdem schon ab 1948 eine kasernierte Bereitschaftspolizei aufgebaut worden war, wurden die militärischen Einheiten der DDR mehr und mehr zum Kern der späteren Nationalen Volksarmee, die es ab 1956 auch dem Namen nach in einem eigenen Ministerium gab.

Erster DDR-Innenminister war der frühere Sozialdemokrat Carl Steinhoff, der noch den Anschein rechtsstaatlicher Politik zu wecken suchte, was aber nur von kurzer Dauer war. Denn alle staatlichen Stellen – das MdI stellte in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar – unterlagen der strengen Kontrolle der SED. Die Autoren der Studie zeigen anschaulich, wie streng diese Kontrolle auch gegenüber eigenen Parteigenossen ausgeübt wurde und wie rigoros diese notfalls ihre Posten räumen mussten. Wenn die ersten Jahre der DDR vielfach als »Chaosjahre« in Erinnerung sind, so nicht nur wegen der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch wegen der ständig sich verändernden Zuständigkeiten der staatlichen Stellen.

Fast zwangsläufig standen sich die Innenministerien in Bonn und Ostberlin besonders in der Phase des Kalten Krieges feindlich gegenüber. In ihrer »antifaschistischen« Haltung wähnte sich die DDR-Führung auf der richtigen Seite der Geschichte. Sie attackierte unentwegt mit sogenannten Braunbüchern über Bonner Politiker und mit Scheintribunalen den »braunen Sumpf« am Rhein. Die zeitweise groß angelegten Kampagnen riefen allerdings in Bonn keine großen Reaktionen hervor. Nur in wenigen Fällen, wenn Hinweise auf frühere, an Verbrechen grenzende Tätigkeiten allzu kompromittierend waren, kam es zu Entlassungen oder Versetzungen. Generell konnten die einmal eingestellten früheren NSDAP- und SA-Angehörigen bis zum Ruhestand im Amt bleiben und erhielten beim Ausscheiden vielfach das Bundesverdienstkreuz. Der Kalte Krieg half mit, alle Angriffe aus Ostberlin, gerade wenn sie in der Sache berechtigt waren, als bloße Propaganda abtun zu können.

Schwierige Lernprozesse

Frank Bösch, Andreas Wirsching und ihr Autorenteam beschränken sich im Wesentlichen auf die Adenauer-Zeit im Westen bzw. auf die Ulbricht-Jahre im Osten Deutschlands. In der DDR, so wird man sagen können, wurde der frühere Zustand im Grunde bis zu ihrem Ende beibehalten: strenge Kontrolle und Reglementierung durch die SED und das mit der Zeit allmächtige Ministerium für Staatssicherheit, das im Berichtszeitraum zeitweise noch ein »Sekretariat« des Innenministeriums war. Für die Bundesrepublik hingegen ist ab Mitte der 60er Jahre ein Wandel zu beobachten, da sich mit dem Generationswechsel auch die Mentalitäten änderten. Das schroff-obrigkeitsstaatliche Denken hatte schon durch die Spiegel-Affäre 1962 Risse bekommen. In der Folge waren es u. a. die »68er«, die kritischer werdenden Medien und das am Grundgesetz orientierte Bundesverfassungsgericht (das im BMI geradezu verhasst war!), die die Bundesrepublik auch staatlich-administrativ zum demokratischen Gemeinwesen werden ließen. Für das BMI war es ein schwieriger Lernprozess. Die Autoren formulieren es am Ende ihres lesenswerten Buches so: »Tatsächlich mussten die westdeutschen Hüter der Ordnung zum Teil mühsam lernen, dass sie eine grundgesetzlich normierte, individualrechtlich orientierte und demokratisch-pluralistische staatliche Ordnung zu gestalten und zu bewahren hatten.«

Frank Bösch/Andreas Wirsching (Hg.): Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus. Wallstein, Göttingen 2018, 837 S., 34,90 €.

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