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Warum Margarete Stokowski eine Lesung absagte Hysterie und Macht

»Antifeministische Strategien sind so alt wie der Feminismus selbst«, schreibt Margarete Stokowski in ihrem aktuellen Buch Die letzten Tage des Patriarchats. Eine dieser Strategien ist es, Feministinnen ein unzureichendes Urteilsvermögen zuzuschreiben, um dadurch ihre Aussagen und Handlungen anzweifeln zu können. Folgt man Stokowskis Betrachtung von Machtstrukturen wird deutlich, dass diese Diskreditierung eine Reaktion auf das Gefühl der Bedrohung ist, das für Viele von einer gleichberechtigten Gesellschaft ausgeht.

Im November 2018 sagte die Autorin eine Lesung ihres Buches in der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl ab. Ihre Absage an den Besitzer begründete Stokowski damit, dass sie es als linke Autorin nicht vertreten könne, in einer Buchhandlung zu lesen, die auch rechte Literatur verkaufe. Über Wochen hinweg gab es Reaktionen darauf in den Medien und sozialen Netzwerken. Statt jedoch darüber zu sprechen, wie mit rechten oder rechtsextremen Texten umgegangen wird oder werden sollte, wurde die Rechtmäßigkeit von Stokowskis Absage diskutiert.

Stokowski antwortete in einer öffentlichen Stellungnahme auf E-Mails und Beiträge, die der Besitzer der Buchhandlung, Michael Lemling, in sozialen Medien gepostet hatte. Es ginge ihr nicht darum, »nicht mit anderen Haltungen konfrontiert zu werden (…), sondern darum, nicht mit einem Veranstalter zusammenzuarbeiten, der meines Erachtens einen falschen Umgang mit rechten und rechtsextremen Werken hat«. Lemling hatte zuvor geschrieben: »Wer auch immer sich mit Rechtspopulisten in all ihren Spielarten beschäftigen möchte, findet dazu bei Lehmkuhl die größte Auswahl an Titeln in München.« Die Buchhandlung wolle so unter der Rubrik »Neue Rechte, altes Denken« eine Auseinandersetzung mit einer »der wesentlichen politischen Herausforderungen der Gegenwart« fördern. Nur wer die Inhalte rechter Texte kenne, könne dagegen argumentieren. Stokowski stört daran »die Normalisierung rechten Denkens« und die mit einem Verkauf einhergehenden »finanziellen Gewinne für diese Autor*innen und Verlage.«

Vorwürfe und Echokammern

Stokowski amüsierte sich kürzlich auf Twitter darüber, »dass die Welt wegen meiner abgesagten Lesung in München mind. 3 Texte darüber bringt wie dumm, ideologisch und naiv ich bin und mich dann zum Frauentag fragt, ob ich nicht mal was für sie schreiben will. Funny …« Die Welt gehörte im November 2018 zu den ersten Medien, die Stokowskis Absage aufgriffen. Der Text von Frédéric Schwilden mit dem Titel »Ich habe die bösen Bücher gelesen« zieht Stokowskis Distanzierung von rechter Literatur ins Lächerliche. Schwilden beschreibt, wie er in der Buchhandlung Lemkuhl in den rechten Texten geblättert und den Rücken von Thilo Sarrazins Buch gestreichelt habe. Sein ironisch-gelangweilter Tonfall macht deutlich, dass er Stokowskis Reaktion überzogen findet. Die Bücher seien ja gar nicht so schlimm, er habe sie sogar angefasst und ihm sei nichts passiert. Es gebe auch »Kein Warnschild vor der Buchhandlung«, berichtet er. Weiter äußert sich Schwilden in einem Beitrag auf Facebook zu linken Protestaktionen gegen Rechtsextremismus und schreibt, Stokowski lehne »den aufgeklärten Menschen ab«. Sie wolle »in einer gleichgeschalteten Welt leben. In ihrem Milieu bleiben«. Auch Buchhandlungsinhaber Lemling warf Stokowski vor, »lieber in ihrer eigenen Echokammer zu verbleiben«.

Dieser Vorwurf wurde als Ausgangsgrundlage für die Diskussion über Stokowskis Absage genommen. In einem Pro-und-contra-Text in der Zeit, der stellvertretend für nahezu alle anderen Texte zu dem Thema gelesen werden kann, verurteilt Ijoma Mangold Stokowskis Reaktion. Leserinnen und Leser müssten sich selbst ein kritisches Urteil bilden. Zurzeit zeigten zwar »alle ›Haltung‹«, es sei aber »›Auseinandersetzung‹ das produktivere Rezept, auch wenn man sich dabei nicht ganz so glorios vorkommt«. Auf der anderen Seite begrüßt Iris Radisch Stokowskis deutliche Botschaft. Es sei ein »Unterschied, ob man mit Rechtsextremen streitet (…) oder ob man ihnen an prominenter Stelle eine relevante Verkaufsfläche einräumt«. Stokowskis Wunsch, nicht dort lesen zu wollen und damit zu zeigen »Ich will nicht dabei gewesen sein« sei nachvollziehbar.

Im Laufe der Debatte sind es zu einem großen Teil Männer, die in den sozialen Netzwerken Kommentare zur Absage verfassen. Wiederholt wird Stokowski als überreagierend und hysterisch bezeichnet, fast ausschließlich drücken die Beiträge Unverständnis über ihre Reaktion aus. Für Stokowski ist das keine neue Erfahrung. Sie erhält viel Lob für ihre Texte, aber auch Anfeindungen, die von Beleidigungen und obszönen Gewaltfantasien bis hin zu Morddrohungen reichen. Stokowski schreibt dazu in ihrem Buch: »Ich neige zu Melancholie und Mittagsschlaf, aber seit ich mich öffentlich als Feministin äußere, nennen Leute mich ›hysterisch‹ oder schreiben, ich würde ›rumschreien‹, was ich wirklich sehr selten tue.«

Im September 2018 veröffentlichte Adriane van der Wilk die Studie »Cyber violence and hate speech online against women«. Die Studie der auf Genderfragen spezialisierten Forscherin »belegt, dass Frauen besonders häufig Ziel von Hasskommentaren sind« (Florian Sturm, fluter). Um sich ein Bild des Ausmaßes von Onlinehass zu machen, kann man zum Beispiel die Kommentare unter Stokowskis wöchentlicher Spiegel Online-Kolumne »Oben und unten« lesen. Dass es zumeist Männer sind, die sich negativ über feministische Themen oder Autorinnen und Autoren äußern, ob nun im Feuilleton namhafter Medien oder den Kommentarfeldern, verwundert Stokowski nicht: »Wenn eine Gesellschaft – vereinfacht gesprochen – zum Nachteil von Frauen eingerichtet ist, dann wirkt vieles, was zur Gleichberechtigung getan wird, wie Männerhass. Grüße an die Frauenquote.«

Eines der zentralen Themen in Stokowskis Texten sind Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft. Sie zeigt auf, wo geschlechterbedingte Ungerechtigkeiten vorkommen und verdeutlicht durch zumeist alltägliche Erlebnisse, wie ungleich unsere Gesellschaft strukturiert ist. Denn »die Tatsache, dass es um die Lebenssituation und Machtoptionen von Frauen heute besser steht als zu Zeiten, als die bloße Forderung nach gleichen Rechten mit dem Tod bestraft wurde, heißt nicht, dass alles gut ist«.

Geht man zu den Ursprüngen der Erforschung von Macht, landet man unweigerlich beim Werk des französischen Philosophen Michel Foucault. Seine Forschungen ermöglichten es den Gender Studies, Macht als Komponente in die Betrachtung von Geschlechterverhältnissen einfließen zu lassen.

Ab den 60er Jahren beschäftigte sich Foucault hauptsächlich mit Machtverhältnissen und betrieb dafür Quellenforschung. Er studierte beispielsweise Berichte und Krankenakten aus dem 18. Jahrhundert, der Geburtsstunde der Psychiatrie, und suchte nach den Ursachen dafür, wie über Krankheiten gedacht wurde und wie dieses Denken das Verständnis von medizinischen Phänomenen im historischen Verlauf beeinflusste. Foucault fragte: Welche Mechanismen verhängen und vollziehen Strafen für welche Taten, wer kategorisiert Menschen nach welchen Maßstäben als psychisch krank und verordnet Therapiemethoden?

Von besonders großem Interesse waren für ihn Orte, an denen Menschen ausgegrenzt wurden und durch andere Freiheit gewährt oder verwehrt bekamen. Gefängnisse oder Krankenhäuser nennt Foucault als Beispiele für diesen (zeitweisen) Ausschluss von der Gesellschaft in seinen Werken Die Geburt der Klinik: Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Die Macht der Psychiatrie oder Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. Letztlich folgt Stokowski Foucaults Methode und fragt nach dem Ursprung und dem Inhaber bzw. der Inhaberin von Macht. Ungleichheiten seien »nicht einfach durch Zufälle entstanden«, sondern »durch alltägliches Handeln von Menschen aller Geschlechter und durch die Ideen, die uns in den Sinn kommen, wenn wir fragen, wer den Lauf der Welt bestimmt«.

Als im Verlauf der Debatte um Stokowskis Absage der Inhaber der Berliner Buchhandlung am Moritzplatz Ben von Rimscha auf Facebook postete: »Ich halte die hysterische Absage von Frau Stokowski für einen beispiellosen Angriff auf die Unabhängigkeit inhabergeführter Buchhandlungen«, nutzte er ein jahrhundertealtes Mittel zur Diskreditierung von Frauen. Stokowski verwundert es nicht, dass »der Aussage einer Frau nicht ganz so viel Gewicht« beigemessen wird »in einer Gesellschaft, die von Frauen immer noch ein liebliches Lächeln erwartet und ihnen immer wieder übertriebene Emotionalität zuschreibt«. Hysterie galt lange Zeit als typisch weibliche psychische Störung, die von der Erkrankung der Gebärmutter ausging. Organische Ursachen für das Krankheitsbild konnten natürlich nie festgestellt werden.

Sigmund Freud bezeichnete Hysterie als »Krankheit des Gegenwillens«. Tatsächlich boten die hysterischen Anfälle, die sich oft in Form von Nervosität, Ohnmachtsanfällen, Geltungsdrang oder sexueller Fortschrittlichkeit zeigten, auch immer wieder einen Ausweg in einer Zeit, in welcher der Handlungsspielraum von Frauen stark eingeschränkt war. Zur Behandlung der Patientinnen wurden unterschiedlichste Therapien erfunden. Diese reichten von der Empfehlung einer sofortigen Heirat und Schwangerschaft über manuelle Befriedigung, die letztendlich zur Erfindung des Vibrators führte, bis hin zu chirurgischen Eingriffen, bei denen die Gebärmutter entfernt wurde. »Mit einem Wandel der Geschlechterverhältnisse (…) verschwanden die hysterischen Patientinnen aus den Krankenhäusern Europas«, schreibt Franka Nagel in der Süddeutschen Zeitung. Offiziell abgeschafft wurde das Krankheitsbild Hysterie erst 1952.

Heute werden vor allem in den USA »angry women« als hysterisch bezeichnet, aber auch Stokowski wurde mehrmals Hysterie vorgeworfen. Nagel nennt Hysterie eine bemerkenswerte historische Maßnahme, um willensstarke Frauen zu unterdrücken: »Sie wurden kurzerhand für geistig unmündig befunden.« Die vermeintliche Krankheit Hysterie war ein patriarchales Machtinstrument, um Frauen an ihrem Platz zu halten. Der historischen Vorbelastung dieses Begriffes sollte man sich bewusst sein, wenn man ihn verwendet.

Margarete Stokowskis Absage ihrer Lesung hätte Anlass geboten, zu klären, wo die Grenze zwischen legitimen rechtskonservativen und illegitimen rechtsextremistischen Texten verläuft und wie ein kompetenterer Umgang damit ermöglicht werden könnte. Stattdessen wurde die Debatte auf eine inakzeptable antifeministische Ebene gehoben. Die Erkenntnis aber bleibt, dass Stokowski genau die patriarchalen Machtmechanismen entgegenschlugen, die sie in ihren Texten aufzeigt und somit angreifbar macht.

Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats. Rowohlt, Hamburg 2018, 320 S., 20 €.

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